Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Festungen Europas
B. Bruhns von (Schluß)

le politische Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß sich
Deutschland in ähnlicher Weise wie gegen Frankreich auch gegen
Rußland zu decken suchen mußte, und umgekehrt Rußland gegen
Deutschland und Österreich, während die deutsch-österreichische
Grenze eines solchen Schutzes nicht bedarf. Aber die Ostgrenze
Deutschlands bietet wesentlich andre Verhältnisse als die Westgrenze. Hier
bedeutet der Rhein für eine Invasion großer feindlicher Truppenmassen ein
schweres Hindernis, das zwar wohl überwunden werden könnte, aber nur, wenn
die mobile deutsche Armee außerstande sein sollte, aktiv einzugreifen. Diese
Möglichkeit ist ihr aber dadurch verbürgt, daß der vermutlich erste Kriegsschau¬
platz, Elsaß-Lothringen, mit den zwei sehr starken Zentren der Verteidigung, Metz
und Straßbnrg, ausgestattet wurde, denen sich nördlich als drittes Köln an¬
schließt, und dadurch, daß außerdem durch die Rheinfestuugen der deutschen Armee
ein leichter, rascher Verkehr von einem llfer zum andern so lange ermöglicht bleibt,
als nicht diese Festungen durch Truppenmassen vollständig abgeschlossen sind.
Ähnlich steht es mit der Donaulinie, die allerdings erst an der zweiten Stelle
in Frage kommen könnte, wenn nämlich Frankreich, durch die Schweiz durch¬
brechend, versuchen sollte, mit einer zweiten Armee durch Bayern vorzudringen.
Im Westen würden die natürlichen Hindernisse Schwarzwald und Jura, weiterhin
die Donau die dauernde Absperrung dieser Südarmee vom Hauptkriegsschauplatze
dem deutschen Heere wohl ermöglichen, dem dabei die Festungen Ulm und Ingol-
stadt immer den Übergang über den Strom und die Vorbereitungen zu aktiven
Gegenstößen ermöglichen. Eine Gefährdung Mitteldeutschlands würde hier nach
menschlichem Ermessen nur erst uach einer vollkommnen Vernichtung der Land¬
armee und nach völliger Absperrung der großen Festungen denkbar sein.

Im Gegensatz zum Westen hat Ostdeutschland zwei ziemlich isolierte Landes¬
gebiete, Ostpreußen und Schlesien, dazwischen aber eine breite Pforte, die von
Russisch-Polen aus über die Warthe und die Oder mitten in das Herz von Deutsch¬
land führt. Von den beiden isolierten Gebieten ist das südliche entsprechend den
russischen Eisenbahnverbindungen sowie durch die im Südosten liegenden Wälder
und endlich durch die Nachbarschaft zu dem Verbündeten Österreich, dessen Truppen
sich hier mit den deutschen leicht würden vereinigen können und so der russische"
Armee in der Überzahl gegenüberstehn würden, anscheinend weniger gefährdet.
Darin liegt offenbar der Grund, daß die Hauptstadt (Breslau) nicht befestigt,
sondern nur als Waffendepot eingerichtet ist. Zudem würde ein durch Schlesien


Grenjbotcn II 1906 24


Die Festungen Europas
B. Bruhns von (Schluß)

le politische Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß sich
Deutschland in ähnlicher Weise wie gegen Frankreich auch gegen
Rußland zu decken suchen mußte, und umgekehrt Rußland gegen
Deutschland und Österreich, während die deutsch-österreichische
Grenze eines solchen Schutzes nicht bedarf. Aber die Ostgrenze
Deutschlands bietet wesentlich andre Verhältnisse als die Westgrenze. Hier
bedeutet der Rhein für eine Invasion großer feindlicher Truppenmassen ein
schweres Hindernis, das zwar wohl überwunden werden könnte, aber nur, wenn
die mobile deutsche Armee außerstande sein sollte, aktiv einzugreifen. Diese
Möglichkeit ist ihr aber dadurch verbürgt, daß der vermutlich erste Kriegsschau¬
platz, Elsaß-Lothringen, mit den zwei sehr starken Zentren der Verteidigung, Metz
und Straßbnrg, ausgestattet wurde, denen sich nördlich als drittes Köln an¬
schließt, und dadurch, daß außerdem durch die Rheinfestuugen der deutschen Armee
ein leichter, rascher Verkehr von einem llfer zum andern so lange ermöglicht bleibt,
als nicht diese Festungen durch Truppenmassen vollständig abgeschlossen sind.
Ähnlich steht es mit der Donaulinie, die allerdings erst an der zweiten Stelle
in Frage kommen könnte, wenn nämlich Frankreich, durch die Schweiz durch¬
brechend, versuchen sollte, mit einer zweiten Armee durch Bayern vorzudringen.
Im Westen würden die natürlichen Hindernisse Schwarzwald und Jura, weiterhin
die Donau die dauernde Absperrung dieser Südarmee vom Hauptkriegsschauplatze
dem deutschen Heere wohl ermöglichen, dem dabei die Festungen Ulm und Ingol-
stadt immer den Übergang über den Strom und die Vorbereitungen zu aktiven
Gegenstößen ermöglichen. Eine Gefährdung Mitteldeutschlands würde hier nach
menschlichem Ermessen nur erst uach einer vollkommnen Vernichtung der Land¬
armee und nach völliger Absperrung der großen Festungen denkbar sein.

Im Gegensatz zum Westen hat Ostdeutschland zwei ziemlich isolierte Landes¬
gebiete, Ostpreußen und Schlesien, dazwischen aber eine breite Pforte, die von
Russisch-Polen aus über die Warthe und die Oder mitten in das Herz von Deutsch¬
land führt. Von den beiden isolierten Gebieten ist das südliche entsprechend den
russischen Eisenbahnverbindungen sowie durch die im Südosten liegenden Wälder
und endlich durch die Nachbarschaft zu dem Verbündeten Österreich, dessen Truppen
sich hier mit den deutschen leicht würden vereinigen können und so der russische»
Armee in der Überzahl gegenüberstehn würden, anscheinend weniger gefährdet.
Darin liegt offenbar der Grund, daß die Hauptstadt (Breslau) nicht befestigt,
sondern nur als Waffendepot eingerichtet ist. Zudem würde ein durch Schlesien


Grenjbotcn II 1906 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299236"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341883_299040/figures/grenzboten_341883_299040_299236_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Festungen Europas<lb/><note type="byline"> B. Bruhns</note> von (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_884"> le politische Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß sich<lb/>
Deutschland in ähnlicher Weise wie gegen Frankreich auch gegen<lb/>
Rußland zu decken suchen mußte, und umgekehrt Rußland gegen<lb/>
Deutschland und Österreich, während die deutsch-österreichische<lb/>
Grenze eines solchen Schutzes nicht bedarf. Aber die Ostgrenze<lb/>
Deutschlands bietet wesentlich andre Verhältnisse als die Westgrenze. Hier<lb/>
bedeutet der Rhein für eine Invasion großer feindlicher Truppenmassen ein<lb/>
schweres Hindernis, das zwar wohl überwunden werden könnte, aber nur, wenn<lb/>
die mobile deutsche Armee außerstande sein sollte, aktiv einzugreifen. Diese<lb/>
Möglichkeit ist ihr aber dadurch verbürgt, daß der vermutlich erste Kriegsschau¬<lb/>
platz, Elsaß-Lothringen, mit den zwei sehr starken Zentren der Verteidigung, Metz<lb/>
und Straßbnrg, ausgestattet wurde, denen sich nördlich als drittes Köln an¬<lb/>
schließt, und dadurch, daß außerdem durch die Rheinfestuugen der deutschen Armee<lb/>
ein leichter, rascher Verkehr von einem llfer zum andern so lange ermöglicht bleibt,<lb/>
als nicht diese Festungen durch Truppenmassen vollständig abgeschlossen sind.<lb/>
Ähnlich steht es mit der Donaulinie, die allerdings erst an der zweiten Stelle<lb/>
in Frage kommen könnte, wenn nämlich Frankreich, durch die Schweiz durch¬<lb/>
brechend, versuchen sollte, mit einer zweiten Armee durch Bayern vorzudringen.<lb/>
Im Westen würden die natürlichen Hindernisse Schwarzwald und Jura, weiterhin<lb/>
die Donau die dauernde Absperrung dieser Südarmee vom Hauptkriegsschauplatze<lb/>
dem deutschen Heere wohl ermöglichen, dem dabei die Festungen Ulm und Ingol-<lb/>
stadt immer den Übergang über den Strom und die Vorbereitungen zu aktiven<lb/>
Gegenstößen ermöglichen. Eine Gefährdung Mitteldeutschlands würde hier nach<lb/>
menschlichem Ermessen nur erst uach einer vollkommnen Vernichtung der Land¬<lb/>
armee und nach völliger Absperrung der großen Festungen denkbar sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_885" next="#ID_886"> Im Gegensatz zum Westen hat Ostdeutschland zwei ziemlich isolierte Landes¬<lb/>
gebiete, Ostpreußen und Schlesien, dazwischen aber eine breite Pforte, die von<lb/>
Russisch-Polen aus über die Warthe und die Oder mitten in das Herz von Deutsch¬<lb/>
land führt. Von den beiden isolierten Gebieten ist das südliche entsprechend den<lb/>
russischen Eisenbahnverbindungen sowie durch die im Südosten liegenden Wälder<lb/>
und endlich durch die Nachbarschaft zu dem Verbündeten Österreich, dessen Truppen<lb/>
sich hier mit den deutschen leicht würden vereinigen können und so der russische»<lb/>
Armee in der Überzahl gegenüberstehn würden, anscheinend weniger gefährdet.<lb/>
Darin liegt offenbar der Grund, daß die Hauptstadt (Breslau) nicht befestigt,<lb/>
sondern nur als Waffendepot eingerichtet ist. Zudem würde ein durch Schlesien</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenjbotcn II 1906 24</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] [Abbildung] Die Festungen Europas B. Bruhns von (Schluß) le politische Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß sich Deutschland in ähnlicher Weise wie gegen Frankreich auch gegen Rußland zu decken suchen mußte, und umgekehrt Rußland gegen Deutschland und Österreich, während die deutsch-österreichische Grenze eines solchen Schutzes nicht bedarf. Aber die Ostgrenze Deutschlands bietet wesentlich andre Verhältnisse als die Westgrenze. Hier bedeutet der Rhein für eine Invasion großer feindlicher Truppenmassen ein schweres Hindernis, das zwar wohl überwunden werden könnte, aber nur, wenn die mobile deutsche Armee außerstande sein sollte, aktiv einzugreifen. Diese Möglichkeit ist ihr aber dadurch verbürgt, daß der vermutlich erste Kriegsschau¬ platz, Elsaß-Lothringen, mit den zwei sehr starken Zentren der Verteidigung, Metz und Straßbnrg, ausgestattet wurde, denen sich nördlich als drittes Köln an¬ schließt, und dadurch, daß außerdem durch die Rheinfestuugen der deutschen Armee ein leichter, rascher Verkehr von einem llfer zum andern so lange ermöglicht bleibt, als nicht diese Festungen durch Truppenmassen vollständig abgeschlossen sind. Ähnlich steht es mit der Donaulinie, die allerdings erst an der zweiten Stelle in Frage kommen könnte, wenn nämlich Frankreich, durch die Schweiz durch¬ brechend, versuchen sollte, mit einer zweiten Armee durch Bayern vorzudringen. Im Westen würden die natürlichen Hindernisse Schwarzwald und Jura, weiterhin die Donau die dauernde Absperrung dieser Südarmee vom Hauptkriegsschauplatze dem deutschen Heere wohl ermöglichen, dem dabei die Festungen Ulm und Ingol- stadt immer den Übergang über den Strom und die Vorbereitungen zu aktiven Gegenstößen ermöglichen. Eine Gefährdung Mitteldeutschlands würde hier nach menschlichem Ermessen nur erst uach einer vollkommnen Vernichtung der Land¬ armee und nach völliger Absperrung der großen Festungen denkbar sein. Im Gegensatz zum Westen hat Ostdeutschland zwei ziemlich isolierte Landes¬ gebiete, Ostpreußen und Schlesien, dazwischen aber eine breite Pforte, die von Russisch-Polen aus über die Warthe und die Oder mitten in das Herz von Deutsch¬ land führt. Von den beiden isolierten Gebieten ist das südliche entsprechend den russischen Eisenbahnverbindungen sowie durch die im Südosten liegenden Wälder und endlich durch die Nachbarschaft zu dem Verbündeten Österreich, dessen Truppen sich hier mit den deutschen leicht würden vereinigen können und so der russische» Armee in der Überzahl gegenüberstehn würden, anscheinend weniger gefährdet. Darin liegt offenbar der Grund, daß die Hauptstadt (Breslau) nicht befestigt, sondern nur als Waffendepot eingerichtet ist. Zudem würde ein durch Schlesien Grenjbotcn II 1906 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/195>, abgerufen am 24.07.2024.