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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Blücher und Bismarck

Um so mehr sahen die Patrioten mit Zuversicht zu ihm auf, während die fran¬
zösische Partei am Hofe ihn verdächtigte und mied. Das unbefangenste, zugleich
am schwersten wiegende Zeugnis seines Wertes gab ihm der kühl besonnene
Scharnhorst, sein ehemaliger Generalstabschef auf dem Zuge nach Lübeck. Der
schrieb ihm auf die Nachricht von seiner schweren Erkrankung: "Sie allein sind
unser Anführer und Held, und müßten Sie auf der Sänfte uns vor- und nach ¬
getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück."

Wie ernst es der stille, unermüdliche Waffenschmied des preußischen Volkes
mit diesem Ausspruch tatsächlich meinte, bewies er im Frühling des großen
Jahres, nachdem die Würfel endlich gefallen waren. Trotz allen gegen die Be¬
fehlsübertragung an Blücher gerichteten Unterströmungen setzte der menschen¬
kundige Niedersachse die Ernennung des Generals beim Könige durch, und zwar
mit der Begründung, er sei der einzige, der völlig frei wäre von Furcht vor
Napoleon.

Die Beteiligung Blüchers am Frühjahrsfeldzuge, dessen Mißerfolg allein
der russischen Oberleitung zur Last fällt, war nur geeignet, seine Persönlichkeit
in den Vordergrund zu bringen. Aber das schwerste Opfer jener Tage, das nach
Blüchers und Gneisenaus Urteil dem Verlust einer Schlacht gleichkam, ist Scharn¬
horsts Tod. Der treue Mann starb an der bei Großgörschen erhaltnen Wunde
in Prag.

Mit dem Wiederbeginn der Operationen der nun Verbündeten drei Mächte
nach Ablauf des Waffenstillstandes im August beginnt Blüchers Einwirkung auf
das Große und Ganze der Kriegsführung, trotz allen ihm angehängten Blei¬
gewichten, sich je länger je mehr geltend zu machen. Die psychologische Beur¬
teilung des preußischen Feldherrn durch Scharnhorst hatte den Nagel auf den
Kopf getroffen. Bei den Monarchen der verbündeten Mächte ebenso wie
bei der diplomatischen und der militärischen Oberleitung war und blieb der
Nimbus der Unbesieglichkeit, des überragenden Genies Napoleons nach wie vor
der alle Verhältnisse beherrschende Eindruck. Das übertrug sich natürlich auf
die Generale mit alleiniger Ausnahme des Führers der schleichen Armee. Die
Koalition krankte ohnehin von vornherein an allen Gebrechen einer solchen, an
Jntriguen, Neid und Sonderinteressen, die Napoleon durchschaute und verwertete.
Sie wäre auch unzweifelhaft in die Brüche gegangen, wenn Blüchers rastlose
Energie und fortwährend wachsender Einfluß ihr loses Gefüge nicht mittel- wie
unmittelbar gefestigt hätten. Und dazu war gerade er ausersehen, dessen Wesen
von den superkluger belächelt wurde, und dem man als Heerführer eigentlich nur
eine Nebenrolle zugewiesen hatte, indem man seine Selbständigkeit beschränkte.
Der erste große Erfolg, der Sieg an der Katzbach, der Schlesien vom Feinde
befreite, fiel ihm zu. Und bald darauf gelang es ihm, durch seine Operationen
gegen Napoleon in der Lausitz gerade die Besorgnisse im obersten Hauptquartier
zu zerstreuen, die man wegen der seinem Temperament entspringenden Unvor¬
sichtigkeit hegen zu müssen geglaubt hatte. Denn er wich den wiederholten, mit
überlegnen Kräften persönlich gegen ihn versuchten Schlägen Napoleons so ge¬
schickt und vorsichtig aus, daß sie zu Luftstößen wurden. Dabei mochte dem
Schlachtenkaiser, dem es um eine schnelle Entscheidung zu tun war, eine Ahnung


