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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgevliches

Aufsicht das Interesse der Besitzer der Bahnstrecke bis Bagdad über¬
wiegend bleiben muß. Deutschland hat von sich aus keinen Grund zu einem
Vorschlage, die letzte Strecke der Bagdadbahn unter internationale, geschweige denn
unter britische Aufsicht zu stellen. Wenn die Morning Post die guten Beziehungen
beider Länder davon abhängig macht, daß man in England die Überzeugung
gewinne, "die britisch-deutschen Beziehungen könnten auf den Fuß gegenseitiger
Achtung und Billigkeit gebracht werden", so stimmen wir dem vollständig zu.
Allerdings mit dem Bemerken, daß wir einen Beweis der "Achtung und Billigkeit"
uicht in der brutalen Forderung der Unterordnung deutscher wirtschaftlicher unter
britische politische Interessen zu finden vermögen. Jedem das Seine! Forderungen
wie die der Morning Post können nur von Gegnern einer deutsch-britischen Ver¬
ständigung ausgehn. Was würde die Morning Post dazu sagen, wenn die Schablone
der Marokkokonferenz ans die gesamte expansive Politik Großbritanniens angewandt
werden sollte, die dazu wohl unendlich mehr Anlaß böte als das rein wirtschaftliche,
"H" völlig unpolitische Unternehmen der Bagdadbahn?




Undeutscher Fortschritt.

Wenn ich "undeutsch" sage, so komme ich damit
auf ein altes Erbübel der Deutschen zu sprechen, auf ihre Nachnhmungssucht. Es
ist bekannt, daß in frühern Jahrhunderten die Franzosennachahmung weite Kreise
unsers Volkes gefangen hielt, daß französische Sitten, Sittenlosigkeit, französische
Prachtliebe und Ruhmredigkett das deutsche Volk demoralisierten. Diese moralische
Dekadenz hatte eine politische Dekadenz im Gefolge. Vor hundert Jahren war
es, als sich schließlich westliche und südliche Stämme Deutschlands als Rheinbund
vom alten Reiche loslösten und sich dem neu erstandnen Franzosenkniser Napoleon
anschlössen. Diese Absplitterung weiter Gebiete versetzte dem alten Deutschen Reiche
den Todesstoß. Man kann also sagen, daß Franzosennnchahmung das alte Deutsche
Reich zugrunde gerichtet hat.

Heute, hundert Jahre später, im neuen Reich, ist es eine andre Nachahmung,
die ebenfalls weite Kreise des Volkes ergreift und ebenfalls große Gefahren für
unsre Zukunft herausführt: Nachahmung des Englischen.

Was ich meine, wird sogleich klar werden.

Der Spruch, der mir um bezeichnendsten englisches Wesen widerzuspiegeln
scheint, ist: is more^, Zeit ist Geld. Der Deutsche würde etwa sagen: Zeit
ist Arbeitsmöglichkeit, Zeitverlust ist Kraftverlust -- der Engländer sagt: Zeit
ist Geld. Das Geld ist ihm die Hauptsache in allem seinem Streben. Demgemäß
ist auch Englands ganze Politik von jeher eine reine Geldpolitik gewesen, und auch
seiue koloniale Ausbreitung hat nur dem Gelderwerb gedient und ist oft in eine
Ausbeutungspolitik übergeschlagen. Dementsprechend ist auch Englands Geschichte
eine reine Handelsgeschichte. Aber England ist durch diese Politik groß und mächtig
geworden und ist heute noch unbestritten die erste Macht der Erde.

Gerade diese glänzenden Erfolge haben das deutsche Volk, als ihm durch
Bismarck endlich die ersehnte Einigung gegeben worden war, dazu verlockt, es ans
englischen Bahnen zu versuchen, auch eine solche Geldpolitik zu betreiben, um da¬
durch auch groß und mächtig zu werden. Wir stehn heute mitten in dieser Zeit
englandnachahmender Erwerbspolitik. Aber ich meine, daß eines sich nicht für alle
schickt, und daß, wenn England durch reine Erwerbspolitik groß geworden ist,
Deutschland auf diesem Wege uicht dasselbe für sich erhoffen kann. Dazu sind die
Charakteranlagen beider Völker trotz aller Blutsverwandtschaft viel zu verschieden.

Der Engländer ist ein idealloser Mann, nüchtern, kalt, berechnend -- der ge-
borne Geschäftsmann.

Der Deutsche umgekehrt ist ein Mann der Ideale, er ist begeisternngsfähig
und begeisterungsbedürftig und bedarf eines Berufs, für den er sich begeistern
kann, wenn anders er mit ganzer Seele arbeiten will. Es ist aber von vorn¬
herein klar, daß der reine Geldermerbsbernf nicht geeignet ist, den Deutschen zu
voller Kraftentfaltung zu begeistern.


