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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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vom jungen Dürer

Bei dieser Gelegenheit möchten wir im Vorbeigehn auf zwei andre Dürer¬
daten zu sprechen kommen, deren neueste Umsetzungen unsrer Ansicht nach un¬
haltbar sind, auf die Entstehungszeit des Erlanger und des großen Münchner
Selbstportrüts. Wölfflin hat das Erlanger Blatt neuerdings in die Mitte
der Wanderzeit gesetzt, also in das Jahr 1492, vor das Pergamentbild mit
dem Amethysterynginm. Weisbach meint sehr ähnlich: nicht vor 1492, aber
noch auf der Wanderschaft. Beide übersehen, daß das Pergamentbild von 1493
noch einen knabenhaften, zaghaft-unschuldigen Zug hat, der auf der Erlanger
Zeichnung nicht mehr da ist, und an dessen Stelle da eine männliche Entschlossen¬
heit zu zunächst einmal äußerlichein Zugreife" getreten ist: das Blatt wird
ebenso wie die Madonnenzeichnung auf seiner Rückseite in die erste Zeit nach
der Rückkehr gehören, also den eben verheirateten Dürer zeigen. Das Münchner
Porträt trägt die falschen Inschriften "1500" und "aetatis anno XXVIII".
Thausing und Springer entschieden sich für 1504 ohne nähere Begründung.
Ludwig Justi hat die Parole "1508" ausgegeben, der sich Wölfflin ange¬
schlossen hat. Das ist aus dem einfachen Grunde unmöglich, weil Dürer
dann schon 1506, auf dem Roseukrcmzbilde, viel älter ausgesehen Hütte
als 1508. Nun hat er sich ja auch notorisch 1508 auf dem Wiener Marter¬
bild und 1508/09 ans dem Hellerbild gemalt! Eine viel schwerere, breitere,
männlich reifere Erscheinung, dieser wirklich siebenunddreißigjührige Dürer, als
wie er auf dem Münchner Bilde erscheint. Dürer sah als Mann immer
etwas älter aus, als er war, das kann man schon an dem Madrider Bild
von 1498 beobachten. Und wie soll der Übermaler des Münchner Bildes auf
seine bestimmten Angaben gekommen sein? Warum soll er aus 1508 und
XXXVII seine falschen Zahlen gemacht haben? Nein, nur Dürers ursprüng¬
liche Inschrift "1504", mit jener ältern, spätgotischen 4 ausgeführt, die zum
Beispiel auch im Marienleben vorkommt und dort lange für eine 9 gehalten
worden ist, konnte sehr leicht als 1500 verlesen werden, und aus XXXIII
konnte man dann dazu passend leicht XXVIII machen. Das Münchner
Porträt gehört nach allem in das für Dürers Entwicklung epochemachende
Jahr 1504, wo statt des jungen Dürer zum erstenmal Dürer der Mann vor
uns steht, der Künstler des Marienlebens, der in der Hauptsache seiner sicher
war, als er 1505 zum zweitenmal nach Venedig ging.

Wir wollen von Weisbachs Studien, über deren Nahmen wir mit unsrer
letzten Ausführung schon hinausgegangen sind, nicht Abschied nehmen, ohne
dem Verleger Dank für die reiche :ab interessante illustrative Ausstattung
des Werkes auszusprechen. Das stattliche Heft enthält vor allem eine Reihe
Reproduktionen von altnürnberger Jllustrationsholzschnitten und von Dürerischeu
Zeichnungen, die nicht nur zur Beurteilung der Darlegungen des Verfassers
von Wichtigkeit, sondern auch für ein allgemeineres kulturgeschichtlich und
dürerisch interessiertes Publikum von Wert sind.


Rudolf ZVustmcrnn


Grenzboten II 1906K8
vom jungen Dürer

Bei dieser Gelegenheit möchten wir im Vorbeigehn auf zwei andre Dürer¬
daten zu sprechen kommen, deren neueste Umsetzungen unsrer Ansicht nach un¬
haltbar sind, auf die Entstehungszeit des Erlanger und des großen Münchner
Selbstportrüts. Wölfflin hat das Erlanger Blatt neuerdings in die Mitte
der Wanderzeit gesetzt, also in das Jahr 1492, vor das Pergamentbild mit
dem Amethysterynginm. Weisbach meint sehr ähnlich: nicht vor 1492, aber
noch auf der Wanderschaft. Beide übersehen, daß das Pergamentbild von 1493
noch einen knabenhaften, zaghaft-unschuldigen Zug hat, der auf der Erlanger
Zeichnung nicht mehr da ist, und an dessen Stelle da eine männliche Entschlossen¬
heit zu zunächst einmal äußerlichein Zugreife» getreten ist: das Blatt wird
ebenso wie die Madonnenzeichnung auf seiner Rückseite in die erste Zeit nach
der Rückkehr gehören, also den eben verheirateten Dürer zeigen. Das Münchner
Porträt trägt die falschen Inschriften „1500" und „aetatis anno XXVIII".
Thausing und Springer entschieden sich für 1504 ohne nähere Begründung.
Ludwig Justi hat die Parole „1508" ausgegeben, der sich Wölfflin ange¬
schlossen hat. Das ist aus dem einfachen Grunde unmöglich, weil Dürer
dann schon 1506, auf dem Roseukrcmzbilde, viel älter ausgesehen Hütte
als 1508. Nun hat er sich ja auch notorisch 1508 auf dem Wiener Marter¬
bild und 1508/09 ans dem Hellerbild gemalt! Eine viel schwerere, breitere,
männlich reifere Erscheinung, dieser wirklich siebenunddreißigjührige Dürer, als
wie er auf dem Münchner Bilde erscheint. Dürer sah als Mann immer
etwas älter aus, als er war, das kann man schon an dem Madrider Bild
von 1498 beobachten. Und wie soll der Übermaler des Münchner Bildes auf
seine bestimmten Angaben gekommen sein? Warum soll er aus 1508 und
XXXVII seine falschen Zahlen gemacht haben? Nein, nur Dürers ursprüng¬
liche Inschrift „1504", mit jener ältern, spätgotischen 4 ausgeführt, die zum
Beispiel auch im Marienleben vorkommt und dort lange für eine 9 gehalten
worden ist, konnte sehr leicht als 1500 verlesen werden, und aus XXXIII
konnte man dann dazu passend leicht XXVIII machen. Das Münchner
Porträt gehört nach allem in das für Dürers Entwicklung epochemachende
Jahr 1504, wo statt des jungen Dürer zum erstenmal Dürer der Mann vor
uns steht, der Künstler des Marienlebens, der in der Hauptsache seiner sicher
war, als er 1505 zum zweitenmal nach Venedig ging.

