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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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und sie ihn nicht, oder sie wollten ihn nicht versteh". Und der Strandvogt er¬
klärte, man könne doch zum Donnerrrwetterrr bei dem Seegange auf See keine
Spazierfahrten machen. Erst müsse man wissen, wo das Schiff sitze.

Und so verging Stunde auf Stunde. Der Wind nahm an Kraft zu, es zogen
Regenböen vorüber, niemand ging nach Hause. Die Maler versuchten die Wirkung
des Sturms aufs Papier zu bringen, aber der Wind ließ es nicht zu und auch nicht
die eigne innere Unruhe. Es war, als wenn der Luftstrom durch Rock und Haut
dränge und den innern Menschen in eine prickelnde Unruhe versetzte, es war, als
wenn alles aus der senkrechten Richtung verschoben worden wäre, entweder mit¬
genommen und gebeugt vom Sturme oder sich gegen ihn stemmend. Endlich
fing die Gesellschaft in Lockens Stube an sich zu zerstreuen. Die einen gingen ins
Dorf zurück, die andern schlugen den Weg längs des Strandes zum Schuppen des
Rettungsboots ein, der halbwegs zwischen der Giftbude und dem Amte stand.

Nur Päsch blieb zurück, und bald bildete er den Mittelpunkt einer Gruppe
von Knaben, die ihn über den Sturm ausfragten.

Sturm? sagte Päsch mit etwas schwerer Rede, das hierrr ist gar kein Sturm,
sondern nur Brrrise Nummer Sieben. Denn was derrr Sturm ist, der pfeift wie
eine Lokomotive und bläst einem die Kleider vom Leibe. Als zum Beispiel im
Jahre Drrreiundneunzig, als wirrr da im November den grrroßen Sturm hatten,
da spritzte das Wasser bis an die Kirche. Und wie der Herr Pastor in der Kirche
taufen wollte, da mußten sie das Kind festhalten, daß es nicht davonflog.

Oh, Herr Päsch, oh, jetzt schneiden Sie aber arg ans! riefen die Knaben.

Wie ich euch sage, antwortete der Strandvogt. -- Und wie die Leute wieder
nach Hause wollten, mußten sie krrreuzeu wie Fischerboote. Und das Jahr darauf,
als der grrroße Dampfer auf der steinigen Platte saß und auseinanderplatzte, daß
mans hier hören konnte, da schwammen am andern Tage am Strande Hunderte
von Weinflaschen.

Leere Flaschen? fragte man.

Ach was, leere Flaschen, sagte der Strandvogt mit dem Tone der Verachtung,
volle Flaschen!

Aber die schwimmen doch nicht, warf einer der Knaben ein.

Schwimmen allemal, erwiderte der Strandvogt, wenn es Champagnerflaschen
sind. Denn da ist doch Luft drin. Na alsol Aber da haben wir gefischt, meine
Herrrren. Und noch in demselben Jahre saß da hinten, wo sie vor Jahren nach
Bernstein gebuddelt haben, ein Kohlenschiff fest. Der Kapitän und drei Mann
sind ersoffen. Was ist da weiter? Das ist der Beruf des Seemanns. Aber Kohlen
hat es hernach gegeben, so viel als man haben wollte. Und im nächsten Jahre
trieb ein Kahn mit Roggen an. Wie nun der Roggen verkauft werden sollte, da
bot kein Mensch einen Groschen. Hernach haben wir ihn, weil er nicht fortzu¬
bringen war, für ein Butterbrot gekriegt. Seitdem hat es aber so gute Jahre
nicht mehr gegeben.

Sagen Sie mal, Herr Päsch, mischte sich jetzt Herr von Kügelchen in das
Gespräch, mir will es fast scheinen, als ob Ihnen mehr daran läge, daß die Schiffe
scheitern, als daß sie geborgen werden. Ich finde das wirklich äuferst --

Herrr von Kügelchen, erwiderte Päsch, sagen Sie das nicht. Wirrr sind alle¬
mal für die Humanität. Aber man darf die Humanität nicht mißbrauchen. Wenn
es der Himmel will, und man hat billiges Korn oder man hat billige Kohle, so ist
es Sünde, Gottes Segen zu verachten.

Aber das ist ja kolossal, rief Herr von Kügelchen. Ich finde, daß man hier¬
zulande etwas mittelalterlich-seeräuberisch angekränkelt ist.

Wirrr sind gar nicht angekränkelt, Herr von Kügelchen, erwiderte Päsch,
sondern ganz gesunde Jungens.

Seht einmal die Menschen! rief Feodor, der um die Hausecke gelugt und
dabei beinahe seine Mütze verloren hatte.


Herrenmenschen

und sie ihn nicht, oder sie wollten ihn nicht versteh«. Und der Strandvogt er¬
klärte, man könne doch zum Donnerrrwetterrr bei dem Seegange auf See keine
Spazierfahrten machen. Erst müsse man wissen, wo das Schiff sitze.

Und so verging Stunde auf Stunde. Der Wind nahm an Kraft zu, es zogen
Regenböen vorüber, niemand ging nach Hause. Die Maler versuchten die Wirkung
des Sturms aufs Papier zu bringen, aber der Wind ließ es nicht zu und auch nicht
die eigne innere Unruhe. Es war, als wenn der Luftstrom durch Rock und Haut
dränge und den innern Menschen in eine prickelnde Unruhe versetzte, es war, als
wenn alles aus der senkrechten Richtung verschoben worden wäre, entweder mit¬
genommen und gebeugt vom Sturme oder sich gegen ihn stemmend. Endlich
fing die Gesellschaft in Lockens Stube an sich zu zerstreuen. Die einen gingen ins
Dorf zurück, die andern schlugen den Weg längs des Strandes zum Schuppen des
Rettungsboots ein, der halbwegs zwischen der Giftbude und dem Amte stand.

Nur Päsch blieb zurück, und bald bildete er den Mittelpunkt einer Gruppe
von Knaben, die ihn über den Sturm ausfragten.

Sturm? sagte Päsch mit etwas schwerer Rede, das hierrr ist gar kein Sturm,
sondern nur Brrrise Nummer Sieben. Denn was derrr Sturm ist, der pfeift wie
eine Lokomotive und bläst einem die Kleider vom Leibe. Als zum Beispiel im
Jahre Drrreiundneunzig, als wirrr da im November den grrroßen Sturm hatten,
da spritzte das Wasser bis an die Kirche. Und wie der Herr Pastor in der Kirche
taufen wollte, da mußten sie das Kind festhalten, daß es nicht davonflog.

Oh, Herr Päsch, oh, jetzt schneiden Sie aber arg ans! riefen die Knaben.

Wie ich euch sage, antwortete der Strandvogt. — Und wie die Leute wieder
nach Hause wollten, mußten sie krrreuzeu wie Fischerboote. Und das Jahr darauf,
als der grrroße Dampfer auf der steinigen Platte saß und auseinanderplatzte, daß
mans hier hören konnte, da schwammen am andern Tage am Strande Hunderte
von Weinflaschen.

Leere Flaschen? fragte man.

Ach was, leere Flaschen, sagte der Strandvogt mit dem Tone der Verachtung,
volle Flaschen!

Aber die schwimmen doch nicht, warf einer der Knaben ein.

Schwimmen allemal, erwiderte der Strandvogt, wenn es Champagnerflaschen
sind. Denn da ist doch Luft drin. Na alsol Aber da haben wir gefischt, meine
Herrrren. Und noch in demselben Jahre saß da hinten, wo sie vor Jahren nach
Bernstein gebuddelt haben, ein Kohlenschiff fest. Der Kapitän und drei Mann
sind ersoffen. Was ist da weiter? Das ist der Beruf des Seemanns. Aber Kohlen
hat es hernach gegeben, so viel als man haben wollte. Und im nächsten Jahre
trieb ein Kahn mit Roggen an. Wie nun der Roggen verkauft werden sollte, da
bot kein Mensch einen Groschen. Hernach haben wir ihn, weil er nicht fortzu¬
bringen war, für ein Butterbrot gekriegt. Seitdem hat es aber so gute Jahre
nicht mehr gegeben.

Sagen Sie mal, Herr Päsch, mischte sich jetzt Herr von Kügelchen in das
Gespräch, mir will es fast scheinen, als ob Ihnen mehr daran läge, daß die Schiffe
scheitern, als daß sie geborgen werden. Ich finde das wirklich äuferst —

Herrr von Kügelchen, erwiderte Päsch, sagen Sie das nicht. Wirrr sind alle¬
mal für die Humanität. Aber man darf die Humanität nicht mißbrauchen. Wenn
es der Himmel will, und man hat billiges Korn oder man hat billige Kohle, so ist
es Sünde, Gottes Segen zu verachten.

Aber das ist ja kolossal, rief Herr von Kügelchen. Ich finde, daß man hier¬
zulande etwas mittelalterlich-seeräuberisch angekränkelt ist.

Wirrr sind gar nicht angekränkelt, Herr von Kügelchen, erwiderte Päsch,
sondern ganz gesunde Jungens.

Seht einmal die Menschen! rief Feodor, der um die Hausecke gelugt und
dabei beinahe seine Mütze verloren hatte.


