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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die Weltlage nach dem Schluß der Algeciras-Konferenz

die kleinern Staaten zu Umkehrungen drängen, und es ist bekannt, daß die Not¬
wendigkeit einer wirtschaftlichen Vereinigung der europäischen Nationen bei ver-
schiednen Regierungen schon wiederholten offiziellen Ausdruck gefunden but. Da alle
künftigen Konflikte überwiegend wirtschaftlicher Natur sein werden und politischer
nur insoweit, als die Politik dem wirtschaftlichen Interesse zu dienen hat, so scheint
es um so mehr Aufgabe der deutschen Staatskunst zu sein, die Annäherung zunächst
Deutschlands kleinern Nachbarn auf wirtschaftlichem Gebiete zu ermöglichen. Die
Vorbereitungen zu den letzten Handelsverträgen dürften in der Tat Material
genug vereinigt haben, daß man die Frage, ob Deutschland eiuen solchen Weg mit
Aussicht auf Erfolg und ohne Schädigung der Gesamtheit seiner eignen wirtschaft¬
lichen Interessen betreten kann, einer sichern Prüfung umerziehn kann. Eine
politische Gemeinschaft mit Deutschland ohne die wirtschaftliche würde schwerlich
auch nur einer seiner kleinern Nachbarn eingehn, dagegen böte die wirtschaftliche
wenigstens die Möglichkeit, sie im gegebnen Falle zu einer politischen zu entwickeln.

Spanien und Portugal bleiben im Bannkreise Frankreichs und Englands,
beide schon im Hinblick auf den Nest ihrer überseeischen Besitzungen. Daneben sucht
sich der spanische Hof durch seine Anlehnung auch an die kontinentalen Monarchien
den Parteien im Innern gegenüber ein gewisses Relief zu geben. Auch die Linie
dieser Annäherung zeichnet England vor, schon um zu verhüten, daß Spanien
oder Portugal nicht in koloniale Abmachungen mit Deutschland eintreten.

Von den Balkanstaaten gehört Rumänien unter seinem hervorragenden
Herrscher in den Bannkreis des Dreibundes. Rumänien und Griechenland
werden einen Emanzipationskampf Bulgariens gegen die Türkei, soweit er nicht
etwa von England, Frankreich oder Nußland unterstützt wird, schwerlich erlauben.
Sollte es dennoch zu einem allgemeinen Brande auf dem Balkan kommen, so
wird es sich darum handeln, die Interessen Italiens und Österreich-Ungarns mit¬
einander auszugleichen. Den ehrlichen Wächtern des europäischen Friedens kann
nur daran gelegen sein, einen erträglichen Leu-Ws <iun> in diesem Wetterwinkel
Europas so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, was freilich einen gewissen
Grad der Aktionsfähigkeit der Türkei zur notwendigen Voraussetzung hat.

So stellt sich die Marokkokonferenz im Rahmen der Zeitgeschichte als eine
Episode dar, die in einem gewissen Grade luftreinigeud gewirkt und dargetan hat,
daß sich seit dem Ministerwechsel in England und in Frankreich keine europäische
Macht mit der Neigung zu kriegerischen Verwicklungen trägt, aber die Grup¬
pierung der Mächte wird voraussichtlich so lange die alte bleiben, bis neue
Ereignisse ihr eine neue Gestalt verleihen. Möge Deutschland, xro s.ris et tooiZ
immer zum höchsten Einsatz bereit, seine hervorragende Stellung im Rate der
Völker, sein traditionelles Ansehen immer wieder mit Erfolg dazu benutzen
können, die streitenden Teile zu friedlicher Verhandlung zu vereinen. Je schärfer
das deutsche Schwert ist, desto zuversichtlicher werden wir es auch in Zukunft
Hugo Jacobi zugunsten des Friedens in die Wage werfen können.




Die Weltlage nach dem Schluß der Algeciras-Konferenz

die kleinern Staaten zu Umkehrungen drängen, und es ist bekannt, daß die Not¬
wendigkeit einer wirtschaftlichen Vereinigung der europäischen Nationen bei ver-
schiednen Regierungen schon wiederholten offiziellen Ausdruck gefunden but. Da alle
künftigen Konflikte überwiegend wirtschaftlicher Natur sein werden und politischer
nur insoweit, als die Politik dem wirtschaftlichen Interesse zu dienen hat, so scheint
es um so mehr Aufgabe der deutschen Staatskunst zu sein, die Annäherung zunächst
Deutschlands kleinern Nachbarn auf wirtschaftlichem Gebiete zu ermöglichen. Die
Vorbereitungen zu den letzten Handelsverträgen dürften in der Tat Material
genug vereinigt haben, daß man die Frage, ob Deutschland eiuen solchen Weg mit
Aussicht auf Erfolg und ohne Schädigung der Gesamtheit seiner eignen wirtschaft¬
lichen Interessen betreten kann, einer sichern Prüfung umerziehn kann. Eine
politische Gemeinschaft mit Deutschland ohne die wirtschaftliche würde schwerlich
auch nur einer seiner kleinern Nachbarn eingehn, dagegen böte die wirtschaftliche
wenigstens die Möglichkeit, sie im gegebnen Falle zu einer politischen zu entwickeln.

Spanien und Portugal bleiben im Bannkreise Frankreichs und Englands,
beide schon im Hinblick auf den Nest ihrer überseeischen Besitzungen. Daneben sucht
sich der spanische Hof durch seine Anlehnung auch an die kontinentalen Monarchien
den Parteien im Innern gegenüber ein gewisses Relief zu geben. Auch die Linie
dieser Annäherung zeichnet England vor, schon um zu verhüten, daß Spanien
oder Portugal nicht in koloniale Abmachungen mit Deutschland eintreten.

