Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Antonio Fogazzaro sie eine stille, tiefangelegte, klar und gerade denkende Natur. Unbewußt tragen Keine, wenn anch noch so eingehende Inhaltsangabe wäre imstande, dem Antonio Fogazzaro sie eine stille, tiefangelegte, klar und gerade denkende Natur. Unbewußt tragen Keine, wenn anch noch so eingehende Inhaltsangabe wäre imstande, dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299195"/> <fw type="header" place="top"> Antonio Fogazzaro</fw><lb/> <p xml:id="ID_609" prev="#ID_608"> sie eine stille, tiefangelegte, klar und gerade denkende Natur. Unbewußt tragen<lb/> die beiden Prachtmenschen diese innern Kontraste nebeneinander her, bis sie<lb/> eines Tages im politischen und materiellen Lebenskampfe, der über sie herein¬<lb/> gebrochen ist, elementar aufeinanderplatzen. Erst am Sterbelager des im Frei¬<lb/> heitskämpfe für das Vaterland gefallnen Francs kommt es zur vollen innern<lb/> Versöhnung. Dem Liebesbünde dieser beiden entsprießt nach des Vaters und<lb/> kurz vor der Mutter Tode jener Piero Mcnroni, den Fogazzaro zum Träger<lb/> seiner höchsten Ideale erwählt, den er aus einem die Gottheit suchenden Lebens¬<lb/> kämpfer zu einem geläuterten Lebenssieger, zu einem „Heiligen" werden läßt.<lb/> Im ?iovol0 monäo moclsriw beginnt diese Entwicklung und vollendet sich in<lb/> II Kimto. Eine schöne Frauengestalt steht neben dem Helden im Mittelpunkte,<lb/> Jeanne Dessalle, die fast unsre ganze Sympathie für sich allein gefangen hält,<lb/> die in ihrer idealen Liebe mit mütterlicher Entsagung dem einsamen Wege des<lb/> Piero Maironi von ferne folgt, der an ihrer edeln Seele vorbei in völliger,<lb/> weltflüchtiger Askese das Heil sucht, der endlich als religiöser Schwärmer und<lb/> Neuerer von der klerikalen Partei verfolgt wird und mitten im modernen Rom an<lb/> körperlicher Ermattung und Seelenqual deu Märtyrertod stirbt. Daß II Kanto<lb/> ein Markstein innerhalb Fogazzaros Entwicklung sein werde, deuteten wir vorhin<lb/> in der Erwägung an, daß es nicht möglich sein dürfte, in der Form eines<lb/> Romans des Dichters Lieblingsproblem mystisch-religiöser Verinnerlichung noch<lb/> eine Stufe höher zu führen. Und bei aller Vergeistigung ist Fogazzaros Kunst<lb/> doch zu wirklichkeitsfroh, als daß er es auch nur versuchen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_610"> Keine, wenn anch noch so eingehende Inhaltsangabe wäre imstande, dem<lb/> Leser auch nnr eine entfernte Vorstellung von des Dichters Meisterschaft, die<lb/> nicht minder in der feinen, treffenden Kleinmalerei als in der lückenfreien<lb/> Durchgestaltuug der tiefsten Konflikte ruht, vorzuzcmbern. Wir haben deshalb<lb/> fast ganz darauf verzichtet und uns nur bemüht, den leitenden Grundgedanken<lb/> herauszuschälen. Wir sahen, es ist ein fortwährendes Aufsteigen des allmählich<lb/> sich läuternden Menschen zur Askese als dem höchsten sittlichen Ideal. Über den<lb/> absoluten ethischen Wert sowohl als auch über die praktische, volkserzieherische<lb/> Brauchbarkeit dieses Ideals, die dem Ethiker Fogazzaro offenbar vorgeschwebt<lb/> hat, haben wir nicht zu entscheiden. Uns liegt nur ob, anzuerkennen, daß es<lb/> dem Künstler gelungen ist, die so wenig zeitgemäße Gestalt seines Helden<lb/> Piero Mairoui in unsre moderne Welt hineinzustellen, ohne einerseits in un¬<lb/> wahrscheinliche Phantasterei und Sentimentalität, andrerseits in unkünstlerische<lb/> Tendenz zu verfallen. Man darf gespannt sein, welche Wege der Dichter in<lb/> Zukunft betreten wird. Und wenn er zurückkehrt zu den weniger seltnen, weniger<lb/> einsamen aber lebenswarmen und liebenswerten Menschen des ^looolo nronäo<lb/> Mtioo, dann mag er aus seinem Künstlertum die Kraft und das Selbstvertrauen<lb/> schöpfen, dieses Niedersteigen von seiner ethischen Höhe nicht als Rückschritt zu<lb/> empfinden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0154]
