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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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" Maßgebliches und Unmaßgebliches

und seine Ehre zu wahren. Wäre es richtiger gewesen, den Franzosen ein Ulti¬
matum zu stellen, ihnen zu erklären, ihre Abmachung mit England sei eine Nicht¬
achtung Deutschlands, und wenn das nicht in achtundvierzig Stunden rückgängig
gemacht worden sei, werde die deutsche Armee die Vogesen überschreiten? Das würde
den Krieg mit Frankreich und England bedeutet haben. Um was? Wir wollten
Marokko nicht nehmen. Am wenigsten würde Bismnrck das getan haben. Und
welcher Art sollten die Ziele des Friedensschlusses sein? Man führt Krieg doch nur
um des Friedenszustandes willen, worin mau nachher mit dem Gegner leben will!
Bismarck würde schwerlich eine andre Politik gemacht habe" als eine solche, die
darauf ausging, Abmachungen, die unsern Rechten und Interessen znwiderliefen, rück¬
gängig zu machen oder doch entsprechend einzuschränken. Konnte er das mit Hilfe
einer internationalen Konferenz erreichen, so würde er es sicher getan haben, und
es läßt sich somit im Gegenteil behaupten, daß die Anrufung der Madrider Kon¬
ferenz ein Schritt durchaus im Geiste Bismarcks und der Bismarckischen Politik
war. So gut wie Deutschland hätte jeder der Signatare der Konvention von 1880
die Einberufung der Konferenz beantragen können. Aber Deutschland war nächst
allen örtlich unmittelbar beteiligten Staaten doch der, der die meisten Interessen
hatte, ihm stand also die Führung zu. Daß es gelungen ist, Frankreich zur Be¬
schickung der Konferenz zu bewegen, dann die andern Mächte dafür zu gewinnen
und schließlich auf der Konferenz die Stellung Deutschlands zur prinzipiellen ein¬
heitlichen Anerkennung zu bringen, halten wir doch für einen Erfolg, der zur
Bismarckischen Zeit vielleicht um diese oder jene Einzelheit hatte reicher sein
können, aber viel mehr würde es auch nicht geworden sein, und das, was wir
haben mußten, haben wir erreicht.

Außerdem macht es bei der Frage, "ob Bismarck nach Algceiras gegangen
wäre," auf deutsch: wie er die marokkanische Frage behandelt haben würde, doch
noch sehr viel aus, welchen Monarchen man sich dazu zu denken hat. Es ist doch
selbstverständlich, daß zwei in Lebensalter und Temperament so gruudverschiedne
Monarchen wie Kaiser Wilhelm der Erste und Kaiser Wilhelm der Zweite auch auf
die Politik einen recht verschiednen Einfluß ausüben, und der Souverän kann in
solchen Fragen nicht ausgeschaltet werden. Wer also Bismarck durchaus zu der
politischen Lage, wie sie acht Jahre nach seinem Tode und sechzehn Jahre nach seinem
Rücktritt ist, in Beziehung bringen will, muß sich zuerst darüber klar sein, welchen
Kaiser er sich dazu denkt, denn auch Bismarck konnte vor wie nach 1888 solche
Fragen nicht ohne den Kaiser entscheiden. Im übrigen ist auch diese Frage gerade
so sinnlos wie die andre: Ist kein Bismarck da? Die Fragesteller haben augen¬
scheinlich übersehen, daß Politik doch immer nur "die Kunst des Möglichen" ist.
Der Kreis derer, die eine politische Lage nach der Gesamtheit aller dabei als
maßgebend in Betracht kommenden Personen und Umstände zu beurteilen vermögen,
pflegt erfahrungsgemäß recht gering zu sein und --- ig. d'itiyue. "zst g.isss.

Auch kann in der internationalen Politik nicht eine Frage für sich allein be¬
trachtet werden. In einem Augenblick, wo die Lage Rußlands so große Schwierig¬
keiten darbietet, und ernste Finanzkreise die Möglichkeit eines russischen Staats¬
bankrotts nicht mehr wie früher von der Hand weisen, ist für Deutschland eine
Schonung und Sammlung seiner finanziellen Kräfte auch aus diesem Grunde dringend
nötig, und die deutsche Politik hatte mehr als Algeciras ins Auge zu fassen.

Der Reichstag hat den verbündeten Regierungen einen uubeschnittnen Mnrine-
und Heeresetat, die Flotteunovelle, einen annehmbaren Kolonialetat, schließlich arts
se ius,res, "mit Kunst und Kräutern," wie der humorvolle Braun-Wiesbaden zu
sagen pflegte, den Kolonialsekretär zum Ostergeschenk gemacht, freilich alles erst in
der zweiten Lesung. Allem Anschein nach wird auch das, was sich "Finanzreform"
nennt, schließlich aber nur aus einer Reihe aus allen Ecken hervorgekehrter neuer
Auflagen besteht, vor dem Zentrum Gnade finden und der Reichsfinanzkalamität
damit auf einige Jahre abgeholfen werden, kurzum der Reichskanzler mag da nicht


