Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.vom jungen Dürer so entspräche bei diesem das mit siebzehn bis achtzehn Jahren geschaffne Neben diesem Funde tritt alles, was Weisbach sonst zu sagen hat, zurück. Weisbachs zweite Studie handelt von Dürers Beziehungen zum italienischen vom jungen Dürer so entspräche bei diesem das mit siebzehn bis achtzehn Jahren geschaffne Neben diesem Funde tritt alles, was Weisbach sonst zu sagen hat, zurück. Weisbachs zweite Studie handelt von Dürers Beziehungen zum italienischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299581"/> <fw type="header" place="top"> vom jungen Dürer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2393" prev="#ID_2392"> so entspräche bei diesem das mit siebzehn bis achtzehn Jahren geschaffne<lb/> Leipziger Liederbuch, dessen Mondlied ja Goethe später in Weimar und an<lb/> seinem Lebensabend in Dornburg immer schöner erneuert hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2394"> Neben diesem Funde tritt alles, was Weisbach sonst zu sagen hat, zurück.<lb/> Einige andre Zuweisungen, die er versucht, haben uns nicht überzeugt. Von<lb/> der Sebastianmarter wird man gern zugestehn, daß sie an Dürer anklingt,<lb/> der Körper Sebastians ist dem gegensinnigen Pfeifer im Männerbad recht<lb/> ähnlich; das Ganze aber ist so von Dürer nicht auf den Holzstock gezeichnet<lb/> worden, höchstens nach einer Zeichnung von ihm — dies ist Weisbachs An¬<lb/> nahme —, die aber den Bogenschützen schwerlich enthalten hätte: nichts von<lb/> Dürers Linienleben, nur Statisten, gefrorner Dürer. Noch ferner steht Dürer<lb/> einem großen Kreuziguugsholzschnitt, den Weisbach publiziert, weil er dn<lb/> Dürers „Genius durch alle äußern Entstellungen hindurchleuchtcn" zu sehen<lb/> glaubt. An dieser Zeichnung sind drei verschiedne Hände beteiligt, von denen<lb/> eine die Gruppe der Frauen mit Johannes, die zweite die drei Gekreuzigten<lb/> und die Himmelspartie, die dritte den verbindenden Mittelstreif am obern<lb/> Rande des untern Holzstocks und am untern des obern machte — denn das<lb/> Bild ist mit zwei aneinandergesetzten Holzstöcken gedruckt, eine Fabrikbarbarei,<lb/> an der man Dürer keine Beteiligung zutrauen kann. Daß Dürersche<lb/> Motive dabei kopiert sind, paßt zu der übrigen mechanischen Herstellung des<lb/> Schnittes.</p><lb/> <p xml:id="ID_2395"> Weisbachs zweite Studie handelt von Dürers Beziehungen zum italienischen<lb/> Quattrocento und zur Antike, nicht erschöpfend, aber manches besser aus¬<lb/> sprechend, als es bisher geschehen ist. In dem Aufspüren italienischer Ein¬<lb/> flüsse schießt wohl auch er über das Ziel. Ein Student, der jetzt ein Kolleg<lb/> über den jungen Dürer hört, wird in der Regel von diesem den Eindruck<lb/> eines Lazarettkranken erhalten, der von oben bis unten mit Pflastern bedeckt<lb/> ist mit den Aufschriften: mantegnesk, pollajuolesk, lionardesk, bellinesk,<lb/> barbaresk usw. Man braucht mir die Probe zu machen und den jungen Goethe<lb/> einmal so aus gcllertisch, klopstockisch, wielaudisch, lessingisch, shakespearisch usw.<lb/> zusammenzuleimen, wenn man die harten Vorstellungen vom künstlerischen<lb/> Schaffen erkennen will, die da walten. Und diese Titel beruhen bei Dürer<lb/> manchmal auf recht dilettantischen Eindrücken. Unsre Zweifel aber zum Beispiel<lb/> daran, daß ein Dürerschcr Herkules nach Pollajuolo gearbeitet sein soll, werden<lb/> dadurch bestärkt, daß für Weisbach ein solcher Datierungsmißgriff innerhalb<lb/> der verschiednen Entwicklungsstufen von Dürers eigner Kunst möglich ist wie<lb/> die Verlegung der Uffizientänzerin in die Mitte der neunziger Jahre des<lb/> fünfzehnten Jahrhunderts. Wickhoff sagt zwar gar „um 1494", Wölfflin<lb/> aber schon 1504 und Ephrussi 1506/07. Der mit meisterhafter Sicherheit<lb/> ohne Modell gezeichnete, sich in zartem Tanzanheben befindende Körper ist<lb/> eine Studie Dürers zu einer tanzenden Salome für seinen Täuferzyklus, ist<lb/> also 1510 oder 1511 gezeichnet worden. Proportionen und Porträt, stimmen<lb/> gemein mit den beiden ausgeführten Salomeholzschnitten aus diesen Jahren<lb/> überein; man kann diese Figur in manchem Sinn das Gegenstück zu dem<lb/> auferstehenden Christus der Großen Passion nennen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
vom jungen Dürer
so entspräche bei diesem das mit siebzehn bis achtzehn Jahren geschaffne
Leipziger Liederbuch, dessen Mondlied ja Goethe später in Weimar und an
seinem Lebensabend in Dornburg immer schöner erneuert hat.
