Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Subalterne Juristen Schade auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde." So war Subalterne Juristen Schade auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde." So war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88080"/> <fw type="header" place="top"> Subalterne Juristen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2566" prev="#ID_2565" next="#ID_2567"> Schade auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde." So war<lb/> die Frage sachgemäß geregelt: auch der Eigentümer von Haustieren war grund¬<lb/> sätzlich für allen Schaden haftbar, aber er befreite sich durch den Nachweis<lb/> mangelnden Verschuldens bei der Beaufsichtigung des Tieres. Die Reichstags¬<lb/> kommission glaubte aber ihr gesetzgeberisches Geschick beweisen zu müssen, indem<lb/> sie den vorgeschlagnen Absatz 2 ablehnte. Danach haftet also jetzt der Eigentümer<lb/> oder sonstige „Tierhalter" unbedingt für jeden „durch das Tier" angerichteten<lb/> Schaden, eine Satzung, die in der Tat „erbarmungslos," „mitleidlos" ist,<lb/> natürlich aber auch eine Fülle von Prozessen und Streitfragen erzeugt hat.<lb/> Die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen des Reichsgerichts und der<lb/> Oberlcmdesgerichte betrügt über diese Frage etwa vierzig, nicht viel geringer<lb/> ist die Zahl der über diesen Gegenstand verfaßten Abhandlungen und Sonder¬<lb/> schriften, deren Urheber Gründe zu finden suchen, die eine Einschränkung der<lb/> regelwidrigen Haftung ermöglichen sollen. Zahlreiche Fälle, in denen eine<lb/> Haftung des Tierhalters aus Paragraph 833 ausgesprochen ist, verletzen<lb/> geradezu das Rechtsgefühl, so besonders der vom Reichsgericht durch Urteil<lb/> vom 26. Februar 1903 (Entscheidungen in Zivilsachen Bd. 54, S. 73) ent-<lb/> schiedne Fall: Ein Bauer fuhr mit feinem Einspänner von der Stadt nach<lb/> Hause; unterwegs nahm er einen Arbeiter auf dessen Bitten mit. Nachdem<lb/> sie eine Strecke gefahren waren, überholte sie ein betrunkner Knecht mit seinem<lb/> Fuhrwerk im schnellsten Daherrasen; als der Knecht mit dem Fuhrwerk des<lb/> Bauern in gleicher Höhe war, fiel von dem Wagen des Knechts ein Koffer<lb/> herunter, der unbefestigt darauf gestanden hatte. Infolgedessen ging das Pferd<lb/> des Bauern durch und schleuderte, nachdem es kurze Zeit auf der Landstraße<lb/> dahingerast war, das Gefährt an einen Baum; hierbei zog sich der vom<lb/> Bauern angenommne Arbeiter einen Schädelbruch zu, dem er sofort erlag.<lb/> Die Witwe und die Kinder des Arbeiters nahmen darauf den Bauern auf<lb/> Gewährung einer lebenslänglichen Unterhaltungsrente in Anspruch, und diese<lb/> wurde ihnen auf Grund des Paragraphen 833 zuerkannt: denn der „Schade"<lb/> — Tod des Ernährers — war, so führt das Reichsgericht aus, „durch das<lb/> Tier" angerichtet; es liege hier ein „selbständiges, willkürliches Tun" des<lb/> Tieres vor, in dem Tier selbst, in seiner tierischen Natur sei die eigentliche<lb/> den Schaden bewirkende Ursache zu sehen, und hierfür hafte der Bauer. So<lb/> kam dieser um Hab und Gut, er wurde Bettler, weil der trunkne Knecht eines<lb/> andern auf des Bauern Pferd so eingewirkt hatte, daß ein vom Bauern aus<lb/> Mitleid auf sein Fuhrwerk genommner Arbeiter ums Leben kam. Daraus<lb/> folgt die Lehre: Man hüte sich, auf sein Gefährt einen mühselig und be¬<lb/> laden auf der Landstraße Schreitenden aufzunehmen; dieses Mitleid kann uns<lb/> um Hab und Gut bringen, wenn unser Gefährt demnächst unterwegs durch<lb/> „selbständiges, willkürliches Tun" des Pferdes verunglückt. Andre der auf<lb/> Grund der „erbarmungslosen" Vorschrift geltend gemachten Ansprüche fordern<lb/> eine Betrachtung mehr nach der heitern Seite. So nahm ein Strolch einer<lb/> Dame ihr Schoßhündchen weg und schleuderte es in das Schaufenster eines<lb/> Glaswarenhändlers; dieser nahm die Dame auf Ersatz der zerbrochnen Vasen<lb/> und Teller in Anspruch, weil der Schade „durch das Tier" angerichtet sei.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Subalterne Juristen
Schade auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde." So war
die Frage sachgemäß geregelt: auch der Eigentümer von Haustieren war grund¬
sätzlich für allen Schaden haftbar, aber er befreite sich durch den Nachweis
mangelnden Verschuldens bei der Beaufsichtigung des Tieres. Die Reichstags¬
kommission glaubte aber ihr gesetzgeberisches Geschick beweisen zu müssen, indem
sie den vorgeschlagnen Absatz 2 ablehnte. Danach haftet also jetzt der Eigentümer
oder sonstige „Tierhalter" unbedingt für jeden „durch das Tier" angerichteten
Schaden, eine Satzung, die in der Tat „erbarmungslos," „mitleidlos" ist,
natürlich aber auch eine Fülle von Prozessen und Streitfragen erzeugt hat.
