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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

können? Nicht auch eine schwimmende "Potsdamer Wachtparade" wie die ver¬
spottete des alten Fritz, die bei Leuthen so gründlich mit der großen feindlichen
Übermacht aufräumte?

Andrerseits muß ebenso dringend mit der Vorstellung aufgeräumt werden, als
ob das Heil für uns darin läge, daß wir Hals über Kopf Schiffe bauen. So
groß ist die Gefahr gottlob nicht, und wäre sie es -- so kämen alle diese Schisfs-
neubcmten erst recht zu spät. Zudem machen Schiffe allein noch keine Flotte aus.
Außer an Schiffen fehlt es auch sonst an allen Ecken und Enden. Der Umstand,
daß wir fast alle Kreuzer aus dem Auslande heimberufen müssen, um Besatzungen
für die Linienschiffe der Schlachtflotte zu formieren, deutet auf einen sehr wunden
Punkt in unsrer Marine, der eine ausgiebige Personalvermehrung fast dringender
not tut als eine beschleunigte Vermehrung der Schiffe. Doch auch darüber werden
wir hoffentlich hinwegkommen. Alles auf einmal machen, geht eben nicht, nament¬
lich solange die eigentlichen Quellen unsrer indirekten Steuerkraft, Bier und Tabak,
nicht gründlich erschlossen werden. Geschehen muß es eines Tages unter allen
Umständen, wenn wir nicht einem siegreichen Feinde die Mittel vierfach bewilligen
wollen, die wir der eignen Sicherheit kurzsichtig versagt haben.

In diesem Punkte wird der enge Zusammenhang innerer und auswärtiger
Politik wieder so recht deutlich. Es ist nicht ohne Gefahr, im Auslande die Ansicht
hervorzurufen, als ob den Deutschen der Atem ausginge und sie die Mittel für die
Behauptung der Von ihnen beanspruchten Weltmachtstellung uicht aufzubringen ver¬
möchten. Daraus entwickelt sich dann die Meinung, daß man uns mit Abrüstungs¬
vorschlägen einfangen und zu Falle bringen werde -- mit der sichern Rechnung auf
Sozialdemokraten und Zentrumsdemokrnten, auf Humanitätsduselei und verweich¬
lichendes Wohlleben. Die Nation muß ihren Reichstag dazu anhalten, durch diese
Rechnung einen langen und dicken Strich zu ziehn. Einer entschlossenen Führung
wird er hierin folgen und folgen müssen; ohne eine solche freilich wird er nichts
leisten. Das haben die Kolonialabstimmungen der letzten Sitzungen deutlich genug
gezeigt. Wäre Fürst Bülow noch in Berlin gewesen, so würde der Reichstag nicht
sich und das Reich in dieser Weise lächerlich gemacht haben. Der Reichskanzler hatte
erst seit zwei Tagen den Rücken gewandt, und schon fehlte die politische Führung!
Es hätte sonst nicht dahin kommen können, und es hätte auch nicht dazu kommen
dürfen, daß das Zentrum den "Kolonialdirektor" wieder aus der Versenkung
hervorholte und damit einen Posten bewilligte, den die Regierung nicht nur nicht
beantragt, sondern als unbrauchbar und für den Reichsdienst nicht länger geeignet
verworfen hatte. Es ist deshalb auch selbstverständlich, daß diesem Beschluß keine
Folge gegeben wird. Der Reichskanzler wird beim Kaiser nicht die Ernennung
eines Kolonialdirektors beim Auswärtigen Amt beantragen, der ihm und dem
Staatssekretär dieses Amts von neuem große Verantwortlichkeit und die damit ver¬
knüpfte größere Arbeitslast auferlegen würde. Das Amt wird weiter provisorisch
verwaltet werden, der Erbprinz von Hohenlohe hat sich dazu bereit erklärt, und
der abgekehrte Posten wird von neuem im Etat von 1907 erscheinen.

Zu dem bedauerliche" Ablehnungsbeschluß hat uicht nur eine ganze Reihe von
Umständen, sondern haben fast sämtliche Parteien insofern mitgewirkt, als sie -- auch
die, auf die die Regierung zählte -- große Lücken aufwiesen und deshalb leicht
überrumpelt werden konnten. Intrigante Hinweise auf einen über den Kopf des
Reichskanzlers hinweg beim Kaiser agierenden Koloninlsekretär mögen nicht gefehlt
haben; tatsächlich hat dieser Gedanke sehr ungünstig eingewirkt. Dem Anscheine nach
sind hinter den Kulissen allerlei Mitwirkende in Aktion getreten. Taucht doch auch
die alte unwidcrlcgte Behauptung wieder auf, daß die beabsichtigte Umwandlung
der Kolonialverwaltung die lebhaftesten Gegner in der Kolonialabteilung selbst habe.
Vielleicht ging die Rechnung darauf hinaus, dem Erbprinzen Hohenlohe die Sache
zu verleiden. Alle diese Rechnungen sind aber ohne den Wirt gemacht worden.
Der Reichskanzler selbst ist durchaus nicht geneigt, die Schuld ausschließlich beim


Maßgebliches und Unmaßgebliches

können? Nicht auch eine schwimmende „Potsdamer Wachtparade" wie die ver¬
spottete des alten Fritz, die bei Leuthen so gründlich mit der großen feindlichen
Übermacht aufräumte?

