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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Bülow-Großbeeren genannt hätte, denn wenngleich Dennewitz die schwierigere und
ruhmvollere, so war Großbeeren doch die unerschrocknere Tat. Zu beiden gesellt
sich die hervorragende Führung des Bülowschen Korps in dem großen Flankenstoß bei
Belle-Alliance. Im Volksmunde lebt der General Bülow - Dennewitz neben Jork.
Sein Wort: "Unsre Knochen sollen vor Berlin bleichen, nicht hinter Berlin," als
er gegen die Vorschriften des unzuverlässigen Kronprinzen von Schweden den
Rückzug hinter die Spree ablehnte und dem von Trebbin her anrückenden Feinde
entgegenging, ist ihm namentlich in Berlin und bei den Berlinern unvergessen ge¬
blieben und hat um seineu Namen einen Schimmer der Jorkschen Unbeugsamkeit
"scharf wie gehacktes Eisen" gesponnen. "Das Jorksche Korps" ist auch heute noch
der höchste Ruhmes- und Ehrentitel im preußischen Heere. Daß auch den Namen
Bülow ein lichter Schimmer dieses Ruhmeskranzes umleuchtet, ist für die Masse
der Bevölkerung auch dem jetzigen Reichskanzler zustatten gekommen, es war ein
Lichtstrahl, der auf seinen Eintritt in das Amt fiel und die Schwelle freundlich
beleuchtete. Wer -- wie Graf Bülow -- den Wert der Imponderabilien im
öffentlichen Leben versteht, wird auch diesen Umstand zu schätzen wissen, so gering
auch immerhin die direkten verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Bülow der
Befreiungskriege sein mögen. Der Volksgedanke hält sich bei genealogischen Schwierig¬
keiten nicht auf. Ihm genügen die drei Siegeszeichen: "Großbeeren, Dennewitz,
Plcmchenoit," mit dem Namen Bülow den Begriff des sieghaften zu verbinden,
und bis jetzt ist, gottlob, dieses Volksempfiuden nicht enttäuscht worden.

Graf Bülow ist als domo novus in die innere Politik hineingekommen. Einer¬
seits war es für ihn gewiß eine große Erschwerung, daß er bis dahin der innern
Verwaltung völlig fern gestanden hatte, andrerseits aber eine große Erleichterung,
weil er an alle Fragen, an alle Parteien und Personen in voller Unbefangenheit
herantreten konnte, durch keine Rücksicht gehemmt als durch die historische Tradition
des Staats und durch die Erreichbarkeit des ins Auge gefaßten Ziels. Keine
langjährigen Parteikämpfe, keinerlei persönlich zugespitzte Gegensätze beengten seinen
Weg. Dem ersten Reichskanzler hatte es seine innerpolitische Arbeit in hohem Maße
erschwert, daß er bis an sein Lebensende auf dem Boden des Gegensatzes zu der
Bewegung von 1848 stand. Die Parteien und Personen, mit denen er seit dem
vereinigten Landtage von 1847 her gerungen hatte, waren und blieben seine Gegner,
oft unter scharfer persönlicher Zuspitzung. Mit Haß und Mißtrauen war er 1862
empfangen worden, bis in die unmittelbarste Nähe des Throns hatte er um seine
Stellung täglich neu zu kämpfen gehabt, die hochgehenden Leidenschaften der Kon¬
fliktsjahre vertieften die Kluft, die ihn von dem größten Teile der Landesvertretung,
von weiten Volkskreisen, ja sogar von den einflußreichsten Persönlichkeiten der könig¬
lichen Familie trennte. Er war schon Veteran des politischen Kampfes, als er in
das Amt trat, die heißen parlamentarischen und publizistischen Schlachten bis zum
Frühling 1866 fügten Narbe auf Narbe hinzu. Bei der Enthüllung des Berliner
Bismarckdenkmals hat Graf Bülow diese Situation treffend gezeichnet. Bismarck
war für die Monarchie, war für den Staat der Retter in einer verzweifelten Lage
gewesen -- "als der Griechen Schiffe brannten, war in deinem Arm das Heil" --,
er hatte seine Persönlichkeit gegen alle Unbill des Tags einsetzen müssen. Da ver¬
schwand alle Weichheit aus ihm, die dem gemütvollen Manne ursprünglich eigen
war und ihm dann mir in seinen Beziehungen zu seiner Familie und einem sehr
engen Kreise erhalten geblieben ist. Stahlhärte trat an ihre Stelle, der Volksmund
machte den "eisernen Kanzler" daraus. Graf Bülow steht zu Bismarck ungefähr
in dem Verhältnis wie Moltke zu Gneisenau. Moltke begnügte sich, in der eroberten
Stellung des Feindes zu schlafen, Gneisenau rastete nicht, bevor er den Gegner
vernichtet wußte. Der eine begnügte sich mit der Niederkämpfung, der andre
erstrebte die Zerreibung. Eine Verfolgung, wie die bei Belle-Alliance, lag nie in
Moltkes Art, er liebte nichts, was sich mit elementarer Gewalt entladend der Be¬
rechnung entzog. Bismarck war der gefürchtete politische Gegner, gefürchtet sowohl


Grenzboten I 1S05 68
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Bülow-Großbeeren genannt hätte, denn wenngleich Dennewitz die schwierigere und
ruhmvollere, so war Großbeeren doch die unerschrocknere Tat. Zu beiden gesellt
sich die hervorragende Führung des Bülowschen Korps in dem großen Flankenstoß bei
Belle-Alliance. Im Volksmunde lebt der General Bülow - Dennewitz neben Jork.
