Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Boxxarder Krieg

Nach einer guten halben Stunde konnte man schon bemerken, daß der feurige
Malvasier seine Wirkung auf die nur an den leichten heimischen Landwein ge¬
wöhnten städtischen Kriegsknechte nicht verfehlte. Aus dem Zollhause drang fröhlicher
Gesang, der anfangs freilich noch jedesmal verstummte, sobald ein besonders Heller
Blitz oder ein knatternder Donnerschlag verriet, daß das im Rheintal auf und
nieder ziehende Gewitter wieder einmal über der Stadt stand. Aber wem die
Aufgabe zugefallen ist, mit einem Dutzend durstiger Gesellen ein Fäßlein edeln
Weines zu leeren, der muß sich, wenn er die übernommne Verpflichtung ernst
nimmt, wacker dazuhalten, sonst kommt er zu kurz und hat das Nachsehen. Dieser
Gedanke schien die Helden im Zollhause gleichmäßig zu beseelen: sie tranken den
Wein, dessen Bestimmung eigentlich gewesen wäre, die zarten Gurgeln adlicher
Jungfrauen tropfenweise zu netzen und ihren Gemütern bei festlichen Anlässen einen
milden Ansporn zu andächtig-weihevoller Erhebung zu geben, aus irdenen Krüg-
lein und zinnernen Kannen. Kein Wunder, daß sie nach und nach die fromme
Scheu vor dem zürnenden Himmel verloren, und durch das Destillat griechischer
Erde und griechischer Sonne in Titanen verwandelt, den olympischen Göttern,
sonderlich dem blitzeschleudernden Zeus zu trotzen begannen. Sie begrüßten jeden
Wetterstrahl mit lautem Gekreisch und bemühten sich, das Rollen des Donners, das
ihnen wie eine ohnmächtig zürnende Antwort auf ihre Herausforderung erschien,
mit wüstem Gebrüll zu übertönen. Und als sie das etlichemal getan hatten, ohne
daß sie das himmlische Feuer verzehrt oder ein Abgrund der Erde verschlungen
hätte, waren sie davon überzeugt, daß die Gewalten dort oben in den Wolken
doch wohl nicht den Mut hätten, mit einem Dutzend Bopparder Stadtknechte an¬
zubinden.

Ach, die Armen kannten den Vater der Götter und der Menschen nicht! Der
griechische Wein hatte ihren Geist nur zu verblenden, nicht zu erleuchten vermocht.
Sonst hätten sie ahnen können, daß der Wolkenerschütterer, der dem Streite der
Männer heute noch immer so gern zuschaut wie einst, als die Argiver vor den
Mauern Jlions lagen, durch die trojanischen Erfahrungen gewitzigt, sich jetzt mit
einem Gotte verbündet hatte, dessen Macht damals von ihm zu gering angeschlagen
worden war: mit dem mohnbekränzten Hypnos. dem lockigen Jüngling, der mit
lächelnder Miene und sanfter Hand dem höchsten der Götter den Blitz, den Königen
das Zepter und den Kriegern die Waffen entwindet!

Bei dem wilden Tanze, den die Ausgelassensten der Zecher in der engen
Wachtstube aufgeführt hatten, war die Laterne vom Tische gestoßen und zertrümmert
worden, sodaß sich das Ende des Gelages in der tiefsten Finsternis abspielte. Wäre
das nicht geschehn, so hätten die Belagerten, die noch immer auf ihrem Beobachtungs¬
posten standen, zum mindesten der Knplan, der in den alten Poeten wohl beschlagen
war, bemerken können, wie der Abgesandte des Zeus auf leisen Sohlen in das
Zollhaus trat, sich neben das Fäßlein setzte und in jeden Becher, den eine zitternde
Hand nnter den Zapfhahn hielt, ein paar Mohntornlcin streute. Die Folge davon
war, daß der Lärm allgemach verstummte, daß sich einer der Helden nach dem
andern fluchend, lallend oder schluchzend, wie es gerade seinem Charakter entsprach,
auf die Bank oder auf den Strohsack streckte, daß ein Becher oder Krug nach dem
andern der erschlafften Hand entglitt und klirrend zu Boden fiel, und daß sich
bald ein ungeheures Geschnarch mit dem in der Ferne verhallenden Donner und
dem sanften Rauschen des gleichmäßig fallenden Regens vermischte.