Andrerseits muß ebenso dringend mit der Vorstellung aufgeräumt werden, als
ob das Heil für uns darin läge, daß wir Hals über Kopf Schiffe bauen. So
groß ist die Gefahr gottlob nicht, und wäre sie es — so kämen alle diese Schisfs-
neubcmten erst recht zu spät. Zudem machen Schiffe allein noch keine Flotte aus.
Außer an Schiffen fehlt es auch sonst an allen Ecken und Enden. Der Umstand,
daß wir fast alle Kreuzer aus dem Auslande heimberufen müssen, um Besatzungen
für die Linienschiffe der Schlachtflotte zu formieren, deutet auf einen sehr wunden
Punkt in unsrer Marine, der eine ausgiebige Personalvermehrung fast dringender
not tut als eine beschleunigte Vermehrung der Schiffe. Doch auch darüber werden
wir hoffentlich hinwegkommen. Alles auf einmal machen, geht eben nicht, nament¬
lich solange die eigentlichen Quellen unsrer indirekten Steuerkraft, Bier und Tabak,
nicht gründlich erschlossen werden. Geschehen muß es eines Tages unter allen
Umständen, wenn wir nicht einem siegreichen Feinde die Mittel vierfach bewilligen
wollen, die wir der eignen Sicherheit kurzsichtig versagt haben.

In diesem Punkte wird der enge Zusammenhang innerer und auswärtiger
Politik wieder so recht deutlich. Es ist nicht ohne Gefahr, im Auslande die Ansicht
hervorzurufen, als ob den Deutschen der Atem ausginge und sie die Mittel für die
Behauptung der Von ihnen beanspruchten Weltmachtstellung uicht aufzubringen ver¬
möchten. Daraus entwickelt sich dann die Meinung, daß man uns mit Abrüstungs¬
vorschlägen einfangen und zu Falle bringen werde — mit der sichern Rechnung auf
Sozialdemokraten und Zentrumsdemokrnten, auf Humanitätsduselei und verweich¬
lichendes Wohlleben. Die Nation muß ihren Reichstag dazu anhalten, durch diese
Rechnung einen langen und dicken Strich zu ziehn. Einer entschlossenen Führung
wird er hierin folgen und folgen müssen; ohne eine solche freilich wird er nichts
leisten. Das haben die Kolonialabstimmungen der letzten Sitzungen deutlich genug
gezeigt. Wäre Fürst Bülow noch in Berlin gewesen, so würde der Reichstag nicht
sich und das Reich in dieser Weise lächerlich gemacht haben. Der Reichskanzler hatte
erst seit zwei Tagen den Rücken gewandt, und schon fehlte die politische Führung!
Es hätte sonst nicht dahin kommen können, und es hätte auch nicht dazu kommen
dürfen, daß das Zentrum den „Kolonialdirektor" wieder aus der Versenkung
hervorholte und damit einen Posten bewilligte, den die Regierung nicht nur nicht
beantragt, sondern als unbrauchbar und für den Reichsdienst nicht länger geeignet
verworfen hatte. Es ist deshalb auch selbstverständlich, daß diesem Beschluß keine
Folge gegeben wird. Der Reichskanzler wird beim Kaiser nicht die Ernennung
eines Kolonialdirektors beim Auswärtigen Amt beantragen, der ihm und dem
Staatssekretär dieses Amts von neuem große Verantwortlichkeit und die damit ver¬
knüpfte größere Arbeitslast auferlegen würde. Das Amt wird weiter provisorisch
verwaltet werden, der Erbprinz von Hohenlohe hat sich dazu bereit erklärt, und
der abgekehrte Posten wird von neuem im Etat von 1907 erscheinen.

Zu dem bedauerliche» Ablehnungsbeschluß hat uicht nur eine ganze Reihe von
Umständen, sondern haben fast sämtliche Parteien insofern mitgewirkt, als sie — auch
die, auf die die Regierung zählte — große Lücken aufwiesen und deshalb leicht
überrumpelt werden konnten. Intrigante Hinweise auf einen über den Kopf des
Reichskanzlers hinweg beim Kaiser agierenden Koloninlsekretär mögen nicht gefehlt
haben; tatsächlich hat dieser Gedanke sehr ungünstig eingewirkt. Dem Anscheine nach
sind hinter den Kulissen allerlei Mitwirkende in Aktion getreten. Taucht doch auch
die alte unwidcrlcgte Behauptung wieder auf, daß die beabsichtigte Umwandlung
der Kolonialverwaltung die lebhaftesten Gegner in der Kolonialabteilung selbst habe.
Vielleicht ging die Rechnung darauf hinaus, dem Erbprinzen Hohenlohe die Sache
zu verleiden. Alle diese Rechnungen sind aber ohne den Wirt gemacht worden.
Der Reichskanzler selbst ist durchaus nicht geneigt, die Schuld ausschließlich beim


