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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Wetterfahne hing schief auf der Spitze. Sie stellte den friderizianischen Adler
dar, der mit hängenden Flügeln und sehnsüchtigem Schnabel der Sonne zustrebte,
aber in seiner schiefen Lage nicht sehr majestätisch aussah. Jedenfalls hätten Haus,
Dach und Turm seit mindestens zehn Jahren einer Auffrischung bedurft. In der
Mitte des Hoff, wo bei einer geordneten Ackerwirtschaft der nsrvns rsrum und
der Stolz des Landwirth, der Düngerhaufen, liegt, breitete sich ein Tümpel aus,
auf dem Enten schwammen. Gepflastert war nichts, und das Ganze hatte ein
etwas polnisches Aussehen. Ramborn betrachtete dies alles nachdenklichen Gemüts
und dachte an seine Hypothek.

Von Arbeitern sah man nichts. Dagegen hörte man aus der offnen Scheunen¬
tenne ein mehrstimmiges, eintöniges Geschwätz. Jetzt kam von der den Feldern
zugekehrten Seite des Hoff ein Erntewagen gefahren, ein langes schlecht bepacktes
Gefährt. Vier magere leichte Pferde waren vorgespannt, und ein langer Mensch,
dessen Beine weit herunterhingen, saß auf dem Sattelpferde. Natürlich ini vollen
Trabe, mit Hurra um die Scheunenecke herum und gegen einen Stein, der dort
im Wege lag, daß das Wagengestell krachte, und ein Paar Garben herabflogen,
worüber es große Freude unter den Hühnern gab. Der lange Mensch stieg langsam
ab, ließ Wagen und Pferde stehn und verschwand in der Scheune, wo das Ge¬
schwätz einen neuen Aufschwung gewann. Es müßte doch eine Lust sein, sagte
Ramborn zu sich, dort mit der Reitpeitsche dazwischen fahren zu können. Da dies
nun nicht ging, wandte er fich dem Herrenhause zu und klingelte an der Pforte.
Eine alte litauische Magd öffnete. Sie schlug die Hände vor Überraschung und
Ehrfurcht zusammen und bat einzutreten, sie wolle gleich gnädiges Frauchen sagen,
daß Besuch da sei.

Ramborn trat ein. Das Zimmer, in das man ihn führte, war einmal reich
und geschmackvoll eingerichtet gewesen, es hatte sich auch nichts daran verändert,
nur waren Glanz und Frische inzwischen verblichen und verbraucht. Man merkt es
einem Hauswesen leicht an, wenn nicht ständig daran erneuert und gebessert wird.
Man merkte es auch hier, daß es nicht geschehen war. Nicht als ob irgend etwas
vernachlässigt worden wäre -- man sah es deutlich, daß sorgliche Frauenhände
darin walteten --, aber es war, als ob sich ein unsichtbarer Staub des Alters
auf Möbel und Schmuck niedergelassen hätte. Die Tapeten verblichen, hier ein
glänzender Fleck, wohin er nicht gehörte, da eine verbrauchte Stelle im Teppich,
dort ein blind gewordner Rahmen, und dort hell gewordne Politur. Da stand auch
ein Flügel, geschlossen und stumm, als sei er seit zehn Jahren nicht geöffnet
worden. Und dort eine Staffelei mit einer großen Photographie, die offenbar den
verstorbnen Mann Marys darstellte. Ramborn trat näher. Also so hatte der
schöne Paul ausgesehen. Hin! nicht sehr vertrauenerweckend. Ein flackernder Blick,
etwas Charakterloses um Kinn und Mund, eine Erscheinung, die Frauen gefällt,
bei Männern aber Mißtrauen erweckt. Dieser Mann war dazu angetan gewesen,
selbst unglücklich zu werden und andre unglücklich zu machen. Ihm, Ramborn,
war schon sein Name -- wie hieß er gleich? -- van Term, unangenehm gewesen.

Da hörte er das Rauschen eines Frauengewandes und wandte sich um. Mary!
Immer noch dieselbe, die sie einst gewesen war, dieselben strahlenden Augen, der¬
selbe ernste Mund, dieselbe schlanke Gestalt. Wenn Frauen ein gewisses Alter er¬
reicht haben, so tritt bisweilen eine Zeit der UnVeränderlichkeit ein, die wohl zehn
Jahre und darüber währt. Das schien bei Mary der Fall gewesen zu sein. Sie
war nicht älter geworden. Und wie sie als Mädchen etwas Frauenhaftes gehabt
hatte, so hatte sie als Frau etwas Mädchenhaftes behalten.

Lieber alter Heinz, sagte sie, ihrem Besuche beide Hände reichend, meine
Jngend grüßt mich, meine Heimat grüßt mich, seien Sie mir von Herzen will¬
kommen.

