Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

und des Reichs die Belastung des deutscheu Geldmarkts mit einer fremden Anleihe
nicht erwünscht sei; auch ist man mit der Ausschreibung der eignen Anleihen un¬
mittelbar vorgegangen. Nun ist ja allerdings ein preußisch-deutscher Geldbedarf von
560 Millionen Mark nicht so gewaltig, daß deshalb dauernd finanzielle Vorsichts¬
maßregeln nötig wären. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen noch nicht zehn
Mark, wobei eine Beteiligung des Auslandes außer Ansatz bleibt. Wir werden
voraussichtlich einer starken Überzeichnnng beiwohnen. Auf den Zeichnungsscheiueu
ist deshalb auch die Verpflichtung vorgemerkt, anstelle preußischer Anleihe Reichs-
nnleihe anzunehmen, und umgekehrt. Dieses Wohl nur aus Höflichkeit gegen das
Reich, denn im allgemeinen werden preußische Anleihen aus naheliegenden Gründen
den Reichsanleihen vorgezogen. Die Klausel hat darum nur den Zweck, etwaige
Überzeichnnngen der preußischen Anleihe der Neichsauleihe zuzuführen.

Da diese 560 Millionen Mark ziemlich leicht Abnahme finden werden, so entsteht
die Frage: Was dann? Was geschieht, wenn Rußland sich später mit einem Anleihe¬
versuch einstellt? Es wird auf das Verhalten Englands verwiesen. Allerdings scheint
festzustehn, daß sich die britische Regierung gegenüber russischen Anletheversuchen in
London durchaus nicht ablehnend zu Verhalten gedenkt, eher das Gegenteil. Da¬
gegen beurteilen die großen englischen Bankhäuser die wirtschaftlichen Aussichten
in Nußland ziemlich pessimistisch, namentlich im Hinblick auf die durchaus unbe¬
rechenbare künftige russische Volksvertretung, von der noch niemand zu sagen vermag,
ob sie einer heilsamen Reform Rußlands dienen oder der Mittelpunkt einer weitern
revolutionären Bewegung sein wird. Auch die, andre Erwägung, daß die Ge¬
währung ausreichender Geldmittel nur der Fortdauer des jetzigen Regimes zugute
kommen würde, ist vom Standpunkte der großen englischen Banken nicht von der
Hand zu weisen. Bisher waren diese nur geneigt, sich mit sehr geringen Be¬
trägen zu beteiligen. Wenn es sich aber bewahrheiten sollte, daß Frankreich selbst
eine Milliarde braucht, die Fehlbeträge der letzten Jahresbudgets zu decken -- zu
deutsch wohl: die in den letzten beiden Jahren nötig gewesnen großen Rüstungs¬
ausgaben zu bezahlen --, so würde vielleicht auch der französische Geldmarkt kaum
in der Lage sein, sich den russischen Freunden in vollem Umfange zu Willen zu
erweisen, und Rußland würde dann doch in nicht ferner Zeit wieder an die deutsche
Tür klopfen. Immerhin ist die russische Anleihefrage in gewissem Sinne in den
Mittelpunkt der europäischen Politik gerückt, zumal da die Entscheidungen, die im
Laufe dieses Jahres nach Eröffnung der Dnma in Rußland fallen werden, auf die
künftigen europäischen Konstellationen von tiefgreifenden Einfluß sein dürften.

Graf Lambsdorff kann mit der Cassini-Instruktion kaum etwas andres be¬
zweckt haben, als der Welt zu zeigen, daß alle innern Schwierigkeiten Rußland
"icht hindern, nach außen eine diplomatisch wirkungsvolle Politik zu betreiben oder
wenigstens in einer solchen Rolle zu Posieren. Dasselbe mag von den neuern
russischen Vorschlägen für die Haager Friedenskonferenz gelten. Es sind das Ver¬
suche, nach außen hin zu betonen, daß die innern Schwierigkeiten die Großmacht-
ftellnng Rußlands nicht berühren, und daß alle die kaum lösbaren innern Probleme
die russische Regierung nicht hindern, der Haager Konferenz ein recht umfang¬
reiches Arbeitspensum zu überweisen. Das sieht schön aus, erwärmt eine Anzahl
philanthropischer Gemüter in allen Ländern und -- bereitet den einzelnen Re¬
gierungen Verlegenheiten, zu deren Beseitigung sie dann Rußlands mehr oder
minder bedürfen. Es ist das alte Tradition der russischen Diplomatie, die auch
unter ungünstigen äußern Umständen die Karten geschickt zu mischen versteht. Andrer¬
seits läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Sympathien, die die Friedens¬
konferenz in England findet, verbunden mit den englischen Bestrebungen, das Völker¬
recht im Sinne englischer Interessen (Getreidezufuhr zur See in Kriegszeiten) neu
zu kodifizieren, der zweiten Haager Konferenz eine weit größere Bedeutung verleiht.

