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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

So war also die Stimmung für den Agrarsozialismus vorhanden, als die
Budapester Agitatoren anfingen, den Sozialismus zu predigen. Klug knüpften sie
an die augenblicklichen Beschwerden der Leute an, und diese entsprangen meist aus
den Verträgen über Erntearbeit. Der Lohn für diese wird in Gestalt eines An¬
teils am Ertrag entrichtet, und wenn die Ernte schlecht auszufallen, der Anteil
des Tagelöhners zu gering zu werden droht, will dieser den vorher geschlossenen
Vertrag ändern, der Stuhlrichter aber pflegt, wenn der Streit vor ihn gebracht
wird, für den Besitzer Partei zu nehmen. So sind die Arbeiterunruhen, besonders
der große Erntestreik von 1897 entstanden, den teils Militär unterdrückt, teils ein
Aufgebot von 5277 Resetvearbeitern vereitelt hat. Energische Maßregeln waren
notwendig, weil, wie Mailath hervorhebt, in dem Agrarlande Ungarn der Verderb
der Getreideernte den Verlust von beinahe einem ganzen Jahreseinkommen der
Nation bedeutet.

Der Ausbruch des von der Sozialdemokratie geschirrten Volksunwillens und
die sozialistischen Kongresse haben jedoch neben dem vorübergehenden Schaden, den
sie anrichteten, eine dauernde wohltätige Frucht hinterlassen. Wenngleich die meisten
Forderungen der von städtischen Doktrinären geleiteten Kongresse, zum Beispiel die
einer zwölfstündigen Arbeitszeit in der Ernte, unerfüllbar sind, so waren doch auch
gerechtfertigte und erfüllbare darunter, und da eine von gebildeten Landwirten ge¬
leitete Organisation, die von vornherein ein vernünftiges Reformprogramm hätte
aufstellen können, leider nicht vorhanden war, so muß man auch für den von un¬
berufner Seite gegebnen Anstoß dankbar sein. Zunächst beeilten sich Regierung und
Parlament, die Erntearbeiten durch das Gesetz von 1898 zu sichern, das Strafen
wegen Kontraktbruchs verhängt. Doch regelt dieses Gesetz zugleich die Verträge
über Erntearbeit, stellt den Arbeiter einigermaßen sicher und beseitigt so eine Menge
Anlässe zu Streitigkeiten. Im Jahre 1899 folgten dann zwei Gesetze, die sich auf
alle landwirtschaftlichen und auf die Erdarbeiter beziehn und die einen mäßigen
Arbeiterschutz enthalten. Auch mit der Arbeiterversicherung wird ein bescheidner An¬
fang gemacht. In gewissen Krankheitsfällen wird dem Gutsbesitzer die Zahlung
der Heilkosten auferlegt. Für Unfälle und Invalidität sind Hilfskassen organisiert
worden, deren Benutzung jedoch den Arbeitern freigestellt bleibt, sodaß die Kassen¬
verbände den Charakter von Vereinen haben; die Unterstützungssummen werden
durch Mitgliederbeiträge und durch Zuschüsse des Staates und der Gutsbesitzer auf-
gebracht. Bei Unfällen bestreitet die Kasse die Heilkosten und zahlt dem Verletzten
bis zu der Wiederherstellung täglich eine Krone, aber höchstens sechzig Tage lang.
Hat der Unfall den Tod zur Folge, so bekommt die Familie einmal 400 Kronen.
Hinterläßt der Verstorbne weder Frau noch Kinder, so werden hundert Kronen
Begräbniskosten gezahlt. Der Invalide bekommt monatlich zehn Kronen. Wer bis
zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahre weder Unfall- noch Jnvaliditatsunter-
stützung bezogen hat, erhält hundert Kronen ausgezahlt, ohne daß dadurch seine
sonstigen Ansprüche an die Kasse verloren gehn. Stirbt der Versicherte nicht in¬
folge eines Unfalls, so erhält die Familie eine einmalige Unterstützung von 200 bis
270 Kronen. Um die Kassen nicht gleich anfangs mit Verpflichtungen zu über¬
laden, hat man angeordnet, daß nur vierzehn- bis fünfunddreißigjährige Arbeiter
Mitglieder dieser Vereine werden können. In den ersten fünf Jahren nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes werden -- gegen höheres Eintrittsgeld -- auch ältere
Arbeiter, aber nur bis zum funfzigsten Lebensjahr, angenommen.

