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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Widerlegung der Lehre, die gestützt werden soll. Darwin hat bekanntlich seinen
Gedanken einer natürlichen Zuchtwahl der künstlichen Tierzüchtung entnommen, und
Plate weist nun nach, daß die natürliche Zuchtwahl, soweit überhaupt von einer
solchen gesprochen werden kann, in sieben Stücken das Gegenteil der künstlichen
Züchtung ist. Um nur zwei dieser Unterschiede anzuführen: die Kulturrassen oder
Varietäten sind labil, schlagen leicht in die Stammform zurück und sind unter¬
einander fruchtbar, die Naturrassen sind stabil, schlagen nicht zurück und vermischen
sich meist weder untereinander noch mit der Stammform. Von Dennerts Buche:
Bibel und Naturwissenschaft ist bet demselben Verleger die fünfte Auflage
erschienen. -- Der Prälat v. Rudolf Schmid, Oberhofprediger c>. D, hat schon
1876 ein Buch über die Stellung des Darwinismus zur Philosophie. Religion
und Moral herausgegeben. Seitdem hat er den Gang der Entwicklung der
Naturwissenschaften weiter verfolgt, nach Aufgabe seiner Ämter die Lektüre der
neuern Hauptwerke "achgeholt und sich gedrungen gefühlt, "die Beziehungen der
Religion zum Darwinismus auf ihre Beziehungen zur gesamten Naturforschung
auszudehnen". Die Frucht dieser Studien ist das vortreffliche Buch: Das natur¬
wissenschaftliche Glaubensbekenntnis eines Theologen (Zweite Auflage.
Stuttgart, Max Kielmann, 1906). Er bezeichnet mit Recht seinen Standpunkt
als einen eigentümlichen insofern, als er "einerseits für die Naturforschung volle
Freiheit verlangt, andrerseits die Positionen des Christentums in ihrer ganzen Aus¬
dehnung" festhält. So glaubt er an die Auferstehung Christi und sagt sehr schön,
in der Weise geschichtlich verbürgt wie die Ermordung Cäsars sei die Auferstehung
freilich nicht. Er habe schon wiederholt Anlaß gehabt, darauf hinzuweisen, "daß
Gott in allen großen Lebensfragen der Menschheit je nach der Herzensstellung eines
Menschen zu ihm entweder ein verborgner oder ein offenbarer Gott für ihn ist.
Die Anerkennung Gottes und seiner Heilstaten darf nicht das logisch zwingende
Ergebnis von Wahrnehmungen sein, die der Mensch gar nicht bestreiten kann, auch
wenn er noch so sehr wollte, sondern sie muß eine freie ethische Tat des Innersten
im Menschen, seines Gemüts sein." -- Des Gesetzes Erfüllung von Dr. usa.
R. Krecker (Halle a. S.. Gebauer-Schwetschke, 1905) ist ein kühner Versuch. ..die
organische, gesellschaftliche und sittliche Bildung des Menschen naturwissenschaftlich"
zu erklären. Mit dem Worte "Begründung" im Untertitel ist doch wohl Er¬
klärung gemeint. Dem Verfasser des gründlichen und universelles Wissen be¬
kundenden Buches (beinahe 600 Seiten Großoktav) hat ohne Zweifel Herbert
Spencers Hauptwerk als Muster vorgeschwebt. Von dem Spencerschen Agnosti¬
zismus und noch mehr von dem platten Naturalismus der meisten Biologen unter¬
scheidet es sich dadurch, daß es die Religion hochhält, den Glauben an Gott
voraussetzt und die persönliche Unsterblichkeit des Menschengeistes biologisch zu be¬
weisen versucht. Für eine ausführliche Kritik, die das Werk Wohl verdient, haben
wir keinen Raum; wir beschränken uns auf die zwei Bemerkungen, daß der Ver¬
fasser Darwin überschätzt, und daß die demokratische Gleichheit, der nach seiner
Meinung die Menschheit zustrebt, weder ein anmutendes Ideal ist noch biologisch
gerechtfertigt erscheint. Angenommen -- was weder bewiesen ist noch jemals wird
bewiesen werden können --, daß die Arten der organischen Wesen das Ergebnis
einer biologischen Entwicklung seien, so ist diese doch eben von der Einerleiheit
zur Mannigfaltigkeit fortgeschritten, nicht umgekehrt, gerade so wie auch in der
Menschenwelt jeder Kulturfortschritt differenziert, nicht gleichmacht. Die Gleichheit
des Schnitts von Rock und Hose sollte doch nur den ganz Unwissenden und
Gedankenlosen die Tatsache verbergen können, daß trotz aller Zeitungsleserei die
geistige Kluft zwischen dem Lohnarbeiter und dem Hochgebildeten heute viel größer
ist, als sie in mittelalterlichen und alten Zeiten zwischen dem Bauer oder dem
Sklaven und dem Könige war. -- Ein ähnliches Unternehmen ist das von uns
schon angezeigte Werk "Die Gesellschaft" von Ernst Viktor Zenker, als dessen