Zu Ehren des neuen englischen Kabinetts hat in London am 6. dieses Monats
ein Festmahl stattgefunden, an dessen Tischreden, soweit sie von der Regierung
stammen, wir Deutschen nicht gleichgiltig vorübergehn dürfen. Die erste galt der
englischen Flotte. Der Erste Lord der Admiralität versicherte, daß die Flotte Groß-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

und des Reichs die Belastung des deutscheu Geldmarkts mit einer fremden Anleihe
nicht erwünscht sei; auch ist man mit der Ausschreibung der eignen Anleihen un¬
mittelbar vorgegangen. Nun ist ja allerdings ein preußisch-deutscher Geldbedarf von
560 Millionen Mark nicht so gewaltig, daß deshalb dauernd finanzielle Vorsichts¬
maßregeln nötig wären. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen noch nicht zehn
Mark, wobei eine Beteiligung des Auslandes außer Ansatz bleibt. Wir werden
voraussichtlich einer starken Überzeichnnng beiwohnen. Auf den Zeichnungsscheiueu
ist deshalb auch die Verpflichtung vorgemerkt, anstelle preußischer Anleihe Reichs-
nnleihe anzunehmen, und umgekehrt. Dieses Wohl nur aus Höflichkeit gegen das
Reich, denn im allgemeinen werden preußische Anleihen aus naheliegenden Gründen
den Reichsanleihen vorgezogen. Die Klausel hat darum nur den Zweck, etwaige
Überzeichnnngen der preußischen Anleihe der Neichsauleihe zuzuführen.

Da diese 560 Millionen Mark ziemlich leicht Abnahme finden werden, so entsteht
die Frage: Was dann? Was geschieht, wenn Rußland sich später mit einem Anleihe¬
versuch einstellt? Es wird auf das Verhalten Englands verwiesen. Allerdings scheint
festzustehn, daß sich die britische Regierung gegenüber russischen Anletheversuchen in
London durchaus nicht ablehnend zu Verhalten gedenkt, eher das Gegenteil. Da¬
gegen beurteilen die großen englischen Bankhäuser die wirtschaftlichen Aussichten
in Nußland ziemlich pessimistisch, namentlich im Hinblick auf die durchaus unbe¬
rechenbare künftige russische Volksvertretung, von der noch niemand zu sagen vermag,
ob sie einer heilsamen Reform Rußlands dienen oder der Mittelpunkt einer weitern
revolutionären Bewegung sein wird. Auch die, andre Erwägung, daß die Ge¬
währung ausreichender Geldmittel nur der Fortdauer des jetzigen Regimes zugute
kommen würde, ist vom Standpunkte der großen englischen Banken nicht von der
Hand zu weisen. Bisher waren diese nur geneigt, sich mit sehr geringen Be¬
trägen zu beteiligen. Wenn es sich aber bewahrheiten sollte, daß Frankreich selbst
eine Milliarde braucht, die Fehlbeträge der letzten Jahresbudgets zu decken — zu
deutsch wohl: die in den letzten beiden Jahren nötig gewesnen großen Rüstungs¬
ausgaben zu bezahlen —, so würde vielleicht auch der französische Geldmarkt kaum
in der Lage sein, sich den russischen Freunden in vollem Umfange zu Willen zu
erweisen, und Rußland würde dann doch in nicht ferner Zeit wieder an die deutsche
Tür klopfen. Immerhin ist die russische Anleihefrage in gewissem Sinne in den
Mittelpunkt der europäischen Politik gerückt, zumal da die Entscheidungen, die im
Laufe dieses Jahres nach Eröffnung der Dnma in Rußland fallen werden, auf die
künftigen europäischen Konstellationen von tiefgreifenden Einfluß sein dürften.

