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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Salome von Richard Strauß

hört mit dem Augenblick, wo der Arm des Henkers die Silbcrschüssel mit dem
Kopf des Jochanacm präsentiert, das Interesse am Stück auf, und der Ekel
beginnt. Irren wir in dieser Annahme, und findet der Vorgang der Salome
Nachfolge, so erlebt die deutsche Bühne die blutgefüllten Schweinsblasen, die
Klistierspritzen und die andern Roheiten des siebzehnten Jahrhunderts noch
einmal. Daß Strauß auf diesen unappetitlichen Köder des Wildeschen Einakters
angebissen hat, bleibt ein bedenkliches Zeichen und stimmt nur allzusehr mit
der letzten Entwicklung des Tonsetzers überein, auf die sich das alte gute
Sprichwort: Hui xroüoit in literis et äeckoit in moridu8, xlu8 ckölieit, (Min
proüeit mit dem Vorbehalt anwenden läßt, daß die literas musikalische Fertig¬
keit und die inorss künstlerischen Geschmack bedeuten.

R. Strauß hat von seiner F-Moll-Sinfonie, die ihn zuerst weiter bekannt
machte, bis zu der sinfonischen Dichtung Tod und Verklärung in immerhin
kurzer Zeit eine große und erfreuliche innere Arbeit geleistet. Dort ein ge¬
schickter aber mittelmäßiger Eklektiker, hier ein Virtuos musikalischer Seelen¬
malerei, der eine schwierige Aufgabe zwar nicht gleichmüßig gut, aber streng
sachlich und charaktervoll durchführt. Von diesem geraden Wege biegen nun
die folgenden Jnstrumentalkompositionen darin ab, daß sie sich bei Nebensachen
und bei Kleinigkeiten ungebührlich aufhalten, daß sie der übermütigen Freude am
Malen und äußern Schildern die Harmonie zwischen Inhalt und Form opfern
und schließlich den Musiker von Fach im Detail außerordentlich reizen, im
Ganzen und im Gesamteindruck aber nicht befriedigen. Sogar die innerlich
liebenswürdige Domestika zeigt dieses Mißverhältnis, indem sie für eine Idylle
das Niesenformat und die kolossalen Mittel eines Weltgerichts verbraucht.
Nicht anders ist es mit den großen Vokalwerken des Komponisten. Nur der
blinden Freundschaft für R. Strauß kann es entgehn, daß die breite Schlacht¬
episode in dem so talentvoll begonnenen Taillefer eine Entgleisung ist. Als
Opernkomponist trat Strauß zuerst ungefähr in der guten Zeit von Tod und
Verklärung mit einem Guntram hervor, der wie die ganze neuere deutsche
Opernkomposition stark von N. Wagner beeinflußt ist, und zwar schon in dem
von Strauß selbst gedichteten Text. Guntram, der Held, ist eine sozialistisch ge¬
färbte Kombination von Tristan und Tannhäuser, und er endet wie Lohengrin.
Aber dieser Mangel an Selbständigkeit und die große technische Schwierigkeit
der Gesangpartien Hütten die Bühnenvorstände nicht von dem Werke abschrecken
sollen, denn die Musik enthält in Freihilds Klage, in Guntrams Friedenshymnus
und an andern Stellen Abschnitte von einer Wärme und Größe, die in den
glücklichern Konkurrenzwerken unsrer Zeit nirgends überboten und nur selten
erreicht worden ist. Es ist sehr wohl möglich, daß der ungerechte Mißerfolg
dieses Guntram den Komponisten mit in die trotzig, herausfordernd sezessio-
nistische Richtung seiner neusten Werke hineingetrieben hat. Auf ihr ist er zu
seiner zweiten Oper, der Feuersnot, gekommen, deren reiche, zum Teil volks¬
tümlich münchnerisch anheimelnde Humorproben ihre Wirkung durch eine ver¬
wilderte, dem Orchestergeschwätz alle Klarheit ausliefernde, gegen Verständlichkeit
und sinnvolle Deklamation blinde Form einbüßen. Auch die Salome bedeutet
nach mehr als einer Hinsicht einen Schritt auf falschem Wege, und darunter


