Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Menschenfrühling

er ein lebhaftes Verlangen nach Ratten und Mäusen. Anneli aber sehnte sich nach
dem großen Gutshaus, nach Bernb und dem weiten Garten.

Was bedeutet aber die Sehnsucht? Es ist eine graue Frau mit grauem Schleier
und traurigen Augen. Sie hüllt dich in ihre Schleier und bringt dich zum Weinen
mit ihren trostlosen Blicken. Doch wenn du nach ihr greifen willst, so ist sie nie¬
mals dagewesen.

Christel berichtete schon lange etwas, und Anneli horchte allmählich auf sie.
Onkel Willi war aus Schreck über Tante Fritzes Tod heftig erkrankt. Eine Pflege¬
schwester, Lene genannt, wohnte bei ihm, um für ihn zu sorgen, und Tante Fritze
war noch nicht begraben. Sie war mit ihrem schwarzseidnen Kleide und einer
neuen Haube angetan, die Frau Roland gemacht hatte, und wenn Anneli wollte,
konnte sie sie noch einmal sehen.

Dann kicherte Christel über Onkel Aurelius, der einen so entsetzlichen Schreck
bekommen hatte, weil Tante Fritze vor seinen Augen in der Küche gestorben war.
Sie hatte ein neues Gericht für ihren Kandidaten bereiten wollen. Ob er sie
schließlich doch noch geheiratet hätte? Frau Doktor Sudeck sagte, sie könnte es sich
nicht denken, und obgleich Christel nicht viel auf das Urteil ihrer Mutter gab, so
schenkte sie ihr in diesem Falle doch halbwegs Glauben.

Anneli lag schon lange in einen, kleinen schmalen Bett, das Sudecks in Christels
Zimmer gestellt hatten, als diese noch immer schwatzte. Sie saß auf ihrem eignen
Bett, kämmte sich das blonde, farblose Haar und berichtete allerhand Stadt¬
neuigkeiten. Rita Makler sollte wieder zurückkehren. In der benachbarten kleinen
Stadt wollte sie nicht bleiben, weil es dort keine Lateinschüler gab, und Herr
Peterleins Vater hatte seine Apotheke verkauft und wollte von seinem Gelde leben.
Nun war er also noch feiner geworden, und wenn Herr Peterlein hier ausgelernt
hatte, wollte er nach Hamburg in ein großes Geschäft gehn.

Vielleicht heirate ich ihn, sagte Christel. Besonders, wenn ich zu lange auf
Fred Roland warten muß. Vorher aber spiele ich deu alten Peters einen Streich.

Die alten Peters? Anneli suchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.
Wer waren die alten Peters?

Doch sie schlief ein, ehe sie die Antwort hörte, und am nächsten Morgen
dachte sie nur uoch an Onkel Willi und an Tante Fritze. Sie vergaß sogar Cäsar,
der die Nacht unter ihrem Bett geschlafen hatte und nun lustig neben ihr hertrottelte.
Er war immer lustig, und Anneli wollte es auch sein, als sie jedoch den Schloßberg
hinauslief, zitterte ihr kleines Herz, und ihre Augen standen voll Tränen.

Es war gut, daß ihr Onkel Aurelius begegnete, sie mit feierlicher Miene be¬
grüßte und ihr eine kleine Rede hielt, des Inhalts, daß wir alle sterben müßten,
besonders wenn wir ein schwaches Herz hätten. Tante Fritze wäre, so erzählte er,
auch schon alt gewesen und hätte ein gutes Leben hinter sich gehabt. In der letzten
Zeit hätte sie allerdings Verdruß gehabt. Der Bauer, der ihr die jungen Hähne
hätte bringen wollen, hätte nicht Wort gehalten und sie in die Stadt in den "Gro߬
herzog", den ersten Gasthof, gebracht, und die frisch eingemachten Erdbeeren wären,
ohne erkennbaren Grund, in Gärung geraten. Und wenn man dann ein schwaches
Herz habe -- der Kandidat zuckte noch einmal die Achseln und ließ Anneli allein
in die Wohnung ihres Onkels gehn, aus der sie vor kurzem ausgezogen war, und
die sie nun so verändert wiederfand. Eine unfreundliche Pflegeschwester öffnete ihr
die Tür, und Onkel Willi saß nicht vor seinem Schreibtisch, sondern lag im Bett,
in seinem bescheiden, fast dürftig eingerichteten Schlafzimmer, worin als der einzige
Schmuck nur ein großes Bild an der Wand hing. Es stellte eine schöne Frau
vor mit einer kleinen Krone auf dem Haupte. Anneli mußte sie ansehen, während
sie mit dem Onkel sprach, der ihr freundlich die Hand reichte. Er freute sich, seine
kleine Nichte wiederzusehen; aber er konnte nicht viel sprechen. Seine Lungen waren
immer schwach gewesen, nun war der Schreck über den Todesfall mit einer Er¬
kältung zusammengekommen, und er mußte sich erst wieder auskurieren und beruhigen.


