Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Wo ist die Gefahr? alles ist an der Arbeit, an taufenden verschiedner Punkte diese Ordnung plan¬ Niemand auf der Seite des Bürgertums wird diese Frage bejahen wollen. Wo ist die Gefahr? alles ist an der Arbeit, an taufenden verschiedner Punkte diese Ordnung plan¬ Niemand auf der Seite des Bürgertums wird diese Frage bejahen wollen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299054"/> <fw type="header" place="top"> Wo ist die Gefahr?</fw><lb/> <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> alles ist an der Arbeit, an taufenden verschiedner Punkte diese Ordnung plan¬<lb/> mäßig zu untergraben. Und diese Maulwurfsarbeit vollziehn sie unter dem<lb/> Schutze der staatlichen Gesetze, im Vollgenusse der staatsbürgerlichen Rechte<lb/> und Freiheiten. Die auf den Umsturz zielende Partei wirkt im Reichstage<lb/> und in den Landtagen, in den kommunalen Vertretungen und Verwaltungen<lb/> gleichberechtigt mit jeder andern Partei, ja wir verschaffen ihr durch unsre<lb/> sozialpolitische Gesetzgebung noch neue Handhaben, ihren Einfluß zu befestigen<lb/> und zu erweitern. So ist die Einrichtung der obligatorischen Krankenkassen<lb/> weithin für die Sozialdemokratie ein Mittel zur Ausübung einer wahrhaft<lb/> terroristischen Gewalt geworden. Und so steht die Reichsgesetzgebung im Be¬<lb/> griff, den gewerkschaftlichen Organisationen die gesetzliche Anerkennung zu ge¬<lb/> wahren, die die Herrschaft der sozialdemokratischen Ideen über die Arbeiterschaft<lb/> wirksamer als die politische Agitation verbreiten und den Klassenkampf zwischen<lb/> Arbeiter und Arbeitgeber als Selbstzweck kultivieren. Kurz, die „Aushöhlung<lb/> der Gesellschaft von innen heraus," die der Revisionist Bernstein den „Ge¬<lb/> nossen" empfahl, als sie ihn wegen seiner theoretischen Ketzereien zur Rechen¬<lb/> schaft zogen, ist auf die verschiedenste Weise in vollem Gange. Sollen wir<lb/> ihr mit verschränkten Armen zuschauen, weil wir vor einer gewaltsamen Revo¬<lb/> lution sicher sein können?</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Niemand auf der Seite des Bürgertums wird diese Frage bejahen wollen.<lb/> Aber nur wenige wissen bestimmt zu sagen, was geschehen soll. Diese wenigen<lb/> sind die sogenannten Scharfmacher, die eine rücksichtslose Bekämpfung der Wühl¬<lb/> arbeit der Sozialdemokratie durch eine Spezialgesetzgebung empfehlen. Aber sie<lb/> bilden — einstweilen wenigstens — eine nicht ins Gewicht fallende Minderheit.<lb/> Die Regierung hofft, mit den vorhandnen gesetzlichen Mitteln auszukommen;<lb/> diese will sie in ihrer ganzen Schärfe anwenden. Aber sie findet mit diesem<lb/> Vorhaben nicht einmal den ungeteilten Beifall der Leute, die sich über die<lb/> Verderblichkeit der sozialdemokratischen Tätigkeit nicht täuschen. Diese fürchten<lb/> von jeder Repressiv» nur eine Verschärfung der sozialdemokratischen Energie.<lb/> Sie hoffen, daß die natürliche Entwicklung der Dinge die Heilung bringen wird.<lb/> Werde nur die Neformgesetzgebung zugunsten der Arbeiter ohne Unterbrechung<lb/> fortgesetzt, so werde der gesunde Sinn der Arbeiter schließlich die Unersprieß-<lb/> lichkeit des Treibens der Sozialdemokratie durchschauen und sich von dieser ab¬<lb/> wenden. Leider wird dieser Optimismus bisher durch die Tatsachen nur ganz<lb/> und gar nicht gerechtfertigt. Gegen eine verständige Fortführung der sozial-<lb/> Politischen Gesetzgebung ist nichts einzuwenden; sie gehört zu den vornehmsten<lb/> Aufgaben des modernen Staates. Aber die Hoffnung, daß man durch sie die<lb/> im Banne des sozialdemokratischen Einflusses stehenden Arbeiter mit der be¬<lb/> stehenden Ordnung versöhnen werde, wird eitel bleiben, solange nicht der Ar¬<lb/> beiter durch eine in die Augen fallende tatkräftige Bekämpfung der Sozial¬<lb/> demokratie von Staats wegen zum Nachdenken über die wahre Natur dieser<lb/> seiner „Freunde" gebracht wird. Alle die schönen Reden innerhalb und außer¬<lb/> halb des Reichstags bringen ihn nicht dazu, denn er liest sie nicht. Läßt man<lb/> die Sozialdemokratie, wie bisher, ungestört gewähren, so ist dafür gesorgt, daß<lb/> die große Masse der Arbeiterschaft in der sozialpolitischen Gesetzgebung immer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Wo ist die Gefahr?