« Maßgebliches und Unmaßgebliches

und seine Ehre zu wahren. Wäre es richtiger gewesen, den Franzosen ein Ulti¬
matum zu stellen, ihnen zu erklären, ihre Abmachung mit England sei eine Nicht¬
achtung Deutschlands, und wenn das nicht in achtundvierzig Stunden rückgängig
gemacht worden sei, werde die deutsche Armee die Vogesen überschreiten? Das würde
den Krieg mit Frankreich und England bedeutet haben. Um was? Wir wollten
Marokko nicht nehmen. Am wenigsten würde Bismnrck das getan haben. Und
welcher Art sollten die Ziele des Friedensschlusses sein? Man führt Krieg doch nur
um des Friedenszustandes willen, worin mau nachher mit dem Gegner leben will!
Bismarck würde schwerlich eine andre Politik gemacht habe» als eine solche, die
darauf ausging, Abmachungen, die unsern Rechten und Interessen znwiderliefen, rück¬
gängig zu machen oder doch entsprechend einzuschränken. Konnte er das mit Hilfe
einer internationalen Konferenz erreichen, so würde er es sicher getan haben, und
es läßt sich somit im Gegenteil behaupten, daß die Anrufung der Madrider Kon¬
ferenz ein Schritt durchaus im Geiste Bismarcks und der Bismarckischen Politik
war. So gut wie Deutschland hätte jeder der Signatare der Konvention von 1880
die Einberufung der Konferenz beantragen können. Aber Deutschland war nächst
allen örtlich unmittelbar beteiligten Staaten doch der, der die meisten Interessen
hatte, ihm stand also die Führung zu. Daß es gelungen ist, Frankreich zur Be¬
schickung der Konferenz zu bewegen, dann die andern Mächte dafür zu gewinnen
und schließlich auf der Konferenz die Stellung Deutschlands zur prinzipiellen ein¬
heitlichen Anerkennung zu bringen, halten wir doch für einen Erfolg, der zur
Bismarckischen Zeit vielleicht um diese oder jene Einzelheit hatte reicher sein
können, aber viel mehr würde es auch nicht geworden sein, und das, was wir
haben mußten, haben wir erreicht.

Außerdem macht es bei der Frage, „ob Bismarck nach Algceiras gegangen
wäre," auf deutsch: wie er die marokkanische Frage behandelt haben würde, doch
noch sehr viel aus, welchen Monarchen man sich dazu zu denken hat. Es ist doch
selbstverständlich, daß zwei in Lebensalter und Temperament so gruudverschiedne
Monarchen wie Kaiser Wilhelm der Erste und Kaiser Wilhelm der Zweite auch auf
die Politik einen recht verschiednen Einfluß ausüben, und der Souverän kann in
solchen Fragen nicht ausgeschaltet werden. Wer also Bismarck durchaus zu der
politischen Lage, wie sie acht Jahre nach seinem Tode und sechzehn Jahre nach seinem
Rücktritt ist, in Beziehung bringen will, muß sich zuerst darüber klar sein, welchen
Kaiser er sich dazu denkt, denn auch Bismarck konnte vor wie nach 1888 solche
Fragen nicht ohne den Kaiser entscheiden. Im übrigen ist auch diese Frage gerade
so sinnlos wie die andre: Ist kein Bismarck da? Die Fragesteller haben augen¬
scheinlich übersehen, daß Politik doch immer nur „die Kunst des Möglichen" ist.
Der Kreis derer, die eine politische Lage nach der Gesamtheit aller dabei als
maßgebend in Betracht kommenden Personen und Umstände zu beurteilen vermögen,
pflegt erfahrungsgemäß recht gering zu sein und -— ig. d'itiyue. «zst g.isss.

Auch kann in der internationalen Politik nicht eine Frage für sich allein be¬
trachtet werden. In einem Augenblick, wo die Lage Rußlands so große Schwierig¬
keiten darbietet, und ernste Finanzkreise die Möglichkeit eines russischen Staats¬
bankrotts nicht mehr wie früher von der Hand weisen, ist für Deutschland eine
Schonung und Sammlung seiner finanziellen Kräfte auch aus diesem Grunde dringend
nötig, und die deutsche Politik hatte mehr als Algeciras ins Auge zu fassen.

Der Reichstag hat den verbündeten Regierungen einen uubeschnittnen Mnrine-
und Heeresetat, die Flotteunovelle, einen annehmbaren Kolonialetat, schließlich arts
se ius,res, „mit Kunst und Kräutern," wie der humorvolle Braun-Wiesbaden zu
sagen pflegte, den Kolonialsekretär zum Ostergeschenk gemacht, freilich alles erst in
der zweiten Lesung. Allem Anschein nach wird auch das, was sich „Finanzreform"
nennt, schließlich aber nur aus einer Reihe aus allen Ecken hervorgekehrter neuer
Auflagen besteht, vor dem Zentrum Gnade finden und der Reichsfinanzkalamität
damit auf einige Jahre abgeholfen werden, kurzum der Reichskanzler mag da nicht


