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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken

Tisch zu berichten und dabei seufzend zu gestehn, wie schön es gewesen, und
wie groß bei dem schlaffen Frühjahrswetter die Versuchung eines Rückfalls sei.

Es ist bekannt, daß der Prinz ein strenggläubiger und es mit den
Satzungen und Vorschriften seiner Kirche überaus genau nehmender Katholik
war, aber vor seiner Thronbesteigung wußte man in den breitern Schichten
der sächsischen Bevölkerung nicht, wie gewissenhaft er in jedem Gespräche der
von der seinen abweichenden Meinung eines Andersgläubigen Rechnung trug,
und mit wie vorurteilsfreier Rücksicht er nicht bloß dem Wesen des Pro¬
testantismus, sondern auch dessen äußern Formen und Gebräuchen volle Be¬
rechtigung einräumte. Seine kurz nach der Thronbesteigung abgegebne Er¬
klärung, daß sich der Protestantismus auch unter seinem Zepter wie unter
dem seines Bruders und Vorgängers vor jedem wenn anch noch so entfernten
Eingriffe der königlichen Hand sicher fühlen könne, und daß er es im Gegen¬
teil, was an ihm sei, an einem aufrichtigen, das Ansehen und die Einrichtungen
der evangelischen Kirche fördernden Wohlwollen nie werde fehlen lassen, konnte
die, die mit seinen Gesinnungen und seiner Handlungsweise in diesem Punkte
vertraut waren, nicht überraschen. Was der Hinweis auf die Verfcchrungs-
weise seines Bruders bedeutete, wußte das Volk, denn dieser ausgezeichnete
Fürst war sich der besondern Verpflichtungen, die ihm seine Stellung als
katholischem Fürsten in einem der Hauptsache nach evangelischen Lande auferlegte,
so wohl bewußt, daß er, um diese Anomalie nicht hervortreten zu lassen, zu
wiederholten malen in rücksichtsvoller Weise auch solche Einrichtungen und Ver¬
hältnisse abänderte, die nur infolge überreizter Empfindlichkeit, wenn nicht
um nicht eingestandner Nebenabsichten willen als Beeinträchtigungen des pro¬
testantischen Selbstgefühls angesehen werden konnten. Bedenken zum Beispiel,
die gegen die dienstliche Verwendung protestantischer Kadetten bei feierlichen
Umzügen in der katholischen Kirche von maßgebender Seite geltend gemacht
worden waren, und die das Kriegsministerium als ungerechtfertigt bezeichnet
hatte, waren mit solchem Ernst besprochen worden, daß eine sich auf sie beziehende
Jnterpellation im Landtage zu erwarten stand. Da sich nämlich, um dies mit
zwei Worten klar zu machen, am sächsischen wie am preußischen Hofe die Mit¬
glieder des Königshauses aus der Zahl der ihnen hierfür vorgeschlagnen
Kadetten sogenannte Pagen wühlen, die in höfischer Kleidung -- früher hieß
es Livree -- an besonders feierlichen Tagen den Ehrendienst bei ihnen haben
und ihnen zum Beispiel bei feierlichen Aufzügen "vortreten" oder folgen, oder
ihnen, wie das die Kurfürsten bei den Kaiserkrönungen zu tun gewohnt waren,
bei Tisch aufwarten, oder -- und hier gelten sie für unersetzlich -- den fürst¬
lichen Damen die bei feierlichen Gelegenheiten unentbehrliche Schleppe tragen, so
pflegt sich zwischen den Mitgliedern des königlichen Hauses und diesen jungen
Leuten ein beiden Teilen wohlgefälliges anmutiges Band zu knüpfen. Freilich
findet diese Veranstaltung, weil höfisch und feudal, bei den fortschrittlichen
Geistern unsrer Zeit, deren Nivellierungstriebe alles, was sie "Theater" nennen,
anstößig ist, keine Gnade, aber da wir uns in Mitteleuropa zurzeit noch
nicht zu der Höhe des schwarzen Fracks, der weißen Halsbinde und der zehn¬
tausend 80^6 lmiM des Präsidenten der Vereinigten Staaten aufgeschwungen


Zum Andenken

Tisch zu berichten und dabei seufzend zu gestehn, wie schön es gewesen, und
wie groß bei dem schlaffen Frühjahrswetter die Versuchung eines Rückfalls sei.

