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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu weit, daß ihm seine bekannte Instruktion an den Grafen Cassini nach Algeciras
den Hals gebrochen hat, aber jedenfalls hat sie nicht dazu beigetragen, die Tage
seiner Amtsdauer zu verlängern. Je größer die Schwierigkeiten sind, mit denen
die russische Regierung im Innern zu kämpfen hat, um so mehr braucht sie Freunde
im Auslande. Der gegenwärtige Augenblick wäre wohl der am schlechtesten gewählte,
einen "deutschfeindlichen" Minister zu berufen. Im Gegenteil, die Dynastie in
Rußland braucht die Anlehnung an das monarchische Europa, und der stärkste Aus¬
druck der Monarchie ist doch wohl Dentschland. Zudem ist die Haltung, die die
Deutschen in Nußland während der revolutionären Wirren bewahrt haben, schwerlich
dazu angetan gewesen, die maßgebenden Kreise Rußlands zu einer deutschfeindlichen
Richtung zu bestimmen. Das Deutschtum in Rußland ist einer der Felsen gewesen,
auf den sich die schwankende Arche des Hauses Romanow retten konnte, es wird
auch ferner ein Vertreter der Ordnung und der Pflichttreue inmitten der voraussichtlich
noch lange sehr hochgehenden Wogen sein. Herr von Jswolsky steht in dem Rufe, daß
er sich angelegen sein lassen werde, mit Japan auf einen möglichst guten Fuß zu
kommen. Das würde nur für seinen staatsmännischen Blick sprechen. Denn erstens
kann Rußland Schwierigkeiten in Asien gegenwärtig nicht mit in seine politische
Rechnung stellen, zweitens kann es die Herstellung seines Prestige in Asien vor¬
läufig nicht gegen Japan, sondern nur im Einvernehmen mit diesem betreiben.

Ein gutes Verhältnis mit Japan setzt aber auch ein gutes Verhältnis zu dessen
Verbündeten, England, voraus. Es ist das zunächst wohl das einzige Mittel, die
in dem englisch-japanischen Vertrag enthaltnen Giftznhne gegen Rußland wenn auch
nicht auszubrechen, so doch weniger gefährlich zu machen. Der Vertrag untersagt
bekanntlich jedem der beiden Kontrahenten Abmachungen mit irgendeiner ritten
Macht in asiatischen Angelegenheiten ohne die Zustimmung des andern. Aber
während der Artikel 2 des Vertrags bestimmt, daß falls einer der beiden Kontrahenten
angegriffen wird, der andre ihm mit allen seinen Mitteln beizustehn habe und nur
gemeinsam mit ihm Frieden schließen dürfe, hat sich England für einen russisch¬
japanischen Krieg Neutralität vorbehalten (Artikel 6), solange Rußland nicht die
Unterstützung einer andern Macht findet. Der Vertrag ist allerdings noch während
des Krieges geschlossen, aber den andern Mächten erst nach Abschluß des Friedens
von Portsmouth mitgeteilt worden. Ob er noch eine geheime Ergänzung erfahren
hat, ist nicht bekannt. Der Vertrag ist auf eine Dauer von zehn Jahren ge¬
schlossen worden, während deren Rußland Japan schwerlich angreifen wird. Ob Japan
solange Frieden halten kann oder soll (im englischen Sinne), ist eine andre Frage.
Jedenfalls ist der japanisch-englische Vertrag das gegebne Operationsobjekt der
russischen Staatskunst. Sie kann nichts besseres tun, ihn obsolet zu machen, als
indem sie zu den beiden Unterzeichnern in gute Beziehungen tritt, die Rußland der
Notwendigkeit entheben, gegen beide, wenngleich auf dem ani vivs zu sein, in
dauernder Kriegsbereitschaft zu bleiben. Außerdem hat Rußland allen Grund, den
englischen Geldmarkt zum mindesten solange nicht zu verstimmen, als die weiten
Gebiete des russischen Reiches nicht wieder einen andauernden wirtschaftlichen Auf¬
schwung genommen haben. Eine gewisse wenn auch nur passive Annäherung an
England gehört somit zu den selbstverständlichen Aufgaben jeder verständigen russischen
Politik, nicht zu großen Aktionszwecken, denen Rußland sich für die nächsten Jahre
ohnehin nicht widmen kann, sondern zur Vermeidung von Aktionen, die es in Mit¬
leidenschaft ziehn oder sonst nachteilig berühren könnten.