Selbstverständlich beurteilt Mailath die Dinge von seinem Standpunkt als
Graf und Großgrundbesitzer aus, aber man muß es ihm lassen, daß er sich einen
hohen Grad von Unparteilichkeit gewahrt hat, von sozialem Empfinden beseelt ist
und seine Standesgenossen nicht schont. Er gibt zu daß die Verwaltung und die
Rechtsprechung schlecht sind, daß die Regierung und die Parteien aus selbst,nebligem
Interesse der Genossenschaftsbewegung und sonstigen Bestrebungen für das Volks¬
wohl Hindernisse bereiten, daß sich die Gutsbesitzer - von löblichen Ausnahmen


Grenzboten II 1906 ^
Maßgebliches und Unmaßgebliches

So war also die Stimmung für den Agrarsozialismus vorhanden, als die
Budapester Agitatoren anfingen, den Sozialismus zu predigen. Klug knüpften sie
an die augenblicklichen Beschwerden der Leute an, und diese entsprangen meist aus
den Verträgen über Erntearbeit. Der Lohn für diese wird in Gestalt eines An¬
teils am Ertrag entrichtet, und wenn die Ernte schlecht auszufallen, der Anteil
des Tagelöhners zu gering zu werden droht, will dieser den vorher geschlossenen
Vertrag ändern, der Stuhlrichter aber pflegt, wenn der Streit vor ihn gebracht
wird, für den Besitzer Partei zu nehmen. So sind die Arbeiterunruhen, besonders
der große Erntestreik von 1897 entstanden, den teils Militär unterdrückt, teils ein
Aufgebot von 5277 Resetvearbeitern vereitelt hat. Energische Maßregeln waren
notwendig, weil, wie Mailath hervorhebt, in dem Agrarlande Ungarn der Verderb
der Getreideernte den Verlust von beinahe einem ganzen Jahreseinkommen der
Nation bedeutet.

Der Ausbruch des von der Sozialdemokratie geschirrten Volksunwillens und
die sozialistischen Kongresse haben jedoch neben dem vorübergehenden Schaden, den
sie anrichteten, eine dauernde wohltätige Frucht hinterlassen. Wenngleich die meisten
Forderungen der von städtischen Doktrinären geleiteten Kongresse, zum Beispiel die
einer zwölfstündigen Arbeitszeit in der Ernte, unerfüllbar sind, so waren doch auch
gerechtfertigte und erfüllbare darunter, und da eine von gebildeten Landwirten ge¬
leitete Organisation, die von vornherein ein vernünftiges Reformprogramm hätte
aufstellen können, leider nicht vorhanden war, so muß man auch für den von un¬
berufner Seite gegebnen Anstoß dankbar sein. Zunächst beeilten sich Regierung und
Parlament, die Erntearbeiten durch das Gesetz von 1898 zu sichern, das Strafen
wegen Kontraktbruchs verhängt. Doch regelt dieses Gesetz zugleich die Verträge
über Erntearbeit, stellt den Arbeiter einigermaßen sicher und beseitigt so eine Menge
Anlässe zu Streitigkeiten. Im Jahre 1899 folgten dann zwei Gesetze, die sich auf
alle landwirtschaftlichen und auf die Erdarbeiter beziehn und die einen mäßigen
Arbeiterschutz enthalten. Auch mit der Arbeiterversicherung wird ein bescheidner An¬
fang gemacht. In gewissen Krankheitsfällen wird dem Gutsbesitzer die Zahlung
der Heilkosten auferlegt. Für Unfälle und Invalidität sind Hilfskassen organisiert
worden, deren Benutzung jedoch den Arbeitern freigestellt bleibt, sodaß die Kassen¬
verbände den Charakter von Vereinen haben; die Unterstützungssummen werden
durch Mitgliederbeiträge und durch Zuschüsse des Staates und der Gutsbesitzer auf-
gebracht. Bei Unfällen bestreitet die Kasse die Heilkosten und zahlt dem Verletzten
bis zu der Wiederherstellung täglich eine Krone, aber höchstens sechzig Tage lang.
Hat der Unfall den Tod zur Folge, so bekommt die Familie einmal 400 Kronen.
Hinterläßt der Verstorbne weder Frau noch Kinder, so werden hundert Kronen
Begräbniskosten gezahlt. Der Invalide bekommt monatlich zehn Kronen. Wer bis
zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahre weder Unfall- noch Jnvaliditatsunter-
stützung bezogen hat, erhält hundert Kronen ausgezahlt, ohne daß dadurch seine
sonstigen Ansprüche an die Kasse verloren gehn. Stirbt der Versicherte nicht in¬
folge eines Unfalls, so erhält die Familie eine einmalige Unterstützung von 200 bis
270 Kronen. Um die Kassen nicht gleich anfangs mit Verpflichtungen zu über¬
laden, hat man angeordnet, daß nur vierzehn- bis fünfunddreißigjährige Arbeiter
Mitglieder dieser Vereine werden können. In den ersten fünf Jahren nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes werden — gegen höheres Eintrittsgeld — auch ältere
Arbeiter, aber nur bis zum funfzigsten Lebensjahr, angenommen.