Sein Wort: „Unsre Knochen sollen vor Berlin bleichen, nicht hinter Berlin," als
er gegen die Vorschriften des unzuverlässigen Kronprinzen von Schweden den
Rückzug hinter die Spree ablehnte und dem von Trebbin her anrückenden Feinde
entgegenging, ist ihm namentlich in Berlin und bei den Berlinern unvergessen ge¬
blieben und hat um seineu Namen einen Schimmer der Jorkschen Unbeugsamkeit
„scharf wie gehacktes Eisen" gesponnen. „Das Jorksche Korps" ist auch heute noch
der höchste Ruhmes- und Ehrentitel im preußischen Heere. Daß auch den Namen
Bülow ein lichter Schimmer dieses Ruhmeskranzes umleuchtet, ist für die Masse
der Bevölkerung auch dem jetzigen Reichskanzler zustatten gekommen, es war ein
Lichtstrahl, der auf seinen Eintritt in das Amt fiel und die Schwelle freundlich
beleuchtete. Wer — wie Graf Bülow — den Wert der Imponderabilien im
öffentlichen Leben versteht, wird auch diesen Umstand zu schätzen wissen, so gering
auch immerhin die direkten verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Bülow der
Befreiungskriege sein mögen. Der Volksgedanke hält sich bei genealogischen Schwierig¬
keiten nicht auf. Ihm genügen die drei Siegeszeichen: „Großbeeren, Dennewitz,
Plcmchenoit," mit dem Namen Bülow den Begriff des sieghaften zu verbinden,
und bis jetzt ist, gottlob, dieses Volksempfiuden nicht enttäuscht worden.

Graf Bülow ist als domo novus in die innere Politik hineingekommen. Einer¬
seits war es für ihn gewiß eine große Erschwerung, daß er bis dahin der innern
Verwaltung völlig fern gestanden hatte, andrerseits aber eine große Erleichterung,
weil er an alle Fragen, an alle Parteien und Personen in voller Unbefangenheit
herantreten konnte, durch keine Rücksicht gehemmt als durch die historische Tradition
des Staats und durch die Erreichbarkeit des ins Auge gefaßten Ziels. Keine
langjährigen Parteikämpfe, keinerlei persönlich zugespitzte Gegensätze beengten seinen
Weg. Dem ersten Reichskanzler hatte es seine innerpolitische Arbeit in hohem Maße
erschwert, daß er bis an sein Lebensende auf dem Boden des Gegensatzes zu der
Bewegung von 1848 stand. Die Parteien und Personen, mit denen er seit dem
vereinigten Landtage von 1847 her gerungen hatte, waren und blieben seine Gegner,
oft unter scharfer persönlicher Zuspitzung. Mit Haß und Mißtrauen war er 1862
empfangen worden, bis in die unmittelbarste Nähe des Throns hatte er um seine
Stellung täglich neu zu kämpfen gehabt, die hochgehenden Leidenschaften der Kon¬
fliktsjahre vertieften die Kluft, die ihn von dem größten Teile der Landesvertretung,
von weiten Volkskreisen, ja sogar von den einflußreichsten Persönlichkeiten der könig¬
lichen Familie trennte. Er war schon Veteran des politischen Kampfes, als er in
das Amt trat, die heißen parlamentarischen und publizistischen Schlachten bis zum
Frühling 1866 fügten Narbe auf Narbe hinzu. Bei der Enthüllung des Berliner
Bismarckdenkmals hat Graf Bülow diese Situation treffend gezeichnet. Bismarck
war für die Monarchie, war für den Staat der Retter in einer verzweifelten Lage
gewesen — „als der Griechen Schiffe brannten, war in deinem Arm das Heil" —,
er hatte seine Persönlichkeit gegen alle Unbill des Tags einsetzen müssen. Da ver¬
schwand alle Weichheit aus ihm, die dem gemütvollen Manne ursprünglich eigen
war und ihm dann mir in seinen Beziehungen zu seiner Familie und einem sehr