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[0686] Herrenmenschen und sie ihn nicht, oder sie wollten ihn nicht versteh«. Und der Strandvogt er¬ klärte, man könne doch zum Donnerrrwetterrr bei dem Seegange auf See keine Spazierfahrten machen. Erst müsse man wissen, wo das Schiff sitze. Und so verging Stunde auf Stunde. Der Wind nahm an Kraft zu, es zogen Regenböen vorüber, niemand ging nach Hause. Die Maler versuchten die Wirkung des Sturms aufs Papier zu bringen, aber der Wind ließ es nicht zu und auch nicht die eigne innere Unruhe. Es war, als wenn der Luftstrom durch Rock und Haut dränge und den innern Menschen in eine prickelnde Unruhe versetzte, es war, als wenn alles aus der senkrechten Richtung verschoben worden wäre, entweder mit¬ genommen und gebeugt vom Sturme oder sich gegen ihn stemmend. Endlich fing die Gesellschaft in Lockens Stube an sich zu zerstreuen. Die einen gingen ins Dorf zurück, die andern schlugen den Weg längs des Strandes zum Schuppen des Rettungsboots ein, der halbwegs zwischen der Giftbude und dem Amte stand. Nur Päsch blieb zurück, und bald bildete er den Mittelpunkt einer Gruppe von Knaben, die ihn über den Sturm ausfragten. Sturm? sagte Päsch mit etwas schwerer Rede, das hierrr ist gar kein Sturm, sondern nur Brrrise Nummer Sieben. Denn was derrr Sturm ist, der pfeift wie eine Lokomotive und bläst einem die Kleider vom Leibe. Als zum Beispiel im Jahre Drrreiundneunzig, als wirrr da im November den grrroßen Sturm hatten, da spritzte das Wasser bis an die Kirche. Und wie der Herr Pastor in der Kirche taufen wollte, da mußten sie das Kind festhalten, daß es nicht davonflog. Oh, Herr Päsch, oh, jetzt schneiden Sie aber arg ans! riefen die Knaben. Wie ich euch sage, antwortete der Strandvogt. — Und wie die Leute wieder nach Hause wollten, mußten sie krrreuzeu wie Fischerboote. Und das Jahr darauf, als der grrroße Dampfer auf der steinigen Platte saß und auseinanderplatzte, daß mans hier hören konnte, da schwammen am andern Tage am Strande Hunderte von Weinflaschen. Leere Flaschen? fragte man. Ach was, leere Flaschen, sagte der Strandvogt mit dem Tone der Verachtung, volle Flaschen! Aber die schwimmen doch nicht, warf einer der Knaben ein. Schwimmen allemal, erwiderte der Strandvogt, wenn es Champagnerflaschen sind. Denn da ist doch Luft drin. Na alsol Aber da haben wir gefischt, meine Herrrren. Und noch in demselben Jahre saß da hinten, wo sie vor Jahren nach Bernstein gebuddelt haben, ein Kohlenschiff fest. Der Kapitän und drei Mann sind ersoffen. Was ist da weiter? Das ist der Beruf des Seemanns. Aber Kohlen hat es hernach gegeben, so viel als man haben wollte. Und im nächsten Jahre trieb ein Kahn mit Roggen an. Wie nun der Roggen verkauft werden sollte, da bot kein Mensch einen Groschen. Hernach haben wir ihn, weil er nicht fortzu¬ bringen war, für ein Butterbrot gekriegt. Seitdem hat es aber so gute Jahre nicht mehr gegeben. Sagen Sie mal, Herr Päsch, mischte sich jetzt Herr von Kügelchen in das Gespräch, mir will es fast scheinen, als ob Ihnen mehr daran läge, daß die Schiffe scheitern, als daß sie geborgen werden. Ich finde das wirklich äuferst — Herrr von Kügelchen, erwiderte Päsch, sagen Sie das nicht. Wirrr sind alle¬ mal für die Humanität. Aber man darf die Humanität nicht mißbrauchen. Wenn es der Himmel will, und man hat billiges Korn oder man hat billige Kohle, so ist es Sünde, Gottes Segen zu verachten. Aber das ist ja kolossal, rief Herr von Kügelchen. Ich finde, daß man hier¬ zulande etwas mittelalterlich-seeräuberisch angekränkelt ist. Wirrr sind gar nicht angekränkelt, Herr von Kügelchen, erwiderte Päsch, sondern ganz gesunde Jungens. Seht einmal die Menschen! rief Feodor, der um die Hausecke gelugt und dabei beinahe seine Mütze verloren hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/686>, abgerufen am 22.12.2024.