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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Aus der Briefmappe des Reichskanzlers

unmöglich ist, auch nur eine flüchtige Übersicht aller freundlichen Wünsche zu
geben. Ein Beispiel, das Telegramm des Königs von Sachsen, möge hier
genügen: "Zu Ihrem Geburtsfcste spreche Ich Ihnen Meine herzlichsten
Glück- und Segenswünsche aus. Ich verbinde damit den Wunsch, daß Gottes
Güte und Gnade Sie recht bald wieder genesen lassen möchte, damit Sie in
alter Frische und Kraft Ihr schweres Amt wieder übernehmen können, getragen
von dem Vertrauen aller Bundesregierungen und der Liebe und Hochachtung
aller derer, die es mit unserm deutschen Vaterlande ehrlich meinen. Friedrich
August." Der Reichskanzler hat übrigens die Hunderte von Glückwünschen
schon alle persönlich beantworten können, gewiß zur Genugtuung aller, die
seiner gedacht haben.

Zum Schluß sei noch eine kleine Nachlese mehr humoristischer Art ge¬
stattet. Die Verehrung braucht nicht immer feierlich aufzutreten, und sie wird
auch erkannt, wenn z. B. eine Würzburger Brauerei fünfzig Flaschen vom
besten Tropfen ihres Kellers, eine Kognakfirma zwei Originalabzüge zur
Stärkung schickt, oder wenn die Natnrärzte jedes Bekenntnisses ihre Ratschläge
und Kuren grMssiiiis und nonoris LÄUS", wie ein biochemischer Apotheker
sagt, zur Verfügung stellen. Ich weiß nicht, ob der Reichskanzler einen Trost
in den vielen ihm mitgeteilten Erfahrungen über dem seinen ähnliche Ohnmachts¬
anfälle gefunden hat. Einer der Patienten wurde, als er vor zwanzig Jahren
im Ärger einer Wahlversammlung ohnmächtig wurde, dadurch kuriert, daß ihm
sofort lauwarmes Salzwasser gereicht wurde, "worauf sich Erbrechen einstellte,
das die durch Ärger in den Magen gelangte Galle wieder mit entfernte". Noch
heute ist der Mann frisch und fidel. Bemerkenswert ist, daß auch der ehe¬
malige Präsident Loubet mit einer Erinnerung an einen Fall aufwartete, der
in der Tat dem des Reichskanzlers frappant ähnlich war. Er betrifft den
jetzigen Präsidenten der französischen Republik, Herrn Fcillieres, der 1883 als
Ministerpräsident nach einer Rede im Senat infolge von Überanstrengung zu¬
sammenbrach. Daß er trotzdem heute in blühender Gesundheit die erste Stelle
in Frankreich einnimmt, ist gewiß für viele besorgte Herzen eine beruhigende
Parallele. Ob nun der Kanzler, wie ein alter Herr ihm vorschlägt, viel
Apfelsinen und Äpfel essen oder die als einziges Rettungsmittel empfohlne
Herzblute zu tragen sich entschließen wird oder nicht, jedenfalls sieht er die
Liebe, und auch dem einundsiebzigjährigen "Tierheilkundigcn" hat er es gewiß
nicht übel genommen, daß er ihm schrieb: "Da ich in den Anzeigen gelesen
habe, daß Sie einen Ohnmachtsanfall gehabt haben, was mich sehr kränkt.
Da ich ein Mittel gefunden habe, welches aus reinen Kräutern besteht, wo¬
durch Schlaganfall und alle Krankheiten abgeleitet werden. Ich habe das bei
Pferden schon viel gehabt, daß die hierdurch gesund geworden sind" . . . Nicht
jeder weiß seine Worte zierlich zu stellen, und in seiner vertraulichen Unbeholfen¬
heit rührt nicht am w o. enigsten dieser Brief des alten Pferdedoktors.




Aus der Briefmappe des Reichskanzlers

unmöglich ist, auch nur eine flüchtige Übersicht aller freundlichen Wünsche zu
geben. Ein Beispiel, das Telegramm des Königs von Sachsen, möge hier
genügen: „Zu Ihrem Geburtsfcste spreche Ich Ihnen Meine herzlichsten
Glück- und Segenswünsche aus. Ich verbinde damit den Wunsch, daß Gottes
Güte und Gnade Sie recht bald wieder genesen lassen möchte, damit Sie in
alter Frische und Kraft Ihr schweres Amt wieder übernehmen können, getragen
von dem Vertrauen aller Bundesregierungen und der Liebe und Hochachtung
aller derer, die es mit unserm deutschen Vaterlande ehrlich meinen. Friedrich
August." Der Reichskanzler hat übrigens die Hunderte von Glückwünschen
schon alle persönlich beantworten können, gewiß zur Genugtuung aller, die
seiner gedacht haben.

