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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die ungarische Krise

die Verfassung einmal beiseite geschoben Hütte, die Position der monarchischen
Gewalt stärker werden mußte, zumal da der Opposition kein Mittel zu Ge¬
bote stand, sich einer absolutistischen Ordnung der Dinge mit Erfolg zu
widersetzen. Der 11. April bedeutete also das kritischste Datum in der Ent¬
wicklung der Krise, und nun setzte die Hochfinanz nach beiden Seiten den
Hebel an, um ein Kompromiß, das vor allem ihren Ansprüchen gerecht wurde,
zu erzwingen.

Der Opposition gab man sehr deutlich zu verstehn, daß die Zeit gekommen
sei, wo sie Vernunft annehmen müsse, nicht so sehr hinsichtlich des staats¬
rechtlich militärischen Inhalts ihres Programms, als vielmehr in ihrer wirt¬
schaftlichen Anschauung. Für das Magyarentum könne es keine andre Wirt¬
schaftspolitik geben als eine liberale; ihr verdankte die Nation ihren Aufschwung
seit 1870, und ihre herrschende Stellung sei in dem Augenblicke vernichtet, wo
sie die wirtschaftlich liberalen Prinzipien aufgäbe und sich von der Pester
Hochfinanz trennte, die den ungarischen Staatskrcdit in der Hand habe; schlage
die Opposition ein, dann könne sie von der Negierung Besitz nehmen, im
andern Falle würde aber dem Ministerium Fejervary im Falle von Neuwahlen
alle mögliche finanzielle Hilfe geboten werden.

Dieselbe Erpressertaktik wandte man auch nach der andern Seite hin an.
Zunächst wurden die Pester und die Wiener Blätter des finanziellen Syndikats,
das nunmehr die Lösung der ungarischen Krise in die Hand genommen hatte,
nicht müde, in den düstersten Farben die furchtbare Verantwortung auszumalen,
die die Krone auf sich nähme, wenn sie die Wahlen nicht zu dem verfassungs¬
mäßigen Termine ausschreibe. Zugleich erhielt der Ministerpräsident Baron
Fejervary die vertrauliche Mitteilung, daß er nach dem 11. April wegen der
finanziellen Bedürfnisse der Regierung vergeblich an den Geldmarkt appellieren
würde, da die leitenden Banken nicht mehr in der Lage seien, dem Staate
unter einem ausgesprochen absolutistischen Regime Vorschüsse zu geben, weil sie
sonst fürchten müßten, im Lande boycottiert zu werden.

Diese Drohung, den Kredit abzuschneiden, wirkte hier wie dort. Was
der Opposition nicht gelungen war, wurde im Handumdrehen erreicht: die
Krone willigte ein, daß die Opposition nach Belieben ein Kabinett bilde, ohne
ihre staatsrechtlich-militärischen Forderungen fallen zu lasse", die Opposition
aber sicherte die Bewilligung der schwebenden, von den Delegationen schon
bewilligten Teilkredite für die Artilleriereorganisation zu, behielt sich aber
vor, in dem neuen, auf Grund des neuen Wahlgesetzes zu wühlenden Reichs¬
tage, dem die Erhöhung der Präsenzstärke der Armee und alle weitern mili¬
tärischen Mehrforderungen überlassen werden sollen, ans ihr militärisch-staats¬
rechtliches Programm zurückzukommen.

Die Anteile der beiden Streitteile sowie des "ehrlichen" finanziellen Makkers
an dem Kompromisse lassen sich also folgendermaßen skizzieren: die Krone
erhält die Genehmigung der allernotwendigsten militärischen Mehrforderungen;
die Opposition kommt in den Besitz der Regierungsgewalt, ohne den Stand¬
punkt der Krone in der strittigen Armeefrage anzuerkennen; das finanzielle
Syndikat erhält aber in der Person des Ministerpräsidenten Wekerle einen


Die ungarische Krise

die Verfassung einmal beiseite geschoben Hütte, die Position der monarchischen
Gewalt stärker werden mußte, zumal da der Opposition kein Mittel zu Ge¬
bote stand, sich einer absolutistischen Ordnung der Dinge mit Erfolg zu
widersetzen. Der 11. April bedeutete also das kritischste Datum in der Ent¬
wicklung der Krise, und nun setzte die Hochfinanz nach beiden Seiten den
Hebel an, um ein Kompromiß, das vor allem ihren Ansprüchen gerecht wurde,
zu erzwingen.

Der Opposition gab man sehr deutlich zu verstehn, daß die Zeit gekommen
sei, wo sie Vernunft annehmen müsse, nicht so sehr hinsichtlich des staats¬
rechtlich militärischen Inhalts ihres Programms, als vielmehr in ihrer wirt¬
schaftlichen Anschauung. Für das Magyarentum könne es keine andre Wirt¬
schaftspolitik geben als eine liberale; ihr verdankte die Nation ihren Aufschwung
seit 1870, und ihre herrschende Stellung sei in dem Augenblicke vernichtet, wo
sie die wirtschaftlich liberalen Prinzipien aufgäbe und sich von der Pester
Hochfinanz trennte, die den ungarischen Staatskrcdit in der Hand habe; schlage
die Opposition ein, dann könne sie von der Negierung Besitz nehmen, im
andern Falle würde aber dem Ministerium Fejervary im Falle von Neuwahlen
alle mögliche finanzielle Hilfe geboten werden.