Antonio Fogazzaro
sie eine stille, tiefangelegte, klar und gerade denkende Natur. Unbewußt tragen
die beiden Prachtmenschen diese innern Kontraste nebeneinander her, bis sie
eines Tages im politischen und materiellen Lebenskampfe, der über sie herein¬
gebrochen ist, elementar aufeinanderplatzen. Erst am Sterbelager des im Frei¬
heitskämpfe für das Vaterland gefallnen Francs kommt es zur vollen innern
Versöhnung. Dem Liebesbünde dieser beiden entsprießt nach des Vaters und
kurz vor der Mutter Tode jener Piero Mcnroni, den Fogazzaro zum Träger
seiner höchsten Ideale erwählt, den er aus einem die Gottheit suchenden Lebens¬
kämpfer zu einem geläuterten Lebenssieger, zu einem „Heiligen" werden läßt.
Im ?iovol0 monäo moclsriw beginnt diese Entwicklung und vollendet sich in
II Kimto. Eine schöne Frauengestalt steht neben dem Helden im Mittelpunkte,
Jeanne Dessalle, die fast unsre ganze Sympathie für sich allein gefangen hält,
die in ihrer idealen Liebe mit mütterlicher Entsagung dem einsamen Wege des
Piero Maironi von ferne folgt, der an ihrer edeln Seele vorbei in völliger,
weltflüchtiger Askese das Heil sucht, der endlich als religiöser Schwärmer und
Neuerer von der klerikalen Partei verfolgt wird und mitten im modernen Rom an
körperlicher Ermattung und Seelenqual deu Märtyrertod stirbt. Daß II Kanto
ein Markstein innerhalb Fogazzaros Entwicklung sein werde, deuteten wir vorhin
in der Erwägung an, daß es nicht möglich sein dürfte, in der Form eines
Romans des Dichters Lieblingsproblem mystisch-religiöser Verinnerlichung noch
eine Stufe höher zu führen. Und bei aller Vergeistigung ist Fogazzaros Kunst
doch zu wirklichkeitsfroh, als daß er es auch nur versuchen könnte.
Keine, wenn anch noch so eingehende Inhaltsangabe wäre imstande, dem
Leser auch nnr eine entfernte Vorstellung von des Dichters Meisterschaft, die
nicht minder in der feinen, treffenden Kleinmalerei als in der lückenfreien
Durchgestaltuug der tiefsten Konflikte ruht, vorzuzcmbern. Wir haben deshalb
fast ganz darauf verzichtet und uns nur bemüht, den leitenden Grundgedanken
herauszuschälen. Wir sahen, es ist ein fortwährendes Aufsteigen des allmählich
sich läuternden Menschen zur Askese als dem höchsten sittlichen Ideal. Über den
absoluten ethischen Wert sowohl als auch über die praktische, volkserzieherische
Brauchbarkeit dieses Ideals, die dem Ethiker Fogazzaro offenbar vorgeschwebt
hat, haben wir nicht zu entscheiden. Uns liegt nur ob, anzuerkennen, daß es
dem Künstler gelungen ist, die so wenig zeitgemäße Gestalt seines Helden
Piero Mairoui in unsre moderne Welt hineinzustellen, ohne einerseits in un¬
wahrscheinliche Phantasterei und Sentimentalität, andrerseits in unkünstlerische
Tendenz zu verfallen. Man darf gespannt sein, welche Wege der Dichter in
Zukunft betreten wird. Und wenn er zurückkehrt zu den weniger seltnen, weniger
einsamen aber lebenswarmen und liebenswerten Menschen des ^looolo nronäo
Mtioo, dann mag er aus seinem Künstlertum die Kraft und das Selbstvertrauen
schöpfen, dieses Niedersteigen von seiner ethischen Höhe nicht als Rückschritt zu
empfinden.
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