Krönung jetzt die Soziale Ethik (Leipzig, Georg H. Wigand, 1905) erschienen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Widerlegung der Lehre, die gestützt werden soll. Darwin hat bekanntlich seinen
Gedanken einer natürlichen Zuchtwahl der künstlichen Tierzüchtung entnommen, und
Plate weist nun nach, daß die natürliche Zuchtwahl, soweit überhaupt von einer
solchen gesprochen werden kann, in sieben Stücken das Gegenteil der künstlichen
Züchtung ist. Um nur zwei dieser Unterschiede anzuführen: die Kulturrassen oder
Varietäten sind labil, schlagen leicht in die Stammform zurück und sind unter¬
einander fruchtbar, die Naturrassen sind stabil, schlagen nicht zurück und vermischen
sich meist weder untereinander noch mit der Stammform. Von Dennerts Buche:
Bibel und Naturwissenschaft ist bet demselben Verleger die fünfte Auflage
erschienen. — Der Prälat v. Rudolf Schmid, Oberhofprediger c>. D, hat schon
1876 ein Buch über die Stellung des Darwinismus zur Philosophie. Religion
und Moral herausgegeben. Seitdem hat er den Gang der Entwicklung der
Naturwissenschaften weiter verfolgt, nach Aufgabe seiner Ämter die Lektüre der
neuern Hauptwerke «achgeholt und sich gedrungen gefühlt, „die Beziehungen der
Religion zum Darwinismus auf ihre Beziehungen zur gesamten Naturforschung
auszudehnen". Die Frucht dieser Studien ist das vortreffliche Buch: Das natur¬
wissenschaftliche Glaubensbekenntnis eines Theologen (Zweite Auflage.
Stuttgart, Max Kielmann, 1906). Er bezeichnet mit Recht seinen Standpunkt
als einen eigentümlichen insofern, als er „einerseits für die Naturforschung volle
Freiheit verlangt, andrerseits die Positionen des Christentums in ihrer ganzen Aus¬
dehnung" festhält. So glaubt er an die Auferstehung Christi und sagt sehr schön,
in der Weise geschichtlich verbürgt wie die Ermordung Cäsars sei die Auferstehung
freilich nicht. Er habe schon wiederholt Anlaß gehabt, darauf hinzuweisen, „daß
Gott in allen großen Lebensfragen der Menschheit je nach der Herzensstellung eines
Menschen zu ihm entweder ein verborgner oder ein offenbarer Gott für ihn ist.
Die Anerkennung Gottes und seiner Heilstaten darf nicht das logisch zwingende
Ergebnis von Wahrnehmungen sein, die der Mensch gar nicht bestreiten kann, auch
wenn er noch so sehr wollte, sondern sie muß eine freie ethische Tat des Innersten
im Menschen, seines Gemüts sein." — Des Gesetzes Erfüllung von Dr. usa.
R. Krecker (Halle a. S.. Gebauer-Schwetschke, 1905) ist ein kühner Versuch. ..die
organische, gesellschaftliche und sittliche Bildung des Menschen naturwissenschaftlich"
zu erklären. Mit dem Worte „Begründung" im Untertitel ist doch wohl Er¬
klärung gemeint. Dem Verfasser des gründlichen und universelles Wissen be¬
kundenden Buches (beinahe 600 Seiten Großoktav) hat ohne Zweifel Herbert
Spencers Hauptwerk als Muster vorgeschwebt. Von dem Spencerschen Agnosti¬
zismus und noch mehr von dem platten Naturalismus der meisten Biologen unter¬
scheidet es sich dadurch, daß es die Religion hochhält, den Glauben an Gott
voraussetzt und die persönliche Unsterblichkeit des Menschengeistes biologisch zu be¬
weisen versucht. Für eine ausführliche Kritik, die das Werk Wohl verdient, haben
wir keinen Raum; wir beschränken uns auf die zwei Bemerkungen, daß der Ver¬
fasser Darwin überschätzt, und daß die demokratische Gleichheit, der nach seiner
Meinung die Menschheit zustrebt, weder ein anmutendes Ideal ist noch biologisch
gerechtfertigt erscheint. Angenommen — was weder bewiesen ist noch jemals wird
bewiesen werden können —, daß die Arten der organischen Wesen das Ergebnis
einer biologischen Entwicklung seien, so ist diese doch eben von der Einerleiheit
zur Mannigfaltigkeit fortgeschritten, nicht umgekehrt, gerade so wie auch in der
Menschenwelt jeder Kulturfortschritt differenziert, nicht gleichmacht. Die Gleichheit
des Schnitts von Rock und Hose sollte doch nur den ganz Unwissenden und
Gedankenlosen die Tatsache verbergen können, daß trotz aller Zeitungsleserei die
geistige Kluft zwischen dem Lohnarbeiter und dem Hochgebildeten heute viel größer
ist, als sie in mittelalterlichen und alten Zeiten zwischen dem Bauer oder dem
Sklaven und dem Könige war. — Ein ähnliches Unternehmen ist das von uns
schon angezeigte Werk „Die Gesellschaft" von Ernst Viktor Zenker, als dessen
Krönung jetzt die Soziale Ethik (Leipzig, Georg H. Wigand, 1905) erschienen