Von den Balkanstaaten gehört Rumänien unter seinem hervorragenden
Herrscher in den Bannkreis des Dreibundes. Rumänien und Griechenland
werden einen Emanzipationskampf Bulgariens gegen die Türkei, soweit er nicht
etwa von England, Frankreich oder Nußland unterstützt wird, schwerlich erlauben.
Sollte es dennoch zu einem allgemeinen Brande auf dem Balkan kommen, so
wird es sich darum handeln, die Interessen Italiens und Österreich-Ungarns mit¬
einander auszugleichen. Den ehrlichen Wächtern des europäischen Friedens kann
nur daran gelegen sein, einen erträglichen Leu-Ws <iun> in diesem Wetterwinkel
Europas so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, was freilich einen gewissen
Grad der Aktionsfähigkeit der Türkei zur notwendigen Voraussetzung hat.

So stellt sich die Marokkokonferenz im Rahmen der Zeitgeschichte als eine
Episode dar, die in einem gewissen Grade luftreinigeud gewirkt und dargetan hat,
daß sich seit dem Ministerwechsel in England und in Frankreich keine europäische
Macht mit der Neigung zu kriegerischen Verwicklungen trägt, aber die Grup¬
pierung der Mächte wird voraussichtlich so lange die alte bleiben, bis neue
Ereignisse ihr eine neue Gestalt verleihen. Möge Deutschland, xro s.ris et tooiZ
immer zum höchsten Einsatz bereit, seine hervorragende Stellung im Rate der
Völker, sein traditionelles Ansehen immer wieder mit Erfolg dazu benutzen
können, die streitenden Teile zu friedlicher Verhandlung zu vereinen. Je schärfer
das deutsche Schwert ist, desto zuversichtlicher werden wir es auch in Zukunft
Hugo Jacobi zugunsten des Friedens in die Wage werfen können.




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[0052] Die Weltlage nach dem Schluß der Algeciras-Konferenz die kleinern Staaten zu Umkehrungen drängen, und es ist bekannt, daß die Not¬ wendigkeit einer wirtschaftlichen Vereinigung der europäischen Nationen bei ver- schiednen Regierungen schon wiederholten offiziellen Ausdruck gefunden but. Da alle künftigen Konflikte überwiegend wirtschaftlicher Natur sein werden und politischer nur insoweit, als die Politik dem wirtschaftlichen Interesse zu dienen hat, so scheint es um so mehr Aufgabe der deutschen Staatskunst zu sein, die Annäherung zunächst Deutschlands kleinern Nachbarn auf wirtschaftlichem Gebiete zu ermöglichen. Die Vorbereitungen zu den letzten Handelsverträgen dürften in der Tat Material genug vereinigt haben, daß man die Frage, ob Deutschland eiuen solchen Weg mit Aussicht auf Erfolg und ohne Schädigung der Gesamtheit seiner eignen wirtschaft¬ lichen Interessen betreten kann, einer sichern Prüfung umerziehn kann. Eine politische Gemeinschaft mit Deutschland ohne die wirtschaftliche würde schwerlich auch nur einer seiner kleinern Nachbarn eingehn, dagegen böte die wirtschaftliche wenigstens die Möglichkeit, sie im gegebnen Falle zu einer politischen zu entwickeln. Spanien und Portugal bleiben im Bannkreise Frankreichs und Englands, beide schon im Hinblick auf den Nest ihrer überseeischen Besitzungen. Daneben sucht sich der spanische Hof durch seine Anlehnung auch an die kontinentalen Monarchien den Parteien im Innern gegenüber ein gewisses Relief zu geben. Auch die Linie dieser Annäherung zeichnet England vor, schon um zu verhüten, daß Spanien oder Portugal nicht in koloniale Abmachungen mit Deutschland eintreten. Von den Balkanstaaten gehört Rumänien unter seinem hervorragenden Herrscher in den Bannkreis des Dreibundes. Rumänien und Griechenland werden einen Emanzipationskampf Bulgariens gegen die Türkei, soweit er nicht etwa von England, Frankreich oder Nußland unterstützt wird, schwerlich erlauben. Sollte es dennoch zu einem allgemeinen Brande auf dem Balkan kommen, so wird es sich darum handeln, die Interessen Italiens und Österreich-Ungarns mit¬ einander auszugleichen. Den ehrlichen Wächtern des europäischen Friedens kann nur daran gelegen sein, einen erträglichen Leu-Ws <iun> in diesem Wetterwinkel Europas so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, was freilich einen gewissen Grad der Aktionsfähigkeit der Türkei zur notwendigen Voraussetzung hat. So stellt sich die Marokkokonferenz im Rahmen der Zeitgeschichte als eine Episode dar, die in einem gewissen Grade luftreinigeud gewirkt und dargetan hat, daß sich seit dem Ministerwechsel in England und in Frankreich keine europäische Macht mit der Neigung zu kriegerischen Verwicklungen trägt, aber die Grup¬ pierung der Mächte wird voraussichtlich so lange die alte bleiben, bis neue Ereignisse ihr eine neue Gestalt verleihen. Möge Deutschland, xro s.ris et tooiZ immer zum höchsten Einsatz bereit, seine hervorragende Stellung im Rate der Völker, sein traditionelles Ansehen immer wieder mit Erfolg dazu benutzen können, die streitenden Teile zu friedlicher Verhandlung zu vereinen. Je schärfer das deutsche Schwert ist, desto zuversichtlicher werden wir es auch in Zukunft Hugo Jacobi zugunsten des Friedens in die Wage werfen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/52>, abgerufen am 24.07.2024.