Es sei das hier vorweg erwähnt, damit nicht wieder ein Gezeter in der Presse
entsteht, wenn früher oder später von russisch-englischen oder englisch-russischen Ver¬
handlungen verlautet. Wir brauchen deshalb noch keine Gänsehaut zu bekommen, ebenso¬
wenig wie wegen der Reisen des Königs Eduard. Wenn wir Deutschen fortgesetzt
die Hälse recken und ängstlich über alle Grenzpfähle spähen, so laufen wir schließlich
Gefahr, eine komische Figur zu machen und das Gelächter des Auslandes hervor¬
zurufen. Wir waren doch sonst nicht so graulich und hatten das hübsche deutsche


Grenzboten II 1906 50
Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu weit, daß ihm seine bekannte Instruktion an den Grafen Cassini nach Algeciras
den Hals gebrochen hat, aber jedenfalls hat sie nicht dazu beigetragen, die Tage
seiner Amtsdauer zu verlängern. Je größer die Schwierigkeiten sind, mit denen
die russische Regierung im Innern zu kämpfen hat, um so mehr braucht sie Freunde
im Auslande. Der gegenwärtige Augenblick wäre wohl der am schlechtesten gewählte,
einen „deutschfeindlichen" Minister zu berufen. Im Gegenteil, die Dynastie in
Rußland braucht die Anlehnung an das monarchische Europa, und der stärkste Aus¬
druck der Monarchie ist doch wohl Dentschland. Zudem ist die Haltung, die die
Deutschen in Nußland während der revolutionären Wirren bewahrt haben, schwerlich
dazu angetan gewesen, die maßgebenden Kreise Rußlands zu einer deutschfeindlichen
Richtung zu bestimmen. Das Deutschtum in Rußland ist einer der Felsen gewesen,
auf den sich die schwankende Arche des Hauses Romanow retten konnte, es wird
auch ferner ein Vertreter der Ordnung und der Pflichttreue inmitten der voraussichtlich
noch lange sehr hochgehenden Wogen sein. Herr von Jswolsky steht in dem Rufe, daß
er sich angelegen sein lassen werde, mit Japan auf einen möglichst guten Fuß zu
kommen. Das würde nur für seinen staatsmännischen Blick sprechen. Denn erstens
kann Rußland Schwierigkeiten in Asien gegenwärtig nicht mit in seine politische
Rechnung stellen, zweitens kann es die Herstellung seines Prestige in Asien vor¬
läufig nicht gegen Japan, sondern nur im Einvernehmen mit diesem betreiben.

Ein gutes Verhältnis mit Japan setzt aber auch ein gutes Verhältnis zu dessen
Verbündeten, England, voraus. Es ist das zunächst wohl das einzige Mittel, die
in dem englisch-japanischen Vertrag enthaltnen Giftznhne gegen Rußland wenn auch
nicht auszubrechen, so doch weniger gefährlich zu machen. Der Vertrag untersagt
bekanntlich jedem der beiden Kontrahenten Abmachungen mit irgendeiner ritten
Macht in asiatischen Angelegenheiten ohne die Zustimmung des andern. Aber
während der Artikel 2 des Vertrags bestimmt, daß falls einer der beiden Kontrahenten
angegriffen wird, der andre ihm mit allen seinen Mitteln beizustehn habe und nur
gemeinsam mit ihm Frieden schließen dürfe, hat sich England für einen russisch¬
japanischen Krieg Neutralität vorbehalten (Artikel 6), solange Rußland nicht die
Unterstützung einer andern Macht findet. Der Vertrag ist allerdings noch während
des Krieges geschlossen, aber den andern Mächten erst nach Abschluß des Friedens
von Portsmouth mitgeteilt worden. Ob er noch eine geheime Ergänzung erfahren
hat, ist nicht bekannt. Der Vertrag ist auf eine Dauer von zehn Jahren ge¬
schlossen worden, während deren Rußland Japan schwerlich angreifen wird. Ob Japan
solange Frieden halten kann oder soll (im englischen Sinne), ist eine andre Frage.
Jedenfalls ist der japanisch-englische Vertrag das gegebne Operationsobjekt der
russischen Staatskunst. Sie kann nichts besseres tun, ihn obsolet zu machen, als
indem sie zu den beiden Unterzeichnern in gute Beziehungen tritt, die Rußland der
Notwendigkeit entheben, gegen beide, wenngleich auf dem ani vivs zu sein, in
dauernder Kriegsbereitschaft zu bleiben. Außerdem hat Rußland allen Grund, den
englischen Geldmarkt zum mindesten solange nicht zu verstimmen, als die weiten
Gebiete des russischen Reiches nicht wieder einen andauernden wirtschaftlichen Auf¬
schwung genommen haben. Eine gewisse wenn auch nur passive Annäherung an
England gehört somit zu den selbstverständlichen Aufgaben jeder verständigen russischen
Politik, nicht zu großen Aktionszwecken, denen Rußland sich für die nächsten Jahre
ohnehin nicht widmen kann, sondern zur Vermeidung von Aktionen, die es in Mit¬
leidenschaft ziehn oder sonst nachteilig berühren könnten.

