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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

Gebrauch vorzuziehn. Aber es enthält zum Teil Andres als das Buch des
Jesuiten, und dieses Andre ist sehr wichtig. Wer in der Jesuitenfrage uoch
das Wort ergreifen will, oder wein sein Beruf als Historiker diese Frage
aufzwingt, der darf den "Jesuitismus" nicht ungelesen lassen. Das für mich
interessanteste Ergebnis von Naumanns Forschungen ist, daß nicht Protestanten
sondern Katholiken das Zerrbild geschaffen haben, das heute der nicht katho¬
lischen Welt als echtes Konterfei gilt. Die alten Orden, denen die Jesuiten
mit glänzendem Erfolg Konkurrenz machten, die ebenfalls eifersüchtige Sorbonne,
das herrschsüchtige Pariser Parlament, die Prälaten und die Weltgeistlichen,
denen die katholische Reform unbequem war, haßten die neue Gesellschaft, ver¬
dächtigten, verleumdeten und bekämpften sie mit den schlechtesten Mitteln. Zu
ihnen gesellten sich dann noch die aus reinen Motiven kämpfenden Rigoristen
jansenistischer Richtung, deren Führung der große Pascal übernahm. Jesuiten¬
novizen, die wegen Verfehlungen aus dem Orden entlassen worden waren,
schrieben aus Rache Schmähschriften und Satiren auf ihn. Die Protestanten
nun, denen ja die Jesuiten sehr empfindlichen Abbruch taten, benutzten alle
diese Vorlagen für ihre eigne Polemik, und seitdem hat immer die nächste
Generation von Jesuitenfeinden die vorhergehende abgeschrieben, ohne auf
die Quellen zurückzugehn und diese zu prüfen. An dem großen Sturme
des achtzehnten Jahrhunderts, der den Orden zerschmetterte, beteiligten sich
fast nur Katholiken; Naumann macht es glaublich, daß die im Freimaurer¬
orden organisierten josephinischen Prälaten den Vernichtungskampf geleitet
haben, und gerade die geheimbündlerische Organisation dieser Herren, auf
die Goethe so oft anspielt, veranlaßte sie, den Jesuiten geheimbündlerisches
Wesen unterzuschieben oder auch wohl, dem Geiste der Zeit Cagliostros gemäß,
solches als selbstverständlich bona nao bei ihnen vorauszusetzen.

Ein Mensch von historischem Sinn bedarf keiner Fachgelehrsamkeit dazu,
die Wertlosigkeit der Polemik eines Hoensbroech, die ich seinerzeit kurz
charakterisiert habe, zu durchschauen. Daß die Protestanten dem von Katho¬
liken geschaffnen Zerrbilde treu bleiben und es weiter ausmalen, erklärt sich
aus der Massenpsychologie, die in allen Völkern, Parteien, Zeiten dieselbe
bleibt. Die wirklichen Ursachen der Erscheinungen zu erforschen, ist eine
mühsame Arbeit, und deren Ergebnis füllt manchmal beschämend aus oder
verursacht Unbequemlichkeiten. Anstatt einzusehen, daß die eigne Unsauberkeit
eine Pest erzeugt hat, beschuldigt man lieber die Juden der Brunnenver¬
giftung. Das Vieh richtig pflegen macht Arbeit und Kopfzerbrechen, also
muß eine Hexe schuld sein, wenn die Kuh keine Milch gibt. Daß energische
Arbeit, bürgerliche Tüchtigkeit und eifrige Pflege der Intelligenz die protestan¬
tischen Nationen emporgehoben haben, und das Zurückbleiben in diesen Be¬
ziehungen die Katholiken ins Hintertreffen gedrängt hat, gestehn diese nicht
gern ein; darum machen die Bigotten unter ihnen den Teufel und die ge¬
heimen Gesellschaften für die Weltlage verantwortlich. Daß es die guten
Eigenschaften und die löblichen Leistungen der Jesuiten gewesen sind, was
diese befähigt hat, im sechzehnten Jahrhundert den wankenden Katholizismus
zu stützen und wieder aufzurichten, das anerkennen hieße ja für den Durch-


Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

Gebrauch vorzuziehn. Aber es enthält zum Teil Andres als das Buch des
Jesuiten, und dieses Andre ist sehr wichtig. Wer in der Jesuitenfrage uoch
das Wort ergreifen will, oder wein sein Beruf als Historiker diese Frage
aufzwingt, der darf den „Jesuitismus" nicht ungelesen lassen. Das für mich
interessanteste Ergebnis von Naumanns Forschungen ist, daß nicht Protestanten
sondern Katholiken das Zerrbild geschaffen haben, das heute der nicht katho¬
lischen Welt als echtes Konterfei gilt. Die alten Orden, denen die Jesuiten
mit glänzendem Erfolg Konkurrenz machten, die ebenfalls eifersüchtige Sorbonne,
das herrschsüchtige Pariser Parlament, die Prälaten und die Weltgeistlichen,
denen die katholische Reform unbequem war, haßten die neue Gesellschaft, ver¬
dächtigten, verleumdeten und bekämpften sie mit den schlechtesten Mitteln. Zu
ihnen gesellten sich dann noch die aus reinen Motiven kämpfenden Rigoristen
jansenistischer Richtung, deren Führung der große Pascal übernahm. Jesuiten¬
novizen, die wegen Verfehlungen aus dem Orden entlassen worden waren,
schrieben aus Rache Schmähschriften und Satiren auf ihn. Die Protestanten
nun, denen ja die Jesuiten sehr empfindlichen Abbruch taten, benutzten alle
diese Vorlagen für ihre eigne Polemik, und seitdem hat immer die nächste
Generation von Jesuitenfeinden die vorhergehende abgeschrieben, ohne auf
die Quellen zurückzugehn und diese zu prüfen. An dem großen Sturme
des achtzehnten Jahrhunderts, der den Orden zerschmetterte, beteiligten sich
fast nur Katholiken; Naumann macht es glaublich, daß die im Freimaurer¬
orden organisierten josephinischen Prälaten den Vernichtungskampf geleitet
haben, und gerade die geheimbündlerische Organisation dieser Herren, auf
die Goethe so oft anspielt, veranlaßte sie, den Jesuiten geheimbündlerisches
Wesen unterzuschieben oder auch wohl, dem Geiste der Zeit Cagliostros gemäß,
solches als selbstverständlich bona nao bei ihnen vorauszusetzen.

Ein Mensch von historischem Sinn bedarf keiner Fachgelehrsamkeit dazu,
die Wertlosigkeit der Polemik eines Hoensbroech, die ich seinerzeit kurz
charakterisiert habe, zu durchschauen. Daß die Protestanten dem von Katho¬
liken geschaffnen Zerrbilde treu bleiben und es weiter ausmalen, erklärt sich
aus der Massenpsychologie, die in allen Völkern, Parteien, Zeiten dieselbe
bleibt. Die wirklichen Ursachen der Erscheinungen zu erforschen, ist eine
mühsame Arbeit, und deren Ergebnis füllt manchmal beschämend aus oder
verursacht Unbequemlichkeiten. Anstatt einzusehen, daß die eigne Unsauberkeit
eine Pest erzeugt hat, beschuldigt man lieber die Juden der Brunnenver¬
giftung. Das Vieh richtig pflegen macht Arbeit und Kopfzerbrechen, also
muß eine Hexe schuld sein, wenn die Kuh keine Milch gibt. Daß energische
Arbeit, bürgerliche Tüchtigkeit und eifrige Pflege der Intelligenz die protestan¬
tischen Nationen emporgehoben haben, und das Zurückbleiben in diesen Be¬
ziehungen die Katholiken ins Hintertreffen gedrängt hat, gestehn diese nicht
gern ein; darum machen die Bigotten unter ihnen den Teufel und die ge¬
heimen Gesellschaften für die Weltlage verantwortlich. Daß es die guten
Eigenschaften und die löblichen Leistungen der Jesuiten gewesen sind, was
diese befähigt hat, im sechzehnten Jahrhundert den wankenden Katholizismus
zu stützen und wieder aufzurichten, das anerkennen hieße ja für den Durch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/592>, abgerufen am 22.12.2024.