Es ist bekannt, daß der Prinz ein strenggläubiger und es mit den
Satzungen und Vorschriften seiner Kirche überaus genau nehmender Katholik
war, aber vor seiner Thronbesteigung wußte man in den breitern Schichten
der sächsischen Bevölkerung nicht, wie gewissenhaft er in jedem Gespräche der
von der seinen abweichenden Meinung eines Andersgläubigen Rechnung trug,
und mit wie vorurteilsfreier Rücksicht er nicht bloß dem Wesen des Pro¬
testantismus, sondern auch dessen äußern Formen und Gebräuchen volle Be¬
rechtigung einräumte. Seine kurz nach der Thronbesteigung abgegebne Er¬
klärung, daß sich der Protestantismus auch unter seinem Zepter wie unter
dem seines Bruders und Vorgängers vor jedem wenn anch noch so entfernten
Eingriffe der königlichen Hand sicher fühlen könne, und daß er es im Gegen¬
teil, was an ihm sei, an einem aufrichtigen, das Ansehen und die Einrichtungen
der evangelischen Kirche fördernden Wohlwollen nie werde fehlen lassen, konnte
die, die mit seinen Gesinnungen und seiner Handlungsweise in diesem Punkte
vertraut waren, nicht überraschen. Was der Hinweis auf die Verfcchrungs-
weise seines Bruders bedeutete, wußte das Volk, denn dieser ausgezeichnete
Fürst war sich der besondern Verpflichtungen, die ihm seine Stellung als
katholischem Fürsten in einem der Hauptsache nach evangelischen Lande auferlegte,
so wohl bewußt, daß er, um diese Anomalie nicht hervortreten zu lassen, zu
wiederholten malen in rücksichtsvoller Weise auch solche Einrichtungen und Ver¬
hältnisse abänderte, die nur infolge überreizter Empfindlichkeit, wenn nicht
um nicht eingestandner Nebenabsichten willen als Beeinträchtigungen des pro¬
testantischen Selbstgefühls angesehen werden konnten. Bedenken zum Beispiel,
die gegen die dienstliche Verwendung protestantischer Kadetten bei feierlichen
Umzügen in der katholischen Kirche von maßgebender Seite geltend gemacht
worden waren, und die das Kriegsministerium als ungerechtfertigt bezeichnet
hatte, waren mit solchem Ernst besprochen worden, daß eine sich auf sie beziehende
Jnterpellation im Landtage zu erwarten stand. Da sich nämlich, um dies mit
zwei Worten klar zu machen, am sächsischen wie am preußischen Hofe die Mit¬
glieder des Königshauses aus der Zahl der ihnen hierfür vorgeschlagnen
Kadetten sogenannte Pagen wühlen, die in höfischer Kleidung — früher hieß
es Livree — an besonders feierlichen Tagen den Ehrendienst bei ihnen haben
und ihnen zum Beispiel bei feierlichen Aufzügen „vortreten" oder folgen, oder
ihnen, wie das die Kurfürsten bei den Kaiserkrönungen zu tun gewohnt waren,
bei Tisch aufwarten, oder — und hier gelten sie für unersetzlich — den fürst¬
lichen Damen die bei feierlichen Gelegenheiten unentbehrliche Schleppe tragen, so
pflegt sich zwischen den Mitgliedern des königlichen Hauses und diesen jungen
Leuten ein beiden Teilen wohlgefälliges anmutiges Band zu knüpfen. Freilich
findet diese Veranstaltung, weil höfisch und feudal, bei den fortschrittlichen
Geistern unsrer Zeit, deren Nivellierungstriebe alles, was sie „Theater" nennen,
anstößig ist, keine Gnade, aber da wir uns in Mitteleuropa zurzeit noch
nicht zu der Höhe des schwarzen Fracks, der weißen Halsbinde und der zehn¬
tausend 80^6 lmiM des Präsidenten der Vereinigten Staaten aufgeschwungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/530>, abgerufen am 22.12.2024.