Es sei das hier vorweg erwähnt, damit nicht wieder ein Gezeter in der Presse
entsteht, wenn früher oder später von russisch-englischen oder englisch-russischen Ver¬
handlungen verlautet. Wir brauchen deshalb noch keine Gänsehaut zu bekommen, ebenso¬
wenig wie wegen der Reisen des Königs Eduard. Wenn wir Deutschen fortgesetzt
die Hälse recken und ängstlich über alle Grenzpfähle spähen, so laufen wir schließlich
Gefahr, eine komische Figur zu machen und das Gelächter des Auslandes hervor¬
zurufen. Wir waren doch sonst nicht so graulich und hatten das hübsche deutsche


Grenzboten II 1906 50
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[0405] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu weit, daß ihm seine bekannte Instruktion an den Grafen Cassini nach Algeciras den Hals gebrochen hat, aber jedenfalls hat sie nicht dazu beigetragen, die Tage seiner Amtsdauer zu verlängern. Je größer die Schwierigkeiten sind, mit denen die russische Regierung im Innern zu kämpfen hat, um so mehr braucht sie Freunde im Auslande. Der gegenwärtige Augenblick wäre wohl der am schlechtesten gewählte, einen „deutschfeindlichen" Minister zu berufen. Im Gegenteil, die Dynastie in Rußland braucht die Anlehnung an das monarchische Europa, und der stärkste Aus¬ druck der Monarchie ist doch wohl Dentschland. Zudem ist die Haltung, die die Deutschen in Nußland während der revolutionären Wirren bewahrt haben, schwerlich dazu angetan gewesen, die maßgebenden Kreise Rußlands zu einer deutschfeindlichen Richtung zu bestimmen. Das Deutschtum in Rußland ist einer der Felsen gewesen, auf den sich die schwankende Arche des Hauses Romanow retten konnte, es wird auch ferner ein Vertreter der Ordnung und der Pflichttreue inmitten der voraussichtlich noch lange sehr hochgehenden Wogen sein. Herr von Jswolsky steht in dem Rufe, daß er sich angelegen sein lassen werde, mit Japan auf einen möglichst guten Fuß zu kommen. Das würde nur für seinen staatsmännischen Blick sprechen. Denn erstens kann Rußland Schwierigkeiten in Asien gegenwärtig nicht mit in seine politische Rechnung stellen, zweitens kann es die Herstellung seines Prestige in Asien vor¬ läufig nicht gegen Japan, sondern nur im Einvernehmen mit diesem betreiben. Ein gutes Verhältnis mit Japan setzt aber auch ein gutes Verhältnis zu dessen Verbündeten, England, voraus. Es ist das zunächst wohl das einzige Mittel, die in dem englisch-japanischen Vertrag enthaltnen Giftznhne gegen Rußland wenn auch nicht auszubrechen, so doch weniger gefährlich zu machen. Der Vertrag untersagt bekanntlich jedem der beiden Kontrahenten Abmachungen mit irgendeiner ritten Macht in asiatischen Angelegenheiten ohne die Zustimmung des andern. Aber während der Artikel 2 des Vertrags bestimmt, daß falls einer der beiden Kontrahenten angegriffen wird, der andre ihm mit allen seinen Mitteln beizustehn habe und nur gemeinsam mit ihm Frieden schließen dürfe, hat sich England für einen russisch¬ japanischen Krieg Neutralität vorbehalten (Artikel 6), solange Rußland nicht die Unterstützung einer andern Macht findet. Der Vertrag ist allerdings noch während des Krieges geschlossen, aber den andern Mächten erst nach Abschluß des Friedens von Portsmouth mitgeteilt worden. Ob er noch eine geheime Ergänzung erfahren hat, ist nicht bekannt. Der Vertrag ist auf eine Dauer von zehn Jahren ge¬ schlossen worden, während deren Rußland Japan schwerlich angreifen wird. Ob Japan solange Frieden halten kann oder soll (im englischen Sinne), ist eine andre Frage. Jedenfalls ist der japanisch-englische Vertrag das gegebne Operationsobjekt der russischen Staatskunst. Sie kann nichts besseres tun, ihn obsolet zu machen, als indem sie zu den beiden Unterzeichnern in gute Beziehungen tritt, die Rußland der Notwendigkeit entheben, gegen beide, wenngleich auf dem ani vivs zu sein, in dauernder Kriegsbereitschaft zu bleiben. Außerdem hat Rußland allen Grund, den englischen Geldmarkt zum mindesten solange nicht zu verstimmen, als die weiten Gebiete des russischen Reiches nicht wieder einen andauernden wirtschaftlichen Auf¬ schwung genommen haben. Eine gewisse wenn auch nur passive Annäherung an England gehört somit zu den selbstverständlichen Aufgaben jeder verständigen russischen Politik, nicht zu großen Aktionszwecken, denen Rußland sich für die nächsten Jahre ohnehin nicht widmen kann, sondern zur Vermeidung von Aktionen, die es in Mit¬ leidenschaft ziehn oder sonst nachteilig berühren könnten. Es sei das hier vorweg erwähnt, damit nicht wieder ein Gezeter in der Presse entsteht, wenn früher oder später von russisch-englischen oder englisch-russischen Ver¬ handlungen verlautet. Wir brauchen deshalb noch keine Gänsehaut zu bekommen, ebenso¬ wenig wie wegen der Reisen des Königs Eduard. Wenn wir Deutschen fortgesetzt die Hälse recken und ängstlich über alle Grenzpfähle spähen, so laufen wir schließlich Gefahr, eine komische Figur zu machen und das Gelächter des Auslandes hervor¬ zurufen. Wir waren doch sonst nicht so graulich und hatten das hübsche deutsche Grenzboten II 1906 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/405>, abgerufen am 02.07.2024.