Maßgebliches und Unmaßgevliches

Aufsicht das Interesse der Besitzer der Bahnstrecke bis Bagdad über¬
wiegend bleiben muß. Deutschland hat von sich aus keinen Grund zu einem
Vorschlage, die letzte Strecke der Bagdadbahn unter internationale, geschweige denn
unter britische Aufsicht zu stellen. Wenn die Morning Post die guten Beziehungen
beider Länder davon abhängig macht, daß man in England die Überzeugung
gewinne, „die britisch-deutschen Beziehungen könnten auf den Fuß gegenseitiger
Achtung und Billigkeit gebracht werden", so stimmen wir dem vollständig zu.
Allerdings mit dem Bemerken, daß wir einen Beweis der „Achtung und Billigkeit"
uicht in der brutalen Forderung der Unterordnung deutscher wirtschaftlicher unter
britische politische Interessen zu finden vermögen. Jedem das Seine! Forderungen
wie die der Morning Post können nur von Gegnern einer deutsch-britischen Ver¬
ständigung ausgehn. Was würde die Morning Post dazu sagen, wenn die Schablone
der Marokkokonferenz ans die gesamte expansive Politik Großbritanniens angewandt
werden sollte, die dazu wohl unendlich mehr Anlaß böte als das rein wirtschaftliche,
"H» völlig unpolitische Unternehmen der Bagdadbahn?




Undeutscher Fortschritt.

Wenn ich „undeutsch" sage, so komme ich damit
auf ein altes Erbübel der Deutschen zu sprechen, auf ihre Nachnhmungssucht. Es
ist bekannt, daß in frühern Jahrhunderten die Franzosennachahmung weite Kreise
unsers Volkes gefangen hielt, daß französische Sitten, Sittenlosigkeit, französische
Prachtliebe und Ruhmredigkett das deutsche Volk demoralisierten. Diese moralische
Dekadenz hatte eine politische Dekadenz im Gefolge. Vor hundert Jahren war
es, als sich schließlich westliche und südliche Stämme Deutschlands als Rheinbund
vom alten Reiche loslösten und sich dem neu erstandnen Franzosenkniser Napoleon
anschlössen. Diese Absplitterung weiter Gebiete versetzte dem alten Deutschen Reiche
den Todesstoß. Man kann also sagen, daß Franzosennnchahmung das alte Deutsche
Reich zugrunde gerichtet hat.

Heute, hundert Jahre später, im neuen Reich, ist es eine andre Nachahmung,
die ebenfalls weite Kreise des Volkes ergreift und ebenfalls große Gefahren für
unsre Zukunft herausführt: Nachahmung des Englischen.

Was ich meine, wird sogleich klar werden.

Der Spruch, der mir um bezeichnendsten englisches Wesen widerzuspiegeln
scheint, ist: is more^, Zeit ist Geld. Der Deutsche würde etwa sagen: Zeit
ist Arbeitsmöglichkeit, Zeitverlust ist Kraftverlust — der Engländer sagt: Zeit
ist Geld. Das Geld ist ihm die Hauptsache in allem seinem Streben. Demgemäß
ist auch Englands ganze Politik von jeher eine reine Geldpolitik gewesen, und auch
seiue koloniale Ausbreitung hat nur dem Gelderwerb gedient und ist oft in eine
Ausbeutungspolitik übergeschlagen. Dementsprechend ist auch Englands Geschichte
eine reine Handelsgeschichte. Aber England ist durch diese Politik groß und mächtig
geworden und ist heute noch unbestritten die erste Macht der Erde.

Gerade diese glänzenden Erfolge haben das deutsche Volk, als ihm durch
Bismarck endlich die ersehnte Einigung gegeben worden war, dazu verlockt, es ans
englischen Bahnen zu versuchen, auch eine solche Geldpolitik zu betreiben, um da¬
durch auch groß und mächtig zu werden. Wir stehn heute mitten in dieser Zeit
englandnachahmender Erwerbspolitik. Aber ich meine, daß eines sich nicht für alle
schickt, und daß, wenn England durch reine Erwerbspolitik groß geworden ist,
Deutschland auf diesem Wege uicht dasselbe für sich erhoffen kann. Dazu sind die
Charakteranlagen beider Völker trotz aller Blutsverwandtschaft viel zu verschieden.

Der Engländer ist ein idealloser Mann, nüchtern, kalt, berechnend — der ge-
borne Geschäftsmann.

Der Deutsche umgekehrt ist ein Mann der Ideale, er ist begeisternngsfähig
und begeisterungsbedürftig und bedarf eines Berufs, für den er sich begeistern
kann, wenn anders er mit ganzer Seele arbeiten will. Es ist aber von vorn¬
herein klar, daß der reine Geldermerbsbernf nicht geeignet ist, den Deutschen zu
voller Kraftentfaltung zu begeistern.


