Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens im Jahre 1,806

In welchem Maße sich die Sozialdemokratie als Herrin der Lage fühlt, hat
ihr Zusammenstoß mit dem Minister des Innern gezeigt. Ein Sozialdemokrat
gebärdet sich als Mandatar der Schutzmannschaft zur Vertretung ihrer Be¬
schwerden über ihre dienstlichen Verhältnisse. Der Minister erklärt, daß ein
Schutzmann, der sich in solcher Sache an den Angehörigen einer auf den Um¬
sturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ausgehenden Partei
wende, seine Pflicht verletze; er werde den Schutzmännern diesen Verkehr verbieten.
Darauf verlangt der sozialdemokratische Vizepräsident der Kammer mit ma߬
loser Heftigkeit den Ordnungsruf wider den Minister. Und die Liberalen?
Sie finden, daß die leidenschaftliche Form des Vorgehns der Sozialdemokratie
unzulässig sei, in der Sache aber geben sie ihr Recht!

Das ist der Anfang der Auflösung des Staatsgefüges. Unmöglich kann
man annehmen, daß wenigstens die weiter schauenden Köpfe unter den badischen
Liberalen das nicht begriffen. Aber auf ihnen lastet der bekannte Fluch der
bösen Tat. Werden diese Vorgänge auf den ehedem so hoch gepriesnen
"Musterstaat" beschränkt bleiben? Schon geht die Rede, daß die bayrischen
Liberalen für die nächstjährigen Landtagswahlen eine Nachahmung des badischen
Beispiels planen. Greift das so weiter, so zieht über unser Vaterland ein
Verhängnis herauf, gegen das aller Schaden, den die Sozialdemokratie direkt
anzustiften vermöchte, das reine Kinderspiel wäre. Nicht in der Sozialdemo¬
kratie, im Bürgertum selbst steckt die wahre Gefahr.




Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens
im Jahre ^806
G. von Bismarck i von

Frei war von Schuld nicht einer. --
Ja von uns allen keiner
Ist, der nicht schwer geirrt.
Nun laßt uns frei bekennen
Und endlich das erkennen,
Was uns so lang verwirrt.

(Lebensbilder uns den Befreiungskriegen)

is nach der Niederlage von Jena und Auerstädt mit dem Zu¬
sammenbruche des größten Teils der Armee zugleich auch der
Staat in Trümmer ging, wurde unter Ausscheidung alles morschen
Materials der Wiederaufbau unverzüglich in Angriff genommen.
Die Mehrzahl aller Bausteine blieb hierfür verwendbar; denn
es war hauptsächlich der Mörtel gewesen, dessen verloren gegcmgne Bindekraft
den Einsturz veranlaßt hatte. Viel Tüchtiges und Braves hatte bewiesen, daß
der Kern des Materials, aus dem die brandenburgisch-preußischen Fürsten
ihren Staat zu zimmern wußten, vortrefflich war. Auch die neuen Baumeister
nach 1806 entstammten ausnahmlos dem alten Regime. Fast alle hatten


Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens im Jahre 1,806

In welchem Maße sich die Sozialdemokratie als Herrin der Lage fühlt, hat
ihr Zusammenstoß mit dem Minister des Innern gezeigt. Ein Sozialdemokrat
gebärdet sich als Mandatar der Schutzmannschaft zur Vertretung ihrer Be¬
schwerden über ihre dienstlichen Verhältnisse. Der Minister erklärt, daß ein
Schutzmann, der sich in solcher Sache an den Angehörigen einer auf den Um¬
sturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ausgehenden Partei
wende, seine Pflicht verletze; er werde den Schutzmännern diesen Verkehr verbieten.
Darauf verlangt der sozialdemokratische Vizepräsident der Kammer mit ma߬
loser Heftigkeit den Ordnungsruf wider den Minister. Und die Liberalen?
Sie finden, daß die leidenschaftliche Form des Vorgehns der Sozialdemokratie
unzulässig sei, in der Sache aber geben sie ihr Recht!

