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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Die alte Demoiselle saß am Fenster und betrachtete eifrig ihr Bilderbuch.

Es geht alles vorüber, sagte sie heiter. Alles, auch der bitterste Abschied.

Du mein Gott! Slina wurde verdrießlich. sowas is ja schrecklich anzuhören,
und denn zu son Kind! Mamsell, Sie müssen ein büschen trösten! Ich glaub, das
is Vonnöten.

Sie deutete auf Anneli, deren Augen schon wieder voll Tränen standen, und
die alte Dame zog sie an sich.

Du wirst wiederkommen. Kindchen. Alles kommt wieder. Und vielleicht weinst
du, wenn du Falkenhorst wieder verlassen sollst. Es ist ein schönes Gut, und dein
Onkel war immer ein braver Mann.

Es gibt keine braven Manners! murmelte Slina; aber die alte Demoiselle
lachte nur über sie.

Sei du still, wer weiß, was du nach einem Jahre sagen wirst! Ohne Männer
wäre die Welt noch langweiliger, als sie so schon ist. Und nun gib Anneli ein
Stück Schokolade mit auf die Reise!

Slina gehorchte und brachte Anneli nach dem Abschiede von der Demoiselle
bis zu ihrer Wohnung.

Allerhand Ermahnungen gab sie ihr und machte dabei auch eine Bemerkung
über den Kandidaten, der mit Tante Fritze zusammen kochen sollte, und von dem
erzählt wurde, daß er keine Bibel im Hause hätte, sondern nur das Buch vom
gesunden und kranken Menschen und eine Unterweisung im Bratenspicken.

Aber Aureus Aufmerksamkeit war nicht bei Stinas Reden, und als sie nachher
Onkel Aurelius Lebewohl sagte, da empfand sie lebhafte Teilnahme für ihn. Betrübt
stand er in der Küche vor dem Backofen und betrachtete die verbrannten Überreste
der Sandtorte. Der vornehme Besuch hatte für das Backkünstlerpaar doch zu auf¬
regend gewirkt; sie hatten die Sandtorte vergessen, und ihre verkohlten Überreste
stimmten den Kandidaten wehmütig.

Es waren so schöne Eier und so gute Vanille, liebe Fritze, sagte er. Und
um ist alles umsonst gewesen.

Aureus vornehmer Onkel ist an allem schuld! rief Tante Fritze zornig, und
Anneli schämte sich dieses Onkels von Herzen.

Der Abschied war kühl, nur Onkel Willi strich freundlich über ihr wildes
Haar und wünschte ihr viel Vergnügen.

Vergnügen -- bei diesem Worte schüttelte Anneli den Kopf; als ihr Blick
dann wieder auf Tante Fritze fiel, die das Rezept des verunglückten Sandkuchens
noch einmal durchlas, da ging sie zu ihr zurück und küßte sie leise und halbwegs
entschuldigend. Weil sie ja gewissermaßen doch auch schuld an dem Unglück war.

Tante Fritze murmelte ein erstauntes Wort, klopfte sie dann aber auf die
Schulter.

Nun, dann leb wohl! Du kannst am Ende nicht allzuviel dafür.

Als Anneli nachher mit dem neuen Onkel auf einem leichten Jagdwagen aus
der Stadt fuhr, war es ihr angenehm, daß Tante Fritze ziemlich freundlich mit
ihr gesprochen hatte.

(Fortsetzung folgt)




Menschenfrühling

Die alte Demoiselle saß am Fenster und betrachtete eifrig ihr Bilderbuch.

Es geht alles vorüber, sagte sie heiter. Alles, auch der bitterste Abschied.

Du mein Gott! Slina wurde verdrießlich. sowas is ja schrecklich anzuhören,
und denn zu son Kind! Mamsell, Sie müssen ein büschen trösten! Ich glaub, das
is Vonnöten.

Sie deutete auf Anneli, deren Augen schon wieder voll Tränen standen, und
die alte Dame zog sie an sich.

Du wirst wiederkommen. Kindchen. Alles kommt wieder. Und vielleicht weinst
du, wenn du Falkenhorst wieder verlassen sollst. Es ist ein schönes Gut, und dein
Onkel war immer ein braver Mann.

Es gibt keine braven Manners! murmelte Slina; aber die alte Demoiselle
lachte nur über sie.

Sei du still, wer weiß, was du nach einem Jahre sagen wirst! Ohne Männer
wäre die Welt noch langweiliger, als sie so schon ist. Und nun gib Anneli ein
Stück Schokolade mit auf die Reise!

Slina gehorchte und brachte Anneli nach dem Abschiede von der Demoiselle
bis zu ihrer Wohnung.

Allerhand Ermahnungen gab sie ihr und machte dabei auch eine Bemerkung
über den Kandidaten, der mit Tante Fritze zusammen kochen sollte, und von dem
erzählt wurde, daß er keine Bibel im Hause hätte, sondern nur das Buch vom
gesunden und kranken Menschen und eine Unterweisung im Bratenspicken.

