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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

zwischen der reichen dalmatischen Küste und dem wichtigen Pannonien. Auf
dem umgekehrten Wege durchzogen später die Goten und die Awaren das Land,
ohne daß es sie zum Bleiben lockte. Das große Ereignis in der Geschichte
der ganzen Ostseite der Adria ist die Einwanderung eines slawischen Volkes,
das seinen jetzigen Sitzen die Namen Kroatien, Bosnien und Serbien geliehen
hat, und zu dem auch die Bewohner der Schwarzen Berge, die Montenegriner
gehören. Das zweite große Ereignis ist, daß dieses Volk mit Ausnahme der
Kroaten am Ende des Mittelalters von den Osmanen unterworfen wurde
und unterworfen gehalten wurde bis in unsre Zeit, bis das benachbarte
Österreich-Ungarn im Jahre 1878 der Türkenwirtschaft ein Ende machte und
eine neue Periode für das arme Land heraufführte. Die Okkupation erfolgte
im Auftrage der europäischen Mächte und im Einverständnis mit dem Sultan.
Sie ging übrigens nicht so harmlos vor sich, wie der von der Diplomatie
gewählte Name hoffen ließ, sondern gestaltete sich zu einem regelrechten
Guerillakrieg. Statt einiger Schwadronen Husaren und ein paar Militär¬
musiken, wie ein Spaßvogel das erste Aufgebot bezeichnete, brauchte der Ober¬
kommandierende, Herzog Wilhelm von Württemberg, zweihunderttausend Mann.
Trotz dieser erdrückenden Machtentfaltung kam es nach vier Jahren zu einem
blutigen Aufstande, sodaß die Pazifizierung Österreich-Ungarn im ganzen vier¬
tausend Mann gekostet hat.

Nicht so leicht zusammenzufassen ist die Kulturgeschichte, die sich auf dem
böhmischen Boden abspielt. Die Stammverwandten der jetzigen Bosnier, die
sich am Schluß der slawische" Wanderung westlich von ihnen in dem nach
ihnen Kroatien benannten Lande niederließen, gerieten bald in die Einflu߬
sphäre der römischen Kirche und in den Machtbezirk Karls des Großen und
wurden dadurch ein Glied der westeuropäischen Völkerfamilie. Die östlichen
Nachbarn, die Serben, kamen unter das byzantinische Kaiserreich und damit
unter die orientalische Kirche. Die politische Macht von Byzanz schwand
immer mehr, und das Serbenvolk wurde unabhängig, aber die Durchdringung
des nationalen Wesens mit dem Geist der griechischen Kirche war so voll¬
ständig, daß für die Serben die Kirche und ihre Nationalität gleichbedeutend
wurde. Diesem Umstände verdanken es die Serben, daß trotz der dreihundert¬
jährigen Türkenherrschaft fast kein Mohammedaner mehr in ihrem Lande wohnt,
und daß die niedergetretne Nationalität an der Hand der Kirche wieder in die
Höhe kam.

In das Land zwischen der Una und der Drina, das heutige Bosnien,
reichte in der kritischen Zeit die Macht des römisch-deutschen Kaisers so wenig
wie die des griechischen Kaisers. Die Missionen beider Kirchen begegneten
sich, aber keine konnte sich eines durchschlagenden Erfolges rühmen. Da
kam im elften Jahrhundert von Bulgarien her zu den in der Hauptsache noch
heidnischen Bosniern eine neue religiöse Bewegung. Dem aus den Bergen
Kleinasiens stammenden Manichäismus war in Bulgarien in dem Priester
Bogumil ein Reformator erstanden, der aus dem persischen Dualismus mit
seinen Dämonen und Wundern und aus christlichen Formen eine Religion
schuf, wie sie für die halbwilden slawischen Balkanvölker paßte.


Bosnien und die Herzegowina

zwischen der reichen dalmatischen Küste und dem wichtigen Pannonien. Auf
dem umgekehrten Wege durchzogen später die Goten und die Awaren das Land,
ohne daß es sie zum Bleiben lockte. Das große Ereignis in der Geschichte
der ganzen Ostseite der Adria ist die Einwanderung eines slawischen Volkes,
das seinen jetzigen Sitzen die Namen Kroatien, Bosnien und Serbien geliehen
hat, und zu dem auch die Bewohner der Schwarzen Berge, die Montenegriner
gehören. Das zweite große Ereignis ist, daß dieses Volk mit Ausnahme der
Kroaten am Ende des Mittelalters von den Osmanen unterworfen wurde
und unterworfen gehalten wurde bis in unsre Zeit, bis das benachbarte
Österreich-Ungarn im Jahre 1878 der Türkenwirtschaft ein Ende machte und
eine neue Periode für das arme Land heraufführte. Die Okkupation erfolgte
im Auftrage der europäischen Mächte und im Einverständnis mit dem Sultan.
Sie ging übrigens nicht so harmlos vor sich, wie der von der Diplomatie
gewählte Name hoffen ließ, sondern gestaltete sich zu einem regelrechten
Guerillakrieg. Statt einiger Schwadronen Husaren und ein paar Militär¬
musiken, wie ein Spaßvogel das erste Aufgebot bezeichnete, brauchte der Ober¬
kommandierende, Herzog Wilhelm von Württemberg, zweihunderttausend Mann.
Trotz dieser erdrückenden Machtentfaltung kam es nach vier Jahren zu einem
blutigen Aufstande, sodaß die Pazifizierung Österreich-Ungarn im ganzen vier¬
tausend Mann gekostet hat.

