schnittsprotestanten dem Gegner Ehre erweisen. Darum glaubt man lieber, daß neben der an einigen Stellen angewandten blutigen Gewalt Hinterlist und geheime Praktiken das Restaurationswerk vollbracht hätten. Der Historiker weiß, wie die Dinge verlaufen sind. Ein Geheimnis freilich, das man sogar ein Wunder nennen darf, ist immerhin dabei, das Wunder, das in der geheimnisvollen Person Jesu kulminiert, daß nämlich Gott in jeder welt¬ geschichtlichen Wendung die dafür nötige und geeignete Persönlichkeit schafft und dnrch ihre Führung für seinen Zweck zubereitet. Die Christenheit war um 1500 in ihren untern Schichten verwildert, in den obern, namentlich in den geistlichen, heidnischem Epikuräismus verfallen. Womit allein schon bewiesen ist, daß das Papsttum keine göttliche Institution im katholisch-dogmatischen Sinne sein kann; im andern Sinne ist es eine solche gleich den Reformationskirchen und solchen Sekten, die, wie die Quäker, die Methodisten, die Herrnhuter, eine bedeutende und segensreiche Tätigkeit entfaltet haben. Aber die Göttlichkeit des Christentums erwies sich nun dadurch, daß die Christenheit nicht umkam in dem Sumpfe wie tausend Jahre vorher das Römische Reich, sondern sich mit Hilfe der von Gott gesandten Männer: Luthers, der Schweizer Re¬ formatoren, Loyolas herausarbeitete. Jeder Völkergruppe wurde gegeben, was sie brauchte: den einen der fürstliche Summepiskopat, den andern eine republi¬ kanische Theokratie, den dritten ein Orden, der das alte Kirchenwesen zeit¬ gemäß erneuerte. Jede der drei Neuschöpfungen litt wie alle menschlichen Institutionen an den Fehlern ihrer Vorzüge, keine war geeignet, die Bedürf¬ nisse der ganzen Christenheit oder die eines Teils für alle Zukunft zu be¬ friedigen, aber zusammen leisteten sie, wessen das sechzehnte und das siebzehnte Jahrhundert bedurften. Die Leistung der Jesuiten nun bestand der Haupt¬ sache nach in Folgendem. Die Abwendung der Süd- und der Westdeutschen von der alten Kirche entsprang weit weniger der Antipathie gegen den römischen Katholizismus als der Verachtung des verdorbnen, verwilderten und unwissenden Pfarr- und Ordensklerus. Die Jesuiten rangen als sitten- reine und pflichteifrige Geistliche dem Volke wieder Achtung vor dem geist¬ lichen Stande ab, fesselten es durch gute Predigten und einen würdig-feier¬ lichen, des Sinneszaubers nicht entbehrenden Gottesdienst und erzogen die Vornehmen zu glaubensstarken Männern in Schulen, die auch nach dem Zeugnisse der Gegner, vom damaligen Standpunkte der Pädagogik aus be- trachtet, Musterschulen waren. Das ist das ganze Geheimnis ihres Erfolges, zu dessen Erklärung es weder der Giftmischerei noch der Erbschleicherei bedarf; abgesehen vou dem obengenannten Urwunder ist dabei, wie in der Welt¬ geschichte überhaupt, alles mit natürlichen Dingen zugegangen. Gott leitet die Entwicklung, aber nach den von ihm selbst in die Schöpfung gelegten psychologischen und Naturgesetzen.
