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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Genealogisches

europäischer Herrschergeschlechter. Das hielt man für so selbstverständlich, daß
Markgraf Albrecht von Brandenburg (1414 bis 1485) am 28. April 1466 an
seinen Bruder, den Kurfürsten Friedrich den Zweiten von Brandenburg (1413
bis 1471), von Italien aus schrieb: "Wir sind zu Troya In Türkischen Wesen
vertriben worden by unseren Herrn vnd sind gen Rom komen, die dritten Fürsten,
die da warn mit Römischen keysern und königer" usw. spukt hierin noch
die genealogische Anlehnung an Äneas, so hat sich um die Zeit, als der Mark¬
graf dieses schrieb, die westeuropäische genealogische Neigung doch schon dahin
verdichtet, daß man es im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert für eine
besondre Ehre erachtete, die deutschen Fürstengeschlechter auf altrömische Stamm¬
väter zurückzuführen.

Dahin zielt auch die Fortsetzung des Briefes des genannten Markgrafen:
"Aber von Rom vertriben vnd In das Reich komen vnd von den gnaden gods
vmb vnser guttat vnd fromkeit Im Reich durch Römisch keyser vnd könig hoher
vnd großer worden, dann wir je gewesen seyn" usw. Die Abstammung von
einem römischen Geschlechte war damit schon gegeben. Legende, Dichtung und
Eitelkeit halfen nach. So erzählt eine Sage, Papst Gregor habe einen Petrus
Colonna, einen vornehmen Römer, weil er Anhänger Heinrichs des Vierten
gewesen sei, aus Rom vertrieben. Colonna sei nach Schwaben gekommen und
habe eine Burg erbaut, der er nach seinem italienischen Stammsitz Zagarolla
den Namen Zöller gegeben. Tatsächlich gefiel sich Martin der Fünfte darin,
der während des Konstanzer Konzils (1417) zum Papst gewählt wurde, seinen
Geschlechtsnamen Colonna mit dem des Kurfürsten Friedrich des Ersten von
Brandenburg in Verbindung zu bringen, wozu ihm -- unglaublich und doch
wahr! -- das Zeichen der Brandenburger Erzkümmererwürde, ein goldnes
Zepter im Wappen und als Helmkleinod der Hohenzollern, den Anlaß gab, da
sein (redendes) Wappen eine Säule (Colonna -- Colonna -- oolumna) darstelle.
Und doch hatte Friedrich erst 1415 Kurwürde und Erzkämmererwürde und damit
auch diesen Bestandteil seines Wappens erworben.

Solche römisch-italienische Aufstellungen fanden sich aber durchaus nicht
nur bei den Zollern. Mit den Zeiten ändern sich Anschauungen und Geschmacks¬
richtungen. Das trifft auch bei Anwendung der Genealogie für Stammbäume
zu. Das siebzehnte Jahrhundert fand es -- ein Fortschritt -- patriotischer,
die Herkunft der deutschen Fürstengeschlechter auf deutsche Stämme, insbesondre
auf die Franken, zurückzuführen. Mit welchem Raffinement da fränkische
Könige, Herzöge und Majores geschaffen und zu Stammvätern deutscher Fürsten¬
häuser gemacht worden sind, ist geradezu erstaunlich. Und es wurde sehr viel
in Stammtafeln "gemacht". Eine sehr beliebte stammväterliche Persönlichkeit
war Pharamunt, König der Franken, "umb das jähr 417" (so genau!), von
dem eine Reihe deutscher Fürstenhäuser abstammt. Ferner Ega, ein Major-
domus des Frankenkönigs Dagobert des Ersten. Unerschütterlich fest stand
dann mehr als hundert Jahre lang als zollerischer Stammvater Tassilo, ein
austrasischer Herzog am Hofe Karls des Großen, und "Graue von Zollern
umb das Jahr 801" (wieder so genau!). Mit ebensoviel Ausdauer als
Selbstgefühl werden die Stammbäume der Welsen, der Zollern usw. von