Zum Schluß sei noch eine kleine Nachlese mehr humoristischer Art ge¬
stattet. Die Verehrung braucht nicht immer feierlich aufzutreten, und sie wird
auch erkannt, wenn z. B. eine Würzburger Brauerei fünfzig Flaschen vom
besten Tropfen ihres Kellers, eine Kognakfirma zwei Originalabzüge zur
Stärkung schickt, oder wenn die Natnrärzte jedes Bekenntnisses ihre Ratschläge
und Kuren grMssiiiis und nonoris LÄUS», wie ein biochemischer Apotheker
sagt, zur Verfügung stellen. Ich weiß nicht, ob der Reichskanzler einen Trost
in den vielen ihm mitgeteilten Erfahrungen über dem seinen ähnliche Ohnmachts¬
anfälle gefunden hat. Einer der Patienten wurde, als er vor zwanzig Jahren
im Ärger einer Wahlversammlung ohnmächtig wurde, dadurch kuriert, daß ihm
sofort lauwarmes Salzwasser gereicht wurde, „worauf sich Erbrechen einstellte,
das die durch Ärger in den Magen gelangte Galle wieder mit entfernte". Noch
heute ist der Mann frisch und fidel. Bemerkenswert ist, daß auch der ehe¬
malige Präsident Loubet mit einer Erinnerung an einen Fall aufwartete, der
in der Tat dem des Reichskanzlers frappant ähnlich war. Er betrifft den
jetzigen Präsidenten der französischen Republik, Herrn Fcillieres, der 1883 als
Ministerpräsident nach einer Rede im Senat infolge von Überanstrengung zu¬
sammenbrach. Daß er trotzdem heute in blühender Gesundheit die erste Stelle
in Frankreich einnimmt, ist gewiß für viele besorgte Herzen eine beruhigende
Parallele. Ob nun der Kanzler, wie ein alter Herr ihm vorschlägt, viel
Apfelsinen und Äpfel essen oder die als einziges Rettungsmittel empfohlne
Herzblute zu tragen sich entschließen wird oder nicht, jedenfalls sieht er die
Liebe, und auch dem einundsiebzigjährigen „Tierheilkundigcn" hat er es gewiß
nicht übel genommen, daß er ihm schrieb: „Da ich in den Anzeigen gelesen
habe, daß Sie einen Ohnmachtsanfall gehabt haben, was mich sehr kränkt.
Da ich ein Mittel gefunden habe, welches aus reinen Kräutern besteht, wo¬
durch Schlaganfall und alle Krankheiten abgeleitet werden. Ich habe das bei
Pferden schon viel gehabt, daß die hierdurch gesund geworden sind" . . . Nicht
jeder weiß seine Worte zierlich zu stellen, und in seiner vertraulichen Unbeholfen¬
heit rührt nicht am w o. enigsten dieser Brief des alten Pferdedoktors.




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[0361] Aus der Briefmappe des Reichskanzlers unmöglich ist, auch nur eine flüchtige Übersicht aller freundlichen Wünsche zu geben. Ein Beispiel, das Telegramm des Königs von Sachsen, möge hier genügen: „Zu Ihrem Geburtsfcste spreche Ich Ihnen Meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche aus. Ich verbinde damit den Wunsch, daß Gottes Güte und Gnade Sie recht bald wieder genesen lassen möchte, damit Sie in alter Frische und Kraft Ihr schweres Amt wieder übernehmen können, getragen von dem Vertrauen aller Bundesregierungen und der Liebe und Hochachtung aller derer, die es mit unserm deutschen Vaterlande ehrlich meinen. Friedrich August." Der Reichskanzler hat übrigens die Hunderte von Glückwünschen schon alle persönlich beantworten können, gewiß zur Genugtuung aller, die seiner gedacht haben. Zum Schluß sei noch eine kleine Nachlese mehr humoristischer Art ge¬ stattet. Die Verehrung braucht nicht immer feierlich aufzutreten, und sie wird auch erkannt, wenn z. B. eine Würzburger Brauerei fünfzig Flaschen vom besten Tropfen ihres Kellers, eine Kognakfirma zwei Originalabzüge zur Stärkung schickt, oder wenn die Natnrärzte jedes Bekenntnisses ihre Ratschläge und Kuren grMssiiiis und nonoris LÄUS», wie ein biochemischer Apotheker sagt, zur Verfügung stellen. Ich weiß nicht, ob der Reichskanzler einen Trost in den vielen ihm mitgeteilten Erfahrungen über dem seinen ähnliche Ohnmachts¬ anfälle gefunden hat. Einer der Patienten wurde, als er vor zwanzig Jahren im Ärger einer Wahlversammlung ohnmächtig wurde, dadurch kuriert, daß ihm sofort lauwarmes Salzwasser gereicht wurde, „worauf sich Erbrechen einstellte, das die durch Ärger in den Magen gelangte Galle wieder mit entfernte". Noch heute ist der Mann frisch und fidel. Bemerkenswert ist, daß auch der ehe¬ malige Präsident Loubet mit einer Erinnerung an einen Fall aufwartete, der in der Tat dem des Reichskanzlers frappant ähnlich war. Er betrifft den jetzigen Präsidenten der französischen Republik, Herrn Fcillieres, der 1883 als Ministerpräsident nach einer Rede im Senat infolge von Überanstrengung zu¬ sammenbrach. Daß er trotzdem heute in blühender Gesundheit die erste Stelle in Frankreich einnimmt, ist gewiß für viele besorgte Herzen eine beruhigende Parallele. Ob nun der Kanzler, wie ein alter Herr ihm vorschlägt, viel Apfelsinen und Äpfel essen oder die als einziges Rettungsmittel empfohlne Herzblute zu tragen sich entschließen wird oder nicht, jedenfalls sieht er die Liebe, und auch dem einundsiebzigjährigen „Tierheilkundigcn" hat er es gewiß nicht übel genommen, daß er ihm schrieb: „Da ich in den Anzeigen gelesen habe, daß Sie einen Ohnmachtsanfall gehabt haben, was mich sehr kränkt. Da ich ein Mittel gefunden habe, welches aus reinen Kräutern besteht, wo¬ durch Schlaganfall und alle Krankheiten abgeleitet werden. Ich habe das bei Pferden schon viel gehabt, daß die hierdurch gesund geworden sind" . . . Nicht jeder weiß seine Worte zierlich zu stellen, und in seiner vertraulichen Unbeholfen¬ heit rührt nicht am w o. enigsten dieser Brief des alten Pferdedoktors.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/361>, abgerufen am 24.07.2024.