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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Blücher und Bismarck

manche Kränkung kurzerhand persönlich zu erledigen; und auch der Kanzler nahm
bekanntlich in besondern Fällen zu solcher Selbsthilfe seine Zuflucht -- man
denke an Nesselrode --, er pflegte gern "mit gleicher Münze zu zahlen." Aber
der niederträchtigen Verleumdung blieb er auch dann noch nach wie vor aus¬
gesetzt, nachdem der Prozeß gegen einen ehemaligen Botschafter den ganzen
Rattenkönig der ihm feindlichen Koterien ans Licht befördert hatte.

Blücher wurde nur einmal, kurz vor der Beendigung seiner großen Laufbahn
im Jahre 1815 gezwungen, der äußersten Strenge der Kriegsartikel den Lauf
lassen zu müssen. Die einem nichtpreußischen Hilfskorps angehörenden Rädels¬
führer einer militärischen Revolte ließ er füsilieren; und den preußischen
kommandierender General, der sich eine die Fahne des meuternden Truppen¬
teils betreffende Maßregel aus Gefühlsrücksichten auszuführen weigerte, enthob
er -- wohl die härteste Strafe angesichts des bevorstehenden Kampfes -- vom
Dienst und schickte ihn zur Aburteilung durch ein Kriegsgericht in die Heimat
zurück. Wie sehr jedoch die Verantwortung für die Vernichtung von Menschenleben
sein Gewissen in Anspruch nahm, das fand einen erschütternden Ausdruck in
der Tatsache, daß er beim Knattern der Gewehre des Exekutionspelotons angst¬
voll gezittert und gezagt hat, das erstemal in seinem furchtlosen Leben.

Eine solche Äußerung rein menschlichen Empfindens steht durchaus im Ein¬
klange mit der von ihm entwickelten Kriegsenergie. Er allein unter den großen
Heerführern der Koalition erkannte mit Gneisenau, daß die wahre Humanität
in der Kriegführung in dem Grundsatze gipfle: die beabsichtigte Niederwerfung
des Gegners unter Einsetzung aller verfügbaren Mittel so entscheidend zu
machen, daß dadurch die weitere Blutarbeit gespart, der Krieg abgekürzt wird.
Aber das Herz blutete ihm doch beim Anblick des damit verbundnen Elends.
In solcher Stimmung gab er im Winter 1814 beim Durchschreiten eines
Schlachtfeldes dem Kronprinzen und nachmaligen König Friedrich Wilhelm dem
Vierten im Beisein von dessen Vater die beherzigenswerte Mahnung: wenn
überhaupt, dann aber "nur einen gerechten Krieg zu führen. Andernfalls würde
jeder Tropfen Blut der Gefallnen spät oder früh zum siedenden Öle auf dem
Gewissen des Fürsten werden." -- Und nach dem letzten Gefecht des Feld¬
zugs 1815 vor Paris schrieb er: "Ich habe gestern und heulte wider gegen
3000 man Verlohren ich hoffe zu gott es sollen die letzßten in diesen krige sein,
ich habe daß morden zum Überdruß habet."

Dieser Grundsatz der Humanität beherrschte auch durchaus den Kanzler,
dem das höchste fremde Interesse nicht die Knochen auch nur eines einzigen
pommerschen Musketiers wert war. Hatte er sich jedoch von der kriegerischen
Absicht eines Gegners überzeugt, so leitete er die vorausgehende politische Ver¬
wicklung systematisch nach einem Punkte hin und brachte sie mit kühnem Griff
zur Entwicklung. Es diente demselben Zwecke, wenn er nach dem Ausbruch
des Kriegs jeder äußersten Maßregel rückhaltlos das Wort redete, die den
Krieg schnell zu beendigen, das Blut des Volks zu schonen geeignet war; wenn
er endlich gegen den hartnäckigen Widerstand "lorbeerhungriger Strategen" zu¬
letzt die weise staatsmännische Mäßigung vertrat und durchsetzte, die über den
Augenblick hinweg immer die Zukunft Deutschlands im Auge behielt.


Blücher und Bismarck

manche Kränkung kurzerhand persönlich zu erledigen; und auch der Kanzler nahm
bekanntlich in besondern Fällen zu solcher Selbsthilfe seine Zuflucht — man
denke an Nesselrode —, er pflegte gern „mit gleicher Münze zu zahlen." Aber
der niederträchtigen Verleumdung blieb er auch dann noch nach wie vor aus¬
gesetzt, nachdem der Prozeß gegen einen ehemaligen Botschafter den ganzen
Rattenkönig der ihm feindlichen Koterien ans Licht befördert hatte.

Blücher wurde nur einmal, kurz vor der Beendigung seiner großen Laufbahn
im Jahre 1815 gezwungen, der äußersten Strenge der Kriegsartikel den Lauf
lassen zu müssen. Die einem nichtpreußischen Hilfskorps angehörenden Rädels¬
führer einer militärischen Revolte ließ er füsilieren; und den preußischen
kommandierender General, der sich eine die Fahne des meuternden Truppen¬
teils betreffende Maßregel aus Gefühlsrücksichten auszuführen weigerte, enthob
er — wohl die härteste Strafe angesichts des bevorstehenden Kampfes — vom
Dienst und schickte ihn zur Aburteilung durch ein Kriegsgericht in die Heimat
zurück. Wie sehr jedoch die Verantwortung für die Vernichtung von Menschenleben
sein Gewissen in Anspruch nahm, das fand einen erschütternden Ausdruck in
der Tatsache, daß er beim Knattern der Gewehre des Exekutionspelotons angst¬
voll gezittert und gezagt hat, das erstemal in seinem furchtlosen Leben.

Eine solche Äußerung rein menschlichen Empfindens steht durchaus im Ein¬
klange mit der von ihm entwickelten Kriegsenergie. Er allein unter den großen
Heerführern der Koalition erkannte mit Gneisenau, daß die wahre Humanität
in der Kriegführung in dem Grundsatze gipfle: die beabsichtigte Niederwerfung
des Gegners unter Einsetzung aller verfügbaren Mittel so entscheidend zu
machen, daß dadurch die weitere Blutarbeit gespart, der Krieg abgekürzt wird.
Aber das Herz blutete ihm doch beim Anblick des damit verbundnen Elends.
In solcher Stimmung gab er im Winter 1814 beim Durchschreiten eines
Schlachtfeldes dem Kronprinzen und nachmaligen König Friedrich Wilhelm dem
Vierten im Beisein von dessen Vater die beherzigenswerte Mahnung: wenn
überhaupt, dann aber „nur einen gerechten Krieg zu führen. Andernfalls würde
jeder Tropfen Blut der Gefallnen spät oder früh zum siedenden Öle auf dem
Gewissen des Fürsten werden." — Und nach dem letzten Gefecht des Feld¬
zugs 1815 vor Paris schrieb er: „Ich habe gestern und heulte wider gegen
3000 man Verlohren ich hoffe zu gott es sollen die letzßten in diesen krige sein,
ich habe daß morden zum Überdruß habet."

Dieser Grundsatz der Humanität beherrschte auch durchaus den Kanzler,
dem das höchste fremde Interesse nicht die Knochen auch nur eines einzigen
pommerschen Musketiers wert war. Hatte er sich jedoch von der kriegerischen
Absicht eines Gegners überzeugt, so leitete er die vorausgehende politische Ver¬
wicklung systematisch nach einem Punkte hin und brachte sie mit kühnem Griff
zur Entwicklung. Es diente demselben Zwecke, wenn er nach dem Ausbruch
des Kriegs jeder äußersten Maßregel rückhaltlos das Wort redete, die den
Krieg schnell zu beendigen, das Blut des Volks zu schonen geeignet war; wenn
er endlich gegen den hartnäckigen Widerstand „lorbeerhungriger Strategen" zu¬
letzt die weise staatsmännische Mäßigung vertrat und durchsetzte, die über den
Augenblick hinweg immer die Zukunft Deutschlands im Auge behielt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/720>, abgerufen am 22.12.2024.