Blücher und Bismarck

Um so mehr sahen die Patrioten mit Zuversicht zu ihm auf, während die fran¬
zösische Partei am Hofe ihn verdächtigte und mied. Das unbefangenste, zugleich
am schwersten wiegende Zeugnis seines Wertes gab ihm der kühl besonnene
Scharnhorst, sein ehemaliger Generalstabschef auf dem Zuge nach Lübeck. Der
schrieb ihm auf die Nachricht von seiner schweren Erkrankung: „Sie allein sind
unser Anführer und Held, und müßten Sie auf der Sänfte uns vor- und nach ¬
getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück."

Wie ernst es der stille, unermüdliche Waffenschmied des preußischen Volkes
mit diesem Ausspruch tatsächlich meinte, bewies er im Frühling des großen
Jahres, nachdem die Würfel endlich gefallen waren. Trotz allen gegen die Be¬
fehlsübertragung an Blücher gerichteten Unterströmungen setzte der menschen¬
kundige Niedersachse die Ernennung des Generals beim Könige durch, und zwar
mit der Begründung, er sei der einzige, der völlig frei wäre von Furcht vor
Napoleon.

Die Beteiligung Blüchers am Frühjahrsfeldzuge, dessen Mißerfolg allein
der russischen Oberleitung zur Last fällt, war nur geeignet, seine Persönlichkeit
in den Vordergrund zu bringen. Aber das schwerste Opfer jener Tage, das nach
Blüchers und Gneisenaus Urteil dem Verlust einer Schlacht gleichkam, ist Scharn¬
horsts Tod. Der treue Mann starb an der bei Großgörschen erhaltnen Wunde
in Prag.

Mit dem Wiederbeginn der Operationen der nun Verbündeten drei Mächte
nach Ablauf des Waffenstillstandes im August beginnt Blüchers Einwirkung auf
das Große und Ganze der Kriegsführung, trotz allen ihm angehängten Blei¬
gewichten, sich je länger je mehr geltend zu machen. Die psychologische Beur¬
teilung des preußischen Feldherrn durch Scharnhorst hatte den Nagel auf den
Kopf getroffen. Bei den Monarchen der verbündeten Mächte ebenso wie
bei der diplomatischen und der militärischen Oberleitung war und blieb der
Nimbus der Unbesieglichkeit, des überragenden Genies Napoleons nach wie vor
der alle Verhältnisse beherrschende Eindruck. Das übertrug sich natürlich auf
die Generale mit alleiniger Ausnahme des Führers der schleichen Armee. Die
Koalition krankte ohnehin von vornherein an allen Gebrechen einer solchen, an
Jntriguen, Neid und Sonderinteressen, die Napoleon durchschaute und verwertete.
Sie wäre auch unzweifelhaft in die Brüche gegangen, wenn Blüchers rastlose
Energie und fortwährend wachsender Einfluß ihr loses Gefüge nicht mittel- wie
unmittelbar gefestigt hätten. Und dazu war gerade er ausersehen, dessen Wesen
von den superkluger belächelt wurde, und dem man als Heerführer eigentlich nur
eine Nebenrolle zugewiesen hatte, indem man seine Selbständigkeit beschränkte.
Der erste große Erfolg, der Sieg an der Katzbach, der Schlesien vom Feinde
befreite, fiel ihm zu. Und bald darauf gelang es ihm, durch seine Operationen
gegen Napoleon in der Lausitz gerade die Besorgnisse im obersten Hauptquartier
zu zerstreuen, die man wegen der seinem Temperament entspringenden Unvor¬
sichtigkeit hegen zu müssen geglaubt hatte. Denn er wich den wiederholten, mit
überlegnen Kräften persönlich gegen ihn versuchten Schlägen Napoleons so ge¬
schickt und vorsichtig aus, daß sie zu Luftstößen wurden. Dabei mochte dem
Schlachtenkaiser, dem es um eine schnelle Entscheidung zu tun war, eine Ahnung