Salome von Richard Strauß

hört mit dem Augenblick, wo der Arm des Henkers die Silbcrschüssel mit dem
Kopf des Jochanacm präsentiert, das Interesse am Stück auf, und der Ekel
beginnt. Irren wir in dieser Annahme, und findet der Vorgang der Salome
Nachfolge, so erlebt die deutsche Bühne die blutgefüllten Schweinsblasen, die
Klistierspritzen und die andern Roheiten des siebzehnten Jahrhunderts noch
einmal. Daß Strauß auf diesen unappetitlichen Köder des Wildeschen Einakters
angebissen hat, bleibt ein bedenkliches Zeichen und stimmt nur allzusehr mit
der letzten Entwicklung des Tonsetzers überein, auf die sich das alte gute
Sprichwort: Hui xroüoit in literis et äeckoit in moridu8, xlu8 ckölieit, (Min
proüeit mit dem Vorbehalt anwenden läßt, daß die literas musikalische Fertig¬
keit und die inorss künstlerischen Geschmack bedeuten.

R. Strauß hat von seiner F-Moll-Sinfonie, die ihn zuerst weiter bekannt
machte, bis zu der sinfonischen Dichtung Tod und Verklärung in immerhin
kurzer Zeit eine große und erfreuliche innere Arbeit geleistet. Dort ein ge¬
schickter aber mittelmäßiger Eklektiker, hier ein Virtuos musikalischer Seelen¬
malerei, der eine schwierige Aufgabe zwar nicht gleichmüßig gut, aber streng
sachlich und charaktervoll durchführt. Von diesem geraden Wege biegen nun
die folgenden Jnstrumentalkompositionen darin ab, daß sie sich bei Nebensachen
und bei Kleinigkeiten ungebührlich aufhalten, daß sie der übermütigen Freude am
Malen und äußern Schildern die Harmonie zwischen Inhalt und Form opfern
und schließlich den Musiker von Fach im Detail außerordentlich reizen, im
Ganzen und im Gesamteindruck aber nicht befriedigen. Sogar die innerlich
liebenswürdige Domestika zeigt dieses Mißverhältnis, indem sie für eine Idylle
das Niesenformat und die kolossalen Mittel eines Weltgerichts verbraucht.
Nicht anders ist es mit den großen Vokalwerken des Komponisten. Nur der
blinden Freundschaft für R. Strauß kann es entgehn, daß die breite Schlacht¬
episode in dem so talentvoll begonnenen Taillefer eine Entgleisung ist. Als
Opernkomponist trat Strauß zuerst ungefähr in der guten Zeit von Tod und
Verklärung mit einem Guntram hervor, der wie die ganze neuere deutsche
Opernkomposition stark von N. Wagner beeinflußt ist, und zwar schon in dem
von Strauß selbst gedichteten Text. Guntram, der Held, ist eine sozialistisch ge¬
färbte Kombination von Tristan und Tannhäuser, und er endet wie Lohengrin.
Aber dieser Mangel an Selbständigkeit und die große technische Schwierigkeit
der Gesangpartien Hütten die Bühnenvorstände nicht von dem Werke abschrecken
sollen, denn die Musik enthält in Freihilds Klage, in Guntrams Friedenshymnus
und an andern Stellen Abschnitte von einer Wärme und Größe, die in den
glücklichern Konkurrenzwerken unsrer Zeit nirgends überboten und nur selten
erreicht worden ist. Es ist sehr wohl möglich, daß der ungerechte Mißerfolg
dieses Guntram den Komponisten mit in die trotzig, herausfordernd sezessio-
nistische Richtung seiner neusten Werke hineingetrieben hat. Auf ihr ist er zu
seiner zweiten Oper, der Feuersnot, gekommen, deren reiche, zum Teil volks¬
tümlich münchnerisch anheimelnde Humorproben ihre Wirkung durch eine ver¬
wilderte, dem Orchestergeschwätz alle Klarheit ausliefernde, gegen Verständlichkeit
und sinnvolle Deklamation blinde Form einbüßen. Auch die Salome bedeutet
nach mehr als einer Hinsicht einen Schritt auf falschem Wege, und darunter