Von alledem hatten die Belagerten natürlich nichts bemerkt, aber die fried¬
liche Ruhe, die jetzt an der Stätte des bisherigen Bacchanals herrschte, verriet
ihnen deutlich genug, daß der durch eine freundliche Fügung des Schicksals in das
feindliche Lager geratne Wein seine Bestimmung erfüllt hatte.

Die Nacht rückte immer weiter vor, und hier und da leuchtete zwischen den
zerrissenen Wolkenschleiern ein Heller Stern herab. Von Zeit zu Zeit stieg Junker
Wygcmt zu den Spähern auf den Turm, aber immer kehrte er mit der traurigen


Der Boxxarder Krieg

Nach einer guten halben Stunde konnte man schon bemerken, daß der feurige
Malvasier seine Wirkung auf die nur an den leichten heimischen Landwein ge¬
wöhnten städtischen Kriegsknechte nicht verfehlte. Aus dem Zollhause drang fröhlicher
Gesang, der anfangs freilich noch jedesmal verstummte, sobald ein besonders Heller
Blitz oder ein knatternder Donnerschlag verriet, daß das im Rheintal auf und
nieder ziehende Gewitter wieder einmal über der Stadt stand. Aber wem die
Aufgabe zugefallen ist, mit einem Dutzend durstiger Gesellen ein Fäßlein edeln
Weines zu leeren, der muß sich, wenn er die übernommne Verpflichtung ernst
nimmt, wacker dazuhalten, sonst kommt er zu kurz und hat das Nachsehen. Dieser
Gedanke schien die Helden im Zollhause gleichmäßig zu beseelen: sie tranken den
Wein, dessen Bestimmung eigentlich gewesen wäre, die zarten Gurgeln adlicher
Jungfrauen tropfenweise zu netzen und ihren Gemütern bei festlichen Anlässen einen
milden Ansporn zu andächtig-weihevoller Erhebung zu geben, aus irdenen Krüg-
lein und zinnernen Kannen. Kein Wunder, daß sie nach und nach die fromme
Scheu vor dem zürnenden Himmel verloren, und durch das Destillat griechischer
Erde und griechischer Sonne in Titanen verwandelt, den olympischen Göttern,
sonderlich dem blitzeschleudernden Zeus zu trotzen begannen. Sie begrüßten jeden
Wetterstrahl mit lautem Gekreisch und bemühten sich, das Rollen des Donners, das
ihnen wie eine ohnmächtig zürnende Antwort auf ihre Herausforderung erschien,
mit wüstem Gebrüll zu übertönen. Und als sie das etlichemal getan hatten, ohne
daß sie das himmlische Feuer verzehrt oder ein Abgrund der Erde verschlungen
hätte, waren sie davon überzeugt, daß die Gewalten dort oben in den Wolken
doch wohl nicht den Mut hätten, mit einem Dutzend Bopparder Stadtknechte an¬
zubinden.

Ach, die Armen kannten den Vater der Götter und der Menschen nicht! Der
griechische Wein hatte ihren Geist nur zu verblenden, nicht zu erleuchten vermocht.
Sonst hätten sie ahnen können, daß der Wolkenerschütterer, der dem Streite der
Männer heute noch immer so gern zuschaut wie einst, als die Argiver vor den
Mauern Jlions lagen, durch die trojanischen Erfahrungen gewitzigt, sich jetzt mit
einem Gotte verbündet hatte, dessen Macht damals von ihm zu gering angeschlagen
worden war: mit dem mohnbekränzten Hypnos. dem lockigen Jüngling, der mit
lächelnder Miene und sanfter Hand dem höchsten der Götter den Blitz, den Königen
das Zepter und den Kriegern die Waffen entwindet!