Menschenfrühling

er ein lebhaftes Verlangen nach Ratten und Mäusen. Anneli aber sehnte sich nach
dem großen Gutshaus, nach Bernb und dem weiten Garten.

Was bedeutet aber die Sehnsucht? Es ist eine graue Frau mit grauem Schleier
und traurigen Augen. Sie hüllt dich in ihre Schleier und bringt dich zum Weinen
mit ihren trostlosen Blicken. Doch wenn du nach ihr greifen willst, so ist sie nie¬
mals dagewesen.

Christel berichtete schon lange etwas, und Anneli horchte allmählich auf sie.
Onkel Willi war aus Schreck über Tante Fritzes Tod heftig erkrankt. Eine Pflege¬
schwester, Lene genannt, wohnte bei ihm, um für ihn zu sorgen, und Tante Fritze
war noch nicht begraben. Sie war mit ihrem schwarzseidnen Kleide und einer
neuen Haube angetan, die Frau Roland gemacht hatte, und wenn Anneli wollte,
konnte sie sie noch einmal sehen.

Dann kicherte Christel über Onkel Aurelius, der einen so entsetzlichen Schreck
bekommen hatte, weil Tante Fritze vor seinen Augen in der Küche gestorben war.
Sie hatte ein neues Gericht für ihren Kandidaten bereiten wollen. Ob er sie
schließlich doch noch geheiratet hätte? Frau Doktor Sudeck sagte, sie könnte es sich
nicht denken, und obgleich Christel nicht viel auf das Urteil ihrer Mutter gab, so
schenkte sie ihr in diesem Falle doch halbwegs Glauben.

Anneli lag schon lange in einen, kleinen schmalen Bett, das Sudecks in Christels
Zimmer gestellt hatten, als diese noch immer schwatzte. Sie saß auf ihrem eignen
Bett, kämmte sich das blonde, farblose Haar und berichtete allerhand Stadt¬
neuigkeiten. Rita Makler sollte wieder zurückkehren. In der benachbarten kleinen
Stadt wollte sie nicht bleiben, weil es dort keine Lateinschüler gab, und Herr
Peterleins Vater hatte seine Apotheke verkauft und wollte von seinem Gelde leben.
Nun war er also noch feiner geworden, und wenn Herr Peterlein hier ausgelernt
hatte, wollte er nach Hamburg in ein großes Geschäft gehn.

Vielleicht heirate ich ihn, sagte Christel. Besonders, wenn ich zu lange auf
Fred Roland warten muß. Vorher aber spiele ich deu alten Peters einen Streich.

Die alten Peters? Anneli suchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.
Wer waren die alten Peters?

Doch sie schlief ein, ehe sie die Antwort hörte, und am nächsten Morgen
dachte sie nur uoch an Onkel Willi und an Tante Fritze. Sie vergaß sogar Cäsar,
der die Nacht unter ihrem Bett geschlafen hatte und nun lustig neben ihr hertrottelte.
Er war immer lustig, und Anneli wollte es auch sein, als sie jedoch den Schloßberg
hinauslief, zitterte ihr kleines Herz, und ihre Augen standen voll Tränen.