alles ist an der Arbeit, an taufenden verschiedner Punkte diese Ordnung plan¬
mäßig zu untergraben. Und diese Maulwurfsarbeit vollziehn sie unter dem
Schutze der staatlichen Gesetze, im Vollgenusse der staatsbürgerlichen Rechte
und Freiheiten. Die auf den Umsturz zielende Partei wirkt im Reichstage
und in den Landtagen, in den kommunalen Vertretungen und Verwaltungen
gleichberechtigt mit jeder andern Partei, ja wir verschaffen ihr durch unsre
sozialpolitische Gesetzgebung noch neue Handhaben, ihren Einfluß zu befestigen
und zu erweitern. So ist die Einrichtung der obligatorischen Krankenkassen
weithin für die Sozialdemokratie ein Mittel zur Ausübung einer wahrhaft
terroristischen Gewalt geworden. Und so steht die Reichsgesetzgebung im Be¬
griff, den gewerkschaftlichen Organisationen die gesetzliche Anerkennung zu ge¬
wahren, die die Herrschaft der sozialdemokratischen Ideen über die Arbeiterschaft
wirksamer als die politische Agitation verbreiten und den Klassenkampf zwischen
Arbeiter und Arbeitgeber als Selbstzweck kultivieren. Kurz, die „Aushöhlung
der Gesellschaft von innen heraus," die der Revisionist Bernstein den „Ge¬
nossen" empfahl, als sie ihn wegen seiner theoretischen Ketzereien zur Rechen¬
schaft zogen, ist auf die verschiedenste Weise in vollem Gange. Sollen wir
ihr mit verschränkten Armen zuschauen, weil wir vor einer gewaltsamen Revo¬
lution sicher sein können?
Niemand auf der Seite des Bürgertums wird diese Frage bejahen wollen.
Aber nur wenige wissen bestimmt zu sagen, was geschehen soll. Diese wenigen
sind die sogenannten Scharfmacher, die eine rücksichtslose Bekämpfung der Wühl¬
arbeit der Sozialdemokratie durch eine Spezialgesetzgebung empfehlen. Aber sie
bilden — einstweilen wenigstens — eine nicht ins Gewicht fallende Minderheit.
Die Regierung hofft, mit den vorhandnen gesetzlichen Mitteln auszukommen;
diese will sie in ihrer ganzen Schärfe anwenden. Aber sie findet mit diesem
Vorhaben nicht einmal den ungeteilten Beifall der Leute, die sich über die
Verderblichkeit der sozialdemokratischen Tätigkeit nicht täuschen. Diese fürchten
von jeder Repressiv» nur eine Verschärfung der sozialdemokratischen Energie.
Sie hoffen, daß die natürliche Entwicklung der Dinge die Heilung bringen wird.
Werde nur die Neformgesetzgebung zugunsten der Arbeiter ohne Unterbrechung
fortgesetzt, so werde der gesunde Sinn der Arbeiter schließlich die Unersprieß-
lichkeit des Treibens der Sozialdemokratie durchschauen und sich von dieser ab¬
wenden. Leider wird dieser Optimismus bisher durch die Tatsachen nur ganz
und gar nicht gerechtfertigt. Gegen eine verständige Fortführung der sozial-
Politischen Gesetzgebung ist nichts einzuwenden; sie gehört zu den vornehmsten
Aufgaben des modernen Staates. Aber die Hoffnung, daß man durch sie die
im Banne des sozialdemokratischen Einflusses stehenden Arbeiter mit der be¬
stehenden Ordnung versöhnen werde, wird eitel bleiben, solange nicht der Ar¬
beiter durch eine in die Augen fallende tatkräftige Bekämpfung der Sozial¬
demokratie von Staats wegen zum Nachdenken über die wahre Natur dieser
seiner „Freunde" gebracht wird. Alle die schönen Reden innerhalb und außer¬
halb des Reichstags bringen ihn nicht dazu, denn er liest sie nicht. Läßt man
die Sozialdemokratie, wie bisher, ungestört gewähren, so ist dafür gesorgt, daß
die große Masse der Arbeiterschaft in der sozialpolitischen Gesetzgebung immer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |