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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Sie Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

hohen Torweg treten wir zunächst in den Wirtschaftshof ein, der von alten Scheunen
und den Resten früherer Wirtschaftsgebäude (ein eingemauerter Stein trägt die
Jahreszahl 1558) umgeben ist. Wenden wir uns nun zur Linken, so sehen wir
das aus der Tiefe des breiten, ehemals mit Wasser gefüllten Grabens heraus¬
ragende Schloß, ein merkwürdiges, phantastisches Konglomerat verschiedner Bau¬
stile. Seit 1781 führt eine steinerne Brücke, die Stätte merkwürdiger Erinnerungen,
vom Wirtschaftshof hinüber in das Obergeschoß, aber noch ist daneben das Lager
der alten eichnen Bohlenbrücke, und noch sind die alten efenumrcmkten Pfeiler da,
auf denen sie einst ruhte. Jetzt ist der Graben rings um das Schloß voll üppiger
Vegetation, auch auf dem breiten Wallgange, der den äußern Rand des Grabens
umgibt, stehn uralte Linden und Eichen. Steigen wir die Treppe zu dem kleinen,
von der Grabenmauer und dem dreigliedrigen Schloßbau gebildeten Hof hinunter,
so empfängt uns kühle Stille, die nur durch das plätschernde Wasser des Röhrtrogs
unterbrochen wird. Es fließt trotz der außergewöhnlichen Dürre des Sommers in
starkem Strahle.

Man erkennt auf den ersten Blick, daß das Schloß ursprünglich ein spät¬
gotischer Bau aus dem Ende des fünfzehnten oder dem Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts gewesen ist. Von diesem Bau ist aber nur der linke Flügel noch
da, das übrige ist, vielleicht infolge eines Brandes, bis auf die Grundmauern ab¬
getragen worden, sodaß nur die Keller und das noch heute gotisch gewölbte Burg¬
verlies des alten Baues stehn blieben. Darüber wurden, vermutlich in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, als Trägerin des Oberbauch eine zierliche
Bogenhalle, und darüber wieder zwei Obergeschosse errichtet, die, in einen Mittelbau
und einen rechten Flügel gegliedert, durchaus den Stil der deutschen Renaissance zeigen
und ganz unvermittelt um den gotischen linken Flügel angeschoben worden sind.
Im Untergeschoß des gotischen Teils ist ein lauschiges, heimeliges Zimmer mit tiefen
Fensternischen und schön gewölbter Decke erhalten. Der Schlußstein der Decke, bei
dem die Gewölberippen zusammenstoßen, ist zum Relief eiues breiten Kopfes ge¬
staltet. Aus einem Vorraum führt eine Wendeltreppe in die obern Gemächer.
Neben dem untern Zimmer, aber mit tieferen Fußboden, liegt die stimmungsvolle
gotische Schloßkapelle; ein sich nach dem Burggraben öffnendes Fenster zeigt noch
die alte echte Glasmalerei, über dem Sakramentshäuschen liest man die Zahl 1518.
Während draußen der warme Sonnenschein brütet, wehn hier unten die Schauer
der Vorzeit. Was könnten diese Mauern erzählen von fröhlicher Hochzeit und
tiefer Traurigkeit, von hochgespannter Hoffnung und zerrissener Verzweiflung! Die
letzte Hochzeit, die hier vollzogen wurde, vereinte am 23. April 1834 den Erb-,
Lehn- und Gerichtsherrn Fr. Aug. Ludwig von Zehner mit dem Fräulein Marie
von Vieth-Golsenau; der Sohn dieser Ehe ist Hans Dietrich von Zehner, der
jetzige Herr von Schleinitz. Was würde seine Mutter sagen, wenn sie die heutige
Versunkenheit des Schlosses und seine herrenlose Stille sähe!

Ganz phantastisch ist der Anblick des Schlosses von dem dahinterliegenden
verwilderten Garten ans: dort wächst aus der äußern Ecke zwischen dem Mittelbau
und dem rechten Flügel ein niedriger runder Turm heraus, auf dem sich wieder
ein schmälerer erhebt, darüber vom Alter gekrümmte Essen und ächzende Wetter¬
fahnen. Nur einmal rührte eine mächtige Hand an diese zauberhafte Versunken¬
heit und erweckte das schlummernde Dornröschen zu neuem Leben, es war die
Hand unsers Kaisers, der im Sommer 1897 während des großen Manövers hier
sein Hauptquartier aufschlug. Da wurden die in den Schlupfwinkeln der Erker
und Türme nistenden Dohlen durch das Hämmern der Zimmerleute und der
Tapezierer aufgescheucht, und für einige Tage erstrahlte der alte Bau unter dem
Glänze der kaiserlichen Standarte, aber seitdem ist er längst wieder in Schlummer
versunken.