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[0620] Maßgebliches und Unmaßgevliches Aufsicht das Interesse der Besitzer der Bahnstrecke bis Bagdad über¬ wiegend bleiben muß. Deutschland hat von sich aus keinen Grund zu einem Vorschlage, die letzte Strecke der Bagdadbahn unter internationale, geschweige denn unter britische Aufsicht zu stellen. Wenn die Morning Post die guten Beziehungen beider Länder davon abhängig macht, daß man in England die Überzeugung gewinne, „die britisch-deutschen Beziehungen könnten auf den Fuß gegenseitiger Achtung und Billigkeit gebracht werden", so stimmen wir dem vollständig zu. Allerdings mit dem Bemerken, daß wir einen Beweis der „Achtung und Billigkeit" uicht in der brutalen Forderung der Unterordnung deutscher wirtschaftlicher unter britische politische Interessen zu finden vermögen. Jedem das Seine! Forderungen wie die der Morning Post können nur von Gegnern einer deutsch-britischen Ver¬ ständigung ausgehn. Was würde die Morning Post dazu sagen, wenn die Schablone der Marokkokonferenz ans die gesamte expansive Politik Großbritanniens angewandt werden sollte, die dazu wohl unendlich mehr Anlaß böte als das rein wirtschaftliche, "H» völlig unpolitische Unternehmen der Bagdadbahn? Undeutscher Fortschritt. Wenn ich „undeutsch" sage, so komme ich damit auf ein altes Erbübel der Deutschen zu sprechen, auf ihre Nachnhmungssucht. Es ist bekannt, daß in frühern Jahrhunderten die Franzosennachahmung weite Kreise unsers Volkes gefangen hielt, daß französische Sitten, Sittenlosigkeit, französische Prachtliebe und Ruhmredigkett das deutsche Volk demoralisierten. Diese moralische Dekadenz hatte eine politische Dekadenz im Gefolge. Vor hundert Jahren war es, als sich schließlich westliche und südliche Stämme Deutschlands als Rheinbund vom alten Reiche loslösten und sich dem neu erstandnen Franzosenkniser Napoleon anschlössen. Diese Absplitterung weiter Gebiete versetzte dem alten Deutschen Reiche den Todesstoß. Man kann also sagen, daß Franzosennnchahmung das alte Deutsche Reich zugrunde gerichtet hat. Heute, hundert Jahre später, im neuen Reich, ist es eine andre Nachahmung, die ebenfalls weite Kreise des Volkes ergreift und ebenfalls große Gefahren für unsre Zukunft herausführt: Nachahmung des Englischen. Was ich meine, wird sogleich klar werden. Der Spruch, der mir um bezeichnendsten englisches Wesen widerzuspiegeln scheint, ist: is more^, Zeit ist Geld. Der Deutsche würde etwa sagen: Zeit ist Arbeitsmöglichkeit, Zeitverlust ist Kraftverlust — der Engländer sagt: Zeit ist Geld. Das Geld ist ihm die Hauptsache in allem seinem Streben. Demgemäß ist auch Englands ganze Politik von jeher eine reine Geldpolitik gewesen, und auch seiue koloniale Ausbreitung hat nur dem Gelderwerb gedient und ist oft in eine Ausbeutungspolitik übergeschlagen. Dementsprechend ist auch Englands Geschichte eine reine Handelsgeschichte. Aber England ist durch diese Politik groß und mächtig geworden und ist heute noch unbestritten die erste Macht der Erde. Gerade diese glänzenden Erfolge haben das deutsche Volk, als ihm durch Bismarck endlich die ersehnte Einigung gegeben worden war, dazu verlockt, es ans englischen Bahnen zu versuchen, auch eine solche Geldpolitik zu betreiben, um da¬ durch auch groß und mächtig zu werden. Wir stehn heute mitten in dieser Zeit englandnachahmender Erwerbspolitik. Aber ich meine, daß eines sich nicht für alle schickt, und daß, wenn England durch reine Erwerbspolitik groß geworden ist, Deutschland auf diesem Wege uicht dasselbe für sich erhoffen kann. Dazu sind die Charakteranlagen beider Völker trotz aller Blutsverwandtschaft viel zu verschieden. Der Engländer ist ein idealloser Mann, nüchtern, kalt, berechnend — der ge- borne Geschäftsmann. Der Deutsche umgekehrt ist ein Mann der Ideale, er ist begeisternngsfähig und begeisterungsbedürftig und bedarf eines Berufs, für den er sich begeistern kann, wenn anders er mit ganzer Seele arbeiten will. Es ist aber von vorn¬ herein klar, daß der reine Geldermerbsbernf nicht geeignet ist, den Deutschen zu voller Kraftentfaltung zu begeistern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/620>, abgerufen am 27.12.2024.