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[0064] « Maßgebliches und Unmaßgebliches und seine Ehre zu wahren. Wäre es richtiger gewesen, den Franzosen ein Ulti¬ matum zu stellen, ihnen zu erklären, ihre Abmachung mit England sei eine Nicht¬ achtung Deutschlands, und wenn das nicht in achtundvierzig Stunden rückgängig gemacht worden sei, werde die deutsche Armee die Vogesen überschreiten? Das würde den Krieg mit Frankreich und England bedeutet haben. Um was? Wir wollten Marokko nicht nehmen. Am wenigsten würde Bismnrck das getan haben. Und welcher Art sollten die Ziele des Friedensschlusses sein? Man führt Krieg doch nur um des Friedenszustandes willen, worin mau nachher mit dem Gegner leben will! Bismarck würde schwerlich eine andre Politik gemacht habe» als eine solche, die darauf ausging, Abmachungen, die unsern Rechten und Interessen znwiderliefen, rück¬ gängig zu machen oder doch entsprechend einzuschränken. Konnte er das mit Hilfe einer internationalen Konferenz erreichen, so würde er es sicher getan haben, und es läßt sich somit im Gegenteil behaupten, daß die Anrufung der Madrider Kon¬ ferenz ein Schritt durchaus im Geiste Bismarcks und der Bismarckischen Politik war. So gut wie Deutschland hätte jeder der Signatare der Konvention von 1880 die Einberufung der Konferenz beantragen können. Aber Deutschland war nächst allen örtlich unmittelbar beteiligten Staaten doch der, der die meisten Interessen hatte, ihm stand also die Führung zu. Daß es gelungen ist, Frankreich zur Be¬ schickung der Konferenz zu bewegen, dann die andern Mächte dafür zu gewinnen und schließlich auf der Konferenz die Stellung Deutschlands zur prinzipiellen ein¬ heitlichen Anerkennung zu bringen, halten wir doch für einen Erfolg, der zur Bismarckischen Zeit vielleicht um diese oder jene Einzelheit hatte reicher sein können, aber viel mehr würde es auch nicht geworden sein, und das, was wir haben mußten, haben wir erreicht. Außerdem macht es bei der Frage, „ob Bismarck nach Algceiras gegangen wäre," auf deutsch: wie er die marokkanische Frage behandelt haben würde, doch noch sehr viel aus, welchen Monarchen man sich dazu zu denken hat. Es ist doch selbstverständlich, daß zwei in Lebensalter und Temperament so gruudverschiedne Monarchen wie Kaiser Wilhelm der Erste und Kaiser Wilhelm der Zweite auch auf die Politik einen recht verschiednen Einfluß ausüben, und der Souverän kann in solchen Fragen nicht ausgeschaltet werden. Wer also Bismarck durchaus zu der politischen Lage, wie sie acht Jahre nach seinem Tode und sechzehn Jahre nach seinem Rücktritt ist, in Beziehung bringen will, muß sich zuerst darüber klar sein, welchen Kaiser er sich dazu denkt, denn auch Bismarck konnte vor wie nach 1888 solche Fragen nicht ohne den Kaiser entscheiden. Im übrigen ist auch diese Frage gerade so sinnlos wie die andre: Ist kein Bismarck da? Die Fragesteller haben augen¬ scheinlich übersehen, daß Politik doch immer nur „die Kunst des Möglichen" ist. Der Kreis derer, die eine politische Lage nach der Gesamtheit aller dabei als maßgebend in Betracht kommenden Personen und Umstände zu beurteilen vermögen, pflegt erfahrungsgemäß recht gering zu sein und -— ig. d'itiyue. «zst g.isss. Auch kann in der internationalen Politik nicht eine Frage für sich allein be¬ trachtet werden. In einem Augenblick, wo die Lage Rußlands so große Schwierig¬ keiten darbietet, und ernste Finanzkreise die Möglichkeit eines russischen Staats¬ bankrotts nicht mehr wie früher von der Hand weisen, ist für Deutschland eine Schonung und Sammlung seiner finanziellen Kräfte auch aus diesem Grunde dringend nötig, und die deutsche Politik hatte mehr als Algeciras ins Auge zu fassen. Der Reichstag hat den verbündeten Regierungen einen uubeschnittnen Mnrine- und Heeresetat, die Flotteunovelle, einen annehmbaren Kolonialetat, schließlich arts se ius,res, „mit Kunst und Kräutern," wie der humorvolle Braun-Wiesbaden zu sagen pflegte, den Kolonialsekretär zum Ostergeschenk gemacht, freilich alles erst in der zweiten Lesung. Allem Anschein nach wird auch das, was sich „Finanzreform" nennt, schließlich aber nur aus einer Reihe aus allen Ecken hervorgekehrter neuer Auflagen besteht, vor dem Zentrum Gnade finden und der Reichsfinanzkalamität damit auf einige Jahre abgeholfen werden, kurzum der Reichskanzler mag da nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/64>, abgerufen am 30.06.2024.