Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die oberste Heeresleitung in Frankreich

mer der größten Nachteile der republikanischen Staatsform ist
unstreitig der, daß die höchste Kommcindogewalt über das Heer
nicht in den Händen des Staatsoberhauptes ruht, wie es bei
den Monarchien der Fall ist, wo der Kaiser oder der König der
oberste Kriegsherr ist, und die Armee ihrem Landesherrn Treue
und Gehorsam in Kriegs- und Friedenszeiten zuschwört. Als Chef der Armee
fungiert in der Republik zumeist der Kriegsminister, der als Mitglied des
Staatsministeriums natürlich auch dessen politische Haltung annehmen muß und
auf seinem Posten steht und fällt, je nachdem der parlamentarischen Mehrheit
die Regierungsform zusagt oder mißliebig ist. Und wenn nun, wie in Frankreich,
sich ein solcher Wechsel der verantwortlichen Minister häufig wiederholt, und
demgemäß der 5,eeresoberbefehl fortdauernd von einer Hand in die andre über¬
geht, mithin Armee und Politik gleichsam ein untrennbares Ganzes sind, dann ist
es Wohl nur zu begreiflich, daß hier von einer gedeihlichen, gesunden Organisation
des Heerwesens, von einem gleichmäßigen Fortschritt in der Ausbildung, von
ernstem kameradschaftlichen Sinn und hoher Begeisterung für den soldatischen
Beruf nicht in genügendem Maße die Rede sein kann. Wenn dem nicht so
wäre, wenn unsre Auffassung irrig sein sollte, wie anders sollten wir uns
sonst die vielen betrübenden Vorgänge erklären, in die das französische Heer
durch politische Machinationen aller Art mithineingedrängt worden ist, und
die schon oftmals die Grundfesten militärischer Disziplin ganz bedeutend ins
Wanken gebracht haben? Man denke nur an die Boulangemffäre, an den
Dreyfusprozeß, an die in der Armee verbreiteten Intriguen der Patriotenliga,
an alle die Machinationen der Klerikalen und Isse, not loast an die unwürdigen
Angebereien einer Clique von Offizieren und Politikern, denen auch seinerzeit
der Kriegsminister General Andre und sein Anhang zum Opfer gefallen sind,
und die noch bis in die jüngsten Tage hinein mit dem Zwischenfall der Generale
Brugere und Percin ihr trauriges Spiel fortgeführt habe".

In Frankreich bringt eben jeder Kriegsminister von vornherein eine gewisse
Anzahl begeisterter Anhänger, Freunde und Gönner sozusagen mit ins Geschüft.


Grenzboten II 1906 72


Die oberste Heeresleitung in Frankreich

mer der größten Nachteile der republikanischen Staatsform ist
unstreitig der, daß die höchste Kommcindogewalt über das Heer
nicht in den Händen des Staatsoberhauptes ruht, wie es bei
den Monarchien der Fall ist, wo der Kaiser oder der König der
oberste Kriegsherr ist, und die Armee ihrem Landesherrn Treue
und Gehorsam in Kriegs- und Friedenszeiten zuschwört. Als Chef der Armee
fungiert in der Republik zumeist der Kriegsminister, der als Mitglied des
Staatsministeriums natürlich auch dessen politische Haltung annehmen muß und
auf seinem Posten steht und fällt, je nachdem der parlamentarischen Mehrheit
die Regierungsform zusagt oder mißliebig ist. Und wenn nun, wie in Frankreich,
sich ein solcher Wechsel der verantwortlichen Minister häufig wiederholt, und
demgemäß der 5,eeresoberbefehl fortdauernd von einer Hand in die andre über¬
geht, mithin Armee und Politik gleichsam ein untrennbares Ganzes sind, dann ist
es Wohl nur zu begreiflich, daß hier von einer gedeihlichen, gesunden Organisation
des Heerwesens, von einem gleichmäßigen Fortschritt in der Ausbildung, von
ernstem kameradschaftlichen Sinn und hoher Begeisterung für den soldatischen
Beruf nicht in genügendem Maße die Rede sein kann. Wenn dem nicht so
wäre, wenn unsre Auffassung irrig sein sollte, wie anders sollten wir uns
sonst die vielen betrübenden Vorgänge erklären, in die das französische Heer
durch politische Machinationen aller Art mithineingedrängt worden ist, und
die schon oftmals die Grundfesten militärischer Disziplin ganz bedeutend ins
Wanken gebracht haben? Man denke nur an die Boulangemffäre, an den
Dreyfusprozeß, an die in der Armee verbreiteten Intriguen der Patriotenliga,
an alle die Machinationen der Klerikalen und Isse, not loast an die unwürdigen
Angebereien einer Clique von Offizieren und Politikern, denen auch seinerzeit
der Kriegsminister General Andre und sein Anhang zum Opfer gefallen sind,
und die noch bis in die jüngsten Tage hinein mit dem Zwischenfall der Generale
Brugere und Percin ihr trauriges Spiel fortgeführt habe».

In Frankreich bringt eben jeder Kriegsminister von vornherein eine gewisse
Anzahl begeisterter Anhänger, Freunde und Gönner sozusagen mit ins Geschüft.