Selbstverständlich beurteilt Mailath die Dinge von seinem Standpunkt als
Graf und Großgrundbesitzer aus, aber man muß es ihm lassen, daß er sich einen
hohen Grad von Unparteilichkeit gewahrt hat, von sozialem Empfinden beseelt ist
und seine Standesgenossen nicht schont. Er gibt zu daß die Verwaltung und die
Rechtsprechung schlecht sind, daß die Regierung und die Parteien aus selbst,nebligem
Interesse der Genossenschaftsbewegung und sonstigen Bestrebungen für das Volks¬
wohl Hindernisse bereiten, daß sich die Gutsbesitzer - von löblichen Ausnahmen


Grenzboten II 1906 ^
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[0737] Maßgebliches und Unmaßgebliches So war also die Stimmung für den Agrarsozialismus vorhanden, als die Budapester Agitatoren anfingen, den Sozialismus zu predigen. Klug knüpften sie an die augenblicklichen Beschwerden der Leute an, und diese entsprangen meist aus den Verträgen über Erntearbeit. Der Lohn für diese wird in Gestalt eines An¬ teils am Ertrag entrichtet, und wenn die Ernte schlecht auszufallen, der Anteil des Tagelöhners zu gering zu werden droht, will dieser den vorher geschlossenen Vertrag ändern, der Stuhlrichter aber pflegt, wenn der Streit vor ihn gebracht wird, für den Besitzer Partei zu nehmen. So sind die Arbeiterunruhen, besonders der große Erntestreik von 1897 entstanden, den teils Militär unterdrückt, teils ein Aufgebot von 5277 Resetvearbeitern vereitelt hat. Energische Maßregeln waren notwendig, weil, wie Mailath hervorhebt, in dem Agrarlande Ungarn der Verderb der Getreideernte den Verlust von beinahe einem ganzen Jahreseinkommen der Nation bedeutet. Der Ausbruch des von der Sozialdemokratie geschirrten Volksunwillens und die sozialistischen Kongresse haben jedoch neben dem vorübergehenden Schaden, den sie anrichteten, eine dauernde wohltätige Frucht hinterlassen. Wenngleich die meisten Forderungen der von städtischen Doktrinären geleiteten Kongresse, zum Beispiel die einer zwölfstündigen Arbeitszeit in der Ernte, unerfüllbar sind, so waren doch auch gerechtfertigte und erfüllbare darunter, und da eine von gebildeten Landwirten ge¬ leitete Organisation, die von vornherein ein vernünftiges Reformprogramm hätte aufstellen können, leider nicht vorhanden war, so muß man auch für den von un¬ berufner Seite gegebnen Anstoß dankbar sein. Zunächst beeilten sich Regierung und Parlament, die Erntearbeiten durch das Gesetz von 1898 zu sichern, das Strafen wegen Kontraktbruchs verhängt. Doch regelt dieses Gesetz zugleich die Verträge über Erntearbeit, stellt den Arbeiter einigermaßen sicher und beseitigt so eine Menge Anlässe zu Streitigkeiten. Im Jahre 1899 folgten dann zwei Gesetze, die sich auf alle landwirtschaftlichen und auf die Erdarbeiter beziehn und die einen mäßigen Arbeiterschutz enthalten. Auch mit der Arbeiterversicherung wird ein bescheidner An¬ fang gemacht. In gewissen Krankheitsfällen wird dem Gutsbesitzer die Zahlung der Heilkosten auferlegt. Für Unfälle und Invalidität sind Hilfskassen organisiert worden, deren Benutzung jedoch den Arbeitern freigestellt bleibt, sodaß die Kassen¬ verbände den Charakter von Vereinen haben; die Unterstützungssummen werden durch Mitgliederbeiträge und durch Zuschüsse des Staates und der Gutsbesitzer auf- gebracht. Bei Unfällen bestreitet die Kasse die Heilkosten und zahlt dem Verletzten bis zu der Wiederherstellung täglich eine Krone, aber höchstens sechzig Tage lang. Hat der Unfall den Tod zur Folge, so bekommt die Familie einmal 400 Kronen. Hinterläßt der Verstorbne weder Frau noch Kinder, so werden hundert Kronen Begräbniskosten gezahlt. Der Invalide bekommt monatlich zehn Kronen. Wer bis zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahre weder Unfall- noch Jnvaliditatsunter- stützung bezogen hat, erhält hundert Kronen ausgezahlt, ohne daß dadurch seine sonstigen Ansprüche an die Kasse verloren gehn. Stirbt der Versicherte nicht in¬ folge eines Unfalls, so erhält die Familie eine einmalige Unterstützung von 200 bis 270 Kronen. Um die Kassen nicht gleich anfangs mit Verpflichtungen zu über¬ laden, hat man angeordnet, daß nur vierzehn- bis fünfunddreißigjährige Arbeiter Mitglieder dieser Vereine werden können. In den ersten fünf Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes werden — gegen höheres Eintrittsgeld — auch ältere Arbeiter, aber nur bis zum funfzigsten Lebensjahr, angenommen. Selbstverständlich beurteilt Mailath die Dinge von seinem Standpunkt als Graf und Großgrundbesitzer aus, aber man muß es ihm lassen, daß er sich einen hohen Grad von Unparteilichkeit gewahrt hat, von sozialem Empfinden beseelt ist und seine Standesgenossen nicht schont. Er gibt zu daß die Verwaltung und die Rechtsprechung schlecht sind, daß die Regierung und die Parteien aus selbst,nebligem Interesse der Genossenschaftsbewegung und sonstigen Bestrebungen für das Volks¬ wohl Hindernisse bereiten, daß sich die Gutsbesitzer - von löblichen Ausnahmen Grenzboten II 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/737>, abgerufen am 27.12.2024.