Graf Lambsdorff kann mit der Cassini-Instruktion kaum etwas andres be¬
zweckt haben, als der Welt zu zeigen, daß alle innern Schwierigkeiten Rußland
«icht hindern, nach außen eine diplomatisch wirkungsvolle Politik zu betreiben oder
wenigstens in einer solchen Rolle zu Posieren. Dasselbe mag von den neuern
russischen Vorschlägen für die Haager Friedenskonferenz gelten. Es sind das Ver¬
suche, nach außen hin zu betonen, daß die innern Schwierigkeiten die Großmacht-
ftellnng Rußlands nicht berühren, und daß alle die kaum lösbaren innern Probleme
die russische Regierung nicht hindern, der Haager Konferenz ein recht umfang¬
reiches Arbeitspensum zu überweisen. Das sieht schön aus, erwärmt eine Anzahl
philanthropischer Gemüter in allen Ländern und — bereitet den einzelnen Re¬
gierungen Verlegenheiten, zu deren Beseitigung sie dann Rußlands mehr oder
minder bedürfen. Es ist das alte Tradition der russischen Diplomatie, die auch
unter ungünstigen äußern Umständen die Karten geschickt zu mischen versteht. Andrer¬
seits läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Sympathien, die die Friedens¬
konferenz in England findet, verbunden mit den englischen Bestrebungen, das Völker¬
recht im Sinne englischer Interessen (Getreidezufuhr zur See in Kriegszeiten) neu
zu kodifizieren, der zweiten Haager Konferenz eine weit größere Bedeutung verleiht.

Zu Ehren des neuen englischen Kabinetts hat in London am 6. dieses Monats
ein Festmahl stattgefunden, an dessen Tischreden, soweit sie von der Regierung
stammen, wir Deutschen nicht gleichgiltig vorübergehn dürfen. Die erste galt der
englischen Flotte. Der Erste Lord der Admiralität versicherte, daß die Flotte Groß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299161"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> und des Reichs die Belastung des deutscheu Geldmarkts mit einer fremden Anleihe<lb/>
nicht erwünscht sei; auch ist man mit der Ausschreibung der eignen Anleihen un¬<lb/>
mittelbar vorgegangen. Nun ist ja allerdings ein preußisch-deutscher Geldbedarf von<lb/>
560 Millionen Mark nicht so gewaltig, daß deshalb dauernd finanzielle Vorsichts¬<lb/>
maßregeln nötig wären. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen noch nicht zehn<lb/>
Mark, wobei eine Beteiligung des Auslandes außer Ansatz bleibt. Wir werden<lb/>
voraussichtlich einer starken Überzeichnnng beiwohnen. Auf den Zeichnungsscheiueu<lb/>
ist deshalb auch die Verpflichtung vorgemerkt, anstelle preußischer Anleihe Reichs-<lb/>
nnleihe anzunehmen, und umgekehrt. Dieses Wohl nur aus Höflichkeit gegen das<lb/>
Reich, denn im allgemeinen werden preußische Anleihen aus naheliegenden Gründen<lb/>
den Reichsanleihen vorgezogen. Die Klausel hat darum nur den Zweck, etwaige<lb/>
Überzeichnnngen der preußischen Anleihe der Neichsauleihe zuzuführen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_511"> Da diese 560 Millionen Mark ziemlich leicht Abnahme finden werden, so entsteht<lb/>
die Frage: Was dann? Was geschieht, wenn Rußland sich später mit einem Anleihe¬<lb/>
versuch einstellt? Es wird auf das Verhalten Englands verwiesen. Allerdings scheint<lb/>
festzustehn, daß sich die britische Regierung gegenüber russischen Anletheversuchen in<lb/>
London durchaus nicht ablehnend zu Verhalten gedenkt, eher das Gegenteil. Da¬<lb/>
gegen beurteilen die großen englischen Bankhäuser die wirtschaftlichen Aussichten<lb/>
in Nußland ziemlich pessimistisch, namentlich im Hinblick auf die durchaus unbe¬<lb/>
rechenbare künftige russische Volksvertretung, von der noch niemand zu sagen vermag,<lb/>
ob sie einer heilsamen Reform Rußlands dienen oder der Mittelpunkt einer weitern<lb/>
revolutionären Bewegung sein wird. Auch die, andre Erwägung, daß die Ge¬<lb/>
währung ausreichender Geldmittel nur der Fortdauer des jetzigen Regimes zugute<lb/>
