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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Blücher und Bismarck

der auf das Weite, die See gerichtete Blick der Kaufleute, deren Unabhängig-
keitssinn, das alles hat dem mit ungewöhnlich scharfer Fassimgs- und Beobach¬
tungsgabe ausgerüsteten jungen Adlichen die vorurteilsfreie Denkweise gegeben,
die ihn später so vorteilhaft auszeichnete. Als er dann auf das Land geschickt
wurde, konnten seiner jugendlichen Ungebundenheit allerdings kaum Grenzen
gezogen werden. Ehrliche religiöse Überzeugung, stark entwickeltes Pflicht¬
bewußtsein und ehrenhafte Gesinnung brachte er aus dem Elternhause mit; sie
haben ihm während seines Lebens unter allen Umständen eine zuverlässige Richt-
schnur für sein Handeln und sein Denken gegeben. Die wissenschaftliche Aus¬
bildung des zum Soldaten bestimmten Junkers wurde freilich stark vernach¬
lässigt. Dann kam der erste militärische Lebensabschnitt bei Sturm und Drang,
bei kurzem Krieg und langem Frieden, der ihn wie Tausende in der platten
Alltäglichkeit des Garnisonlebens untertauchen ließ. Der unerwartete Abschluß
infolge seiner Übergehung im Avancement war die bekannte originelle, aller
Menschenfurcht bare, aber dem großen König gegenüber immerhin sehr gewagte
Begründung seines Abschiedsgesuchs. Nachdem es der König endlich genehmigt
und dabei den Rittmeister von Blücher "sich zum Teufel zu scheren" geheißen
hatte, ging dieser auf sein Gut in Pommern und wurde ein recht tüchtiger
Landwirt.

Ein ähnlich plötzliches Ende machte Bismarck seiner Staatsdienerschaft als
Referendar, die er nach sehr dringlich gewordner Herstellung des wirtschaftlichen
Gleichgewichts der Familienbesitzungen wieder aufgenommen hatte. Weil ihn
"büreaukratische Überhebung" geärgert hatte, so forderte er kurzerhand seine
Entlassung und ging wieder nach Pommern zurück auf das Land. Dort ist er,
wann und wo immer es sein konnte, "wildbrausender Most" gewesen: Zecher,
wilder Reiter, souveräner Verächter des Herkömmlichkeitsknltus, das Entsetzen
aller besorgten Mütter und Tanten im sehr frommen Pommernlande. Sein
Licht hat er gar oft "an beiden Enden zugleich angesteckt" und munter brennen
lassen. Wohl wehrte er sich gegen die ihn bedrängenden unholden Geister
durch zeitweiliges Vertiefen in geschichtliche und philosophische Studien, durch
Arbeiten im landwirtschaftlichen Berufe. Militärische Dienstleistungen brachten
ihm überdies die Bedeutung des kategorischen Imperativs in Erinnerung.
Solche Ablenkung gab ihn zwar immer wieder sich selbst zurück, aber die
quälende Unrast seines Innern, die dem alten Familienspruch: "Noch lange
nicht genug" entsprach, ließ ihn den festen Pol des seelischen Gleichgewichts
nicht finden. Seiner Feuerseele war die Kleinlichkeit der ihn umgebenden Ver¬
hältnisse zu groß, der Wirkungskreis zu beengt. Die ihm offenstehende Be¬
amtenlaufbahn schlug er deshalb nicht ein, weil er die seines Erachtens nach
unvermeidlichen Zusammenstöße des eignen Unabhängigkeitssinns mit bureau-
kratischer Bevormundung weder als dem Staatsinteresse noch dem seinigen
förderlich erachtete. Seine Zukunftsaussichten ließen sich also nicht gut an. Da
kam ernstliche Liebe über ihn; sie wurde der kundige Lotse, der das zwischen
Untiefen steuerlos treibende Schifflein Otto von Bismarcks in sicheres Fahr¬
wasser führte. Und noch einer Neigung ist er sich in dieser Zeit bewußt ge¬
worden, die wie die andre ihn ebenfalls in unlösbare Bande geschlagen hat,