Genealogisches

europäischer Herrschergeschlechter. Das hielt man für so selbstverständlich, daß
Markgraf Albrecht von Brandenburg (1414 bis 1485) am 28. April 1466 an
seinen Bruder, den Kurfürsten Friedrich den Zweiten von Brandenburg (1413
bis 1471), von Italien aus schrieb: „Wir sind zu Troya In Türkischen Wesen
vertriben worden by unseren Herrn vnd sind gen Rom komen, die dritten Fürsten,
die da warn mit Römischen keysern und königer" usw. spukt hierin noch
die genealogische Anlehnung an Äneas, so hat sich um die Zeit, als der Mark¬
graf dieses schrieb, die westeuropäische genealogische Neigung doch schon dahin
verdichtet, daß man es im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert für eine
besondre Ehre erachtete, die deutschen Fürstengeschlechter auf altrömische Stamm¬
väter zurückzuführen.

Dahin zielt auch die Fortsetzung des Briefes des genannten Markgrafen:
„Aber von Rom vertriben vnd In das Reich komen vnd von den gnaden gods
vmb vnser guttat vnd fromkeit Im Reich durch Römisch keyser vnd könig hoher
vnd großer worden, dann wir je gewesen seyn" usw. Die Abstammung von
einem römischen Geschlechte war damit schon gegeben. Legende, Dichtung und
Eitelkeit halfen nach. So erzählt eine Sage, Papst Gregor habe einen Petrus
Colonna, einen vornehmen Römer, weil er Anhänger Heinrichs des Vierten
gewesen sei, aus Rom vertrieben. Colonna sei nach Schwaben gekommen und
habe eine Burg erbaut, der er nach seinem italienischen Stammsitz Zagarolla
den Namen Zöller gegeben. Tatsächlich gefiel sich Martin der Fünfte darin,
der während des Konstanzer Konzils (1417) zum Papst gewählt wurde, seinen
Geschlechtsnamen Colonna mit dem des Kurfürsten Friedrich des Ersten von
Brandenburg in Verbindung zu bringen, wozu ihm — unglaublich und doch
wahr! — das Zeichen der Brandenburger Erzkümmererwürde, ein goldnes
Zepter im Wappen und als Helmkleinod der Hohenzollern, den Anlaß gab, da
sein (redendes) Wappen eine Säule (Colonna — Colonna — oolumna) darstelle.
Und doch hatte Friedrich erst 1415 Kurwürde und Erzkämmererwürde und damit
auch diesen Bestandteil seines Wappens erworben.

Solche römisch-italienische Aufstellungen fanden sich aber durchaus nicht
nur bei den Zollern. Mit den Zeiten ändern sich Anschauungen und Geschmacks¬
richtungen. Das trifft auch bei Anwendung der Genealogie für Stammbäume
zu. Das siebzehnte Jahrhundert fand es — ein Fortschritt — patriotischer,
die Herkunft der deutschen Fürstengeschlechter auf deutsche Stämme, insbesondre
auf die Franken, zurückzuführen. Mit welchem Raffinement da fränkische
Könige, Herzöge und Majores geschaffen und zu Stammvätern deutscher Fürsten¬
häuser gemacht worden sind, ist geradezu erstaunlich. Und es wurde sehr viel
in Stammtafeln „gemacht". Eine sehr beliebte stammväterliche Persönlichkeit
war Pharamunt, König der Franken, „umb das jähr 417" (so genau!), von
dem eine Reihe deutscher Fürstenhäuser abstammt. Ferner Ega, ein Major-
domus des Frankenkönigs Dagobert des Ersten. Unerschütterlich fest stand
dann mehr als hundert Jahre lang als zollerischer Stammvater Tassilo, ein
austrasischer Herzog am Hofe Karls des Großen, und „Graue von Zollern
umb das Jahr 801" (wieder so genau!). Mit ebensoviel Ausdauer als
Selbstgefühl werden die Stammbäume der Welsen, der Zollern usw. von


