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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Käufern zu reichlich lohnenden Preisen abgenommen wurden, sind durch den Wett¬
bewerb ausländischer Produkte dahin, die Gesindenot, die früher die adlichen Herren
veranlaßte, Frondienste zu fordern und den Gesindezwang durchzuführen, drückt nun,,
wo alles in die Fabriken läuft, den Bauern selbst. Aber auch hier gilt Carlyles
Losung: "Arbeiten und nicht verzweifeln." Heute muß auch der Lommatzscher Bauer
alle Kräfte regen, wenn er durch Eröffnung neuer Erwerbsquellen, durch Ge¬
nossenschaftswesen und Intensität des Betriebs den Ausfall decken will. Vielver¬
sprechende Ansätze dazu sind gemacht worden. Es gibt in der Pflege schon jetzt
große wie mittlere landwirtschaftliche Betriebe, die von Fachleuten als musterhaft
bezeichnet werden.

Einen Großbetrieb dieser Art treffen wir an, wenn wir auf der Rückfahrt
von Lommatzsch bei dem Dorfe Daubnitz südwärts einbiegend den Fußpfad im Tale
des Käbschitzbciches aufwärts verfolgen bis zu dem lieblich zwischen Hainen und
Gärten eingebetteten Leutewitz. Das ist eins der ersten Rittergüter der Pflege,
die nach dem Hnbertnsburger Frieden in bürgerliche Hände übergingen. Eine am
Hause eingemauerte Steintafel vom Jahre 1623 meldet als Besitzer Hieronymus
von Nitzschwitz; die Familie besaß auch das nahe Sornitz und Della. Aber im
Jahre 1764 kaufte Leutewitz ein Bürger aus Oschatz und Pächter des Ritterguts
Wellerswalde namens Steiger. Dessen Sohn heiratete in das Rittergut Nössige
ein und kaufte das zu Barnitz. So konnte er seinen drei Söhnen je ein Ritter¬
gut hinterlassen; sie sind die Begründer der Leutewitzer, Nössiger und Barmtzer
Linie der Familie Steiger. Der jetzige Besitzer von Leutewitz, der Geheime
Ökonomierat Otto Steiger, ist schon der fünfte Besitzer des Gutes seines Namens.
Leutewitz, ursprünglich nur 85 Hektar groß, ist durch Zulauf auf 245 Hektar, durch
Hinzupachtung von Sornitz zu einer Wirtschaftsfläche von 330 Hektaren -- 1320'
Morgen erweitert worden. Eine Besonderheit des Betriebes ist die aus sieben¬
hundert bis achthundert Tieren bestehende Vollblutmerino-Stammschäferei, die 1805
begründet, auf die unter Prinz Xaver 1765 und nnter Friedrich August 1778
aus Spanien eingeführten Schafstämme zurückgeht. Durch unausgesetzte Mühe und
Sorgfalt, die besonders der Vater des jetzigen Besitzers und dieser selbst der Schaf¬
zucht zuwandten, haben die Lentewitzer Schafböcke einen Weltruf erlangt. Sie werden
ebensogut nach Rußland wie nach Buenos Aires und Australien verschickt. Die
Prachtexemplare dieser Böcke haben förmliche Charakterkopfe und wurden früher
sehr hoch bezahlt. Der Vater des jetzigen Besitzers, Adolf Steiger, hat einmal für
einen Schafbock in London 8000 Mark und für einen in Südamerika 9000 Mark
gelöst. Jetzt sind die Preise viel geringer, und außerdem leidet der Export
darunter, daß zum Beispiel Südamerika die Einfuhr deutscher Schafböcke verboten
hat, da bei uns die immer wieder aus Österreich und Rußland eingeschleppte