Es war gut, daß ihr Onkel Aurelius begegnete, sie mit feierlicher Miene be¬
grüßte und ihr eine kleine Rede hielt, des Inhalts, daß wir alle sterben müßten,
besonders wenn wir ein schwaches Herz hätten. Tante Fritze wäre, so erzählte er,
auch schon alt gewesen und hätte ein gutes Leben hinter sich gehabt. In der letzten
Zeit hätte sie allerdings Verdruß gehabt. Der Bauer, der ihr die jungen Hähne
hätte bringen wollen, hätte nicht Wort gehalten und sie in die Stadt in den „Gro߬
herzog", den ersten Gasthof, gebracht, und die frisch eingemachten Erdbeeren wären,
ohne erkennbaren Grund, in Gärung geraten. Und wenn man dann ein schwaches
Herz habe — der Kandidat zuckte noch einmal die Achseln und ließ Anneli allein
in die Wohnung ihres Onkels gehn, aus der sie vor kurzem ausgezogen war, und
die sie nun so verändert wiederfand. Eine unfreundliche Pflegeschwester öffnete ihr
die Tür, und Onkel Willi saß nicht vor seinem Schreibtisch, sondern lag im Bett,
in seinem bescheiden, fast dürftig eingerichteten Schlafzimmer, worin als der einzige
Schmuck nur ein großes Bild an der Wand hing. Es stellte eine schöne Frau
vor mit einer kleinen Krone auf dem Haupte. Anneli mußte sie ansehen, während
sie mit dem Onkel sprach, der ihr freundlich die Hand reichte. Er freute sich, seine
kleine Nichte wiederzusehen; aber er konnte nicht viel sprechen. Seine Lungen waren
immer schwach gewesen, nun war der Schreck über den Todesfall mit einer Er¬
kältung zusammengekommen, und er mußte sich erst wieder auskurieren und beruhigen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299325"/>
            <fw type="header" place="top"> Menschenfrühling</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1222" prev="#ID_1221"> er ein lebhaftes Verlangen nach Ratten und Mäusen. Anneli aber sehnte sich nach<lb/>
dem großen Gutshaus, nach Bernb und dem weiten Garten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1223"> Was bedeutet aber die Sehnsucht? Es ist eine graue Frau mit grauem Schleier<lb/>
und traurigen Augen. Sie hüllt dich in ihre Schleier und bringt dich zum Weinen<lb/>
mit ihren trostlosen Blicken. Doch wenn du nach ihr greifen willst, so ist sie nie¬<lb/>
mals dagewesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1224"> Christel berichtete schon lange etwas, und Anneli horchte allmählich auf sie.<lb/>
Onkel Willi war aus Schreck über Tante Fritzes Tod heftig erkrankt. Eine Pflege¬<lb/>
schwester, Lene genannt, wohnte bei ihm, um für ihn zu sorgen, und Tante Fritze<lb/>
war noch nicht begraben. Sie war mit ihrem schwarzseidnen Kleide und einer<lb/>
neuen Haube angetan, die Frau Roland gemacht hatte, und wenn Anneli wollte,<lb/>
konnte sie sie noch einmal sehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1225"> Dann kicherte Christel über Onkel Aurelius, der einen so entsetzlichen Schreck<lb/>
bekommen hatte, weil Tante Fritze vor seinen Augen in der Küche gestorben war.<lb/>
Sie hatte ein neues Gericht für ihren Kandidaten bereiten wollen. Ob er sie<lb/>
schließlich doch noch geheiratet hätte? Frau Doktor Sudeck sagte, sie könnte es sich<lb/>
nicht denken, und obgleich Christel nicht viel auf das Urteil ihrer Mutter gab, so<lb/>
schenkte sie ihr in diesem Falle doch halbwegs Glauben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1226"> Anneli lag schon lange in einen, kleinen schmalen Bett, das Sudecks in Christels<lb/>
Zimmer gestellt hatten, als diese noch immer schwatzte. Sie saß auf ihrem eignen<lb/>
Bett, kämmte sich das blonde, farblose Haar und berichtete allerhand Stadt¬<lb/>