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[0594] Salome von Richard Strauß hört mit dem Augenblick, wo der Arm des Henkers die Silbcrschüssel mit dem Kopf des Jochanacm präsentiert, das Interesse am Stück auf, und der Ekel beginnt. Irren wir in dieser Annahme, und findet der Vorgang der Salome Nachfolge, so erlebt die deutsche Bühne die blutgefüllten Schweinsblasen, die Klistierspritzen und die andern Roheiten des siebzehnten Jahrhunderts noch einmal. Daß Strauß auf diesen unappetitlichen Köder des Wildeschen Einakters angebissen hat, bleibt ein bedenkliches Zeichen und stimmt nur allzusehr mit der letzten Entwicklung des Tonsetzers überein, auf die sich das alte gute Sprichwort: Hui xroüoit in literis et äeckoit in moridu8, xlu8 ckölieit, (Min proüeit mit dem Vorbehalt anwenden läßt, daß die literas musikalische Fertig¬ keit und die inorss künstlerischen Geschmack bedeuten. R. Strauß hat von seiner F-Moll-Sinfonie, die ihn zuerst weiter bekannt machte, bis zu der sinfonischen Dichtung Tod und Verklärung in immerhin kurzer Zeit eine große und erfreuliche innere Arbeit geleistet. Dort ein ge¬ schickter aber mittelmäßiger Eklektiker, hier ein Virtuos musikalischer Seelen¬ malerei, der eine schwierige Aufgabe zwar nicht gleichmüßig gut, aber streng sachlich und charaktervoll durchführt. Von diesem geraden Wege biegen nun die folgenden Jnstrumentalkompositionen darin ab, daß sie sich bei Nebensachen und bei Kleinigkeiten ungebührlich aufhalten, daß sie der übermütigen Freude am Malen und äußern Schildern die Harmonie zwischen Inhalt und Form opfern und schließlich den Musiker von Fach im Detail außerordentlich reizen, im Ganzen und im Gesamteindruck aber nicht befriedigen. Sogar die innerlich liebenswürdige Domestika zeigt dieses Mißverhältnis, indem sie für eine Idylle das Niesenformat und die kolossalen Mittel eines Weltgerichts verbraucht. Nicht anders ist es mit den großen Vokalwerken des Komponisten. Nur der blinden Freundschaft für R. Strauß kann es entgehn, daß die breite Schlacht¬ episode in dem so talentvoll begonnenen Taillefer eine Entgleisung ist. Als Opernkomponist trat Strauß zuerst ungefähr in der guten Zeit von Tod und Verklärung mit einem Guntram hervor, der wie die ganze neuere deutsche Opernkomposition stark von N. Wagner beeinflußt ist, und zwar schon in dem von Strauß selbst gedichteten Text. Guntram, der Held, ist eine sozialistisch ge¬ färbte Kombination von Tristan und Tannhäuser, und er endet wie Lohengrin. Aber dieser Mangel an Selbständigkeit und die große technische Schwierigkeit der Gesangpartien Hütten die Bühnenvorstände nicht von dem Werke abschrecken sollen, denn die Musik enthält in Freihilds Klage, in Guntrams Friedenshymnus und an andern Stellen Abschnitte von einer Wärme und Größe, die in den glücklichern Konkurrenzwerken unsrer Zeit nirgends überboten und nur selten erreicht worden ist. Es ist sehr wohl möglich, daß der ungerechte Mißerfolg dieses Guntram den Komponisten mit in die trotzig, herausfordernd sezessio- nistische Richtung seiner neusten Werke hineingetrieben hat. Auf ihr ist er zu seiner zweiten Oper, der Feuersnot, gekommen, deren reiche, zum Teil volks¬ tümlich münchnerisch anheimelnde Humorproben ihre Wirkung durch eine ver¬ wilderte, dem Orchestergeschwätz alle Klarheit ausliefernde, gegen Verständlichkeit und sinnvolle Deklamation blinde Form einbüßen. Auch die Salome bedeutet nach mehr als einer Hinsicht einen Schritt auf falschem Wege, und darunter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/594>, abgerufen am 27.12.2024.