Die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen des Reichsgerichts und der
Oberlcmdesgerichte betrügt über diese Frage etwa vierzig, nicht viel geringer
ist die Zahl der über diesen Gegenstand verfaßten Abhandlungen und Sonder¬
schriften, deren Urheber Gründe zu finden suchen, die eine Einschränkung der
regelwidrigen Haftung ermöglichen sollen. Zahlreiche Fälle, in denen eine
Haftung des Tierhalters aus Paragraph 833 ausgesprochen ist, verletzen
geradezu das Rechtsgefühl, so besonders der vom Reichsgericht durch Urteil
vom 26. Februar 1903 (Entscheidungen in Zivilsachen Bd. 54, S. 73) ent-
schiedne Fall: Ein Bauer fuhr mit feinem Einspänner von der Stadt nach
Hause; unterwegs nahm er einen Arbeiter auf dessen Bitten mit. Nachdem
sie eine Strecke gefahren waren, überholte sie ein betrunkner Knecht mit seinem
Fuhrwerk im schnellsten Daherrasen; als der Knecht mit dem Fuhrwerk des
Bauern in gleicher Höhe war, fiel von dem Wagen des Knechts ein Koffer
herunter, der unbefestigt darauf gestanden hatte. Infolgedessen ging das Pferd
des Bauern durch und schleuderte, nachdem es kurze Zeit auf der Landstraße
dahingerast war, das Gefährt an einen Baum; hierbei zog sich der vom
Bauern angenommne Arbeiter einen Schädelbruch zu, dem er sofort erlag.
Die Witwe und die Kinder des Arbeiters nahmen darauf den Bauern auf
Gewährung einer lebenslänglichen Unterhaltungsrente in Anspruch, und diese
wurde ihnen auf Grund des Paragraphen 833 zuerkannt: denn der „Schade"
— Tod des Ernährers — war, so führt das Reichsgericht aus, „durch das
Tier" angerichtet; es liege hier ein „selbständiges, willkürliches Tun" des
Tieres vor, in dem Tier selbst, in seiner tierischen Natur sei die eigentliche
den Schaden bewirkende Ursache zu sehen, und hierfür hafte der Bauer. So
kam dieser um Hab und Gut, er wurde Bettler, weil der trunkne Knecht eines
andern auf des Bauern Pferd so eingewirkt hatte, daß ein vom Bauern aus
Mitleid auf sein Fuhrwerk genommner Arbeiter ums Leben kam. Daraus
folgt die Lehre: Man hüte sich, auf sein Gefährt einen mühselig und be¬
laden auf der Landstraße Schreitenden aufzunehmen; dieses Mitleid kann uns
um Hab und Gut bringen, wenn unser Gefährt demnächst unterwegs durch
„selbständiges, willkürliches Tun" des Pferdes verunglückt. Andre der auf
Grund der „erbarmungslosen" Vorschrift geltend gemachten Ansprüche fordern
eine Betrachtung mehr nach der heitern Seite. So nahm ein Strolch einer
Dame ihr Schoßhündchen weg und schleuderte es in das Schaufenster eines
Glaswarenhändlers; dieser nahm die Dame auf Ersatz der zerbrochnen Vasen
und Teller in Anspruch, weil der Schade „durch das Tier" angerichtet sei.
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