Wir wollen von Weisbachs Studien, über deren Nahmen wir mit unsrer
letzten Ausführung schon hinausgegangen sind, nicht Abschied nehmen, ohne
dem Verleger Dank für die reiche :ab interessante illustrative Ausstattung
des Werkes auszusprechen. Das stattliche Heft enthält vor allem eine Reihe
Reproduktionen von altnürnberger Jllustrationsholzschnitten und von Dürerischeu
Zeichnungen, die nicht nur zur Beurteilung der Darlegungen des Verfassers
von Wichtigkeit, sondern auch für ein allgemeineres kulturgeschichtlich und
dürerisch interessiertes Publikum von Wert sind.


Rudolf ZVustmcrnn


Grenzboten II 1906K8
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[0541] vom jungen Dürer Bei dieser Gelegenheit möchten wir im Vorbeigehn auf zwei andre Dürer¬ daten zu sprechen kommen, deren neueste Umsetzungen unsrer Ansicht nach un¬ haltbar sind, auf die Entstehungszeit des Erlanger und des großen Münchner Selbstportrüts. Wölfflin hat das Erlanger Blatt neuerdings in die Mitte der Wanderzeit gesetzt, also in das Jahr 1492, vor das Pergamentbild mit dem Amethysterynginm. Weisbach meint sehr ähnlich: nicht vor 1492, aber noch auf der Wanderschaft. Beide übersehen, daß das Pergamentbild von 1493 noch einen knabenhaften, zaghaft-unschuldigen Zug hat, der auf der Erlanger Zeichnung nicht mehr da ist, und an dessen Stelle da eine männliche Entschlossen¬ heit zu zunächst einmal äußerlichein Zugreife» getreten ist: das Blatt wird ebenso wie die Madonnenzeichnung auf seiner Rückseite in die erste Zeit nach der Rückkehr gehören, also den eben verheirateten Dürer zeigen. Das Münchner Porträt trägt die falschen Inschriften „1500" und „aetatis anno XXVIII". Thausing und Springer entschieden sich für 1504 ohne nähere Begründung. Ludwig Justi hat die Parole „1508" ausgegeben, der sich Wölfflin ange¬ schlossen hat. Das ist aus dem einfachen Grunde unmöglich, weil Dürer dann schon 1506, auf dem Roseukrcmzbilde, viel älter ausgesehen Hütte als 1508. Nun hat er sich ja auch notorisch 1508 auf dem Wiener Marter¬ bild und 1508/09 ans dem Hellerbild gemalt! Eine viel schwerere, breitere, männlich reifere Erscheinung, dieser wirklich siebenunddreißigjührige Dürer, als wie er auf dem Münchner Bilde erscheint. Dürer sah als Mann immer etwas älter aus, als er war, das kann man schon an dem Madrider Bild von 1498 beobachten. Und wie soll der Übermaler des Münchner Bildes auf seine bestimmten Angaben gekommen sein? Warum soll er aus 1508 und XXXVII seine falschen Zahlen gemacht haben? Nein, nur Dürers ursprüng¬ liche Inschrift „1504", mit jener ältern, spätgotischen 4 ausgeführt, die zum Beispiel auch im Marienleben vorkommt und dort lange für eine 9 gehalten worden ist, konnte sehr leicht als 1500 verlesen werden, und aus XXXIII konnte man dann dazu passend leicht XXVIII machen. Das Münchner Porträt gehört nach allem in das für Dürers Entwicklung epochemachende Jahr 1504, wo statt des jungen Dürer zum erstenmal Dürer der Mann vor uns steht, der Künstler des Marienlebens, der in der Hauptsache seiner sicher war, als er 1505 zum zweitenmal nach Venedig ging. Wir wollen von Weisbachs Studien, über deren Nahmen wir mit unsrer letzten Ausführung schon hinausgegangen sind, nicht Abschied nehmen, ohne dem Verleger Dank für die reiche :ab interessante illustrative Ausstattung des Werkes auszusprechen. Das stattliche Heft enthält vor allem eine Reihe Reproduktionen von altnürnberger Jllustrationsholzschnitten und von Dürerischeu Zeichnungen, die nicht nur zur Beurteilung der Darlegungen des Verfassers von Wichtigkeit, sondern auch für ein allgemeineres kulturgeschichtlich und dürerisch interessiertes Publikum von Wert sind. Rudolf ZVustmcrnn Grenzboten II 1906K8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/541>, abgerufen am 24.07.2024.