Klauenseuche nie erlischt. Unter den Bodenprodukten von Leutewitz stehn ein weit¬
berühmter Nunkelrübensamen sowie zwei vortreffliche Arten von Saatgetreide,
Squareheadweizen und Gelbhafer, obenan. Der ganze Betrieb in Leutewitz ist
auch für deu Laien interessant: er vereinigt die harte Arbeit des Bauern mit der
Anwendung der neuesten Errungenschaften des Chemikers und mit der Umsicht und
dem Wagemut des gereiften Großkaufmnnns. Der Zuschnitt des ganzen Lebens ist
schlicht und von fast soldatischer Pünktlichkeit; der Geist unermüdlicher treuer Arbeit
geht vom Wirtschaftsvorstand und seiner Gattin aus und teilt sich allen Hilfsarbeitern
mit bis hinab zum letzte" Hofjungen. Von allen wird inneres Verständnis und innere
Teilnahme an der zu leistenden Arbeit gefordert, dafür sieht sich auch jeder ent¬
sprechend behandelt und gelohnt. Der Schafmeister von Leutewitz und die Schnf-
meistersfran werden auch von der Herrschaft mit Auszeichnung behandelt. Für pol¬
nisches Gesinde ist hier kein Raum, und abgesehen von der Erntezeit, wo etwa fünfund¬
zwanzig aus dem Osten kommende Mädchen und Burschen vorübergehend beschäftigt
werden, kein Bedürfnis. Dafür sind etwa dreißig Wohnungen für deutsche, meist
verheiratete Tagelöhner vorhanden. Selbstverständlich sind zu einem solchen Be-


Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Käufern zu reichlich lohnenden Preisen abgenommen wurden, sind durch den Wett¬
bewerb ausländischer Produkte dahin, die Gesindenot, die früher die adlichen Herren
veranlaßte, Frondienste zu fordern und den Gesindezwang durchzuführen, drückt nun,,
wo alles in die Fabriken läuft, den Bauern selbst. Aber auch hier gilt Carlyles
Losung: „Arbeiten und nicht verzweifeln." Heute muß auch der Lommatzscher Bauer
alle Kräfte regen, wenn er durch Eröffnung neuer Erwerbsquellen, durch Ge¬
nossenschaftswesen und Intensität des Betriebs den Ausfall decken will. Vielver¬
sprechende Ansätze dazu sind gemacht worden. Es gibt in der Pflege schon jetzt
große wie mittlere landwirtschaftliche Betriebe, die von Fachleuten als musterhaft
bezeichnet werden.

Einen Großbetrieb dieser Art treffen wir an, wenn wir auf der Rückfahrt
von Lommatzsch bei dem Dorfe Daubnitz südwärts einbiegend den Fußpfad im Tale
des Käbschitzbciches aufwärts verfolgen bis zu dem lieblich zwischen Hainen und
Gärten eingebetteten Leutewitz. Das ist eins der ersten Rittergüter der Pflege,
die nach dem Hnbertnsburger Frieden in bürgerliche Hände übergingen. Eine am
Hause eingemauerte Steintafel vom Jahre 1623 meldet als Besitzer Hieronymus
von Nitzschwitz; die Familie besaß auch das nahe Sornitz und Della. Aber im
Jahre 1764 kaufte Leutewitz ein Bürger aus Oschatz und Pächter des Ritterguts
Wellerswalde namens Steiger. Dessen Sohn heiratete in das Rittergut Nössige
ein und kaufte das zu Barnitz. So konnte er seinen drei Söhnen je ein Ritter¬
gut hinterlassen; sie sind die Begründer der Leutewitzer, Nössiger und Barmtzer
Linie der Familie Steiger. Der jetzige Besitzer von Leutewitz, der Geheime
Ökonomierat Otto Steiger, ist schon der fünfte Besitzer des Gutes seines Namens.