Bei dem wilden Tanze, den die Ausgelassensten der Zecher in der engen
Wachtstube aufgeführt hatten, war die Laterne vom Tische gestoßen und zertrümmert
worden, sodaß sich das Ende des Gelages in der tiefsten Finsternis abspielte. Wäre
das nicht geschehn, so hätten die Belagerten, die noch immer auf ihrem Beobachtungs¬
posten standen, zum mindesten der Knplan, der in den alten Poeten wohl beschlagen
war, bemerken können, wie der Abgesandte des Zeus auf leisen Sohlen in das
Zollhaus trat, sich neben das Fäßlein setzte und in jeden Becher, den eine zitternde
Hand nnter den Zapfhahn hielt, ein paar Mohntornlcin streute. Die Folge davon
war, daß der Lärm allgemach verstummte, daß sich einer der Helden nach dem
andern fluchend, lallend oder schluchzend, wie es gerade seinem Charakter entsprach,
auf die Bank oder auf den Strohsack streckte, daß ein Becher oder Krug nach dem
andern der erschlafften Hand entglitt und klirrend zu Boden fiel, und daß sich
bald ein ungeheures Geschnarch mit dem in der Ferne verhallenden Donner und
dem sanften Rauschen des gleichmäßig fallenden Regens vermischte.

Von alledem hatten die Belagerten natürlich nichts bemerkt, aber die fried¬
liche Ruhe, die jetzt an der Stätte des bisherigen Bacchanals herrschte, verriet
ihnen deutlich genug, daß der durch eine freundliche Fügung des Schicksals in das
feindliche Lager geratne Wein seine Bestimmung erfüllt hatte.

