Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Berards Homerwerk Die Flotte der Jthacenser gelangt dann glücklich zum Vorgebirge Maleia, Berards Homerwerk Die Flotte der Jthacenser gelangt dann glücklich zum Vorgebirge Maleia, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87566"/> <fw type="header" place="top"> Berards Homerwerk</fw><lb/> <p xml:id="ID_317" next="#ID_318"> Die Flotte der Jthacenser gelangt dann glücklich zum Vorgebirge Maleia,<lb/> wird aber von einem der dort gewöhnlich tobenden Stürme an die Küste der<lb/> Lotosesser verschlagen. Berard bemerkt, die bei den Alten gebräuchliche Ein¬<lb/> teilung der Menschen in Brotesser, Lotosesser, Fischesser, Milch- und Käseesser,<lb/> Fleischesser usw. werde heute mit Unrecht belächelt, da die Nahrung ja tatsächlich<lb/> die Kulturart und die Kulturstufe charakterisiere. Mit den Brotessern meint<lb/> Homer immer vollständig zivilisierte Menschen. Der Lotos ist nun eine Baum¬<lb/> frucht, ohne Zweifel die Dattel, da sie (IX, 94) süßer als Honig genannt wird,<lb/> und die Lotosesser, die den Odysseus und seine Gefährten freundlich aufnahmen,<lb/> sind Berbern der tunesischen Küste, die auch später noch durch ihre Gast¬<lb/> freundlichkeit berühmt gewesen sein sollen. Ein „Calembour" brachte Lotos mit<lb/> Lethe in Verbindung und erzeugte die Sage, daß der Fremdling, der diese<lb/> Frucht genieße, der Heimat vergesse. Von dort nun gehts zu den Zyklopen.<lb/> Die haben nach Berard nicht auf Sizilien gewohnt, sondern am Posilip, wo<lb/> Polyphem die Auswahl hatte zwischen mehreren Höhlen. Die Flotte legt an<lb/> einer rmsos laedöm, kleinen Insel, an, die noch heute Nisida, Jnselchen, heißt.<lb/> Sie ist bewaldet und fruchtbar, aber nur von Ziegen bewohnt, wie in späterer<lb/> Zeit Capri und Caprera. Daraus erkennt Odysseus schon, daß die Bewohner<lb/> der nahen Küste nicht zivilisiert sein können. Diese waren denn in der Tat<lb/> wilde Hirten, die ungefähr so lebten wie bis in unsre Zeit die Albanesen und<lb/> den phönizischen, später den griechischen Kolonien viel zu schaffen gemacht haben.<lb/> Der Rauch, den die Vulkane der Gegend unaufhörlich entsenden, macht Odysseus<lb/> neugierig, und er beschließt, mit einer kleinen Zahl auserlesner Gefährten das<lb/> Land zu erkunden. Das Wort Cyklops heißt Rundauge. Der spätere griechische<lb/> Name des Landes, Oinotrici, hat mit viuos, vinum, Wein, nichts zu schaffe»,<lb/> sondern ist auf das semitische om oder s.in, Auge, zurückzuführen. Augen oder<lb/> Rundaugcn wurden die heute erloschnen, damals noch tätigen Krater der<lb/> Gegend genannt, was eine schöne photographische Aufnahme sehr glaublich<lb/> macht. Der Dichter hat die dortigen Naturerscheinungen „humanisiert" und<lb/> mit dem wilden Hirtenvolke der Opiker zu der einen Gestalt des Polyphem<lb/> verschmolzen. „Denn groß war zum Entsetzen das Scheusal, ähnlich auch keinem<lb/> Manne, vom Halme genährt, nein, gleich dem bewaldeten Gipfel Hochaufsteigeuder<lb/> Berge." Daß die Opiker Menschenfresser gewesen seien, hält Berard für phö-<lb/> nizische Übertreibung. Wie heute der europäische „Kulturbringer" die farbigen<lb/> Menschen mit Branntwein an sich lockt und zähmt, so werden es die Seefahrer<lb/> der alten Zeit mit Wein versucht haben. Odysseus berauscht den Unhold, und<lb/> in der Beschreibung des Zustands des Betrunknen sowie in der Erzählung von<lb/> der Blendung spielen der wilde Mann und der Vulkan ineinander. Die Kon¬<lb/> vulsionen und das Ausspeien von Strömen Weins, die Menschenfleisch mit sich<lb/> führen, erinnern an einen vulkanischen Ausbruch, und die Blendung beschreibt<lb/> geradezu einen solchen. „Fest in das Auge den glühenden Pfahl ihm haltend,<lb/> dreheten wir, daß Blut siedheiß um den Laufenden aufquoll. Alle Wimpern<lb/> umher und die Brauen ihm sengte die Lohe seines entflammeten Sterns, und<lb/> es prasselten brennend die Wurzeln. Wie wenn ein Meister in Erz, härtend<lb/> mit Kunst, die Holzaxt taucht in kühlendes Wasser, das lant mit Gesprudel</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