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[0666] Blücher und Bismarck Um so mehr sahen die Patrioten mit Zuversicht zu ihm auf, während die fran¬ zösische Partei am Hofe ihn verdächtigte und mied. Das unbefangenste, zugleich am schwersten wiegende Zeugnis seines Wertes gab ihm der kühl besonnene Scharnhorst, sein ehemaliger Generalstabschef auf dem Zuge nach Lübeck. Der schrieb ihm auf die Nachricht von seiner schweren Erkrankung: „Sie allein sind unser Anführer und Held, und müßten Sie auf der Sänfte uns vor- und nach ¬ getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück." Wie ernst es der stille, unermüdliche Waffenschmied des preußischen Volkes mit diesem Ausspruch tatsächlich meinte, bewies er im Frühling des großen Jahres, nachdem die Würfel endlich gefallen waren. Trotz allen gegen die Be¬ fehlsübertragung an Blücher gerichteten Unterströmungen setzte der menschen¬ kundige Niedersachse die Ernennung des Generals beim Könige durch, und zwar mit der Begründung, er sei der einzige, der völlig frei wäre von Furcht vor Napoleon. Die Beteiligung Blüchers am Frühjahrsfeldzuge, dessen Mißerfolg allein der russischen Oberleitung zur Last fällt, war nur geeignet, seine Persönlichkeit in den Vordergrund zu bringen. Aber das schwerste Opfer jener Tage, das nach Blüchers und Gneisenaus Urteil dem Verlust einer Schlacht gleichkam, ist Scharn¬ horsts Tod. Der treue Mann starb an der bei Großgörschen erhaltnen Wunde in Prag. Mit dem Wiederbeginn der Operationen der nun Verbündeten drei Mächte nach Ablauf des Waffenstillstandes im August beginnt Blüchers Einwirkung auf das Große und Ganze der Kriegsführung, trotz allen ihm angehängten Blei¬ gewichten, sich je länger je mehr geltend zu machen. Die psychologische Beur¬ teilung des preußischen Feldherrn durch Scharnhorst hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Bei den Monarchen der verbündeten Mächte ebenso wie bei der diplomatischen und der militärischen Oberleitung war und blieb der Nimbus der Unbesieglichkeit, des überragenden Genies Napoleons nach wie vor der alle Verhältnisse beherrschende Eindruck. Das übertrug sich natürlich auf die Generale mit alleiniger Ausnahme des Führers der schleichen Armee. Die Koalition krankte ohnehin von vornherein an allen Gebrechen einer solchen, an Jntriguen, Neid und Sonderinteressen, die Napoleon durchschaute und verwertete. Sie wäre auch unzweifelhaft in die Brüche gegangen, wenn Blüchers rastlose Energie und fortwährend wachsender Einfluß ihr loses Gefüge nicht mittel- wie unmittelbar gefestigt hätten. Und dazu war gerade er ausersehen, dessen Wesen von den superkluger belächelt wurde, und dem man als Heerführer eigentlich nur eine Nebenrolle zugewiesen hatte, indem man seine Selbständigkeit beschränkte. Der erste große Erfolg, der Sieg an der Katzbach, der Schlesien vom Feinde befreite, fiel ihm zu. Und bald darauf gelang es ihm, durch seine Operationen gegen Napoleon in der Lausitz gerade die Besorgnisse im obersten Hauptquartier zu zerstreuen, die man wegen der seinem Temperament entspringenden Unvor¬ sichtigkeit hegen zu müssen geglaubt hatte. Denn er wich den wiederholten, mit überlegnen Kräften persönlich gegen ihn versuchten Schlägen Napoleons so ge¬ schickt und vorsichtig aus, daß sie zu Luftstößen wurden. Dabei mochte dem Schlachtenkaiser, dem es um eine schnelle Entscheidung zu tun war, eine Ahnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/666>, abgerufen am 22.12.2024.