Heinz Ramborn fühlte sich von dem herzlichen Empfang wohltuend berührt.
Ach wenn doch Mary einstmals dem Primaner gegenüber so freundlich gewesen


Herrenmenschen

Wetterfahne hing schief auf der Spitze. Sie stellte den friderizianischen Adler
dar, der mit hängenden Flügeln und sehnsüchtigem Schnabel der Sonne zustrebte,
aber in seiner schiefen Lage nicht sehr majestätisch aussah. Jedenfalls hätten Haus,
Dach und Turm seit mindestens zehn Jahren einer Auffrischung bedurft. In der
Mitte des Hoff, wo bei einer geordneten Ackerwirtschaft der nsrvns rsrum und
der Stolz des Landwirth, der Düngerhaufen, liegt, breitete sich ein Tümpel aus,
auf dem Enten schwammen. Gepflastert war nichts, und das Ganze hatte ein
etwas polnisches Aussehen. Ramborn betrachtete dies alles nachdenklichen Gemüts
und dachte an seine Hypothek.

Von Arbeitern sah man nichts. Dagegen hörte man aus der offnen Scheunen¬
tenne ein mehrstimmiges, eintöniges Geschwätz. Jetzt kam von der den Feldern
zugekehrten Seite des Hoff ein Erntewagen gefahren, ein langes schlecht bepacktes
Gefährt. Vier magere leichte Pferde waren vorgespannt, und ein langer Mensch,
dessen Beine weit herunterhingen, saß auf dem Sattelpferde. Natürlich ini vollen
Trabe, mit Hurra um die Scheunenecke herum und gegen einen Stein, der dort
im Wege lag, daß das Wagengestell krachte, und ein Paar Garben herabflogen,
worüber es große Freude unter den Hühnern gab. Der lange Mensch stieg langsam
ab, ließ Wagen und Pferde stehn und verschwand in der Scheune, wo das Ge¬
schwätz einen neuen Aufschwung gewann. Es müßte doch eine Lust sein, sagte
Ramborn zu sich, dort mit der Reitpeitsche dazwischen fahren zu können. Da dies
nun nicht ging, wandte er fich dem Herrenhause zu und klingelte an der Pforte.
Eine alte litauische Magd öffnete. Sie schlug die Hände vor Überraschung und
Ehrfurcht zusammen und bat einzutreten, sie wolle gleich gnädiges Frauchen sagen,
daß Besuch da sei.

Ramborn trat ein. Das Zimmer, in das man ihn führte, war einmal reich
und geschmackvoll eingerichtet gewesen, es hatte sich auch nichts daran verändert,
nur waren Glanz und Frische inzwischen verblichen und verbraucht. Man merkt es
einem Hauswesen leicht an, wenn nicht ständig daran erneuert und gebessert wird.
Man merkte es auch hier, daß es nicht geschehen war. Nicht als ob irgend etwas
vernachlässigt worden wäre — man sah es deutlich, daß sorgliche Frauenhände
darin walteten —, aber es war, als ob sich ein unsichtbarer Staub des Alters
auf Möbel und Schmuck niedergelassen hätte. Die Tapeten verblichen, hier ein
glänzender Fleck, wohin er nicht gehörte, da eine verbrauchte Stelle im Teppich,
dort ein blind gewordner Rahmen, und dort hell gewordne Politur. Da stand auch
ein Flügel, geschlossen und stumm, als sei er seit zehn Jahren nicht geöffnet
worden. Und dort eine Staffelei mit einer großen Photographie, die offenbar den
verstorbnen Mann Marys darstellte. Ramborn trat näher. Also so hatte der
schöne Paul ausgesehen. Hin! nicht sehr vertrauenerweckend. Ein flackernder Blick,
etwas Charakterloses um Kinn und Mund, eine Erscheinung, die Frauen gefällt,
bei Männern aber Mißtrauen erweckt. Dieser Mann war dazu angetan gewesen,
selbst unglücklich zu werden und andre unglücklich zu machen. Ihm, Ramborn,
war schon sein Name — wie hieß er gleich? — van Term, unangenehm gewesen.

Da hörte er das Rauschen eines Frauengewandes und wandte sich um. Mary!
Immer noch dieselbe, die sie einst gewesen war, dieselben strahlenden Augen, der¬
selbe ernste Mund, dieselbe schlanke Gestalt. Wenn Frauen ein gewisses Alter er¬
reicht haben, so tritt bisweilen eine Zeit der UnVeränderlichkeit ein, die wohl zehn
Jahre und darüber währt. Das schien bei Mary der Fall gewesen zu sein. Sie
war nicht älter geworden. Und wie sie als Mädchen etwas Frauenhaftes gehabt
hatte, so hatte sie als Frau etwas Mädchenhaftes behalten.

Lieber alter Heinz, sagte sie, ihrem Besuche beide Hände reichend, meine
Jngend grüßt mich, meine Heimat grüßt mich, seien Sie mir von Herzen will¬
kommen.