Nicht so leicht zusammenzufassen ist die Kulturgeschichte, die sich auf dem
böhmischen Boden abspielt. Die Stammverwandten der jetzigen Bosnier, die
sich am Schluß der slawische« Wanderung westlich von ihnen in dem nach
ihnen Kroatien benannten Lande niederließen, gerieten bald in die Einflu߬
sphäre der römischen Kirche und in den Machtbezirk Karls des Großen und
wurden dadurch ein Glied der westeuropäischen Völkerfamilie. Die östlichen
Nachbarn, die Serben, kamen unter das byzantinische Kaiserreich und damit
unter die orientalische Kirche. Die politische Macht von Byzanz schwand
immer mehr, und das Serbenvolk wurde unabhängig, aber die Durchdringung
des nationalen Wesens mit dem Geist der griechischen Kirche war so voll¬
ständig, daß für die Serben die Kirche und ihre Nationalität gleichbedeutend
wurde. Diesem Umstände verdanken es die Serben, daß trotz der dreihundert¬
jährigen Türkenherrschaft fast kein Mohammedaner mehr in ihrem Lande wohnt,
und daß die niedergetretne Nationalität an der Hand der Kirche wieder in die
Höhe kam.

In das Land zwischen der Una und der Drina, das heutige Bosnien,
reichte in der kritischen Zeit die Macht des römisch-deutschen Kaisers so wenig
wie die des griechischen Kaisers. Die Missionen beider Kirchen begegneten
sich, aber keine konnte sich eines durchschlagenden Erfolges rühmen. Da
kam im elften Jahrhundert von Bulgarien her zu den in der Hauptsache noch
heidnischen Bosniern eine neue religiöse Bewegung. Dem aus den Bergen
Kleinasiens stammenden Manichäismus war in Bulgarien in dem Priester
Bogumil ein Reformator erstanden, der aus dem persischen Dualismus mit
seinen Dämonen und Wundern und aus christlichen Formen eine Religion
schuf, wie sie für die halbwilden slawischen Balkanvölker paßte.


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[0033] Bosnien und die Herzegowina zwischen der reichen dalmatischen Küste und dem wichtigen Pannonien. Auf dem umgekehrten Wege durchzogen später die Goten und die Awaren das Land, ohne daß es sie zum Bleiben lockte. Das große Ereignis in der Geschichte der ganzen Ostseite der Adria ist die Einwanderung eines slawischen Volkes, das seinen jetzigen Sitzen die Namen Kroatien, Bosnien und Serbien geliehen hat, und zu dem auch die Bewohner der Schwarzen Berge, die Montenegriner gehören. Das zweite große Ereignis ist, daß dieses Volk mit Ausnahme der Kroaten am Ende des Mittelalters von den Osmanen unterworfen wurde und unterworfen gehalten wurde bis in unsre Zeit, bis das benachbarte Österreich-Ungarn im Jahre 1878 der Türkenwirtschaft ein Ende machte und eine neue Periode für das arme Land heraufführte. Die Okkupation erfolgte im Auftrage der europäischen Mächte und im Einverständnis mit dem Sultan. Sie ging übrigens nicht so harmlos vor sich, wie der von der Diplomatie gewählte Name hoffen ließ, sondern gestaltete sich zu einem regelrechten Guerillakrieg. Statt einiger Schwadronen Husaren und ein paar Militär¬ musiken, wie ein Spaßvogel das erste Aufgebot bezeichnete, brauchte der Ober¬ kommandierende, Herzog Wilhelm von Württemberg, zweihunderttausend Mann. Trotz dieser erdrückenden Machtentfaltung kam es nach vier Jahren zu einem blutigen Aufstande, sodaß die Pazifizierung Österreich-Ungarn im ganzen vier¬ tausend Mann gekostet hat. Nicht so leicht zusammenzufassen ist die Kulturgeschichte, die sich auf dem böhmischen Boden abspielt. Die Stammverwandten der jetzigen Bosnier, die sich am Schluß der slawische« Wanderung westlich von ihnen in dem nach ihnen Kroatien benannten Lande niederließen, gerieten bald in die Einflu߬ sphäre der römischen Kirche und in den Machtbezirk Karls des Großen und wurden dadurch ein Glied der westeuropäischen Völkerfamilie. Die östlichen Nachbarn, die Serben, kamen unter das byzantinische Kaiserreich und damit unter die orientalische Kirche. Die politische Macht von Byzanz schwand immer mehr, und das Serbenvolk wurde unabhängig, aber die Durchdringung des nationalen Wesens mit dem Geist der griechischen Kirche war so voll¬ ständig, daß für die Serben die Kirche und ihre Nationalität gleichbedeutend wurde. Diesem Umstände verdanken es die Serben, daß trotz der dreihundert¬ jährigen Türkenherrschaft fast kein Mohammedaner mehr in ihrem Lande wohnt, und daß die niedergetretne Nationalität an der Hand der Kirche wieder in die Höhe kam. In das Land zwischen der Una und der Drina, das heutige Bosnien, reichte in der kritischen Zeit die Macht des römisch-deutschen Kaisers so wenig wie die des griechischen Kaisers. Die Missionen beider Kirchen begegneten sich, aber keine konnte sich eines durchschlagenden Erfolges rühmen. Da kam im elften Jahrhundert von Bulgarien her zu den in der Hauptsache noch heidnischen Bosniern eine neue religiöse Bewegung. Dem aus den Bergen Kleinasiens stammenden Manichäismus war in Bulgarien in dem Priester Bogumil ein Reformator erstanden, der aus dem persischen Dualismus mit seinen Dämonen und Wundern und aus christlichen Formen eine Religion schuf, wie sie für die halbwilden slawischen Balkanvölker paßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/33>, abgerufen am 02.10.2024.