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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Memphis und die Pyramiden

Sprechzimmer der wissenschaftlich gebildeten Ärzte in der Nähe leer stehn. Der
Reiz liegt in dem Wunderbaren, und die Menschen kommen sich interessant
vor, wenn sie zu dem Kurpfuscher gehn. Den Reiz des Wunderbaren hat auch
der Darwinismus, und je seltsamer eine neue Lehre ist, desto sichrer kann sie
auf Gläubige rechnen. "Es ist ja einfach fabelhaft, sagten die Grenzboten
(4. Januar 1906), was sich Menschen alles einreden lassen, ganz wie in dem
bekannten Märchen die Untertanen des nackten Königs, die zuletzt glauben,
er habe schöne Kleider an."

Der Hauptgrund für die große Anhängerzahl des Darwinismus ist aber
noch ein andrer; man hat ihn im Spott das Affenevangelium genannt, und
darin liegt eine gewisse Wahrheit. Die Begeisterung für den Darwinismus
hat ihren tiefern Grund bei vielen, vielleicht bei den meisten seiner Anhänger,
wie Dennert sagt, in einem metaphysischen Bedürfnis, in der Leugnung Gottes.
Ohne Darwinismus muß man an eine in der Natur wirkende Schöpferintelli¬
genz glauben; er ist ein bequemes und obendrein wissenschaftlich erscheinendes
Mittel, sich den Gottesglauben vom Halse zu halten (Dennert), und das ist
der Hauptgrund seiner Popularität. Der Gottgläubige führt die Natur mit
ihrer wunderbaren Zweckmäßigkeit, ihrem unermeßlichen Reichtum und ihrer
herrlichen Schönheit auf einen Schöpfer zurück; an die Stelle Gottes setzt der
Darwinismus die Naturgesetze, und er weiß nicht, daß, wo Gesetze sind, auch
ein Gesetzgeber gewesen sein muß, denn noch nie hat ein Gesetz sich selber ge¬
schaffen. Man darf aber den Glauben an das Dogma des Darwinismus nicht
mit dem christlichen vergleichen; schon ein äußerlicher Vergleich zeigt, daß der
Darwinismus kein ebenbürtiger Bruder des Christentums ist; es gibt eine herr¬
liche christliche Kunst, von einer darwinistischen existiert keine Spur. Man
könnte einwenden: "Aber der Darwinismus ist ja auch nur ein naturwissen¬
schaftliches Problem." Ganz recht, aber er ist die Basis, auf der Haeckel
seine monistische Philosophie und die Lösung der Welträtsel aufbaut.




Memphis und die Pyramiden
Gd. Högl i vonn
(Schluß)

nich weicht der Zeit, die Zeit aber weicht den Pyramiden --
sagt ein arabisches Sprichwort. Das mochte auch der Wunsch
der Pharaonen gewesen sein, die sie errichteten; Werke für die
Ewigkeit wollten sie schaffen, die den Menschen von ihrer Macht
kund Größe zeugen sollten und ihre Mumien, unberührt von
allen Ereignissen, treu und sicher bewahrten. Nirgends in der Welt haben
sich Herrscher solche Riesendenkmäler gesetzt wie in Ägypten. Der Bau der
Pyramiden gehörte zu den öffentlichen Angelegenheiten, setzte alle Organe
des Staates in Bewegung und füllte die ganze Regierungszeit des Herrschers
aus. Sobald ein Pharao an die Regierung gelangte, begann er mit dem


Memphis und die Pyramiden

Sprechzimmer der wissenschaftlich gebildeten Ärzte in der Nähe leer stehn. Der
Reiz liegt in dem Wunderbaren, und die Menschen kommen sich interessant
vor, wenn sie zu dem Kurpfuscher gehn. Den Reiz des Wunderbaren hat auch
der Darwinismus, und je seltsamer eine neue Lehre ist, desto sichrer kann sie
auf Gläubige rechnen. „Es ist ja einfach fabelhaft, sagten die Grenzboten
(4. Januar 1906), was sich Menschen alles einreden lassen, ganz wie in dem
bekannten Märchen die Untertanen des nackten Königs, die zuletzt glauben,
er habe schöne Kleider an."

Der Hauptgrund für die große Anhängerzahl des Darwinismus ist aber
noch ein andrer; man hat ihn im Spott das Affenevangelium genannt, und
darin liegt eine gewisse Wahrheit. Die Begeisterung für den Darwinismus
hat ihren tiefern Grund bei vielen, vielleicht bei den meisten seiner Anhänger,
wie Dennert sagt, in einem metaphysischen Bedürfnis, in der Leugnung Gottes.
Ohne Darwinismus muß man an eine in der Natur wirkende Schöpferintelli¬
genz glauben; er ist ein bequemes und obendrein wissenschaftlich erscheinendes
Mittel, sich den Gottesglauben vom Halse zu halten (Dennert), und das ist
der Hauptgrund seiner Popularität. Der Gottgläubige führt die Natur mit
ihrer wunderbaren Zweckmäßigkeit, ihrem unermeßlichen Reichtum und ihrer
herrlichen Schönheit auf einen Schöpfer zurück; an die Stelle Gottes setzt der
Darwinismus die Naturgesetze, und er weiß nicht, daß, wo Gesetze sind, auch
ein Gesetzgeber gewesen sein muß, denn noch nie hat ein Gesetz sich selber ge¬
schaffen. Man darf aber den Glauben an das Dogma des Darwinismus nicht
mit dem christlichen vergleichen; schon ein äußerlicher Vergleich zeigt, daß der
Darwinismus kein ebenbürtiger Bruder des Christentums ist; es gibt eine herr¬
liche christliche Kunst, von einer darwinistischen existiert keine Spur. Man
könnte einwenden: „Aber der Darwinismus ist ja auch nur ein naturwissen¬
schaftliches Problem." Ganz recht, aber er ist die Basis, auf der Haeckel
seine monistische Philosophie und die Lösung der Welträtsel aufbaut.