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[0654] Genealogisches europäischer Herrschergeschlechter. Das hielt man für so selbstverständlich, daß Markgraf Albrecht von Brandenburg (1414 bis 1485) am 28. April 1466 an seinen Bruder, den Kurfürsten Friedrich den Zweiten von Brandenburg (1413 bis 1471), von Italien aus schrieb: „Wir sind zu Troya In Türkischen Wesen vertriben worden by unseren Herrn vnd sind gen Rom komen, die dritten Fürsten, die da warn mit Römischen keysern und königer" usw. spukt hierin noch die genealogische Anlehnung an Äneas, so hat sich um die Zeit, als der Mark¬ graf dieses schrieb, die westeuropäische genealogische Neigung doch schon dahin verdichtet, daß man es im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert für eine besondre Ehre erachtete, die deutschen Fürstengeschlechter auf altrömische Stamm¬ väter zurückzuführen. Dahin zielt auch die Fortsetzung des Briefes des genannten Markgrafen: „Aber von Rom vertriben vnd In das Reich komen vnd von den gnaden gods vmb vnser guttat vnd fromkeit Im Reich durch Römisch keyser vnd könig hoher vnd großer worden, dann wir je gewesen seyn" usw. Die Abstammung von einem römischen Geschlechte war damit schon gegeben. Legende, Dichtung und Eitelkeit halfen nach. So erzählt eine Sage, Papst Gregor habe einen Petrus Colonna, einen vornehmen Römer, weil er Anhänger Heinrichs des Vierten gewesen sei, aus Rom vertrieben. Colonna sei nach Schwaben gekommen und habe eine Burg erbaut, der er nach seinem italienischen Stammsitz Zagarolla den Namen Zöller gegeben. Tatsächlich gefiel sich Martin der Fünfte darin, der während des Konstanzer Konzils (1417) zum Papst gewählt wurde, seinen Geschlechtsnamen Colonna mit dem des Kurfürsten Friedrich des Ersten von Brandenburg in Verbindung zu bringen, wozu ihm — unglaublich und doch wahr! — das Zeichen der Brandenburger Erzkümmererwürde, ein goldnes Zepter im Wappen und als Helmkleinod der Hohenzollern, den Anlaß gab, da sein (redendes) Wappen eine Säule (Colonna — Colonna — oolumna) darstelle. Und doch hatte Friedrich erst 1415 Kurwürde und Erzkämmererwürde und damit auch diesen Bestandteil seines Wappens erworben. Solche römisch-italienische Aufstellungen fanden sich aber durchaus nicht nur bei den Zollern. Mit den Zeiten ändern sich Anschauungen und Geschmacks¬ richtungen. Das trifft auch bei Anwendung der Genealogie für Stammbäume zu. Das siebzehnte Jahrhundert fand es — ein Fortschritt — patriotischer, die Herkunft der deutschen Fürstengeschlechter auf deutsche Stämme, insbesondre auf die Franken, zurückzuführen. Mit welchem Raffinement da fränkische Könige, Herzöge und Majores geschaffen und zu Stammvätern deutscher Fürsten¬ häuser gemacht worden sind, ist geradezu erstaunlich. Und es wurde sehr viel in Stammtafeln „gemacht". Eine sehr beliebte stammväterliche Persönlichkeit war Pharamunt, König der Franken, „umb das jähr 417" (so genau!), von dem eine Reihe deutscher Fürstenhäuser abstammt. Ferner Ega, ein Major- domus des Frankenkönigs Dagobert des Ersten. Unerschütterlich fest stand dann mehr als hundert Jahre lang als zollerischer Stammvater Tassilo, ein austrasischer Herzog am Hofe Karls des Großen, und „Graue von Zollern umb das Jahr 801" (wieder so genau!). Mit ebensoviel Ausdauer als Selbstgefühl werden die Stammbäume der Welsen, der Zollern usw. von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/654>, abgerufen am 27.12.2024.