Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Genealogisches Wert genealogischer Familienforschung keineswegs aus, und es ist erfreulich, Aber noch mehr als Dilettantismus hat die bombastische Gelehrsamkeit Genealogisches Wert genealogischer Familienforschung keineswegs aus, und es ist erfreulich, Aber noch mehr als Dilettantismus hat die bombastische Gelehrsamkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0653" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299694"/> <fw type="header" place="top"> Genealogisches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2841" prev="#ID_2840"> Wert genealogischer Familienforschung keineswegs aus, und es ist erfreulich,<lb/> daß man diesem Gebiete gegenwärtig von der bürgerlichen wie der adlichen<lb/> Seite ein reges Interesse entgegenbringt. Abgesehen von dem idealen Werte<lb/> solcher Forschungen, bei denen man sich mit den Angehörigen einer weit zurück¬<lb/> liegenden Zeit beschäftigt, wodurch Pietät gegen die Vorfahren und Familiensinn<lb/> gefördert werden, können solche Klarstellungen der genealogischen Familien-<lb/> Verhältnisse von großem praktischem Werte sein, die in Thronfolge, Successions¬<lb/> rechten, Majoratsbestimmungen, Erbberechtigungen, Anwartschaft auf Familien¬<lb/> stipendien, Befugnis, bestimmte Wappen zu führen, und manchem andern mehr<lb/> begründet sind. Es wird niemand bezweifeln, daß die Kunst, mag sie sich im<lb/> Reiche der Töne oder mit der Palette oder mit dem Meißel beschäftigen, etwas<lb/> hehres, hohes, den Menschen veredelndes genannt werden darf, und daran ändert<lb/> Dilettantismus, der das Trommelfell beleidigt oder dem Auge, dem ästhetischen<lb/> Empfinden Schmerz verursacht, gar nichts. Der Vergleich zwischen sach- und<lb/> sachgemäßer Beschäftigung mit der Genealogie und dem Hineinpfuschen Unbe¬<lb/> rufner liegt auf der Hand. Und wo es darin gipfelt, den Stammbaum in<lb/> nebelgraue Ferne hinaufzuschrauben, eine Zeit als Anfang des Geschlechts<lb/> kühnlich anzunehmen, über deren Aufstellung der Fachmann vergnügt lächelt,<lb/> der sorgt dafür, daß der genealogische Scherz von den Montmorencys nicht<lb/> stirbt. Erzählt man sich doch, einer dieses Geschlechts sei der Arche Noahs<lb/> nachgeschwommen und habe flehentlich gerufen: sauve?, sauvss los xg.xisr8 as<lb/> la tainills as Nontmorc-llL^!</p><lb/> <p xml:id="ID_2842" next="#ID_2843"> Aber noch mehr als Dilettantismus hat die bombastische Gelehrsamkeit<lb/> vergangner Zeiten mit ihren schwülstigen Auswüchsen dem Ansehen der Genealogie<lb/> geschadet. Je weiter zurück man den Ursprung eines Geschlechts verlegte, desto<lb/> berühmter glaubte man es zu machen. Konnte, was ja immer der Fall war,<lb/> das kritische Auge den Nebel nicht durchdringen, worin man die Urstammväter<lb/> der Fürstengeschlechter hineinversetzte, so nahm ihnen das von ihrem Nimbus<lb/> nicht das geringste, vertiefte vielmehr den Kultus, der einem solchen hoch¬<lb/> begnadeten Hause dargebracht wurde. So hatte man es von den Urvätern<lb/> überkommen, so liebten es die Menschen von jeher. Wollten sie ihren Helden<lb/> oder hervorragenden irdischen Schönheiten besonders wohl, so stellten sie ihnen<lb/> einen Stammbaum aus, auf dem als Atavus ein Gott oder eine Göttin para¬<lb/> dierte, die irgendeinen kleinen Fehltritt begangen hatte oder zu begehn genötigt<lb/> worden war. Die Liebe der Götter und Halbgötter aller Zeiten ist. bis zu<lb/> der morgcmatischen Ehe unsrer Tage, mit einem besondern Maßstab zu messen,<lb/> wobei aber zu bemerken ist, daß die Genealogie bei einer morgcmatischen Ehe,<lb/> einer Ehe act Je^in Lalioam, in der Folgezeit, zumal wenn männliche Nach¬<lb/> kommen daraus hervorgehn, mitzureden hat. Hatte schon Homer die ausge-<lb/> sprochne Neigung, seine Helden auf die damals noch in Blüte stehenden Be¬<lb/> wohner des Olymps zurückzuführen, so folgten ihm hierin die Genealogen<lb/> Europas späterer Jahrhunderte, indem sie die Fürstengeschlechter, wenn irgend<lb/> möglich, auf trojanische Heldenvüter pfropften. So wurde Äneas, selbst Sprößling<lb/> einer wilden Ehe und heute als illegitim geltend, nämlich ein Sohn des<lb/> Anchises und der Aphrodite, sehr beliebt als Stammvater verschiedner West-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0653]