Die Nacht rückte immer weiter vor, und hier und da leuchtete zwischen den
zerrissenen Wolkenschleiern ein Heller Stern herab. Von Zeit zu Zeit stieg Junker
Wygcmt zu den Spähern auf den Turm, aber immer kehrte er mit der traurigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0726" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299767"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Boxxarder Krieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3185"> Nach einer guten halben Stunde konnte man schon bemerken, daß der feurige<lb/>
Malvasier seine Wirkung auf die nur an den leichten heimischen Landwein ge¬<lb/>
wöhnten städtischen Kriegsknechte nicht verfehlte. Aus dem Zollhause drang fröhlicher<lb/>
Gesang, der anfangs freilich noch jedesmal verstummte, sobald ein besonders Heller<lb/>
Blitz oder ein knatternder Donnerschlag verriet, daß das im Rheintal auf und<lb/>
nieder ziehende Gewitter wieder einmal über der Stadt stand. Aber wem die<lb/>
Aufgabe zugefallen ist, mit einem Dutzend durstiger Gesellen ein Fäßlein edeln<lb/>
Weines zu leeren, der muß sich, wenn er die übernommne Verpflichtung ernst<lb/>
nimmt, wacker dazuhalten, sonst kommt er zu kurz und hat das Nachsehen. Dieser<lb/>
Gedanke schien die Helden im Zollhause gleichmäßig zu beseelen: sie tranken den<lb/>
Wein, dessen Bestimmung eigentlich gewesen wäre, die zarten Gurgeln adlicher<lb/>
Jungfrauen tropfenweise zu netzen und ihren Gemütern bei festlichen Anlässen einen<lb/>
milden Ansporn zu andächtig-weihevoller Erhebung zu geben, aus irdenen Krüg-<lb/>
lein und zinnernen Kannen. Kein Wunder, daß sie nach und nach die fromme<lb/>
Scheu vor dem zürnenden Himmel verloren, und durch das Destillat griechischer<lb/>
Erde und griechischer Sonne in Titanen verwandelt, den olympischen Göttern,<lb/>
sonderlich dem blitzeschleudernden Zeus zu trotzen begannen. Sie begrüßten jeden<lb/>
Wetterstrahl mit lautem Gekreisch und bemühten sich, das Rollen des Donners, das<lb/>
ihnen wie eine ohnmächtig zürnende Antwort auf ihre Herausforderung erschien,<lb/>
mit wüstem Gebrüll zu übertönen. Und als sie das etlichemal getan hatten, ohne<lb/>
daß sie das himmlische Feuer verzehrt oder ein Abgrund der Erde verschlungen<lb/>
hätte, waren sie davon überzeugt, daß die Gewalten dort oben in den Wolken<lb/>
doch wohl nicht den Mut hätten, mit einem Dutzend Bopparder Stadtknechte an¬<lb/>
zubinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3186"> Ach, die Armen kannten den Vater der Götter und der Menschen nicht! Der<lb/>
griechische Wein hatte ihren Geist nur zu verblenden, nicht zu erleuchten vermocht.<lb/>
Sonst hätten sie ahnen können, daß der Wolkenerschütterer, der dem Streite der<lb/>
Männer heute noch immer so gern zuschaut wie einst, als die Argiver vor den<lb/>
Mauern Jlions lagen, durch die trojanischen Erfahrungen gewitzigt, sich jetzt mit<lb/>
einem Gotte verbündet hatte, dessen Macht damals von ihm zu gering angeschlagen<lb/>
worden war: mit dem mohnbekränzten Hypnos. dem lockigen Jüngling, der mit<lb/>
lächelnder Miene und sanfter Hand dem höchsten der Götter den Blitz, den Königen<lb/>
das Zepter und den Kriegern die Waffen entwindet!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3187"> Bei dem wilden Tanze, den die Ausgelassensten der Zecher in der engen<lb/>
Wachtstube aufgeführt hatten, war die Laterne vom Tische gestoßen und zertrümmert<lb/>
worden, sodaß sich das Ende des Gelages in der tiefsten Finsternis abspielte. Wäre<lb/>
das nicht geschehn, so hätten die Belagerten, die noch immer auf ihrem Beobachtungs¬<lb/>
posten standen, zum mindesten der Knplan, der in den alten Poeten wohl beschlagen<lb/>
war, bemerken können, wie der Abgesandte des Zeus auf leisen Sohlen in das<lb/>
Zollhaus trat, sich neben das Fäßlein setzte und in jeden Becher, den eine zitternde<lb/>
Hand nnter den Zapfhahn hielt, ein paar Mohntornlcin streute. Die Folge davon<lb/>
war, daß der Lärm allgemach verstummte, daß sich einer der Helden nach dem<lb/>
andern fluchend, lallend oder schluchzend, wie es gerade seinem Charakter entsprach,<lb/>
auf die Bank oder auf den Strohsack streckte, daß ein Becher oder Krug nach dem<lb/>
andern der erschlafften Hand entglitt und klirrend zu Boden fiel, und daß sich<lb/>
bald ein ungeheures Geschnarch mit dem in der Ferne verhallenden Donner und<lb/>
dem sanften Rauschen des gleichmäßig fallenden Regens vermischte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3188"> Von alledem hatten die Belagerten natürlich nichts bemerkt, aber die fried¬<lb/>
liche Ruhe, die jetzt an der Stätte des bisherigen Bacchanals herrschte, verriet<lb/>
ihnen deutlich genug, daß der durch eine freundliche Fügung des Schicksals in das<lb/>
