Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Aus der Hauptstadt des Sultans Munizipalgarten mit der Front nach dem Goldner Horn. Trotz verheerenden Einige bessere Häuser haben Höfe und auch kleine Gärten hinter dem Das Leben, das in diesen Straßen auf und ab wogt, ist überall viel¬ In diesem Strom gelangt man nach Erlegung des Brückengeldes auf die Aus der Hauptstadt des Sultans Munizipalgarten mit der Front nach dem Goldner Horn. Trotz verheerenden Einige bessere Häuser haben Höfe und auch kleine Gärten hinter dem Das Leben, das in diesen Straßen auf und ab wogt, ist überall viel¬ In diesem Strom gelangt man nach Erlegung des Brückengeldes auf die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0714" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299755"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Hauptstadt des Sultans</fw><lb/> <p xml:id="ID_3127" prev="#ID_3126"> Munizipalgarten mit der Front nach dem Goldner Horn. Trotz verheerenden<lb/> Feuersbrünsten ist das türkische Holzhaus auch unter den Neubauten nicht<lb/> völlig verdrängt worden, weil es wohnlich und gemütlich sein soll. Wie feuer¬<lb/> gefährlich es aber ist, zeigte uns ein im Hause des derzeitigen englischen<lb/> Geschäftsträgers ausgebrochner Kaminbrand, der das Haus in dreiviertel Stunden<lb/> mit sämtlichen wertvollen Einrichtungsstücken in Asche legte, sodaß sich die<lb/> Herrin des Hauses nur mit Mühe im Kostüm der Monna Varna in das nahe<lb/> Hotel der deutschen Botschaft retten konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3128"> Einige bessere Häuser haben Höfe und auch kleine Gärten hinter dem<lb/> Hause. Im allgemeinen sind doch die Straßen und die Jmpasses so eng und<lb/> zahlreich aneinander, daß kein Hofraum bleibt, und bei der knappen Straßen-<lb/> breite jede Feuersbrunst bei bewegter Luft verheerend wirken muß. Nur die<lb/> massiven Kasernen, die übrigens in ihrer äußern Ausstattung und mangelnden<lb/> Fensterverkleidung alles, was anderwärts in Kasernenstil geleistet ist, an Scheu߬<lb/> lichkeit noch hinter sich lassen, können sich über Raummangel in ihrer Nähe nicht<lb/> beklagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3129"> Das Leben, das in diesen Straßen auf und ab wogt, ist überall viel¬<lb/> gestaltig, am buntesten doch unten in Galata am Eingang zur Neuen Brücke<lb/> und auf der Brücke selber, die nach Stambul führt. Hier strömt alles in<lb/> dichtem Gewühl zusammen, Türken, Griechen, Armenier, Tscherkessen, Zigeuner,<lb/> Serben und Bulgaren im Nationalkostüm, Beamte mit und ohne Uniform im<lb/> Fes, Soldaten, Matrosen von Kriegs- und Handelsschiffen aller Nationen, da¬<lb/> zwischen glattgeschorne Perser, arabische Rassegesichter, bunt beturbante Inder,<lb/> jüdische und andre Hausierer, Obstverkäufer und unter schwerer Last vornüber<lb/> gebeugte Hamals, meist kräftige Kurden, die allerhand Lasttieren Konkurrenz<lb/> machen. All dieses Volk vereinigt sich vom Hafen und von Peru her oder aus<lb/> Stambul zu Fuß, zu Esel oder zu Pferde oder aus den schmutzigen vorsintflut¬<lb/> lichen Pferdebahnwagen, die jederseits nur zwei Linien befahren, in schlechten<lb/> und in guten Droschken und in den eleganten Coupes einander überholend. Durch<lb/> dieses nach und von Stambul strebende Gewühl windet sich der Tourist, tut<lb/> gut, auf seine Taschen zu achten und nicht ergründen zu wollen, was hinter<lb/> den mehr oder weniger dichten Schleiern der meist unschönen, dicken Frauen¬<lb/> gestalten in europäischen Mänteln und ebensolchen Schuhzeug verborgen ist.<lb/> Jndustrieritter und Bettler, diese vielfach scheußlich verkrüppelt, drängen sich<lb/> heran und sind durch barsche Abfertigung kaum abzuschütteln.</p><lb/> <p xml:id="ID_3130" next="#ID_3131"> In diesem Strom gelangt man nach Erlegung des Brückengeldes auf die<lb/> Brücke. Eine Anzahl Polizisten führt die säumigen Zahler zur Kasse. Die<lb/> „Neue Galatabrücke" heißt sie; neu war sie vielleicht einmal, gut und schön<lb/> niemals. Ursprünglich eine Pontonbrücke ist sie in eine Holz- und Eisenkon¬<lb/> struktion umgewandelt worden, die bei uns als betriebsgcfährlich wahrscheinlich<lb/> niemals freigegeben worden und sicher längst zusammengebrochen wäre. Hier<lb/> hilft Allah. Und wenn wirklich einmal unter der Ansammlung einer schau¬<lb/> lustigen Menge ein Teilchen einbricht und eine Anzahl Menschen ertrinkt, so<lb/> hats Allah gewollt. Seufzend greift der Pächter des Brückenzolls nur ganz<lb/> wenig tief in die Tasche, läßt ausflicken, was unbedingt geboten ist, und der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0714]
Aus der Hauptstadt des Sultans
Munizipalgarten mit der Front nach dem Goldner Horn. Trotz verheerenden
Feuersbrünsten ist das türkische Holzhaus auch unter den Neubauten nicht
völlig verdrängt worden, weil es wohnlich und gemütlich sein soll. Wie feuer¬
gefährlich es aber ist, zeigte uns ein im Hause des derzeitigen englischen
Geschäftsträgers ausgebrochner Kaminbrand, der das Haus in dreiviertel Stunden
mit sämtlichen wertvollen Einrichtungsstücken in Asche legte, sodaß sich die
Herrin des Hauses nur mit Mühe im Kostüm der Monna Varna in das nahe
Hotel der deutschen Botschaft retten konnte.
