Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Die Steuerlast der landwirtschaftlichen Bevölkerung Preußens schon allein deshalb, weil er ans absehbare Zeit hinaus einen Rekrutenersatz Bei der in immer weitere Kreise gedrungnen Überzeugung von der Be¬ Es ist eines der größten Verhängnisse der Reichstagspolitik, daß auf dem Die Miquelsche Steuerreform hat allerdings bewirkt, daß in vielen Re¬ Grenzboten II, 1906 31
Die Steuerlast der landwirtschaftlichen Bevölkerung Preußens schon allein deshalb, weil er ans absehbare Zeit hinaus einen Rekrutenersatz Bei der in immer weitere Kreise gedrungnen Überzeugung von der Be¬ Es ist eines der größten Verhängnisse der Reichstagspolitik, daß auf dem Die Miquelsche Steuerreform hat allerdings bewirkt, daß in vielen Re¬ Grenzboten II, 1906 31
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299294"/> <fw type="header" place="top"> Die Steuerlast der landwirtschaftlichen Bevölkerung Preußens</fw><lb/> <p xml:id="ID_1122" prev="#ID_1121"> schon allein deshalb, weil er ans absehbare Zeit hinaus einen Rekrutenersatz<lb/> für unser Heer liefern wird, wie es kein andres Gewerbe vermag. Daß aber<lb/> bei der zentralen Lage unsers Vaterlandes im Herzen von Europa alles auf<lb/> die Erhaltung der Unnachahmlichkeit unsrer Armee ankommt, bedarf keines Be¬<lb/> weises, denn was hilft uns aller Wohlstand und wirtschaftlicher Aufschwung,<lb/> wenn uns böse Nachbarn, wie sie es früher so oft getan haben, der Früchte<lb/> unsers Fleißes wieder berauben könnten!</p><lb/> <p xml:id="ID_1123"> Bei der in immer weitere Kreise gedrungnen Überzeugung von der Be¬<lb/> deutung unsrer Landwirtschaft ist es um so auffallender, daß die Grafen Königs-<lb/> mnrck und Mirbach-Sorquitten kürzlich im preußischen Herrenhause feststellen<lb/> konnten, daß landwirtschaftliche Betriebe der Monarchie mit 45 bis 50 Prozent<lb/> ihres Reinertrages zu Steuern und Abgaben herangezogen werden. Charak¬<lb/> teristisch bei ihren Ausführungen war, daß sie ganz dieselben Argumente ins<lb/> Feld führten, die einst Bismarck im Jahre 1879 verwandt hat. Daß das<lb/> Vermögen des Landwirth frei in der Sonne den scharfen Augen des Fiskus<lb/> Preisgegeben ist, während fast alle andern Vermögensarten mehr oder minder<lb/> der Kontrolle entzogen sind, kann eben nur jemand voll würdigen, der diese<lb/> Tatsache am eignen Fleische empfunden hat. Gerade deshalb ist es so gut für<lb/> einen Minister, wenn er selbst Grundbesitz hat, da er dann erst so recht merkt,<lb/> wie das Negiertwerden tut, und wo die „Untertanen" der Schuh drückt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1124"> Es ist eines der größten Verhängnisse der Reichstagspolitik, daß auf dem<lb/> wichtigen Gebiete der Neichssinanzgesetzgcbung die Vorschläge Bismarcks nicht<lb/> angenommen worden sind. Mit genialen Blick hatte er erkannt, daß es eine<lb/> wichtige Aufgabe der preußischen Negierung sei, „den Druck der direkten Steuern<lb/> auf die Landwirtschaft zu vermindern und die Gemeinden von Armen- und<lb/> Schullasten, von Zuschlägen zu Grund- und Personalsteuern und andern<lb/> drückenden direkten Abgaben zu entlasten". Zur Erreichung dieses Zieles<lb/> war in der Allerhöchste« Botschaft vom November 1881 auf die Eröffnung er¬<lb/> giebigerer Einnahmequellen durch indirekte Reichssteuern hingewiesen, und die<lb/> sozialen Versicherungsgesetzentwürfe waren von Bismarck nur für den Fall der<lb/> gleichzeitigen Einführung des Tabakmonopols eingebracht worden. Die sozialen<lb/> Gesetze mit ihrer Belastung des Etats traten in Kraft, aber aus Parteipolitischeu<lb/> Rücksichten wurde damals die indirekte Steuerquelle nicht erschlossen. Damit<lb/> wurde nicht nur die Festigung des Reiches durch neue und ergiebige Finanzen<lb/> auf Jahrzehnte hinaus verhindert, sondern auch die Entlastung der über¬<lb/> bürdeten Landwirtschaft von direkten Steuern hintertrieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1125" next="#ID_1126"> Die Miquelsche Steuerreform hat allerdings bewirkt, daß in vielen Re¬<lb/> gierungsbezirken der preußischen Monarchie jetzt weniger „Staatssteuern" er¬<lb/> hoben werden, als ohne die Reform gezahlt werden müßten, aber seit 1879<lb/> sind so zahlreiche neue andre Abgaben und Lasten für die preußische Land¬<lb/> wirtschaft hinzugekommen, daß dieser Umstand nur wenig ins Gewicht fällt.<lb/> Im Jahre 1879 betrug, wie Bismarck damals im Reichstag ausführte, die<lb/> Summe der direkten Steuern und Abgaben eines mittlern landwirtschaftlichen<lb/> Betriebes im Westen des Staats durchschnittlich 20, im Osten aber oft bis zu<lb/> 90 Prozent des Reineinkommens. Diese Belastung wurde damals als eine</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II, 1906 31</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
Die Steuerlast der landwirtschaftlichen Bevölkerung Preußens
schon allein deshalb, weil er ans absehbare Zeit hinaus einen Rekrutenersatz
für unser Heer liefern wird, wie es kein andres Gewerbe vermag. Daß aber
bei der zentralen Lage unsers Vaterlandes im Herzen von Europa alles auf
die Erhaltung der Unnachahmlichkeit unsrer Armee ankommt, bedarf keines Be¬
weises, denn was hilft uns aller Wohlstand und wirtschaftlicher Aufschwung,
wenn uns böse Nachbarn, wie sie es früher so oft getan haben, der Früchte
unsers Fleißes wieder berauben könnten!