Heinz Ramborn fühlte sich von dem herzlichen Empfang wohltuend berührt.
Ach wenn doch Mary einstmals dem Primaner gegenüber so freundlich gewesen


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[0740] Herrenmenschen Wetterfahne hing schief auf der Spitze. Sie stellte den friderizianischen Adler dar, der mit hängenden Flügeln und sehnsüchtigem Schnabel der Sonne zustrebte, aber in seiner schiefen Lage nicht sehr majestätisch aussah. Jedenfalls hätten Haus, Dach und Turm seit mindestens zehn Jahren einer Auffrischung bedurft. In der Mitte des Hoff, wo bei einer geordneten Ackerwirtschaft der nsrvns rsrum und der Stolz des Landwirth, der Düngerhaufen, liegt, breitete sich ein Tümpel aus, auf dem Enten schwammen. Gepflastert war nichts, und das Ganze hatte ein etwas polnisches Aussehen. Ramborn betrachtete dies alles nachdenklichen Gemüts und dachte an seine Hypothek. Von Arbeitern sah man nichts. Dagegen hörte man aus der offnen Scheunen¬ tenne ein mehrstimmiges, eintöniges Geschwätz. Jetzt kam von der den Feldern zugekehrten Seite des Hoff ein Erntewagen gefahren, ein langes schlecht bepacktes Gefährt. Vier magere leichte Pferde waren vorgespannt, und ein langer Mensch, dessen Beine weit herunterhingen, saß auf dem Sattelpferde. Natürlich ini vollen Trabe, mit Hurra um die Scheunenecke herum und gegen einen Stein, der dort im Wege lag, daß das Wagengestell krachte, und ein Paar Garben herabflogen, worüber es große Freude unter den Hühnern gab. Der lange Mensch stieg langsam ab, ließ Wagen und Pferde stehn und verschwand in der Scheune, wo das Ge¬ schwätz einen neuen Aufschwung gewann. Es müßte doch eine Lust sein, sagte Ramborn zu sich, dort mit der Reitpeitsche dazwischen fahren zu können. Da dies nun nicht ging, wandte er fich dem Herrenhause zu und klingelte an der Pforte. Eine alte litauische Magd öffnete. Sie schlug die Hände vor Überraschung und Ehrfurcht zusammen und bat einzutreten, sie wolle gleich gnädiges Frauchen sagen, daß Besuch da sei. Ramborn trat ein. Das Zimmer, in das man ihn führte, war einmal reich und geschmackvoll eingerichtet gewesen, es hatte sich auch nichts daran verändert, nur waren Glanz und Frische inzwischen verblichen und verbraucht. Man merkt es einem Hauswesen leicht an, wenn nicht ständig daran erneuert und gebessert wird. Man merkte es auch hier, daß es nicht geschehen war. Nicht als ob irgend etwas vernachlässigt worden wäre — man sah es deutlich, daß sorgliche Frauenhände darin walteten —, aber es war, als ob sich ein unsichtbarer Staub des Alters auf Möbel und Schmuck niedergelassen hätte. Die Tapeten verblichen, hier ein glänzender Fleck, wohin er nicht gehörte, da eine verbrauchte Stelle im Teppich, dort ein blind gewordner Rahmen, und dort hell gewordne Politur. Da stand auch ein Flügel, geschlossen und stumm, als sei er seit zehn Jahren nicht geöffnet worden. Und dort eine Staffelei mit einer großen Photographie, die offenbar den verstorbnen Mann Marys darstellte. Ramborn trat näher. Also so hatte der schöne Paul ausgesehen. Hin! nicht sehr vertrauenerweckend. Ein flackernder Blick, etwas Charakterloses um Kinn und Mund, eine Erscheinung, die Frauen gefällt, bei Männern aber Mißtrauen erweckt. Dieser Mann war dazu angetan gewesen, selbst unglücklich zu werden und andre unglücklich zu machen. Ihm, Ramborn, war schon sein Name — wie hieß er gleich? — van Term, unangenehm gewesen. Da hörte er das Rauschen eines Frauengewandes und wandte sich um. Mary! Immer noch dieselbe, die sie einst gewesen war, dieselben strahlenden Augen, der¬ selbe ernste Mund, dieselbe schlanke Gestalt. Wenn Frauen ein gewisses Alter er¬ reicht haben, so tritt bisweilen eine Zeit der UnVeränderlichkeit ein, die wohl zehn Jahre und darüber währt. Das schien bei Mary der Fall gewesen zu sein. Sie war nicht älter geworden. Und wie sie als Mädchen etwas Frauenhaftes gehabt hatte, so hatte sie als Frau etwas Mädchenhaftes behalten. Lieber alter Heinz, sagte sie, ihrem Besuche beide Hände reichend, meine Jngend grüßt mich, meine Heimat grüßt mich, seien Sie mir von Herzen will¬ kommen. Heinz Ramborn fühlte sich von dem herzlichen Empfang wohltuend berührt. Ach wenn doch Mary einstmals dem Primaner gegenüber so freundlich gewesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/740>, abgerufen am 23.07.2024.