feindliche Lager geratne Wein seine Bestimmung erfüllt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3189" next="#ID_3190"> Die Nacht rückte immer weiter vor, und hier und da leuchtete zwischen den<lb/>
zerrissenen Wolkenschleiern ein Heller Stern herab. Von Zeit zu Zeit stieg Junker<lb/>
Wygcmt zu den Spähern auf den Turm, aber immer kehrte er mit der traurigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0726] Der Boxxarder Krieg Nach einer guten halben Stunde konnte man schon bemerken, daß der feurige Malvasier seine Wirkung auf die nur an den leichten heimischen Landwein ge¬ wöhnten städtischen Kriegsknechte nicht verfehlte. Aus dem Zollhause drang fröhlicher Gesang, der anfangs freilich noch jedesmal verstummte, sobald ein besonders Heller Blitz oder ein knatternder Donnerschlag verriet, daß das im Rheintal auf und nieder ziehende Gewitter wieder einmal über der Stadt stand. Aber wem die Aufgabe zugefallen ist, mit einem Dutzend durstiger Gesellen ein Fäßlein edeln Weines zu leeren, der muß sich, wenn er die übernommne Verpflichtung ernst nimmt, wacker dazuhalten, sonst kommt er zu kurz und hat das Nachsehen. Dieser Gedanke schien die Helden im Zollhause gleichmäßig zu beseelen: sie tranken den Wein, dessen Bestimmung eigentlich gewesen wäre, die zarten Gurgeln adlicher Jungfrauen tropfenweise zu netzen und ihren Gemütern bei festlichen Anlässen einen milden Ansporn zu andächtig-weihevoller Erhebung zu geben, aus irdenen Krüg- lein und zinnernen Kannen. Kein Wunder, daß sie nach und nach die fromme Scheu vor dem zürnenden Himmel verloren, und durch das Destillat griechischer Erde und griechischer Sonne in Titanen verwandelt, den olympischen Göttern, sonderlich dem blitzeschleudernden Zeus zu trotzen begannen. Sie begrüßten jeden Wetterstrahl mit lautem Gekreisch und bemühten sich, das Rollen des Donners, das ihnen wie eine ohnmächtig zürnende Antwort auf ihre Herausforderung erschien, mit wüstem Gebrüll zu übertönen. Und als sie das etlichemal getan hatten, ohne daß sie das himmlische Feuer verzehrt oder ein Abgrund der Erde verschlungen hätte, waren sie davon überzeugt, daß die Gewalten dort oben in den Wolken doch wohl nicht den Mut hätten, mit einem Dutzend Bopparder Stadtknechte an¬ zubinden. Ach, die Armen kannten den Vater der Götter und der Menschen nicht! Der griechische Wein hatte ihren Geist nur zu verblenden, nicht zu erleuchten vermocht. Sonst hätten sie ahnen können, daß der Wolkenerschütterer, der dem Streite der Männer heute noch immer so gern zuschaut wie einst, als die Argiver vor den Mauern Jlions lagen, durch die trojanischen Erfahrungen gewitzigt, sich jetzt mit einem Gotte verbündet hatte, dessen Macht damals von ihm zu gering angeschlagen worden war: mit dem mohnbekränzten Hypnos. dem lockigen Jüngling, der mit lächelnder Miene und sanfter Hand dem höchsten der Götter den Blitz, den Königen das Zepter und den Kriegern die Waffen entwindet! Bei dem wilden Tanze, den die Ausgelassensten der Zecher in der engen Wachtstube aufgeführt hatten, war die Laterne vom Tische gestoßen und zertrümmert worden, sodaß sich das Ende des Gelages in der tiefsten Finsternis abspielte. Wäre das nicht geschehn, so hätten die Belagerten, die noch immer auf ihrem Beobachtungs¬ posten standen, zum mindesten der Knplan, der in den alten Poeten wohl beschlagen war, bemerken können, wie der Abgesandte des Zeus auf leisen Sohlen in das Zollhaus trat, sich neben das Fäßlein setzte und in jeden Becher, den eine zitternde Hand nnter den Zapfhahn hielt, ein paar Mohntornlcin streute. Die Folge davon war, daß der Lärm allgemach verstummte, daß sich einer der Helden nach dem andern fluchend, lallend oder schluchzend, wie es gerade seinem Charakter entsprach, auf die Bank oder auf den Strohsack streckte, daß ein Becher oder Krug nach dem andern der erschlafften Hand entglitt und klirrend zu Boden fiel, und daß sich bald ein ungeheures Geschnarch mit dem in der Ferne verhallenden Donner und dem sanften Rauschen des gleichmäßig fallenden Regens vermischte. Von alledem hatten die Belagerten natürlich nichts bemerkt, aber die fried¬ liche Ruhe, die jetzt an der Stätte des bisherigen Bacchanals herrschte, verriet ihnen deutlich genug, daß der durch eine freundliche Fügung des Schicksals in das feindliche Lager geratne Wein seine Bestimmung erfüllt hatte. Die Nacht rückte immer weiter vor, und hier und da leuchtete zwischen den zerrissenen Wolkenschleiern ein Heller Stern herab. Von Zeit zu Zeit stieg Junker Wygcmt zu den Spähern auf den Turm, aber immer kehrte er mit der traurigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/726
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/726>, abgerufen am 29.12.2024.