Neben diesem Funde tritt alles, was Weisbach sonst zu sagen hat, zurück.
Einige andre Zuweisungen, die er versucht, haben uns nicht überzeugt. Von
der Sebastianmarter wird man gern zugestehn, daß sie an Dürer anklingt,
der Körper Sebastians ist dem gegensinnigen Pfeifer im Männerbad recht
ähnlich; das Ganze aber ist so von Dürer nicht auf den Holzstock gezeichnet
worden, höchstens nach einer Zeichnung von ihm — dies ist Weisbachs An¬
nahme —, die aber den Bogenschützen schwerlich enthalten hätte: nichts von
Dürers Linienleben, nur Statisten, gefrorner Dürer. Noch ferner steht Dürer
einem großen Kreuziguugsholzschnitt, den Weisbach publiziert, weil er dn
Dürers „Genius durch alle äußern Entstellungen hindurchleuchtcn" zu sehen
glaubt. An dieser Zeichnung sind drei verschiedne Hände beteiligt, von denen
eine die Gruppe der Frauen mit Johannes, die zweite die drei Gekreuzigten
und die Himmelspartie, die dritte den verbindenden Mittelstreif am obern
Rande des untern Holzstocks und am untern des obern machte — denn das
Bild ist mit zwei aneinandergesetzten Holzstöcken gedruckt, eine Fabrikbarbarei,
an der man Dürer keine Beteiligung zutrauen kann. Daß Dürersche
Motive dabei kopiert sind, paßt zu der übrigen mechanischen Herstellung des
Schnittes.
Weisbachs zweite Studie handelt von Dürers Beziehungen zum italienischen
Quattrocento und zur Antike, nicht erschöpfend, aber manches besser aus¬
sprechend, als es bisher geschehen ist. In dem Aufspüren italienischer Ein¬
flüsse schießt wohl auch er über das Ziel. Ein Student, der jetzt ein Kolleg
über den jungen Dürer hört, wird in der Regel von diesem den Eindruck
eines Lazarettkranken erhalten, der von oben bis unten mit Pflastern bedeckt
ist mit den Aufschriften: mantegnesk, pollajuolesk, lionardesk, bellinesk,
barbaresk usw. Man braucht mir die Probe zu machen und den jungen Goethe
einmal so aus gcllertisch, klopstockisch, wielaudisch, lessingisch, shakespearisch usw.
zusammenzuleimen, wenn man die harten Vorstellungen vom künstlerischen
Schaffen erkennen will, die da walten. Und diese Titel beruhen bei Dürer
manchmal auf recht dilettantischen Eindrücken. Unsre Zweifel aber zum Beispiel
daran, daß ein Dürerschcr Herkules nach Pollajuolo gearbeitet sein soll, werden
dadurch bestärkt, daß für Weisbach ein solcher Datierungsmißgriff innerhalb
der verschiednen Entwicklungsstufen von Dürers eigner Kunst möglich ist wie
die Verlegung der Uffizientänzerin in die Mitte der neunziger Jahre des
fünfzehnten Jahrhunderts. Wickhoff sagt zwar gar „um 1494", Wölfflin
aber schon 1504 und Ephrussi 1506/07. Der mit meisterhafter Sicherheit
ohne Modell gezeichnete, sich in zartem Tanzanheben befindende Körper ist
eine Studie Dürers zu einer tanzenden Salome für seinen Täuferzyklus, ist
also 1510 oder 1511 gezeichnet worden. Proportionen und Porträt, stimmen
gemein mit den beiden ausgeführten Salomeholzschnitten aus diesen Jahren
überein; man kann diese Figur in manchem Sinn das Gegenstück zu dem
auferstehenden Christus der Großen Passion nennen.
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