Blücher und Bismarck

der auf das Weite, die See gerichtete Blick der Kaufleute, deren Unabhängig-
keitssinn, das alles hat dem mit ungewöhnlich scharfer Fassimgs- und Beobach¬
tungsgabe ausgerüsteten jungen Adlichen die vorurteilsfreie Denkweise gegeben,
die ihn später so vorteilhaft auszeichnete. Als er dann auf das Land geschickt
wurde, konnten seiner jugendlichen Ungebundenheit allerdings kaum Grenzen
gezogen werden. Ehrliche religiöse Überzeugung, stark entwickeltes Pflicht¬
bewußtsein und ehrenhafte Gesinnung brachte er aus dem Elternhause mit; sie
haben ihm während seines Lebens unter allen Umständen eine zuverlässige Richt-
schnur für sein Handeln und sein Denken gegeben. Die wissenschaftliche Aus¬
bildung des zum Soldaten bestimmten Junkers wurde freilich stark vernach¬
lässigt. Dann kam der erste militärische Lebensabschnitt bei Sturm und Drang,
bei kurzem Krieg und langem Frieden, der ihn wie Tausende in der platten
Alltäglichkeit des Garnisonlebens untertauchen ließ. Der unerwartete Abschluß
infolge seiner Übergehung im Avancement war die bekannte originelle, aller
Menschenfurcht bare, aber dem großen König gegenüber immerhin sehr gewagte
Begründung seines Abschiedsgesuchs. Nachdem es der König endlich genehmigt
und dabei den Rittmeister von Blücher „sich zum Teufel zu scheren" geheißen
hatte, ging dieser auf sein Gut in Pommern und wurde ein recht tüchtiger
Landwirt.

Ein ähnlich plötzliches Ende machte Bismarck seiner Staatsdienerschaft als
Referendar, die er nach sehr dringlich gewordner Herstellung des wirtschaftlichen
Gleichgewichts der Familienbesitzungen wieder aufgenommen hatte. Weil ihn
„büreaukratische Überhebung" geärgert hatte, so forderte er kurzerhand seine
Entlassung und ging wieder nach Pommern zurück auf das Land. Dort ist er,
wann und wo immer es sein konnte, „wildbrausender Most" gewesen: Zecher,
wilder Reiter, souveräner Verächter des Herkömmlichkeitsknltus, das Entsetzen
aller besorgten Mütter und Tanten im sehr frommen Pommernlande. Sein
Licht hat er gar oft „an beiden Enden zugleich angesteckt" und munter brennen
lassen. Wohl wehrte er sich gegen die ihn bedrängenden unholden Geister
durch zeitweiliges Vertiefen in geschichtliche und philosophische Studien, durch
Arbeiten im landwirtschaftlichen Berufe. Militärische Dienstleistungen brachten
ihm überdies die Bedeutung des kategorischen Imperativs in Erinnerung.
Solche Ablenkung gab ihn zwar immer wieder sich selbst zurück, aber die
quälende Unrast seines Innern, die dem alten Familienspruch: „Noch lange
nicht genug" entsprach, ließ ihn den festen Pol des seelischen Gleichgewichts
nicht finden. Seiner Feuerseele war die Kleinlichkeit der ihn umgebenden Ver¬
hältnisse zu groß, der Wirkungskreis zu beengt. Die ihm offenstehende Be¬
amtenlaufbahn schlug er deshalb nicht ein, weil er die seines Erachtens nach
unvermeidlichen Zusammenstöße des eignen Unabhängigkeitssinns mit bureau-
kratischer Bevormundung weder als dem Staatsinteresse noch dem seinigen
förderlich erachtete. Seine Zukunftsaussichten ließen sich also nicht gut an. Da
kam ernstliche Liebe über ihn; sie wurde der kundige Lotse, der das zwischen
Untiefen steuerlos treibende Schifflein Otto von Bismarcks in sicheres Fahr¬
wasser führte. Und noch einer Neigung ist er sich in dieser Zeit bewußt ge¬
worden, die wie die andre ihn ebenfalls in unlösbare Bande geschlagen hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/717>, abgerufen am 22.12.2024.