Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Zwei kulturgeschichtliche Werke gewesen waren, wurden immer vollkommner und gescheiter, und die erschlugen Es wurde oben bemerkt, daß die Menschen schon auf einer ziemlich hohen Zwei kulturgeschichtliche Werke gewesen waren, wurden immer vollkommner und gescheiter, und die erschlugen Es wurde oben bemerkt, daß die Menschen schon auf einer ziemlich hohen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0648" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299689"/> <fw type="header" place="top"> Zwei kulturgeschichtliche Werke</fw><lb/> <p xml:id="ID_2829" prev="#ID_2828"> gewesen waren, wurden immer vollkommner und gescheiter, und die erschlugen<lb/> nun nicht mehr die tierühnlichen Nachkommen der ersten Rückwandrer, sondern<lb/> benutzten sie als Arbeittiere. Ja, wenn man nur die nötige Zahl willkürlicher<lb/> Voraussetzungen macht, kann man daraus eine ganz schöne Beschreibung der<lb/> Ereignisse konstruieren, die sich vor der geschichtlichen Zeit zugetragen haben.<lb/> Widerlegt können ja diese Voraussetzungen so wenig werden wie bewiesen, aber<lb/> sehr wahrscheinlich sehen sie nicht aus. Ob die Kopfbedeckung die Hauptursache<lb/> des Haarverlustes ist, das wäre erst noch durch eine genaue Statistik zu er¬<lb/> mitteln. Die Bauerfrauen tragen in vielen Gegenden ihre Kopfbedeckung den<lb/> ganzen Tag und bekommen trotzdem keine Glatze, während die Bonvivants,<lb/> denen der Schädel durch die Haare hindurchwüchst, den Hut nur im Freien<lb/> aufzusetzen pflegen. Wären die Menschen bloße Naturwesen, so würde sich nach<lb/> dem Gesetze der Anpassung und Auslese ihr Haarkleid im Norden zum Zottelpelz<lb/> vervollständigt haben. Und das vielmalige Hin- und Zurücksinken zwischen Norden<lb/> und Süden müßte doch wenigstens einigermaßen plausibel gemacht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2830" next="#ID_2831"> Es wurde oben bemerkt, daß die Menschen schon auf einer ziemlich hohen<lb/> Kulturstufe stehn, also längst über die angenommne Tierheit hinaus sein mußten,<lb/> wenn sie einen nordischen Winter überstehn sollten. Und daß sogar die tiefste<lb/> Stufe des wirklichen Menschen noch durch eine unausfüllbare Kluft von der<lb/> wirklichen Tierheit getrennt ist, gesteht Pastor selbst verblümt zu, indem er<lb/> ganz richtig schreibt: „So widersinnig es klingt: es ist doch nur ein Grad¬<lb/> unterschied, der die roheste Steinklinge trennt von der vollkommensten Dynamo¬<lb/> maschine, und die Menschen, die jene erfanden, haben das größere geleistet."<lb/> Zwischen der Steinklinge, die der Mensch gemeißelt hat, und dem Baumast,<lb/> den der Affe schwingt, besteht also nicht bloß ein Gradunterschied, und noch<lb/> deutlicher wird das bei den Tierbildern auf Renntierstangen und Mammut-<lb/> zühnen (sie sollen nach Pastor und andern nicht erste Äußerungen des künst¬<lb/> lerischen Bildnertriebes, sondern Zaubermittel gewesen sein), für die es in der<lb/> Tierwelt gar kein Analogon gibt, obgleich doch der Affe Hände zum Zeichnen und<lb/> in der Gefangenschaft oft genug Gelegenheit hat, das Zeichnen und Zeichnungen<lb/> zu sehen. Unsrer Überzeugung nach hat eben nur ein Schöpfungswunder, nicht<lb/> allmähliche Entwicklung, den tierischen Organismus zum menschlichen steigern,<lb/> das dumpfe tierische Triebleben zum bewußten geistigen Betrachten und Schaffen<lb/> emporheben können. Die Kälte, um auf diese Kraft zurückzukommen, erzeugt<lb/> Spannkraft, wenn sie nicht so lange anhält, daß unter ihr das Leben ver¬<lb/> kümmert, und der harte Kampf mit feindlichen Naturgewalten kräftigt den Leib<lb/> wie den Charakter. Wir dürfen also glauben, daß die arische Rasse ihre Kraft,<lb/> ihren Mut, ihre Schneidigkeit, ihre Frische einem lungern Ausenthalt in nörd¬<lb/> lichen oder in hochgelegnen südlichen Ländern verdankt. Aber die Anlage zu<lb/> den feinsten sittlichen, ästhetischen und wissenschaftlichen Kulturleistungen, die<lb/> von den Hellenen vollbracht worden sind, und für die unsre germanischen Vor¬<lb/> väter sofort bei der Berührung mit ihnen Verständnis, Geschick und Lust be¬<lb/> kundet haben, diese Anlage kann, falls sie nicht anerschaffen war, nur in einer<lb/> heitern Umgebung und in verhältnismäßig glücklicher, bequemer Lage entstanden<lb/> sein. Wir vermuten darum, daß diese Anlage schon vorhanden war, ehe die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0648]
Zwei kulturgeschichtliche Werke
gewesen waren, wurden immer vollkommner und gescheiter, und die erschlugen
nun nicht mehr die tierühnlichen Nachkommen der ersten Rückwandrer, sondern
benutzten sie als Arbeittiere. Ja, wenn man nur die nötige Zahl willkürlicher
Voraussetzungen macht, kann man daraus eine ganz schöne Beschreibung der
Ereignisse konstruieren, die sich vor der geschichtlichen Zeit zugetragen haben.