Dieselbe Erpressertaktik wandte man auch nach der andern Seite hin an.
Zunächst wurden die Pester und die Wiener Blätter des finanziellen Syndikats,
das nunmehr die Lösung der ungarischen Krise in die Hand genommen hatte,
nicht müde, in den düstersten Farben die furchtbare Verantwortung auszumalen,
die die Krone auf sich nähme, wenn sie die Wahlen nicht zu dem verfassungs¬
mäßigen Termine ausschreibe. Zugleich erhielt der Ministerpräsident Baron
Fejervary die vertrauliche Mitteilung, daß er nach dem 11. April wegen der
finanziellen Bedürfnisse der Regierung vergeblich an den Geldmarkt appellieren
würde, da die leitenden Banken nicht mehr in der Lage seien, dem Staate
unter einem ausgesprochen absolutistischen Regime Vorschüsse zu geben, weil sie
sonst fürchten müßten, im Lande boycottiert zu werden.

Diese Drohung, den Kredit abzuschneiden, wirkte hier wie dort. Was
der Opposition nicht gelungen war, wurde im Handumdrehen erreicht: die
Krone willigte ein, daß die Opposition nach Belieben ein Kabinett bilde, ohne
ihre staatsrechtlich-militärischen Forderungen fallen zu lasse», die Opposition
aber sicherte die Bewilligung der schwebenden, von den Delegationen schon
bewilligten Teilkredite für die Artilleriereorganisation zu, behielt sich aber
vor, in dem neuen, auf Grund des neuen Wahlgesetzes zu wühlenden Reichs¬
tage, dem die Erhöhung der Präsenzstärke der Armee und alle weitern mili¬
tärischen Mehrforderungen überlassen werden sollen, ans ihr militärisch-staats¬
rechtliches Programm zurückzukommen.

Die Anteile der beiden Streitteile sowie des „ehrlichen" finanziellen Makkers
an dem Kompromisse lassen sich also folgendermaßen skizzieren: die Krone
erhält die Genehmigung der allernotwendigsten militärischen Mehrforderungen;
die Opposition kommt in den Besitz der Regierungsgewalt, ohne den Stand¬
punkt der Krone in der strittigen Armeefrage anzuerkennen; das finanzielle
Syndikat erhält aber in der Person des Ministerpräsidenten Wekerle einen


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[0251] Die ungarische Krise die Verfassung einmal beiseite geschoben Hütte, die Position der monarchischen Gewalt stärker werden mußte, zumal da der Opposition kein Mittel zu Ge¬ bote stand, sich einer absolutistischen Ordnung der Dinge mit Erfolg zu widersetzen. Der 11. April bedeutete also das kritischste Datum in der Ent¬ wicklung der Krise, und nun setzte die Hochfinanz nach beiden Seiten den Hebel an, um ein Kompromiß, das vor allem ihren Ansprüchen gerecht wurde, zu erzwingen. Der Opposition gab man sehr deutlich zu verstehn, daß die Zeit gekommen sei, wo sie Vernunft annehmen müsse, nicht so sehr hinsichtlich des staats¬ rechtlich militärischen Inhalts ihres Programms, als vielmehr in ihrer wirt¬ schaftlichen Anschauung. Für das Magyarentum könne es keine andre Wirt¬ schaftspolitik geben als eine liberale; ihr verdankte die Nation ihren Aufschwung seit 1870, und ihre herrschende Stellung sei in dem Augenblicke vernichtet, wo sie die wirtschaftlich liberalen Prinzipien aufgäbe und sich von der Pester Hochfinanz trennte, die den ungarischen Staatskrcdit in der Hand habe; schlage die Opposition ein, dann könne sie von der Negierung Besitz nehmen, im andern Falle würde aber dem Ministerium Fejervary im Falle von Neuwahlen alle mögliche finanzielle Hilfe geboten werden. Dieselbe Erpressertaktik wandte man auch nach der andern Seite hin an. Zunächst wurden die Pester und die Wiener Blätter des finanziellen Syndikats, das nunmehr die Lösung der ungarischen Krise in die Hand genommen hatte, nicht müde, in den düstersten Farben die furchtbare Verantwortung auszumalen, die die Krone auf sich nähme, wenn sie die Wahlen nicht zu dem verfassungs¬ mäßigen Termine ausschreibe. Zugleich erhielt der Ministerpräsident Baron Fejervary die vertrauliche Mitteilung, daß er nach dem 11. April wegen der finanziellen Bedürfnisse der Regierung vergeblich an den Geldmarkt appellieren würde, da die leitenden Banken nicht mehr in der Lage seien, dem Staate unter einem ausgesprochen absolutistischen Regime Vorschüsse zu geben, weil sie sonst fürchten müßten, im Lande boycottiert zu werden. Diese Drohung, den Kredit abzuschneiden, wirkte hier wie dort. Was der Opposition nicht gelungen war, wurde im Handumdrehen erreicht: die Krone willigte ein, daß die Opposition nach Belieben ein Kabinett bilde, ohne ihre staatsrechtlich-militärischen Forderungen fallen zu lasse», die Opposition aber sicherte die Bewilligung der schwebenden, von den Delegationen schon bewilligten Teilkredite für die Artilleriereorganisation zu, behielt sich aber vor, in dem neuen, auf Grund des neuen Wahlgesetzes zu wühlenden Reichs¬ tage, dem die Erhöhung der Präsenzstärke der Armee und alle weitern mili¬ tärischen Mehrforderungen überlassen werden sollen, ans ihr militärisch-staats¬ rechtliches Programm zurückzukommen. Die Anteile der beiden Streitteile sowie des „ehrlichen" finanziellen Makkers an dem Kompromisse lassen sich also folgendermaßen skizzieren: die Krone erhält die Genehmigung der allernotwendigsten militärischen Mehrforderungen; die Opposition kommt in den Besitz der Regierungsgewalt, ohne den Stand¬ punkt der Krone in der strittigen Armeefrage anzuerkennen; das finanzielle Syndikat erhält aber in der Person des Ministerpräsidenten Wekerle einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/251>, abgerufen am 04.07.2024.