Während wir in den malerischen Motiven des Gartens schwelgen, hat sich
der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt. Wie oft ist die Hoffnung der lechzender


Sie Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

hohen Torweg treten wir zunächst in den Wirtschaftshof ein, der von alten Scheunen
und den Resten früherer Wirtschaftsgebäude (ein eingemauerter Stein trägt die
Jahreszahl 1558) umgeben ist. Wenden wir uns nun zur Linken, so sehen wir
das aus der Tiefe des breiten, ehemals mit Wasser gefüllten Grabens heraus¬
ragende Schloß, ein merkwürdiges, phantastisches Konglomerat verschiedner Bau¬
stile. Seit 1781 führt eine steinerne Brücke, die Stätte merkwürdiger Erinnerungen,
vom Wirtschaftshof hinüber in das Obergeschoß, aber noch ist daneben das Lager
der alten eichnen Bohlenbrücke, und noch sind die alten efenumrcmkten Pfeiler da,
auf denen sie einst ruhte. Jetzt ist der Graben rings um das Schloß voll üppiger
Vegetation, auch auf dem breiten Wallgange, der den äußern Rand des Grabens
umgibt, stehn uralte Linden und Eichen. Steigen wir die Treppe zu dem kleinen,
von der Grabenmauer und dem dreigliedrigen Schloßbau gebildeten Hof hinunter,
so empfängt uns kühle Stille, die nur durch das plätschernde Wasser des Röhrtrogs
unterbrochen wird. Es fließt trotz der außergewöhnlichen Dürre des Sommers in
starkem Strahle.

Man erkennt auf den ersten Blick, daß das Schloß ursprünglich ein spät¬
gotischer Bau aus dem Ende des fünfzehnten oder dem Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts gewesen ist. Von diesem Bau ist aber nur der linke Flügel noch
da, das übrige ist, vielleicht infolge eines Brandes, bis auf die Grundmauern ab¬
getragen worden, sodaß nur die Keller und das noch heute gotisch gewölbte Burg¬
verlies des alten Baues stehn blieben. Darüber wurden, vermutlich in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, als Trägerin des Oberbauch eine zierliche
Bogenhalle, und darüber wieder zwei Obergeschosse errichtet, die, in einen Mittelbau
und einen rechten Flügel gegliedert, durchaus den Stil der deutschen Renaissance zeigen
und ganz unvermittelt um den gotischen linken Flügel angeschoben worden sind.
Im Untergeschoß des gotischen Teils ist ein lauschiges, heimeliges Zimmer mit tiefen
Fensternischen und schön gewölbter Decke erhalten. Der Schlußstein der Decke, bei
dem die Gewölberippen zusammenstoßen, ist zum Relief eiues breiten Kopfes ge¬
staltet. Aus einem Vorraum führt eine Wendeltreppe in die obern Gemächer.
Neben dem untern Zimmer, aber mit tieferen Fußboden, liegt die stimmungsvolle
gotische Schloßkapelle; ein sich nach dem Burggraben öffnendes Fenster zeigt noch
die alte echte Glasmalerei, über dem Sakramentshäuschen liest man die Zahl 1518.
Während draußen der warme Sonnenschein brütet, wehn hier unten die Schauer
der Vorzeit. Was könnten diese Mauern erzählen von fröhlicher Hochzeit und
tiefer Traurigkeit, von hochgespannter Hoffnung und zerrissener Verzweiflung! Die
letzte Hochzeit, die hier vollzogen wurde, vereinte am 23. April 1834 den Erb-,
Lehn- und Gerichtsherrn Fr. Aug. Ludwig von Zehner mit dem Fräulein Marie
von Vieth-Golsenau; der Sohn dieser Ehe ist Hans Dietrich von Zehner, der
jetzige Herr von Schleinitz. Was würde seine Mutter sagen, wenn sie die heutige
Versunkenheit des Schlosses und seine herrenlose Stille sähe!

Ganz phantastisch ist der Anblick des Schlosses von dem dahinterliegenden
verwilderten Garten ans: dort wächst aus der äußern Ecke zwischen dem Mittelbau
und dem rechten Flügel ein niedriger runder Turm heraus, auf dem sich wieder
ein schmälerer erhebt, darüber vom Alter gekrümmte Essen und ächzende Wetter¬
fahnen. Nur einmal rührte eine mächtige Hand an diese zauberhafte Versunken¬
heit und erweckte das schlummernde Dornröschen zu neuem Leben, es war die
Hand unsers Kaisers, der im Sommer 1897 während des großen Manövers hier
sein Hauptquartier aufschlug. Da wurden die in den Schlupfwinkeln der Erker
und Türme nistenden Dohlen durch das Hämmern der Zimmerleute und der
Tapezierer aufgescheucht, und für einige Tage erstrahlte der alte Bau unter dem
Glänze der kaiserlichen Standarte, aber seitdem ist er längst wieder in Schlummer
versunken.