Einige bessere Häuser haben Höfe und auch kleine Gärten hinter dem
Hause. Im allgemeinen sind doch die Straßen und die Jmpasses so eng und
zahlreich aneinander, daß kein Hofraum bleibt, und bei der knappen Straßen-
breite jede Feuersbrunst bei bewegter Luft verheerend wirken muß. Nur die
massiven Kasernen, die übrigens in ihrer äußern Ausstattung und mangelnden
Fensterverkleidung alles, was anderwärts in Kasernenstil geleistet ist, an Scheu߬
lichkeit noch hinter sich lassen, können sich über Raummangel in ihrer Nähe nicht
beklagen.
Das Leben, das in diesen Straßen auf und ab wogt, ist überall viel¬
gestaltig, am buntesten doch unten in Galata am Eingang zur Neuen Brücke
und auf der Brücke selber, die nach Stambul führt. Hier strömt alles in
dichtem Gewühl zusammen, Türken, Griechen, Armenier, Tscherkessen, Zigeuner,
Serben und Bulgaren im Nationalkostüm, Beamte mit und ohne Uniform im
Fes, Soldaten, Matrosen von Kriegs- und Handelsschiffen aller Nationen, da¬
zwischen glattgeschorne Perser, arabische Rassegesichter, bunt beturbante Inder,
jüdische und andre Hausierer, Obstverkäufer und unter schwerer Last vornüber
gebeugte Hamals, meist kräftige Kurden, die allerhand Lasttieren Konkurrenz
machen. All dieses Volk vereinigt sich vom Hafen und von Peru her oder aus
Stambul zu Fuß, zu Esel oder zu Pferde oder aus den schmutzigen vorsintflut¬
lichen Pferdebahnwagen, die jederseits nur zwei Linien befahren, in schlechten
und in guten Droschken und in den eleganten Coupes einander überholend. Durch
dieses nach und von Stambul strebende Gewühl windet sich der Tourist, tut
gut, auf seine Taschen zu achten und nicht ergründen zu wollen, was hinter
den mehr oder weniger dichten Schleiern der meist unschönen, dicken Frauen¬
gestalten in europäischen Mänteln und ebensolchen Schuhzeug verborgen ist.
Jndustrieritter und Bettler, diese vielfach scheußlich verkrüppelt, drängen sich
heran und sind durch barsche Abfertigung kaum abzuschütteln.
In diesem Strom gelangt man nach Erlegung des Brückengeldes auf die
Brücke. Eine Anzahl Polizisten führt die säumigen Zahler zur Kasse. Die
„Neue Galatabrücke" heißt sie; neu war sie vielleicht einmal, gut und schön
niemals. Ursprünglich eine Pontonbrücke ist sie in eine Holz- und Eisenkon¬
struktion umgewandelt worden, die bei uns als betriebsgcfährlich wahrscheinlich
niemals freigegeben worden und sicher längst zusammengebrochen wäre. Hier
hilft Allah. Und wenn wirklich einmal unter der Ansammlung einer schau¬
lustigen Menge ein Teilchen einbricht und eine Anzahl Menschen ertrinkt, so
hats Allah gewollt. Seufzend greift der Pächter des Brückenzolls nur ganz
wenig tief in die Tasche, läßt ausflicken, was unbedingt geboten ist, und der
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