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[0563] Maßgebliches und Unmaßgebliches können? Nicht auch eine schwimmende „Potsdamer Wachtparade" wie die ver¬ spottete des alten Fritz, die bei Leuthen so gründlich mit der großen feindlichen Übermacht aufräumte? Andrerseits muß ebenso dringend mit der Vorstellung aufgeräumt werden, als ob das Heil für uns darin läge, daß wir Hals über Kopf Schiffe bauen. So groß ist die Gefahr gottlob nicht, und wäre sie es — so kämen alle diese Schisfs- neubcmten erst recht zu spät. Zudem machen Schiffe allein noch keine Flotte aus. Außer an Schiffen fehlt es auch sonst an allen Ecken und Enden. Der Umstand, daß wir fast alle Kreuzer aus dem Auslande heimberufen müssen, um Besatzungen für die Linienschiffe der Schlachtflotte zu formieren, deutet auf einen sehr wunden Punkt in unsrer Marine, der eine ausgiebige Personalvermehrung fast dringender not tut als eine beschleunigte Vermehrung der Schiffe. Doch auch darüber werden wir hoffentlich hinwegkommen. Alles auf einmal machen, geht eben nicht, nament¬ lich solange die eigentlichen Quellen unsrer indirekten Steuerkraft, Bier und Tabak, nicht gründlich erschlossen werden. Geschehen muß es eines Tages unter allen Umständen, wenn wir nicht einem siegreichen Feinde die Mittel vierfach bewilligen wollen, die wir der eignen Sicherheit kurzsichtig versagt haben. In diesem Punkte wird der enge Zusammenhang innerer und auswärtiger Politik wieder so recht deutlich. Es ist nicht ohne Gefahr, im Auslande die Ansicht hervorzurufen, als ob den Deutschen der Atem ausginge und sie die Mittel für die Behauptung der Von ihnen beanspruchten Weltmachtstellung uicht aufzubringen ver¬ möchten. Daraus entwickelt sich dann die Meinung, daß man uns mit Abrüstungs¬ vorschlägen einfangen und zu Falle bringen werde — mit der sichern Rechnung auf Sozialdemokraten und Zentrumsdemokrnten, auf Humanitätsduselei und verweich¬ lichendes Wohlleben. Die Nation muß ihren Reichstag dazu anhalten, durch diese Rechnung einen langen und dicken Strich zu ziehn. Einer entschlossenen Führung wird er hierin folgen und folgen müssen; ohne eine solche freilich wird er nichts leisten. Das haben die Kolonialabstimmungen der letzten Sitzungen deutlich genug gezeigt. Wäre Fürst Bülow noch in Berlin gewesen, so würde der Reichstag nicht sich und das Reich in dieser Weise lächerlich gemacht haben. Der Reichskanzler hatte erst seit zwei Tagen den Rücken gewandt, und schon fehlte die politische Führung! Es hätte sonst nicht dahin kommen können, und es hätte auch nicht dazu kommen dürfen, daß das Zentrum den „Kolonialdirektor" wieder aus der Versenkung hervorholte und damit einen Posten bewilligte, den die Regierung nicht nur nicht beantragt, sondern als unbrauchbar und für den Reichsdienst nicht länger geeignet verworfen hatte. Es ist deshalb auch selbstverständlich, daß diesem Beschluß keine Folge gegeben wird. Der Reichskanzler wird beim Kaiser nicht die Ernennung eines Kolonialdirektors beim Auswärtigen Amt beantragen, der ihm und dem Staatssekretär dieses Amts von neuem große Verantwortlichkeit und die damit ver¬ knüpfte größere Arbeitslast auferlegen würde. Das Amt wird weiter provisorisch verwaltet werden, der Erbprinz von Hohenlohe hat sich dazu bereit erklärt, und der abgekehrte Posten wird von neuem im Etat von 1907 erscheinen. Zu dem bedauerliche» Ablehnungsbeschluß hat uicht nur eine ganze Reihe von Umständen, sondern haben fast sämtliche Parteien insofern mitgewirkt, als sie — auch die, auf die die Regierung zählte — große Lücken aufwiesen und deshalb leicht überrumpelt werden konnten. Intrigante Hinweise auf einen über den Kopf des Reichskanzlers hinweg beim Kaiser agierenden Koloninlsekretär mögen nicht gefehlt haben; tatsächlich hat dieser Gedanke sehr ungünstig eingewirkt. Dem Anscheine nach sind hinter den Kulissen allerlei Mitwirkende in Aktion getreten. Taucht doch auch die alte unwidcrlcgte Behauptung wieder auf, daß die beabsichtigte Umwandlung der Kolonialverwaltung die lebhaftesten Gegner in der Kolonialabteilung selbst habe. Vielleicht ging die Rechnung darauf hinaus, dem Erbprinzen Hohenlohe die Sache zu verleiden. Alle diese Rechnungen sind aber ohne den Wirt gemacht worden. Der Reichskanzler selbst ist durchaus nicht geneigt, die Schuld ausschließlich beim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/563>, abgerufen am 04.07.2024.