Grenzboten II 1906 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299614"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341883_299040/figures/grenzboten_341883_299040_299614_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Die oberste Heeresleitung in Frankreich</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2540"> mer der größten Nachteile der republikanischen Staatsform ist<lb/>
unstreitig der, daß die höchste Kommcindogewalt über das Heer<lb/>
nicht in den Händen des Staatsoberhauptes ruht, wie es bei<lb/>
den Monarchien der Fall ist, wo der Kaiser oder der König der<lb/>
oberste Kriegsherr ist, und die Armee ihrem Landesherrn Treue<lb/>
und Gehorsam in Kriegs- und Friedenszeiten zuschwört. Als Chef der Armee<lb/>
fungiert in der Republik zumeist der Kriegsminister, der als Mitglied des<lb/>
Staatsministeriums natürlich auch dessen politische Haltung annehmen muß und<lb/>
auf seinem Posten steht und fällt, je nachdem der parlamentarischen Mehrheit<lb/>
die Regierungsform zusagt oder mißliebig ist. Und wenn nun, wie in Frankreich,<lb/>
sich ein solcher Wechsel der verantwortlichen Minister häufig wiederholt, und<lb/>
demgemäß der 5,eeresoberbefehl fortdauernd von einer Hand in die andre über¬<lb/>
geht, mithin Armee und Politik gleichsam ein untrennbares Ganzes sind, dann ist<lb/>
es Wohl nur zu begreiflich, daß hier von einer gedeihlichen, gesunden Organisation<lb/>
des Heerwesens, von einem gleichmäßigen Fortschritt in der Ausbildung, von<lb/>
ernstem kameradschaftlichen Sinn und hoher Begeisterung für den soldatischen<lb/>
Beruf nicht in genügendem Maße die Rede sein kann. Wenn dem nicht so<lb/>
wäre, wenn unsre Auffassung irrig sein sollte, wie anders sollten wir uns<lb/>
sonst die vielen betrübenden Vorgänge erklären, in die das französische Heer<lb/>
durch politische Machinationen aller Art mithineingedrängt worden ist, und<lb/>
die schon oftmals die Grundfesten militärischer Disziplin ganz bedeutend ins<lb/>
Wanken gebracht haben? Man denke nur an die Boulangemffäre, an den<lb/>
Dreyfusprozeß, an die in der Armee verbreiteten Intriguen der Patriotenliga,<lb/>
an alle die Machinationen der Klerikalen und Isse, not loast an die unwürdigen<lb/>
Angebereien einer Clique von Offizieren und Politikern, denen auch seinerzeit<lb/>
der Kriegsminister General Andre und sein Anhang zum Opfer gefallen sind,<lb/>
und die noch bis in die jüngsten Tage hinein mit dem Zwischenfall der Generale<lb/>
Brugere und Percin ihr trauriges Spiel fortgeführt habe».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2541" next="#ID_2542"> In Frankreich bringt eben jeder Kriegsminister von vornherein eine gewisse<lb/>
Anzahl begeisterter Anhänger, Freunde und Gönner sozusagen mit ins Geschüft.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1906 72</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] [Abbildung] Die oberste Heeresleitung in Frankreich mer der größten Nachteile der republikanischen Staatsform ist unstreitig der, daß die höchste Kommcindogewalt über das Heer nicht in den Händen des Staatsoberhauptes ruht, wie es bei den Monarchien der Fall ist, wo der Kaiser oder der König der oberste Kriegsherr ist, und die Armee ihrem Landesherrn Treue und Gehorsam in Kriegs- und Friedenszeiten zuschwört. Als Chef der Armee fungiert in der Republik zumeist der Kriegsminister, der als Mitglied des Staatsministeriums natürlich auch dessen politische Haltung annehmen muß und auf seinem Posten steht und fällt, je nachdem der parlamentarischen Mehrheit die Regierungsform zusagt oder mißliebig ist. Und wenn nun, wie in Frankreich, sich ein solcher Wechsel der verantwortlichen Minister häufig wiederholt, und demgemäß der 5,eeresoberbefehl fortdauernd von einer Hand in die andre über¬ geht, mithin Armee und Politik gleichsam ein untrennbares Ganzes sind, dann ist es Wohl nur zu begreiflich, daß hier von einer gedeihlichen, gesunden Organisation des Heerwesens, von einem gleichmäßigen Fortschritt in der Ausbildung, von ernstem kameradschaftlichen Sinn und hoher Begeisterung für den soldatischen Beruf nicht in genügendem Maße die Rede sein kann. Wenn dem nicht so wäre, wenn unsre Auffassung irrig sein sollte, wie anders sollten wir uns sonst die vielen betrübenden Vorgänge erklären, in die das französische Heer durch politische Machinationen aller Art mithineingedrängt worden ist, und die schon oftmals die Grundfesten militärischer Disziplin ganz bedeutend ins Wanken gebracht haben? Man denke nur an die Boulangemffäre, an den Dreyfusprozeß, an die in der Armee verbreiteten Intriguen der Patriotenliga, an alle die Machinationen der Klerikalen und Isse, not loast an die unwürdigen Angebereien einer Clique von Offizieren und Politikern, denen auch seinerzeit der Kriegsminister General Andre und sein Anhang zum Opfer gefallen sind, und die noch bis in die jüngsten Tage hinein mit dem Zwischenfall der Generale Brugere und Percin ihr trauriges Spiel fortgeführt habe». In Frankreich bringt eben jeder Kriegsminister von vornherein eine gewisse Anzahl begeisterter Anhänger, Freunde und Gönner sozusagen mit ins Geschüft. Grenzboten II 1906 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/573>, abgerufen am 27.12.2024.