Das ist der Anfang der Auflösung des Staatsgefüges. Unmöglich kann
man annehmen, daß wenigstens die weiter schauenden Köpfe unter den badischen
Liberalen das nicht begriffen. Aber auf ihnen lastet der bekannte Fluch der
bösen Tat. Werden diese Vorgänge auf den ehedem so hoch gepriesnen
„Musterstaat" beschränkt bleiben? Schon geht die Rede, daß die bayrischen
Liberalen für die nächstjährigen Landtagswahlen eine Nachahmung des badischen
Beispiels planen. Greift das so weiter, so zieht über unser Vaterland ein
Verhängnis herauf, gegen das aller Schaden, den die Sozialdemokratie direkt
anzustiften vermöchte, das reine Kinderspiel wäre. Nicht in der Sozialdemo¬
kratie, im Bürgertum selbst steckt die wahre Gefahr.




Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens
im Jahre ^806
G. von Bismarck i von

Frei war von Schuld nicht einer. —
Ja von uns allen keiner
Ist, der nicht schwer geirrt.
Nun laßt uns frei bekennen
Und endlich das erkennen,
Was uns so lang verwirrt.

(Lebensbilder uns den Befreiungskriegen)

is nach der Niederlage von Jena und Auerstädt mit dem Zu¬
sammenbruche des größten Teils der Armee zugleich auch der
Staat in Trümmer ging, wurde unter Ausscheidung alles morschen
Materials der Wiederaufbau unverzüglich in Angriff genommen.
Die Mehrzahl aller Bausteine blieb hierfür verwendbar; denn
es war hauptsächlich der Mörtel gewesen, dessen verloren gegcmgne Bindekraft
den Einsturz veranlaßt hatte. Viel Tüchtiges und Braves hatte bewiesen, daß
der Kern des Materials, aus dem die brandenburgisch-preußischen Fürsten
ihren Staat zu zimmern wußten, vortrefflich war. Auch die neuen Baumeister
nach 1806 entstammten ausnahmlos dem alten Regime. Fast alle hatten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299056"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens im Jahre 1,806</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> In welchem Maße sich die Sozialdemokratie als Herrin der Lage fühlt, hat<lb/>
ihr Zusammenstoß mit dem Minister des Innern gezeigt. Ein Sozialdemokrat<lb/>
gebärdet sich als Mandatar der Schutzmannschaft zur Vertretung ihrer Be¬<lb/>
schwerden über ihre dienstlichen Verhältnisse. Der Minister erklärt, daß ein<lb/>
Schutzmann, der sich in solcher Sache an den Angehörigen einer auf den Um¬<lb/>
sturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ausgehenden Partei<lb/>
wende, seine Pflicht verletze; er werde den Schutzmännern diesen Verkehr verbieten.<lb/>
Darauf verlangt der sozialdemokratische Vizepräsident der Kammer mit ma߬<lb/>
loser Heftigkeit den Ordnungsruf wider den Minister. Und die Liberalen?<lb/>
Sie finden, daß die leidenschaftliche Form des Vorgehns der Sozialdemokratie<lb/>
unzulässig sei, in der Sache aber geben sie ihr Recht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Das ist der Anfang der Auflösung des Staatsgefüges. Unmöglich kann<lb/>
man annehmen, daß wenigstens die weiter schauenden Köpfe unter den badischen<lb/>
Liberalen das nicht begriffen. Aber auf ihnen lastet der bekannte Fluch der<lb/>
bösen Tat. Werden diese Vorgänge auf den ehedem so hoch gepriesnen<lb/>
&#x201E;Musterstaat" beschränkt bleiben? Schon geht die Rede, daß die bayrischen<lb/>
Liberalen für die nächstjährigen Landtagswahlen eine Nachahmung des badischen<lb/>
Beispiels planen. Greift das so weiter, so zieht über unser Vaterland ein<lb/>
Verhängnis herauf, gegen das aller Schaden, den die Sozialdemokratie direkt<lb/>
anzustiften vermöchte, das reine Kinderspiel wäre. Nicht in der Sozialdemo¬<lb/>
kratie, im Bürgertum selbst steckt die wahre Gefahr.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens<lb/>
im Jahre ^806<lb/><note type="byline"> G. von Bismarck i</note> von </head><lb/>
          <quote type="epigraph"> Frei war von Schuld nicht einer. &#x2014;<lb/>
Ja von uns allen keiner<lb/>
Ist, der nicht schwer geirrt.<lb/>
Nun laßt uns frei bekennen<lb/>
Und endlich das erkennen,<lb/>
Was uns so lang verwirrt.</quote><lb/>
          <note type="bibl"> (Lebensbilder uns den Befreiungskriegen)</note><lb/>
          <p xml:id="ID_22" next="#ID_23"> is nach der Niederlage von Jena und Auerstädt mit dem Zu¬<lb/>
sammenbruche des größten Teils der Armee zugleich auch der<lb/>
Staat in Trümmer ging, wurde unter Ausscheidung alles morschen<lb/>
Materials der Wiederaufbau unverzüglich in Angriff genommen.<lb/>
Die Mehrzahl aller Bausteine blieb hierfür verwendbar; denn<lb/>
es war hauptsächlich der Mörtel gewesen, dessen verloren gegcmgne Bindekraft<lb/>
den Einsturz veranlaßt hatte. Viel Tüchtiges und Braves hatte bewiesen, daß<lb/>
der Kern des Materials, aus dem die brandenburgisch-preußischen Fürsten<lb/>
ihren Staat zu zimmern wußten, vortrefflich war. Auch die neuen Baumeister<lb/>
nach 1806 entstammten ausnahmlos dem alten Regime.  Fast alle hatten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens im Jahre 1,806 In welchem Maße sich die Sozialdemokratie als Herrin der Lage fühlt, hat ihr Zusammenstoß mit dem Minister des Innern gezeigt. Ein Sozialdemokrat gebärdet sich als Mandatar der Schutzmannschaft zur Vertretung ihrer Be¬ schwerden über ihre dienstlichen Verhältnisse. Der Minister erklärt, daß ein Schutzmann, der sich in solcher Sache an den Angehörigen einer auf den Um¬ sturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ausgehenden Partei wende, seine Pflicht verletze; er werde den Schutzmännern diesen Verkehr verbieten. Darauf verlangt der sozialdemokratische Vizepräsident der Kammer mit ma߬ loser Heftigkeit den Ordnungsruf wider den Minister. Und die Liberalen? Sie finden, daß die leidenschaftliche Form des Vorgehns der Sozialdemokratie unzulässig sei, in der Sache aber geben sie ihr Recht! Das ist der Anfang der Auflösung des Staatsgefüges. Unmöglich kann man annehmen, daß wenigstens die weiter schauenden Köpfe unter den badischen Liberalen das nicht begriffen. Aber auf ihnen lastet der bekannte Fluch der bösen Tat. Werden diese Vorgänge auf den ehedem so hoch gepriesnen „Musterstaat" beschränkt bleiben? Schon geht die Rede, daß die bayrischen Liberalen für die nächstjährigen Landtagswahlen eine Nachahmung des badischen Beispiels planen. Greift das so weiter, so zieht über unser Vaterland ein Verhängnis herauf, gegen das aller Schaden, den die Sozialdemokratie direkt anzustiften vermöchte, das reine Kinderspiel wäre. Nicht in der Sozialdemo¬ kratie, im Bürgertum selbst steckt die wahre Gefahr. Die Ursachen des Zusammenbruchs Preußens im Jahre ^806 G. von Bismarck i von Frei war von Schuld nicht einer. — Ja von uns allen keiner Ist, der nicht schwer geirrt. Nun laßt uns frei bekennen Und endlich das erkennen, Was uns so lang verwirrt. (Lebensbilder uns den Befreiungskriegen) is nach der Niederlage von Jena und Auerstädt mit dem Zu¬ sammenbruche des größten Teils der Armee zugleich auch der Staat in Trümmer ging, wurde unter Ausscheidung alles morschen Materials der Wiederaufbau unverzüglich in Angriff genommen. Die Mehrzahl aller Bausteine blieb hierfür verwendbar; denn es war hauptsächlich der Mörtel gewesen, dessen verloren gegcmgne Bindekraft den Einsturz veranlaßt hatte. Viel Tüchtiges und Braves hatte bewiesen, daß der Kern des Materials, aus dem die brandenburgisch-preußischen Fürsten ihren Staat zu zimmern wußten, vortrefflich war. Auch die neuen Baumeister nach 1806 entstammten ausnahmlos dem alten Regime. Fast alle hatten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/15>, abgerufen am 24.07.2024.