Leutewitz, ursprünglich nur 85 Hektar groß, ist durch Zulauf auf 245 Hektar, durch
Hinzupachtung von Sornitz zu einer Wirtschaftsfläche von 330 Hektaren — 1320'
Morgen erweitert worden. Eine Besonderheit des Betriebes ist die aus sieben¬
hundert bis achthundert Tieren bestehende Vollblutmerino-Stammschäferei, die 1805
begründet, auf die unter Prinz Xaver 1765 und nnter Friedrich August 1778
aus Spanien eingeführten Schafstämme zurückgeht. Durch unausgesetzte Mühe und
Sorgfalt, die besonders der Vater des jetzigen Besitzers und dieser selbst der Schaf¬
zucht zuwandten, haben die Lentewitzer Schafböcke einen Weltruf erlangt. Sie werden
ebensogut nach Rußland wie nach Buenos Aires und Australien verschickt. Die
Prachtexemplare dieser Böcke haben förmliche Charakterkopfe und wurden früher
sehr hoch bezahlt. Der Vater des jetzigen Besitzers, Adolf Steiger, hat einmal für
einen Schafbock in London 8000 Mark und für einen in Südamerika 9000 Mark
gelöst. Jetzt sind die Preise viel geringer, und außerdem leidet der Export
darunter, daß zum Beispiel Südamerika die Einfuhr deutscher Schafböcke verboten
hat, da bei uns die immer wieder aus Österreich und Rußland eingeschleppte
Klauenseuche nie erlischt. Unter den Bodenprodukten von Leutewitz stehn ein weit¬
berühmter Nunkelrübensamen sowie zwei vortreffliche Arten von Saatgetreide,
Squareheadweizen und Gelbhafer, obenan. Der ganze Betrieb in Leutewitz ist
auch für deu Laien interessant: er vereinigt die harte Arbeit des Bauern mit der
Anwendung der neuesten Errungenschaften des Chemikers und mit der Umsicht und
dem Wagemut des gereiften Großkaufmnnns. Der Zuschnitt des ganzen Lebens ist
schlicht und von fast soldatischer Pünktlichkeit; der Geist unermüdlicher treuer Arbeit
geht vom Wirtschaftsvorstand und seiner Gattin aus und teilt sich allen Hilfsarbeitern
mit bis hinab zum letzte» Hofjungen. Von allen wird inneres Verständnis und innere
Teilnahme an der zu leistenden Arbeit gefordert, dafür sieht sich auch jeder ent¬
sprechend behandelt und gelohnt. Der Schafmeister von Leutewitz und die Schnf-
meistersfran werden auch von der Herrschaft mit Auszeichnung behandelt. Für pol¬
nisches Gesinde ist hier kein Raum, und abgesehen von der Erntezeit, wo etwa fünfund¬
zwanzig aus dem Osten kommende Mädchen und Burschen vorübergehend beschäftigt
werden, kein Bedürfnis. Dafür sind etwa dreißig Wohnungen für deutsche, meist
verheiratete Tagelöhner vorhanden. Selbstverständlich sind zu einem solchen Be-


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[0570] Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Käufern zu reichlich lohnenden Preisen abgenommen wurden, sind durch den Wett¬ bewerb ausländischer Produkte dahin, die Gesindenot, die früher die adlichen Herren veranlaßte, Frondienste zu fordern und den Gesindezwang durchzuführen, drückt nun,, wo alles in die Fabriken läuft, den Bauern selbst. Aber auch hier gilt Carlyles Losung: „Arbeiten und nicht verzweifeln." Heute muß auch der Lommatzscher Bauer alle Kräfte regen, wenn er durch Eröffnung neuer Erwerbsquellen, durch Ge¬ nossenschaftswesen und Intensität des Betriebs den Ausfall decken will. Vielver¬ sprechende Ansätze dazu sind gemacht worden. Es gibt in der Pflege schon jetzt große wie mittlere landwirtschaftliche Betriebe, die von Fachleuten als musterhaft bezeichnet werden. Einen Großbetrieb dieser Art treffen wir an, wenn wir auf der Rückfahrt von Lommatzsch bei dem Dorfe Daubnitz