Genealogisches
Wert genealogischer Familienforschung keineswegs aus, und es ist erfreulich,
daß man diesem Gebiete gegenwärtig von der bürgerlichen wie der adlichen
Seite ein reges Interesse entgegenbringt. Abgesehen von dem idealen Werte
solcher Forschungen, bei denen man sich mit den Angehörigen einer weit zurück¬
liegenden Zeit beschäftigt, wodurch Pietät gegen die Vorfahren und Familiensinn
gefördert werden, können solche Klarstellungen der genealogischen Familien-
Verhältnisse von großem praktischem Werte sein, die in Thronfolge, Successions¬
rechten, Majoratsbestimmungen, Erbberechtigungen, Anwartschaft auf Familien¬
stipendien, Befugnis, bestimmte Wappen zu führen, und manchem andern mehr
begründet sind. Es wird niemand bezweifeln, daß die Kunst, mag sie sich im
Reiche der Töne oder mit der Palette oder mit dem Meißel beschäftigen, etwas
hehres, hohes, den Menschen veredelndes genannt werden darf, und daran ändert
Dilettantismus, der das Trommelfell beleidigt oder dem Auge, dem ästhetischen
Empfinden Schmerz verursacht, gar nichts. Der Vergleich zwischen sach- und
sachgemäßer Beschäftigung mit der Genealogie und dem Hineinpfuschen Unbe¬
rufner liegt auf der Hand. Und wo es darin gipfelt, den Stammbaum in
nebelgraue Ferne hinaufzuschrauben, eine Zeit als Anfang des Geschlechts
kühnlich anzunehmen, über deren Aufstellung der Fachmann vergnügt lächelt,
der sorgt dafür, daß der genealogische Scherz von den Montmorencys nicht
stirbt. Erzählt man sich doch, einer dieses Geschlechts sei der Arche Noahs
nachgeschwommen und habe flehentlich gerufen: sauve?, sauvss los xg.xisr8 as
la tainills as Nontmorc-llL^!
Aber noch mehr als Dilettantismus hat die bombastische Gelehrsamkeit
vergangner Zeiten mit ihren schwülstigen Auswüchsen dem Ansehen der Genealogie
geschadet. Je weiter zurück man den Ursprung eines Geschlechts verlegte, desto
berühmter glaubte man es zu machen. Konnte, was ja immer der Fall war,
das kritische Auge den Nebel nicht durchdringen, worin man die Urstammväter
der Fürstengeschlechter hineinversetzte, so nahm ihnen das von ihrem Nimbus
nicht das geringste, vertiefte vielmehr den Kultus, der einem solchen hoch¬
begnadeten Hause dargebracht wurde. So hatte man es von den Urvätern
überkommen, so liebten es die Menschen von jeher. Wollten sie ihren Helden
oder hervorragenden irdischen Schönheiten besonders wohl, so stellten sie ihnen
einen Stammbaum aus, auf dem als Atavus ein Gott oder eine Göttin para¬
dierte, die irgendeinen kleinen Fehltritt begangen hatte oder zu begehn genötigt
worden war. Die Liebe der Götter und Halbgötter aller Zeiten ist. bis zu
der morgcmatischen Ehe unsrer Tage, mit einem besondern Maßstab zu messen,
wobei aber zu bemerken ist, daß die Genealogie bei einer morgcmatischen Ehe,
einer Ehe act Je^in Lalioam, in der Folgezeit, zumal wenn männliche Nach¬
kommen daraus hervorgehn, mitzureden hat. Hatte schon Homer die ausge-
sprochne Neigung, seine Helden auf die damals noch in Blüte stehenden Be¬
wohner des Olymps zurückzuführen, so folgten ihm hierin die Genealogen
Europas späterer Jahrhunderte, indem sie die Fürstengeschlechter, wenn irgend
möglich, auf trojanische Heldenvüter pfropften. So wurde Äneas, selbst Sprößling
einer wilden Ehe und heute als illegitim geltend, nämlich ein Sohn des
Anchises und der Aphrodite, sehr beliebt als Stammvater verschiedner West-
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