Die Polemik gegen die Jesuiten umfaßt dreierlei. Erstens eine Kritik ihrer Moral. Darüber habe ich mich bei verschiednen Gelegenheiten ausge¬ sprochen. Zweitens Schauermaren. Die werden nun heute wohl von keinem protestantischen Historiker mehr für wahr gehalten. Geister ersten Ranges haben sich keinen Augenblick durch sie beirre" lassen und sie keiner Beachtung
Grenzboten t 1905 77
Jesnitenfrage und konfessionelle Polemik
schnittsprotestanten dem Gegner Ehre erweisen. Darum glaubt man lieber, daß neben der an einigen Stellen angewandten blutigen Gewalt Hinterlist und geheime Praktiken das Restaurationswerk vollbracht hätten. Der Historiker weiß, wie die Dinge verlaufen sind. Ein Geheimnis freilich, das man sogar ein Wunder nennen darf, ist immerhin dabei, das Wunder, das in der geheimnisvollen Person Jesu kulminiert, daß nämlich Gott in jeder welt¬ geschichtlichen Wendung die dafür nötige und geeignete Persönlichkeit schafft und dnrch ihre Führung für seinen Zweck zubereitet. Die Christenheit war um 1500 in ihren untern Schichten verwildert, in den obern, namentlich in den geistlichen, heidnischem Epikuräismus verfallen. Womit allein schon bewiesen ist, daß das Papsttum keine göttliche Institution im katholisch-dogmatischen Sinne sein kann; im andern Sinne ist es eine solche gleich den Reformationskirchen und solchen Sekten, die, wie die Quäker, die Methodisten, die Herrnhuter, eine bedeutende und segensreiche Tätigkeit entfaltet haben. Aber die Göttlichkeit des Christentums erwies sich nun dadurch, daß die Christenheit nicht umkam in dem Sumpfe wie tausend Jahre vorher das Römische Reich, sondern sich mit Hilfe der von Gott gesandten Männer: Luthers, der Schweizer Re¬ formatoren, Loyolas herausarbeitete. Jeder Völkergruppe wurde gegeben, was sie brauchte: den einen der fürstliche Summepiskopat, den andern eine republi¬ kanische Theokratie, den dritten ein Orden, der das alte Kirchenwesen zeit¬ gemäß erneuerte. Jede der drei Neuschöpfungen litt wie alle menschlichen Institutionen an den Fehlern ihrer Vorzüge, keine war geeignet, die Bedürf¬ nisse der ganzen Christenheit oder die eines Teils für alle Zukunft zu be¬ friedigen, aber zusammen leisteten sie, wessen das sechzehnte und das siebzehnte Jahrhundert bedurften. Die Leistung der Jesuiten nun bestand der Haupt¬ sache nach in Folgendem. Die Abwendung der Süd- und der Westdeutschen von der alten Kirche entsprang weit weniger der Antipathie gegen den römischen Katholizismus als der Verachtung des verdorbnen, verwilderten und unwissenden Pfarr- und Ordensklerus. Die Jesuiten rangen als sitten- reine und pflichteifrige Geistliche dem Volke wieder Achtung vor dem geist¬ lichen Stande ab, fesselten es durch gute Predigten und einen würdig-feier¬ lichen, des Sinneszaubers nicht entbehrenden Gottesdienst und erzogen die Vornehmen zu glaubensstarken Männern in Schulen, die auch nach dem Zeugnisse der Gegner, vom damaligen Standpunkte der Pädagogik aus be- trachtet, Musterschulen waren. Das ist das ganze Geheimnis ihres Erfolges, zu dessen Erklärung es weder der Giftmischerei noch der Erbschleicherei bedarf; abgesehen vou dem obengenannten Urwunder ist dabei, wie in der Welt¬ geschichte überhaupt, alles mit natürlichen Dingen zugegangen. Gott leitet die Entwicklung, aber nach den von ihm selbst in die Schöpfung gelegten psychologischen und Naturgesetzen.