südwärts einbiegend den Fußpfad im Tale des Käbschitzbciches aufwärts verfolgen bis zu dem lieblich zwischen Hainen und Gärten eingebetteten Leutewitz. Das ist eins der ersten Rittergüter der Pflege, die nach dem Hnbertnsburger Frieden in bürgerliche Hände übergingen. Eine am Hause eingemauerte Steintafel vom Jahre 1623 meldet als Besitzer Hieronymus von Nitzschwitz; die Familie besaß auch das nahe Sornitz und Della. Aber im Jahre 1764 kaufte Leutewitz ein Bürger aus Oschatz und Pächter des Ritterguts Wellerswalde namens Steiger. Dessen Sohn heiratete in das Rittergut Nössige ein und kaufte das zu Barnitz. So konnte er seinen drei Söhnen je ein Ritter¬ gut hinterlassen; sie sind die Begründer der Leutewitzer, Nössiger und Barmtzer Linie der Familie Steiger. Der jetzige Besitzer von Leutewitz, der Geheime Ökonomierat Otto Steiger, ist schon der fünfte Besitzer des Gutes seines Namens. Leutewitz, ursprünglich nur 85 Hektar groß, ist durch Zulauf auf 245 Hektar, durch Hinzupachtung von Sornitz zu einer Wirtschaftsfläche von 330 Hektaren — 1320' Morgen erweitert worden. Eine Besonderheit des Betriebes ist die aus sieben¬ hundert bis achthundert Tieren bestehende Vollblutmerino-Stammschäferei, die 1805 begründet, auf die unter Prinz Xaver 1765 und nnter Friedrich August 1778 aus Spanien eingeführten Schafstämme zurückgeht. Durch unausgesetzte Mühe und Sorgfalt, die besonders der Vater des jetzigen Besitzers und dieser selbst der Schaf¬ zucht zuwandten, haben die Lentewitzer Schafböcke einen Weltruf erlangt. Sie werden ebensogut nach Rußland wie nach Buenos Aires und Australien verschickt. Die Prachtexemplare dieser Böcke haben förmliche Charakterkopfe und wurden früher sehr hoch bezahlt. Der Vater des jetzigen Besitzers, Adolf Steiger, hat einmal für einen Schafbock in London 8000 Mark und für einen in Südamerika 9000 Mark gelöst. Jetzt sind die Preise viel geringer, und außerdem leidet der Export darunter, daß zum Beispiel Südamerika die Einfuhr deutscher Schafböcke verboten hat, da bei uns die immer wieder aus Österreich und Rußland eingeschleppte Klauenseuche nie erlischt. Unter den Bodenprodukten von Leutewitz stehn ein weit¬ berühmter Nunkelrübensamen sowie zwei vortreffliche Arten von Saatgetreide, Squareheadweizen und Gelbhafer, obenan. Der ganze Betrieb in Leutewitz ist auch für deu Laien interessant: er vereinigt die harte Arbeit des Bauern mit der Anwendung der neuesten Errungenschaften des Chemikers und mit der Umsicht und dem Wagemut des gereiften Großkaufmnnns. Der Zuschnitt des ganzen Lebens ist schlicht und von fast soldatischer Pünktlichkeit; der Geist unermüdlicher treuer Arbeit geht vom Wirtschaftsvorstand und seiner Gattin aus und teilt sich allen Hilfsarbeitern mit bis hinab zum letzte» Hofjungen. Von allen wird inneres Verständnis und innere Teilnahme an der zu leistenden Arbeit gefordert, dafür sieht sich auch jeder ent¬ sprechend behandelt und gelohnt. Der Schafmeister von Leutewitz und die Schnf- meistersfran werden auch von der Herrschaft mit Auszeichnung behandelt. Für pol¬ nisches Gesinde ist hier kein Raum, und abgesehen von der Erntezeit, wo etwa fünfund¬ zwanzig aus dem Osten kommende Mädchen und Burschen vorübergehend beschäftigt werden, kein Bedürfnis. Dafür sind etwa dreißig Wohnungen für deutsche, meist verheiratete Tagelöhner vorhanden. Selbstverständlich sind zu einem solchen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/570>, abgerufen am 23.07.2024.