Während wir in den malerischen Motiven des Gartens schwelgen, hat sich
der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt. Wie oft ist die Hoffnung der lechzender


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[0563] Sie Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz hohen Torweg treten wir zunächst in den Wirtschaftshof ein, der von alten Scheunen und den Resten früherer Wirtschaftsgebäude (ein eingemauerter Stein trägt die Jahreszahl 1558) umgeben ist. Wenden wir uns nun zur Linken, so sehen wir das aus der Tiefe des breiten, ehemals mit Wasser gefüllten Grabens heraus¬ ragende Schloß, ein merkwürdiges, phantastisches Konglomerat verschiedner Bau¬ stile. Seit 1781 führt eine steinerne Brücke, die Stätte merkwürdiger Erinnerungen, vom Wirtschaftshof hinüber in das Obergeschoß, aber noch ist daneben das Lager der alten eichnen Bohlenbrücke, und noch sind die alten efenumrcmkten Pfeiler da, auf denen sie einst ruhte. Jetzt ist der Graben rings um das Schloß voll üppiger Vegetation, auch auf dem breiten Wallgange, der den äußern Rand des Grabens umgibt, stehn uralte Linden und Eichen. Steigen wir die Treppe zu dem kleinen, von der Grabenmauer und dem dreigliedrigen Schloßbau gebildeten Hof hinunter, so empfängt uns kühle Stille, die nur durch das plätschernde Wasser des Röhrtrogs unterbrochen wird. Es fließt trotz der außergewöhnlichen Dürre des Sommers in starkem Strahle. Man erkennt auf den ersten Blick, daß das Schloß ursprünglich ein spät¬ gotischer Bau aus dem Ende des fünfzehnten oder dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gewesen ist. Von diesem Bau ist aber nur der linke Flügel noch da, das übrige ist, vielleicht infolge eines Brandes, bis auf die Grundmauern ab¬ getragen worden, sodaß nur die Keller und das noch heute gotisch gewölbte Burg¬ verlies des alten Baues stehn blieben. Darüber wurden, vermutlich in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, als Trägerin des Oberbauch eine zierliche Bogenhalle, und darüber wieder zwei Obergeschosse errichtet, die, in einen Mittelbau und einen rechten Flügel gegliedert, durchaus den Stil der deutschen Renaissance zeigen und ganz unvermittelt um den gotischen linken Flügel angeschoben worden sind. Im Untergeschoß des gotischen Teils ist ein lauschiges, heimeliges Zimmer mit tiefen Fensternischen und schön gewölbter Decke erhalten. Der Schlußstein der Decke, bei dem die Gewölberippen zusammenstoßen, ist zum Relief eiues breiten Kopfes ge¬ staltet. Aus einem Vorraum führt eine Wendeltreppe in die obern Gemächer. Neben dem untern Zimmer, aber mit tieferen Fußboden, liegt die stimmungsvolle gotische Schloßkapelle; ein sich nach dem Burggraben öffnendes Fenster zeigt noch die alte echte Glasmalerei, über dem Sakramentshäuschen liest man die Zahl 1518. Während draußen der warme Sonnenschein brütet, wehn hier unten die Schauer der Vorzeit. Was könnten diese Mauern erzählen von fröhlicher Hochzeit und tiefer Traurigkeit, von hochgespannter Hoffnung und zerrissener Verzweiflung! Die letzte Hochzeit, die hier vollzogen wurde, vereinte am 23. April 1834 den Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn Fr. Aug. Ludwig von Zehner mit dem Fräulein Marie von Vieth-Golsenau; der Sohn dieser Ehe ist Hans Dietrich von Zehner, der jetzige Herr von Schleinitz. Was würde seine Mutter sagen, wenn sie die heutige Versunkenheit des Schlosses und seine herrenlose Stille sähe! Ganz phantastisch ist der Anblick des Schlosses von dem dahinterliegenden verwilderten Garten ans: dort wächst aus der äußern Ecke zwischen dem Mittelbau und dem rechten Flügel ein niedriger runder Turm heraus, auf dem sich wieder ein schmälerer erhebt, darüber vom Alter gekrümmte Essen und ächzende Wetter¬ fahnen. Nur einmal rührte eine mächtige Hand an diese zauberhafte Versunken¬ heit und erweckte das schlummernde Dornröschen zu neuem Leben, es war die Hand unsers Kaisers, der im Sommer 1897 während des großen Manövers hier sein Hauptquartier aufschlug. Da wurden die in den Schlupfwinkeln der Erker und Türme nistenden Dohlen durch das Hämmern der Zimmerleute und der Tapezierer aufgescheucht, und für einige Tage erstrahlte der alte Bau unter dem Glänze der kaiserlichen Standarte, aber seitdem ist er längst wieder in Schlummer versunken. Während wir in den malerischen Motiven des Gartens schwelgen, hat sich der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt. Wie oft ist die Hoffnung der lechzender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/563>, abgerufen am 23.07.2024.