neuigkeiten. Rita Makler sollte wieder zurückkehren. In der benachbarten kleinen<lb/>
Stadt wollte sie nicht bleiben, weil es dort keine Lateinschüler gab, und Herr<lb/>
Peterleins Vater hatte seine Apotheke verkauft und wollte von seinem Gelde leben.<lb/>
Nun war er also noch feiner geworden, und wenn Herr Peterlein hier ausgelernt<lb/>
hatte, wollte er nach Hamburg in ein großes Geschäft gehn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1227"> Vielleicht heirate ich ihn, sagte Christel. Besonders, wenn ich zu lange auf<lb/>
Fred Roland warten muß. Vorher aber spiele ich deu alten Peters einen Streich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1228"> Die alten Peters? Anneli suchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.<lb/>
Wer waren die alten Peters?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1229"> Doch sie schlief ein, ehe sie die Antwort hörte, und am nächsten Morgen<lb/>
dachte sie nur uoch an Onkel Willi und an Tante Fritze. Sie vergaß sogar Cäsar,<lb/>
der die Nacht unter ihrem Bett geschlafen hatte und nun lustig neben ihr hertrottelte.<lb/>
Er war immer lustig, und Anneli wollte es auch sein, als sie jedoch den Schloßberg<lb/>
hinauslief, zitterte ihr kleines Herz, und ihre Augen standen voll Tränen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1230" next="#ID_1231"> Es war gut, daß ihr Onkel Aurelius begegnete, sie mit feierlicher Miene be¬<lb/>
grüßte und ihr eine kleine Rede hielt, des Inhalts, daß wir alle sterben müßten,<lb/>
besonders wenn wir ein schwaches Herz hätten. Tante Fritze wäre, so erzählte er,<lb/>
auch schon alt gewesen und hätte ein gutes Leben hinter sich gehabt. In der letzten<lb/>
Zeit hätte sie allerdings Verdruß gehabt. Der Bauer, der ihr die jungen Hähne<lb/>
hätte bringen wollen, hätte nicht Wort gehalten und sie in die Stadt in den &#x201E;Gro߬<lb/>
herzog", den ersten Gasthof, gebracht, und die frisch eingemachten Erdbeeren wären,<lb/>
ohne erkennbaren Grund, in Gärung geraten. Und wenn man dann ein schwaches<lb/>
Herz habe &#x2014; der Kandidat zuckte noch einmal die Achseln und ließ Anneli allein<lb/>
in die Wohnung ihres Onkels gehn, aus der sie vor kurzem ausgezogen war, und<lb/>
die sie nun so verändert wiederfand. Eine unfreundliche Pflegeschwester öffnete ihr<lb/>
die Tür, und Onkel Willi saß nicht vor seinem Schreibtisch, sondern lag im Bett,<lb/>
in seinem bescheiden, fast dürftig eingerichteten Schlafzimmer, worin als der einzige<lb/>
Schmuck nur ein großes Bild an der Wand hing. Es stellte eine schöne Frau<lb/>
vor mit einer kleinen Krone auf dem Haupte. Anneli mußte sie ansehen, während<lb/>
sie mit dem Onkel sprach, der ihr freundlich die Hand reichte. Er freute sich, seine<lb/>
kleine Nichte wiederzusehen; aber er konnte nicht viel sprechen. Seine Lungen waren<lb/>
immer schwach gewesen, nun war der Schreck über den Todesfall mit einer Er¬<lb/>
kältung zusammengekommen, und er mußte sich erst wieder auskurieren und beruhigen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Menschenfrühling er ein lebhaftes Verlangen nach Ratten und Mäusen. Anneli aber sehnte sich nach dem großen Gutshaus, nach Bernb und dem weiten Garten. Was bedeutet aber die Sehnsucht? Es ist eine graue Frau mit grauem Schleier und traurigen Augen. Sie hüllt dich in ihre Schleier und bringt dich zum Weinen mit ihren trostlosen Blicken. Doch wenn du nach ihr greifen willst, so ist sie nie¬ mals dagewesen. Christel berichtete schon lange etwas, und Anneli horchte allmählich auf sie. Onkel Willi war aus Schreck über Tante Fritzes Tod heftig erkrankt. Eine Pflege¬ schwester, Lene genannt, wohnte