Memphis und die Pyramiden
Gd. Högl i vonn
(Schluß)

nich weicht der Zeit, die Zeit aber weicht den Pyramiden —
sagt ein arabisches Sprichwort. Das mochte auch der Wunsch
der Pharaonen gewesen sein, die sie errichteten; Werke für die
Ewigkeit wollten sie schaffen, die den Menschen von ihrer Macht
kund Größe zeugen sollten und ihre Mumien, unberührt von
allen Ereignissen, treu und sicher bewahrten. Nirgends in der Welt haben
sich Herrscher solche Riesendenkmäler gesetzt wie in Ägypten. Der Bau der
Pyramiden gehörte zu den öffentlichen Angelegenheiten, setzte alle Organe
des Staates in Bewegung und füllte die ganze Regierungszeit des Herrschers
aus. Sobald ein Pharao an die Regierung gelangte, begann er mit dem


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[0332] Memphis und die Pyramiden Sprechzimmer der wissenschaftlich gebildeten Ärzte in der Nähe leer stehn. Der Reiz liegt in dem Wunderbaren, und die Menschen kommen sich interessant vor, wenn sie zu dem Kurpfuscher gehn. Den Reiz des Wunderbaren hat auch der Darwinismus, und je seltsamer eine neue Lehre ist, desto sichrer kann sie auf Gläubige rechnen. „Es ist ja einfach fabelhaft, sagten die Grenzboten (4. Januar 1906), was sich Menschen alles einreden lassen, ganz wie in dem bekannten Märchen die Untertanen des nackten Königs, die zuletzt glauben, er habe schöne Kleider an." Der Hauptgrund für die große Anhängerzahl des Darwinismus ist aber noch ein andrer; man hat ihn im Spott das Affenevangelium genannt, und darin liegt eine gewisse Wahrheit. Die Begeisterung für den Darwinismus hat ihren tiefern Grund bei vielen, vielleicht bei den meisten seiner Anhänger, wie Dennert sagt, in einem metaphysischen Bedürfnis, in der Leugnung Gottes. Ohne Darwinismus muß man an eine in der Natur wirkende Schöpferintelli¬ genz glauben; er ist ein bequemes und obendrein wissenschaftlich erscheinendes Mittel, sich den Gottesglauben vom Halse zu halten (Dennert), und das ist der Hauptgrund seiner Popularität. Der Gottgläubige führt die Natur mit ihrer wunderbaren Zweckmäßigkeit, ihrem unermeßlichen Reichtum und ihrer herrlichen Schönheit auf einen Schöpfer zurück; an die Stelle Gottes setzt der Darwinismus die Naturgesetze, und er weiß nicht, daß, wo Gesetze sind, auch ein Gesetzgeber gewesen sein muß, denn noch nie hat ein Gesetz sich selber ge¬ schaffen. Man darf aber den Glauben an das Dogma des Darwinismus nicht mit dem christlichen vergleichen; schon ein äußerlicher Vergleich zeigt, daß der Darwinismus kein ebenbürtiger Bruder des Christentums ist; es gibt eine herr¬ liche christliche Kunst, von einer darwinistischen existiert keine Spur. Man könnte einwenden: „Aber der Darwinismus ist ja auch nur ein naturwissen¬ schaftliches Problem." Ganz recht, aber er ist die Basis, auf der Haeckel seine monistische Philosophie und die Lösung der Welträtsel aufbaut. Memphis und die Pyramiden Gd. Högl i vonn (Schluß) nich weicht der Zeit, die Zeit aber weicht den Pyramiden — sagt ein arabisches Sprichwort. Das mochte auch der Wunsch der Pharaonen gewesen sein, die sie errichteten; Werke für die Ewigkeit wollten sie schaffen, die den Menschen von ihrer Macht kund Größe zeugen sollten und ihre Mumien, unberührt von allen Ereignissen, treu und sicher bewahrten. Nirgends in der Welt haben sich Herrscher solche Riesendenkmäler gesetzt wie in Ägypten. Der Bau der Pyramiden gehörte zu den öffentlichen Angelegenheiten, setzte alle Organe des Staates in Bewegung und füllte die ganze Regierungszeit des Herrschers aus. Sobald ein Pharao an die Regierung gelangte, begann er mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/332>, abgerufen am 27.12.2024.