Die Polemik gegen die Jesuiten umfaßt dreierlei. Erstens eine Kritik ihrer Moral. Darüber habe ich mich bei verschiednen Gelegenheiten ausge¬ sprochen. Zweitens Schauermaren. Die werden nun heute wohl von keinem protestantischen Historiker mehr für wahr gehalten. Geister ersten Ranges haben sich keinen Augenblick durch sie beirre» lassen und sie keiner Beachtung
Grenzboten t 1905 77
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[0593]
Jesnitenfrage und konfessionelle Polemik
schnittsprotestanten dem Gegner Ehre erweisen. Darum glaubt man lieber,
daß neben der an einigen Stellen angewandten blutigen Gewalt Hinterlist
und geheime Praktiken das Restaurationswerk vollbracht hätten. Der Historiker
weiß, wie die Dinge verlaufen sind. Ein Geheimnis freilich, das man sogar
ein Wunder nennen darf, ist immerhin dabei, das Wunder, das in der
geheimnisvollen Person Jesu kulminiert, daß nämlich Gott in jeder welt¬
geschichtlichen Wendung die dafür nötige und geeignete Persönlichkeit schafft
und dnrch ihre Führung für seinen Zweck zubereitet. Die Christenheit war
um 1500 in ihren untern Schichten verwildert, in den obern, namentlich in den
geistlichen, heidnischem Epikuräismus verfallen. Womit allein schon bewiesen
ist, daß das Papsttum keine göttliche Institution im katholisch-dogmatischen Sinne
sein kann; im andern Sinne ist es eine solche gleich den Reformationskirchen
und solchen Sekten, die, wie die Quäker, die Methodisten, die Herrnhuter, eine
bedeutende und segensreiche Tätigkeit entfaltet haben. Aber die Göttlichkeit
des Christentums erwies sich nun dadurch, daß die Christenheit nicht umkam
in dem Sumpfe wie tausend Jahre vorher das Römische Reich, sondern sich
mit Hilfe der von Gott gesandten Männer: Luthers, der Schweizer Re¬
formatoren, Loyolas herausarbeitete. Jeder Völkergruppe wurde gegeben, was
sie brauchte: den einen der fürstliche Summepiskopat, den andern eine republi¬
kanische Theokratie, den dritten ein Orden, der das alte Kirchenwesen zeit¬
gemäß erneuerte. Jede der drei Neuschöpfungen litt wie alle menschlichen
Institutionen an den Fehlern ihrer Vorzüge, keine war geeignet, die Bedürf¬
nisse der ganzen Christenheit oder die eines Teils für alle Zukunft zu be¬
friedigen, aber zusammen leisteten sie, wessen das sechzehnte und das siebzehnte
Jahrhundert bedurften. Die Leistung der Jesuiten nun bestand der Haupt¬
sache nach in Folgendem. Die Abwendung der Süd- und der Westdeutschen
von der alten Kirche entsprang weit weniger der Antipathie gegen den
römischen Katholizismus als der Verachtung des verdorbnen, verwilderten
und unwissenden Pfarr- und Ordensklerus. Die Jesuiten rangen als sitten-
reine und pflichteifrige Geistliche dem Volke wieder Achtung vor dem geist¬
lichen Stande ab, fesselten es durch gute Predigten und einen würdig-feier¬
lichen, des Sinneszaubers nicht entbehrenden Gottesdienst und erzogen die
Vornehmen zu glaubensstarken Männern in Schulen, die auch nach dem
Zeugnisse der Gegner, vom damaligen Standpunkte der Pädagogik aus be-
trachtet, Musterschulen waren. Das ist das ganze Geheimnis ihres Erfolges,
zu dessen Erklärung es weder der Giftmischerei noch der Erbschleicherei bedarf;
abgesehen vou dem obengenannten Urwunder ist dabei, wie in der Welt¬
geschichte überhaupt, alles mit natürlichen Dingen zugegangen. Gott leitet
die Entwicklung, aber nach den von ihm selbst in die Schöpfung gelegten
psychologischen und Naturgesetzen.
Die Polemik gegen die Jesuiten umfaßt dreierlei. Erstens eine Kritik
ihrer Moral. Darüber habe ich mich bei verschiednen Gelegenheiten ausge¬
sprochen. Zweitens Schauermaren. Die werden nun heute wohl von keinem
protestantischen Historiker mehr für wahr gehalten. Geister ersten Ranges
haben sich keinen Augenblick durch sie beirre» lassen und sie keiner Beachtung
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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/593>, abgerufen am 03.01.2025.
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