Widerlegt können ja diese Voraussetzungen so wenig werden wie bewiesen, aber
sehr wahrscheinlich sehen sie nicht aus. Ob die Kopfbedeckung die Hauptursache
des Haarverlustes ist, das wäre erst noch durch eine genaue Statistik zu er¬
mitteln. Die Bauerfrauen tragen in vielen Gegenden ihre Kopfbedeckung den
ganzen Tag und bekommen trotzdem keine Glatze, während die Bonvivants,
denen der Schädel durch die Haare hindurchwüchst, den Hut nur im Freien
aufzusetzen pflegen. Wären die Menschen bloße Naturwesen, so würde sich nach
dem Gesetze der Anpassung und Auslese ihr Haarkleid im Norden zum Zottelpelz
vervollständigt haben. Und das vielmalige Hin- und Zurücksinken zwischen Norden
und Süden müßte doch wenigstens einigermaßen plausibel gemacht werden.
Es wurde oben bemerkt, daß die Menschen schon auf einer ziemlich hohen
Kulturstufe stehn, also längst über die angenommne Tierheit hinaus sein mußten,
wenn sie einen nordischen Winter überstehn sollten. Und daß sogar die tiefste
Stufe des wirklichen Menschen noch durch eine unausfüllbare Kluft von der
wirklichen Tierheit getrennt ist, gesteht Pastor selbst verblümt zu, indem er
ganz richtig schreibt: „So widersinnig es klingt: es ist doch nur ein Grad¬
unterschied, der die roheste Steinklinge trennt von der vollkommensten Dynamo¬
maschine, und die Menschen, die jene erfanden, haben das größere geleistet."
Zwischen der Steinklinge, die der Mensch gemeißelt hat, und dem Baumast,
den der Affe schwingt, besteht also nicht bloß ein Gradunterschied, und noch
deutlicher wird das bei den Tierbildern auf Renntierstangen und Mammut-
zühnen (sie sollen nach Pastor und andern nicht erste Äußerungen des künst¬
lerischen Bildnertriebes, sondern Zaubermittel gewesen sein), für die es in der
Tierwelt gar kein Analogon gibt, obgleich doch der Affe Hände zum Zeichnen und
in der Gefangenschaft oft genug Gelegenheit hat, das Zeichnen und Zeichnungen
zu sehen. Unsrer Überzeugung nach hat eben nur ein Schöpfungswunder, nicht
allmähliche Entwicklung, den tierischen Organismus zum menschlichen steigern,
das dumpfe tierische Triebleben zum bewußten geistigen Betrachten und Schaffen
emporheben können. Die Kälte, um auf diese Kraft zurückzukommen, erzeugt
Spannkraft, wenn sie nicht so lange anhält, daß unter ihr das Leben ver¬
kümmert, und der harte Kampf mit feindlichen Naturgewalten kräftigt den Leib
wie den Charakter. Wir dürfen also glauben, daß die arische Rasse ihre Kraft,
ihren Mut, ihre Schneidigkeit, ihre Frische einem lungern Ausenthalt in nörd¬
lichen oder in hochgelegnen südlichen Ländern verdankt. Aber die Anlage zu
den feinsten sittlichen, ästhetischen und wissenschaftlichen Kulturleistungen, die
von den Hellenen vollbracht worden sind, und für die unsre germanischen Vor¬
väter sofort bei der Berührung mit ihnen Verständnis, Geschick und Lust be¬
kundet haben, diese Anlage kann, falls sie nicht anerschaffen war, nur in einer
heitern Umgebung und in verhältnismäßig glücklicher, bequemer Lage entstanden
sein. Wir vermuten darum, daß diese Anlage schon vorhanden war, ehe die
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