bei ihm, um für ihn zu sorgen, und Tante Fritze war noch nicht begraben. Sie war mit ihrem schwarzseidnen Kleide und einer neuen Haube angetan, die Frau Roland gemacht hatte, und wenn Anneli wollte, konnte sie sie noch einmal sehen. Dann kicherte Christel über Onkel Aurelius, der einen so entsetzlichen Schreck bekommen hatte, weil Tante Fritze vor seinen Augen in der Küche gestorben war. Sie hatte ein neues Gericht für ihren Kandidaten bereiten wollen. Ob er sie schließlich doch noch geheiratet hätte? Frau Doktor Sudeck sagte, sie könnte es sich nicht denken, und obgleich Christel nicht viel auf das Urteil ihrer Mutter gab, so schenkte sie ihr in diesem Falle doch halbwegs Glauben. Anneli lag schon lange in einen, kleinen schmalen Bett, das Sudecks in Christels Zimmer gestellt hatten, als diese noch immer schwatzte. Sie saß auf ihrem eignen Bett, kämmte sich das blonde, farblose Haar und berichtete allerhand Stadt¬ neuigkeiten. Rita Makler sollte wieder zurückkehren. In der benachbarten kleinen Stadt wollte sie nicht bleiben, weil es dort keine Lateinschüler gab, und Herr Peterleins Vater hatte seine Apotheke verkauft und wollte von seinem Gelde leben. Nun war er also noch feiner geworden, und wenn Herr Peterlein hier ausgelernt hatte, wollte er nach Hamburg in ein großes Geschäft gehn. Vielleicht heirate ich ihn, sagte Christel. Besonders, wenn ich zu lange auf Fred Roland warten muß. Vorher aber spiele ich deu alten Peters einen Streich. Die alten Peters? Anneli suchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Wer waren die alten Peters? Doch sie schlief ein, ehe sie die Antwort hörte, und am nächsten Morgen dachte sie nur uoch an Onkel Willi und an Tante Fritze. Sie vergaß sogar Cäsar, der die Nacht unter ihrem Bett geschlafen hatte und nun lustig neben ihr hertrottelte. Er war immer lustig, und Anneli wollte es auch sein, als sie jedoch den Schloßberg hinauslief, zitterte ihr kleines Herz, und ihre Augen standen voll Tränen. Es war gut, daß ihr Onkel Aurelius begegnete, sie mit feierlicher Miene be¬ grüßte und ihr eine kleine Rede hielt, des Inhalts, daß wir alle sterben müßten, besonders wenn wir ein schwaches Herz hätten. Tante Fritze wäre, so erzählte er, auch schon alt gewesen und hätte ein gutes Leben hinter sich gehabt. In der letzten Zeit hätte sie allerdings Verdruß gehabt. Der Bauer, der ihr die jungen Hähne hätte bringen wollen, hätte nicht Wort gehalten und sie in die Stadt in den „Gro߬ herzog", den ersten Gasthof, gebracht, und die frisch eingemachten Erdbeeren wären, ohne erkennbaren Grund, in Gärung geraten. Und wenn man dann ein schwaches Herz habe — der Kandidat zuckte noch einmal die Achseln und ließ Anneli allein in die Wohnung ihres Onkels gehn, aus der sie vor kurzem ausgezogen war, und die sie nun so verändert wiederfand. Eine unfreundliche Pflegeschwester öffnete ihr die Tür, und Onkel Willi saß nicht vor seinem Schreibtisch, sondern lag im Bett, in seinem bescheiden, fast dürftig eingerichteten Schlafzimmer, worin als der einzige Schmuck nur ein großes Bild an der Wand hing. Es stellte eine schöne Frau vor mit einer kleinen Krone auf dem Haupte. Anneli mußte sie ansehen, während sie mit dem Onkel sprach, der ihr freundlich die Hand reichte. Er freute sich, seine kleine Nichte wiederzusehen; aber er konnte nicht viel sprechen. Seine Lungen waren immer schwach gewesen, nun war der Schreck über den Todesfall mit einer Er¬ kältung zusammengekommen, und er mußte sich erst wieder auskurieren und beruhigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/284>, abgerufen am 27.12.2024.