Bei der in immer weitere Kreise gedrungnen Überzeugung von der Be¬
deutung unsrer Landwirtschaft ist es um so auffallender, daß die Grafen Königs-
mnrck und Mirbach-Sorquitten kürzlich im preußischen Herrenhause feststellen
konnten, daß landwirtschaftliche Betriebe der Monarchie mit 45 bis 50 Prozent
ihres Reinertrages zu Steuern und Abgaben herangezogen werden. Charak¬
teristisch bei ihren Ausführungen war, daß sie ganz dieselben Argumente ins
Feld führten, die einst Bismarck im Jahre 1879 verwandt hat. Daß das
Vermögen des Landwirth frei in der Sonne den scharfen Augen des Fiskus
Preisgegeben ist, während fast alle andern Vermögensarten mehr oder minder
der Kontrolle entzogen sind, kann eben nur jemand voll würdigen, der diese
Tatsache am eignen Fleische empfunden hat. Gerade deshalb ist es so gut für
einen Minister, wenn er selbst Grundbesitz hat, da er dann erst so recht merkt,
wie das Negiertwerden tut, und wo die „Untertanen" der Schuh drückt.
Es ist eines der größten Verhängnisse der Reichstagspolitik, daß auf dem
wichtigen Gebiete der Neichssinanzgesetzgcbung die Vorschläge Bismarcks nicht
angenommen worden sind. Mit genialen Blick hatte er erkannt, daß es eine
wichtige Aufgabe der preußischen Negierung sei, „den Druck der direkten Steuern
auf die Landwirtschaft zu vermindern und die Gemeinden von Armen- und
Schullasten, von Zuschlägen zu Grund- und Personalsteuern und andern
drückenden direkten Abgaben zu entlasten". Zur Erreichung dieses Zieles
war in der Allerhöchste« Botschaft vom November 1881 auf die Eröffnung er¬
giebigerer Einnahmequellen durch indirekte Reichssteuern hingewiesen, und die
sozialen Versicherungsgesetzentwürfe waren von Bismarck nur für den Fall der
gleichzeitigen Einführung des Tabakmonopols eingebracht worden. Die sozialen
Gesetze mit ihrer Belastung des Etats traten in Kraft, aber aus Parteipolitischeu
Rücksichten wurde damals die indirekte Steuerquelle nicht erschlossen. Damit
wurde nicht nur die Festigung des Reiches durch neue und ergiebige Finanzen
auf Jahrzehnte hinaus verhindert, sondern auch die Entlastung der über¬
bürdeten Landwirtschaft von direkten Steuern hintertrieben.
Die Miquelsche Steuerreform hat allerdings bewirkt, daß in vielen Re¬
gierungsbezirken der preußischen Monarchie jetzt weniger „Staatssteuern" er¬
hoben werden, als ohne die Reform gezahlt werden müßten, aber seit 1879
sind so zahlreiche neue andre Abgaben und Lasten für die preußische Land¬
wirtschaft hinzugekommen, daß dieser Umstand nur wenig ins Gewicht fällt.
Im Jahre 1879 betrug, wie Bismarck damals im Reichstag ausführte, die
Summe der direkten Steuern und Abgaben eines mittlern landwirtschaftlichen
Betriebes im Westen des Staats durchschnittlich 20, im Osten aber oft bis zu
90 Prozent des Reineinkommens. Diese Belastung wurde damals als eine
Grenzboten II, 1906 31
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