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[0352] Maßgebliches und Unmaßgebliches Widerlegung der Lehre, die gestützt werden soll. Darwin hat bekanntlich seinen Gedanken einer natürlichen Zuchtwahl der künstlichen Tierzüchtung entnommen, und Plate weist nun nach, daß die natürliche Zuchtwahl, soweit überhaupt von einer solchen gesprochen werden kann, in sieben Stücken das Gegenteil der künstlichen Züchtung ist. Um nur zwei dieser Unterschiede anzuführen: die Kulturrassen oder Varietäten sind labil, schlagen leicht in die Stammform zurück und sind unter¬ einander fruchtbar, die Naturrassen sind stabil, schlagen nicht zurück und vermischen sich meist weder untereinander noch mit der Stammform. Von Dennerts Buche: Bibel und Naturwissenschaft ist bet demselben Verleger die fünfte Auflage erschienen. — Der Prälat v. Rudolf Schmid, Oberhofprediger c>. D, hat schon 1876 ein Buch über die Stellung des Darwinismus zur Philosophie. Religion und Moral herausgegeben. Seitdem hat er den Gang der Entwicklung der Naturwissenschaften weiter verfolgt, nach Aufgabe seiner Ämter die Lektüre der neuern Hauptwerke «achgeholt und sich gedrungen gefühlt, „die Beziehungen der Religion zum Darwinismus auf ihre Beziehungen zur gesamten Naturforschung auszudehnen". Die Frucht dieser Studien ist das vortreffliche Buch: Das natur¬ wissenschaftliche Glaubensbekenntnis eines Theologen (Zweite Auflage. Stuttgart, Max Kielmann, 1906). Er bezeichnet mit Recht seinen Standpunkt als einen eigentümlichen insofern, als er „einerseits für die Naturforschung volle Freiheit verlangt, andrerseits die Positionen des Christentums in ihrer ganzen Aus¬ dehnung" festhält. So glaubt er an die Auferstehung Christi und sagt sehr schön, in der Weise geschichtlich verbürgt wie die Ermordung Cäsars sei die Auferstehung freilich nicht. Er habe schon wiederholt Anlaß gehabt, darauf hinzuweisen, „daß Gott in allen großen Lebensfragen der Menschheit je nach der Herzensstellung eines Menschen zu ihm entweder ein verborgner oder ein offenbarer Gott für ihn ist. Die Anerkennung Gottes und seiner Heilstaten darf nicht das logisch zwingende Ergebnis von Wahrnehmungen sein, die der Mensch gar nicht bestreiten kann, auch wenn er noch so sehr wollte, sondern sie muß eine freie ethische Tat des Innersten im Menschen, seines Gemüts sein." — Des Gesetzes Erfüllung von Dr. usa. R. Krecker (Halle a. S.. Gebauer-Schwetschke, 1905) ist ein kühner Versuch. ..die organische, gesellschaftliche und sittliche Bildung des Menschen naturwissenschaftlich" zu erklären. Mit dem Worte „Begründung" im Untertitel ist doch wohl Er¬ klärung gemeint. Dem Verfasser des gründlichen und universelles Wissen be¬ kundenden Buches (beinahe 600 Seiten Großoktav) hat ohne Zweifel Herbert Spencers Hauptwerk als Muster vorgeschwebt. Von dem Spencerschen Agnosti¬ zismus und noch mehr von dem platten Naturalismus der meisten Biologen unter¬ scheidet es sich dadurch, daß es die Religion hochhält, den Glauben an Gott voraussetzt und die persönliche Unsterblichkeit des Menschengeistes biologisch zu be¬ weisen versucht. Für eine ausführliche Kritik, die das Werk Wohl verdient, haben wir keinen Raum; wir beschränken uns auf die zwei Bemerkungen, daß der Ver¬ fasser Darwin überschätzt, und daß die demokratische Gleichheit, der nach seiner Meinung die Menschheit zustrebt, weder ein anmutendes Ideal ist noch biologisch gerechtfertigt erscheint. Angenommen — was weder bewiesen ist noch jemals wird bewiesen werden können —, daß die Arten der organischen Wesen das Ergebnis einer biologischen Entwicklung seien, so ist diese doch eben von der Einerleiheit zur Mannigfaltigkeit fortgeschritten, nicht umgekehrt, gerade so wie auch in der Menschenwelt jeder Kulturfortschritt differenziert, nicht gleichmacht. Die Gleichheit des Schnitts von Rock und Hose sollte doch nur den ganz Unwissenden und Gedankenlosen die Tatsache verbergen können, daß trotz aller Zeitungsleserei die geistige Kluft zwischen dem Lohnarbeiter und dem Hochgebildeten heute viel größer ist, als sie in mittelalterlichen und alten Zeiten zwischen dem Bauer oder dem Sklaven und dem Könige war. — Ein ähnliches Unternehmen ist das von uns schon angezeigte Werk „Die Gesellschaft" von Ernst Viktor Zenker, als dessen Krönung jetzt die Soziale Ethik (Leipzig, Georg H. Wigand, 1905) erschienen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/352>, abgerufen am 30.06.2024.