Berards Homerwerk
Die Flotte der Jthacenser gelangt dann glücklich zum Vorgebirge Maleia,
wird aber von einem der dort gewöhnlich tobenden Stürme an die Küste der
Lotosesser verschlagen. Berard bemerkt, die bei den Alten gebräuchliche Ein¬
teilung der Menschen in Brotesser, Lotosesser, Fischesser, Milch- und Käseesser,
Fleischesser usw. werde heute mit Unrecht belächelt, da die Nahrung ja tatsächlich
die Kulturart und die Kulturstufe charakterisiere. Mit den Brotessern meint
Homer immer vollständig zivilisierte Menschen. Der Lotos ist nun eine Baum¬
frucht, ohne Zweifel die Dattel, da sie (IX, 94) süßer als Honig genannt wird,
und die Lotosesser, die den Odysseus und seine Gefährten freundlich aufnahmen,
sind Berbern der tunesischen Küste, die auch später noch durch ihre Gast¬
freundlichkeit berühmt gewesen sein sollen. Ein „Calembour" brachte Lotos mit
Lethe in Verbindung und erzeugte die Sage, daß der Fremdling, der diese
Frucht genieße, der Heimat vergesse. Von dort nun gehts zu den Zyklopen.
Die haben nach Berard nicht auf Sizilien gewohnt, sondern am Posilip, wo
Polyphem die Auswahl hatte zwischen mehreren Höhlen. Die Flotte legt an
einer rmsos laedöm, kleinen Insel, an, die noch heute Nisida, Jnselchen, heißt.
Sie ist bewaldet und fruchtbar, aber nur von Ziegen bewohnt, wie in späterer
Zeit Capri und Caprera. Daraus erkennt Odysseus schon, daß die Bewohner
der nahen Küste nicht zivilisiert sein können. Diese waren denn in der Tat
wilde Hirten, die ungefähr so lebten wie bis in unsre Zeit die Albanesen und
den phönizischen, später den griechischen Kolonien viel zu schaffen gemacht haben.
Der Rauch, den die Vulkane der Gegend unaufhörlich entsenden, macht Odysseus
neugierig, und er beschließt, mit einer kleinen Zahl auserlesner Gefährten das
Land zu erkunden. Das Wort Cyklops heißt Rundauge. Der spätere griechische
Name des Landes, Oinotrici, hat mit viuos, vinum, Wein, nichts zu schaffe»,
sondern ist auf das semitische om oder s.in, Auge, zurückzuführen. Augen oder
Rundaugcn wurden die heute erloschnen, damals noch tätigen Krater der
Gegend genannt, was eine schöne photographische Aufnahme sehr glaublich
macht. Der Dichter hat die dortigen Naturerscheinungen „humanisiert" und
mit dem wilden Hirtenvolke der Opiker zu der einen Gestalt des Polyphem
verschmolzen. „Denn groß war zum Entsetzen das Scheusal, ähnlich auch keinem
Manne, vom Halme genährt, nein, gleich dem bewaldeten Gipfel Hochaufsteigeuder
Berge." Daß die Opiker Menschenfresser gewesen seien, hält Berard für phö-
nizische Übertreibung. Wie heute der europäische „Kulturbringer" die farbigen
Menschen mit Branntwein an sich lockt und zähmt, so werden es die Seefahrer
der alten Zeit mit Wein versucht haben. Odysseus berauscht den Unhold, und
in der Beschreibung des Zustands des Betrunknen sowie in der Erzählung von
der Blendung spielen der wilde Mann und der Vulkan ineinander. Die Kon¬
vulsionen und das Ausspeien von Strömen Weins, die Menschenfleisch mit sich
führen, erinnern an einen vulkanischen Ausbruch, und die Blendung beschreibt
geradezu einen solchen. „Fest in das Auge den glühenden Pfahl ihm haltend,
dreheten wir, daß Blut siedheiß um den Laufenden aufquoll. Alle Wimpern
umher und die Brauen ihm sengte die Lohe seines entflammeten Sterns, und
es prasselten brennend die Wurzeln. Wie wenn ein Meister in Erz, härtend
mit Kunst, die Holzaxt taucht in kühlendes Wasser, das lant mit Gesprudel
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