kommen würde, ist vom Standpunkte der großen englischen Banken nicht von der<lb/>
Hand zu weisen. Bisher waren diese nur geneigt, sich mit sehr geringen Be¬<lb/>
trägen zu beteiligen. Wenn es sich aber bewahrheiten sollte, daß Frankreich selbst<lb/>
eine Milliarde braucht, die Fehlbeträge der letzten Jahresbudgets zu decken &#x2014; zu<lb/>
deutsch wohl: die in den letzten beiden Jahren nötig gewesnen großen Rüstungs¬<lb/>
ausgaben zu bezahlen &#x2014;, so würde vielleicht auch der französische Geldmarkt kaum<lb/>
in der Lage sein, sich den russischen Freunden in vollem Umfange zu Willen zu<lb/>
erweisen, und Rußland würde dann doch in nicht ferner Zeit wieder an die deutsche<lb/>
Tür klopfen. Immerhin ist die russische Anleihefrage in gewissem Sinne in den<lb/>
Mittelpunkt der europäischen Politik gerückt, zumal da die Entscheidungen, die im<lb/>
Laufe dieses Jahres nach Eröffnung der Dnma in Rußland fallen werden, auf die<lb/>
künftigen europäischen Konstellationen von tiefgreifenden Einfluß sein dürften.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_512"> Graf Lambsdorff kann mit der Cassini-Instruktion kaum etwas andres be¬<lb/>
zweckt haben, als der Welt zu zeigen, daß alle innern Schwierigkeiten Rußland<lb/>
«icht hindern, nach außen eine diplomatisch wirkungsvolle Politik zu betreiben oder<lb/>
wenigstens in einer solchen Rolle zu Posieren. Dasselbe mag von den neuern<lb/>
russischen Vorschlägen für die Haager Friedenskonferenz gelten. Es sind das Ver¬<lb/>
suche, nach außen hin zu betonen, daß die innern Schwierigkeiten die Großmacht-<lb/>
ftellnng Rußlands nicht berühren, und daß alle die kaum lösbaren innern Probleme<lb/>
die russische Regierung nicht hindern, der Haager Konferenz ein recht umfang¬<lb/>
reiches Arbeitspensum zu überweisen. Das sieht schön aus, erwärmt eine Anzahl<lb/>
philanthropischer Gemüter in allen Ländern und &#x2014; bereitet den einzelnen Re¬<lb/>
gierungen Verlegenheiten, zu deren Beseitigung sie dann Rußlands mehr oder<lb/>
minder bedürfen. Es ist das alte Tradition der russischen Diplomatie, die auch<lb/>
unter ungünstigen äußern Umständen die Karten geschickt zu mischen versteht. Andrer¬<lb/>
seits läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Sympathien, die die Friedens¬<lb/>
konferenz in England findet, verbunden mit den englischen Bestrebungen, das Völker¬<lb/>
recht im Sinne englischer Interessen (Getreidezufuhr zur See in Kriegszeiten) neu<lb/>
zu kodifizieren, der zweiten Haager Konferenz eine weit größere Bedeutung verleiht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_513" next="#ID_514"> Zu Ehren des neuen englischen Kabinetts hat in London am 6. dieses Monats<lb/>
ein Festmahl stattgefunden, an dessen Tischreden, soweit sie von der Regierung<lb/>
stammen, wir Deutschen nicht gleichgiltig vorübergehn dürfen. Die erste galt der<lb/>
englischen Flotte. Der Erste Lord der Admiralität versicherte, daß die Flotte Groß-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Maßgebliches und Unmaßgebliches und des Reichs die Belastung des deutscheu Geldmarkts mit einer fremden Anleihe nicht erwünscht sei; auch ist man mit der Ausschreibung der eignen Anleihen un¬ mittelbar vorgegangen. Nun ist ja allerdings ein preußisch-deutscher Geldbedarf von 560 Millionen Mark nicht so gewaltig, daß deshalb dauernd finanzielle Vorsichts¬ maßregeln nötig wären. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen noch nicht zehn Mark, wobei eine Beteiligung des Auslandes außer Ansatz bleibt. Wir werden voraussichtlich einer starken Überzeichnnng beiwohnen. Auf den Zeichnungsscheiueu ist deshalb auch die Verpflichtung vorgemerkt, anstelle preußischer Anleihe Reichs- nnleihe anzunehmen, und umgekehrt. Dieses Wohl nur aus Höflichkeit gegen das Reich, denn im allgemeinen werden preußische Anleihen aus naheliegenden Gründen den Reichsanleihen vorgezogen. Die Klausel hat darum nur den Zweck, etwaige Überzeichnnngen der preußischen Anleihe der Neichsauleihe zuzuführen. Da diese 560 Millionen Mark ziemlich leicht Abnahme finden werden, so entsteht die Frage: Was dann? Was geschieht, wenn Rußland sich später mit einem Anleihe¬ versuch einstellt? Es wird auf das Verhalten Englands verwiesen. Allerdings scheint festzustehn, daß sich die britische Regierung gegenüber russischen Anletheversuchen in London durchaus nicht ablehnend zu Verhalten gedenkt, eher das Gegenteil. Da¬ gegen beurteilen die großen englischen Bankhäuser die wirtschaftlichen Aussichten in Nußland ziemlich pessimistisch, namentlich im Hinblick auf die durchaus unbe¬ rechenbare künftige russische Volksvertretung, von der noch niemand zu sagen vermag, ob sie einer heilsamen Reform Rußlands dienen oder der Mittelpunkt einer weitern revolutionären Bewegung sein wird. Auch die, andre Erwägung, daß die Ge¬ währung ausreichender Geldmittel nur der Fortdauer des jetzigen Regimes zugute kommen würde, ist vom Standpunkte der großen englischen Banken nicht von der Hand zu weisen. Bisher waren diese nur geneigt, sich mit sehr geringen Be¬ trägen zu beteiligen. Wenn es sich aber bewahrheiten sollte, daß Frankreich selbst eine Milliarde braucht, die Fehlbeträge der letzten Jahresbudgets zu decken — zu deutsch wohl: die in den letzten beiden Jahren nötig gewesnen großen Rüstungs¬ ausgaben zu bezahlen —, so würde vielleicht auch der französische Geldmarkt kaum in der Lage sein, sich den russischen Freunden in vollem Umfange zu Willen zu erweisen, und Rußland würde dann doch in nicht ferner Zeit wieder an die deutsche Tür klopfen. Immerhin ist die russische Anleihefrage in gewissem Sinne in den Mittelpunkt der europäischen Politik gerückt, zumal da die Entscheidungen, die im Laufe dieses Jahres nach Eröffnung der Dnma in Rußland fallen werden, auf die künftigen europäischen Konstellationen von tiefgreifenden Einfluß sein dürften. Graf Lambsdorff kann mit der Cassini-Instruktion kaum etwas andres be¬ zweckt haben, als der Welt zu zeigen, daß alle innern Schwierigkeiten Rußland «icht hindern, nach außen eine diplomatisch wirkungsvolle Politik zu betreiben oder wenigstens in einer solchen Rolle zu Posieren. Dasselbe mag von den neuern russischen Vorschlägen für die Haager Friedenskonferenz gelten. Es sind das Ver¬ suche, nach außen hin zu betonen, daß die innern Schwierigkeiten die Großmacht- ftellnng Rußlands nicht berühren, und daß alle die kaum lösbaren innern Probleme die russische Regierung nicht hindern, der Haager Konferenz ein recht umfang¬ reiches Arbeitspensum zu überweisen. Das sieht schön aus, erwärmt eine Anzahl philanthropischer Gemüter in allen Ländern und — bereitet den einzelnen Re¬ gierungen Verlegenheiten, zu deren Beseitigung sie dann Rußlands mehr oder minder bedürfen. Es ist das alte Tradition der russischen Diplomatie, die auch unter ungünstigen äußern Umständen die Karten geschickt zu mischen versteht. Andrer¬ seits läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Sympathien, die die Friedens¬ konferenz in England findet, verbunden mit den englischen Bestrebungen, das Völker¬ recht im Sinne englischer Interessen (Getreidezufuhr zur See in Kriegszeiten) neu zu kodifizieren, der zweiten Haager Konferenz eine weit größere Bedeutung verleiht. Zu Ehren des neuen englischen Kabinetts hat in London am 6. dieses Monats ein Festmahl stattgefunden, an dessen Tischreden, soweit sie von der Regierung stammen, wir Deutschen nicht gleichgiltig vorübergehn dürfen. Die erste galt der englischen Flotte. Der Erste Lord der Admiralität versicherte, daß die Flotte Groß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/120>, abgerufen am 04.07.2024.