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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Zwei kulturgeschichtlich" Werke

Arier entweder in den Norden oder auf rauhe Gebirge Asiens verschlagen
wurden, wo sie sich zu wilden Kriegshelden entwickelten, ohne ihr edles Gemüt
und ihren reichen Geist einzubüßen. Und noch ein andrer Umstand verbietet
uns, ihre Urheimat in nordischen Eiswüsten, in Sümpfen und Wäldern zu suchen.
Pastor überschreibt ein Kapitel: "Das erste Haustier, das Feuer". Mit dem
ersten Haustiere meint er nämlich das Feuer. Aber wie die Menschen zu wirk¬
lichen Haustieren gekommen sein mögen, darüber scheint er nicht nachgedacht
zu haben, sondern wiederholt nur, obwohl sonst in allem so neu und originell,
die alte Ansicht, wonach die Menschen vom Jäger- zum Nomadenleben und
von da zum Ackerbau übergegangen sein sollen. Nun hat vor zehn Jahren
Eduard Hahn in seinem Buche: Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirt¬
schaft des Menschen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896) nachgewiesen, daß
diese Ansicht falsch ist. (Wir haben den Hauptinhalt des Buches im 35. Hefte
des Jahrgangs 1893 der Grenzboten wiedergegeben.) Jägervölker werden nie¬
mals seßhaft, und echte Nomaden werden es nur sehr schwer. Die Russen
verraten heute noch ihr Nomadenblut. Indem die Germanen nicht allein leicht
seßhaft wurden, sondern geradezu nach Seßhaftigkeit strebten -- ihre Wan¬
derungen nach dem Süden hatten, im Unterschiede von denen der mancherlei
Mongolenhorden, keinen andern Zweck als feste Niederlassung --, haben sie
bewiesen, daß sie nur, in unwirtliche Gegenden verschlagen, gezwungen noma¬
disierten, solange und soweit ihnen die seßhafte Lebensweise ihrer Vorfahren
verwehrt war. Und nun die Hauptsache! Jägervölker zähmen, außer dem Hunde,
niemals Tiere, können sie bei ihrer Lebensweise gar nicht zähmen. Darum
ist es undenkbar, daß das Hirtenleben aus dem Jägerleben hätte hervorgehn
können. Die Tierzähmung und Tierzüchtung kann nur in Verbindung mit dem
Ackerbau vor sich gegangen sein. Wie Hahn sie sich denkt, wollen wir hier
nicht noch einmal ausführlich wiederholen, sondern nur kurz andeuten. Rinder
wurden von den ansässigen Bauern in Umzäunungen gehalten, weil man sie
zu Opfern für die Mondgöttin brauchte, der sie der Form ihrer Hörner wegen
geheiligt waren. Dabei lernte man gelegentlich ihre Milch schützen und kam
allmählich darauf, durch Züchtung den Milchertrag zu vermehren, denn wilde
Kühe geben gleich allen andern weiblichen Tieren nicht mehr Milch, als ihre
Jungen nötig haben, wie auch wilde Schafe keine Wolle tragen. Auch die
Kastration der Stiere war eine' Kulthandlung: sie wurde bei den Tieren vor¬
genommen, die das Bild der Göttin von einem Orte zum andern zu befördern
hatten; und so lernte man die Sanftmut des Ochsen kennen, die ihn zum
Pflugtier geeignet machte. Erst von da an begann der eigentliche Ackerbau,
der Anbau von Zerealien, dem der Hackbau von Wurzel- und Knollengewächsen
vorangegangen war. Der Schauplatz dieser Entwicklung ist nach Hahn die
Euphratniederung gewesen. Hier also, bei einem seßhaften Volke, ist die Kultur
entstanden, nicht in Eiswüsten. (Als allererste Stufe -- die paradiesische, muß
man natürlich, und als Darwinianer erst recht, die Einsammlung wild wachsender
Vaumfrüchte annehmen, als zweite, auf der die Südseeinsulaner heute noch stehn,
die Pflanzung und Pflege von Fruchtbäumen. Auch diese wird natürlich nur
von seßhaften Menschen betrieben; ja wenn Halbnomaden seßhaft werden, so


Grenzboten II 1906 82
Zwei kulturgeschichtlich« Werke

Arier entweder in den Norden oder auf rauhe Gebirge Asiens verschlagen
wurden, wo sie sich zu wilden Kriegshelden entwickelten, ohne ihr edles Gemüt
und ihren reichen Geist einzubüßen. Und noch ein andrer Umstand verbietet
uns, ihre Urheimat in nordischen Eiswüsten, in Sümpfen und Wäldern zu suchen.
Pastor überschreibt ein Kapitel: „Das erste Haustier, das Feuer". Mit dem
ersten Haustiere meint er nämlich das Feuer. Aber wie die Menschen zu wirk¬
lichen Haustieren gekommen sein mögen, darüber scheint er nicht nachgedacht
zu haben, sondern wiederholt nur, obwohl sonst in allem so neu und originell,
die alte Ansicht, wonach die Menschen vom Jäger- zum Nomadenleben und
von da zum Ackerbau übergegangen sein sollen. Nun hat vor zehn Jahren
Eduard Hahn in seinem Buche: Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirt¬
schaft des Menschen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896) nachgewiesen, daß
diese Ansicht falsch ist. (Wir haben den Hauptinhalt des Buches im 35. Hefte
des Jahrgangs 1893 der Grenzboten wiedergegeben.) Jägervölker werden nie¬
mals seßhaft, und echte Nomaden werden es nur sehr schwer. Die Russen
verraten heute noch ihr Nomadenblut. Indem die Germanen nicht allein leicht
seßhaft wurden, sondern geradezu nach Seßhaftigkeit strebten — ihre Wan¬
derungen nach dem Süden hatten, im Unterschiede von denen der mancherlei
Mongolenhorden, keinen andern Zweck als feste Niederlassung —, haben sie
bewiesen, daß sie nur, in unwirtliche Gegenden verschlagen, gezwungen noma¬
disierten, solange und soweit ihnen die seßhafte Lebensweise ihrer Vorfahren
verwehrt war. Und nun die Hauptsache! Jägervölker zähmen, außer dem Hunde,
niemals Tiere, können sie bei ihrer Lebensweise gar nicht zähmen. Darum
ist es undenkbar, daß das Hirtenleben aus dem Jägerleben hätte hervorgehn
können. Die Tierzähmung und Tierzüchtung kann nur in Verbindung mit dem
Ackerbau vor sich gegangen sein. Wie Hahn sie sich denkt, wollen wir hier
nicht noch einmal ausführlich wiederholen, sondern nur kurz andeuten. Rinder
wurden von den ansässigen Bauern in Umzäunungen gehalten, weil man sie
zu Opfern für die Mondgöttin brauchte, der sie der Form ihrer Hörner wegen
geheiligt waren. Dabei lernte man gelegentlich ihre Milch schützen und kam
allmählich darauf, durch Züchtung den Milchertrag zu vermehren, denn wilde
Kühe geben gleich allen andern weiblichen Tieren nicht mehr Milch, als ihre
Jungen nötig haben, wie auch wilde Schafe keine Wolle tragen. Auch die
Kastration der Stiere war eine' Kulthandlung: sie wurde bei den Tieren vor¬
genommen, die das Bild der Göttin von einem Orte zum andern zu befördern
hatten; und so lernte man die Sanftmut des Ochsen kennen, die ihn zum
Pflugtier geeignet machte. Erst von da an begann der eigentliche Ackerbau,
der Anbau von Zerealien, dem der Hackbau von Wurzel- und Knollengewächsen
vorangegangen war. Der Schauplatz dieser Entwicklung ist nach Hahn die
Euphratniederung gewesen. Hier also, bei einem seßhaften Volke, ist die Kultur
entstanden, nicht in Eiswüsten. (Als allererste Stufe — die paradiesische, muß
man natürlich, und als Darwinianer erst recht, die Einsammlung wild wachsender
Vaumfrüchte annehmen, als zweite, auf der die Südseeinsulaner heute noch stehn,
die Pflanzung und Pflege von Fruchtbäumen. Auch diese wird natürlich nur
von seßhaften Menschen betrieben; ja wenn Halbnomaden seßhaft werden, so


Grenzboten II 1906 82
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[0649] Zwei kulturgeschichtlich« Werke Arier entweder in den Norden oder auf rauhe Gebirge Asiens verschlagen wurden, wo sie sich zu wilden Kriegshelden entwickelten, ohne ihr edles Gemüt und ihren reichen Geist einzubüßen. Und noch ein andrer Umstand verbietet uns, ihre Urheimat in nordischen Eiswüsten, in Sümpfen und Wäldern zu suchen. Pastor überschreibt ein Kapitel: „Das erste Haustier, das Feuer". Mit dem ersten Haustiere meint er nämlich das Feuer. Aber wie die Menschen zu wirk¬ lichen Haustieren gekommen sein mögen, darüber scheint er nicht nachgedacht zu haben, sondern wiederholt nur, obwohl sonst in allem so neu und originell, die alte Ansicht, wonach die Menschen vom Jäger- zum Nomadenleben und von da zum Ackerbau übergegangen sein sollen. Nun hat vor zehn Jahren Eduard Hahn in seinem Buche: Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirt¬ schaft des Menschen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1896) nachgewiesen, daß diese Ansicht falsch ist. (Wir haben den Hauptinhalt des Buches im 35. Hefte des Jahrgangs 1893 der Grenzboten wiedergegeben.) Jägervölker werden nie¬ mals seßhaft, und echte Nomaden werden es nur sehr schwer. Die Russen verraten heute noch ihr Nomadenblut. Indem die Germanen nicht allein leicht seßhaft wurden, sondern geradezu nach Seßhaftigkeit strebten — ihre Wan¬ derungen nach dem Süden hatten, im Unterschiede von denen der mancherlei Mongolenhorden, keinen andern Zweck als feste Niederlassung —, haben sie bewiesen, daß sie nur, in unwirtliche Gegenden verschlagen, gezwungen noma¬ disierten, solange und soweit ihnen die seßhafte Lebensweise ihrer Vorfahren verwehrt war. Und nun die Hauptsache! Jägervölker zähmen, außer dem Hunde, niemals Tiere, können sie bei ihrer Lebensweise gar nicht zähmen. Darum ist es undenkbar, daß das Hirtenleben aus dem Jägerleben hätte hervorgehn können. Die Tierzähmung und Tierzüchtung kann nur in Verbindung mit dem Ackerbau vor sich gegangen sein. Wie Hahn sie sich denkt, wollen wir hier nicht noch einmal ausführlich wiederholen, sondern nur kurz andeuten. Rinder wurden von den ansässigen Bauern in Umzäunungen gehalten, weil man sie zu Opfern für die Mondgöttin brauchte, der sie der Form ihrer Hörner wegen geheiligt waren. Dabei lernte man gelegentlich ihre Milch schützen und kam allmählich darauf, durch Züchtung den Milchertrag zu vermehren, denn wilde Kühe geben gleich allen andern weiblichen Tieren nicht mehr Milch, als ihre Jungen nötig haben, wie auch wilde Schafe keine Wolle tragen. Auch die Kastration der Stiere war eine' Kulthandlung: sie wurde bei den Tieren vor¬ genommen, die das Bild der Göttin von einem Orte zum andern zu befördern hatten; und so lernte man die Sanftmut des Ochsen kennen, die ihn zum Pflugtier geeignet machte. Erst von da an begann der eigentliche Ackerbau, der Anbau von Zerealien, dem der Hackbau von Wurzel- und Knollengewächsen vorangegangen war. Der Schauplatz dieser Entwicklung ist nach Hahn die Euphratniederung gewesen. Hier also, bei einem seßhaften Volke, ist die Kultur entstanden, nicht in Eiswüsten. (Als allererste Stufe — die paradiesische, muß man natürlich, und als Darwinianer erst recht, die Einsammlung wild wachsender Vaumfrüchte annehmen, als zweite, auf der die Südseeinsulaner heute noch stehn, die Pflanzung und Pflege von Fruchtbäumen. Auch diese wird natürlich nur von seßhaften Menschen betrieben; ja wenn Halbnomaden seßhaft werden, so Grenzboten II 1906 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/649>, abgerufen am 27.12.2024.