Aber Aureus Aufmerksamkeit war nicht bei Stinas Reden, und als sie nachher
Onkel Aurelius Lebewohl sagte, da empfand sie lebhafte Teilnahme für ihn. Betrübt
stand er in der Küche vor dem Backofen und betrachtete die verbrannten Überreste
der Sandtorte. Der vornehme Besuch hatte für das Backkünstlerpaar doch zu auf¬
regend gewirkt; sie hatten die Sandtorte vergessen, und ihre verkohlten Überreste
stimmten den Kandidaten wehmütig.

Es waren so schöne Eier und so gute Vanille, liebe Fritze, sagte er. Und
um ist alles umsonst gewesen.

Aureus vornehmer Onkel ist an allem schuld! rief Tante Fritze zornig, und
Anneli schämte sich dieses Onkels von Herzen.

Der Abschied war kühl, nur Onkel Willi strich freundlich über ihr wildes
Haar und wünschte ihr viel Vergnügen.

Vergnügen — bei diesem Worte schüttelte Anneli den Kopf; als ihr Blick
dann wieder auf Tante Fritze fiel, die das Rezept des verunglückten Sandkuchens
noch einmal durchlas, da ging sie zu ihr zurück und küßte sie leise und halbwegs
entschuldigend. Weil sie ja gewissermaßen doch auch schuld an dem Unglück war.

Tante Fritze murmelte ein erstauntes Wort, klopfte sie dann aber auf die
Schulter.

Nun, dann leb wohl! Du kannst am Ende nicht allzuviel dafür.

Als Anneli nachher mit dem neuen Onkel auf einem leichten Jagdwagen aus
der Stadt fuhr, war es ihr angenehm, daß Tante Fritze ziemlich freundlich mit
ihr gesprochen hatte.

(Fortsetzung folgt)




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[0173] Menschenfrühling Die alte Demoiselle saß am Fenster und betrachtete eifrig ihr Bilderbuch. Es geht alles vorüber, sagte sie heiter. Alles, auch der bitterste Abschied. Du mein Gott! Slina wurde verdrießlich. sowas is ja schrecklich anzuhören, und denn zu son Kind! Mamsell, Sie müssen ein büschen trösten! Ich glaub, das is Vonnöten. Sie deutete auf Anneli, deren Augen schon wieder voll Tränen standen, und die alte Dame zog sie an sich. Du wirst wiederkommen. Kindchen. Alles kommt wieder. Und vielleicht weinst du, wenn du Falkenhorst wieder verlassen sollst. Es ist ein schönes Gut, und dein Onkel war immer ein braver Mann. Es gibt keine braven Manners! murmelte Slina; aber die alte Demoiselle lachte nur über sie. Sei du still, wer weiß, was du nach einem Jahre sagen wirst! Ohne Männer wäre die Welt noch langweiliger, als sie so schon ist. Und nun gib Anneli ein Stück Schokolade mit auf die Reise! Slina gehorchte und brachte Anneli nach dem Abschiede von der Demoiselle bis zu ihrer Wohnung. Allerhand Ermahnungen gab sie ihr und machte dabei auch eine Bemerkung über den Kandidaten, der mit Tante Fritze zusammen kochen sollte, und von dem erzählt wurde, daß er keine Bibel im Hause hätte, sondern nur das Buch vom gesunden und kranken Menschen und eine Unterweisung im Bratenspicken. Aber Aureus Aufmerksamkeit war nicht bei Stinas Reden, und als sie nachher Onkel Aurelius Lebewohl sagte, da empfand sie lebhafte Teilnahme für ihn. Betrübt stand er in der Küche vor dem Backofen und betrachtete die verbrannten Überreste der Sandtorte. Der vornehme Besuch hatte für das Backkünstlerpaar doch zu auf¬ regend gewirkt; sie hatten die Sandtorte vergessen, und ihre verkohlten Überreste stimmten den Kandidaten wehmütig. Es waren so schöne Eier und so gute Vanille, liebe Fritze, sagte er. Und um ist alles umsonst gewesen. Aureus vornehmer Onkel ist an allem schuld! rief Tante Fritze zornig, und Anneli schämte sich dieses Onkels von Herzen. Der Abschied war kühl, nur Onkel Willi strich freundlich über ihr wildes Haar und wünschte ihr viel Vergnügen. Vergnügen — bei diesem Worte schüttelte Anneli den Kopf; als ihr Blick dann wieder auf Tante Fritze fiel, die das Rezept des verunglückten Sandkuchens noch einmal durchlas, da ging sie zu ihr zurück und küßte sie leise und halbwegs entschuldigend. Weil sie ja gewissermaßen doch auch schuld an dem Unglück war. Tante Fritze murmelte ein erstauntes Wort, klopfte sie dann aber auf die Schulter. Nun, dann leb wohl! Du kannst am Ende nicht allzuviel dafür. Als Anneli nachher mit dem neuen Onkel auf einem leichten Jagdwagen aus der Stadt fuhr, war es ihr angenehm, daß Tante Fritze ziemlich freundlich mit ihr gesprochen hatte. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/173>, abgerufen am 24.07.2024.