engen Kreise erhalten geblieben ist. Stahlhärte trat an ihre Stelle, der Volksmund
machte den „eisernen Kanzler" daraus. Graf Bülow steht zu Bismarck ungefähr
in dem Verhältnis wie Moltke zu Gneisenau. Moltke begnügte sich, in der eroberten
Stellung des Feindes zu schlafen, Gneisenau rastete nicht, bevor er den Gegner
vernichtet wußte. Der eine begnügte sich mit der Niederkämpfung, der andre
erstrebte die Zerreibung. Eine Verfolgung, wie die bei Belle-Alliance, lag nie in
Moltkes Art, er liebte nichts, was sich mit elementarer Gewalt entladend der Be¬
rechnung entzog. Bismarck war der gefürchtete politische Gegner, gefürchtet sowohl


Grenzboten I 1S05 68
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[0525] Maßgebliches und Unmaßgebliches Bülow-Großbeeren genannt hätte, denn wenngleich Dennewitz die schwierigere und ruhmvollere, so war Großbeeren doch die unerschrocknere Tat. Zu beiden gesellt sich die hervorragende Führung des Bülowschen Korps in dem großen Flankenstoß bei Belle-Alliance. Im Volksmunde lebt der General Bülow - Dennewitz neben Jork. Sein Wort: „Unsre Knochen sollen vor Berlin bleichen, nicht hinter Berlin," als er gegen die Vorschriften des unzuverlässigen Kronprinzen von Schweden den Rückzug hinter die Spree ablehnte und dem von Trebbin her anrückenden Feinde entgegenging, ist ihm namentlich in Berlin und bei den Berlinern unvergessen ge¬ blieben und hat um seineu Namen einen Schimmer der Jorkschen Unbeugsamkeit „scharf wie gehacktes Eisen" gesponnen. „Das Jorksche Korps" ist auch heute noch der höchste Ruhmes- und Ehrentitel im preußischen Heere. Daß auch den Namen Bülow ein lichter Schimmer dieses Ruhmeskranzes umleuchtet, ist für die Masse der Bevölkerung auch dem jetzigen Reichskanzler zustatten gekommen, es war ein Lichtstrahl, der auf seinen Eintritt in das Amt fiel und die Schwelle freundlich beleuchtete. Wer — wie Graf Bülow — den Wert der Imponderabilien im öffentlichen Leben versteht, wird auch diesen Umstand zu schätzen wissen, so gering auch immerhin die direkten verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Bülow der Befreiungskriege sein mögen. Der Volksgedanke hält sich bei genealogischen Schwierig¬ keiten nicht auf. Ihm genügen die drei Siegeszeichen: „Großbeeren, Dennewitz, Plcmchenoit," mit dem Namen Bülow den Begriff des sieghaften zu verbinden, und bis jetzt ist, gottlob, dieses Volksempfiuden nicht enttäuscht worden. Graf Bülow ist als domo novus in die innere Politik hineingekommen. Einer¬ seits war es für ihn gewiß eine große Erschwerung, daß er bis dahin der innern Verwaltung völlig fern gestanden hatte, andrerseits aber eine große Erleichterung, weil er an alle Fragen, an alle Parteien und Personen in voller Unbefangenheit herantreten konnte, durch keine Rücksicht gehemmt als durch die historische Tradition des Staats und durch die Erreichbarkeit des ins Auge gefaßten Ziels. Keine langjährigen Parteikämpfe, keinerlei persönlich zugespitzte Gegensätze beengten seinen Weg. Dem ersten Reichskanzler hatte es seine innerpolitische Arbeit in hohem Maße erschwert, daß er bis an sein Lebensende auf dem Boden des Gegensatzes zu der Bewegung von 1848 stand. Die Parteien und Personen, mit denen er seit dem vereinigten Landtage von 1847 her gerungen hatte, waren und blieben seine Gegner, oft unter scharfer persönlicher Zuspitzung. Mit Haß und Mißtrauen war er 1862 empfangen worden, bis in die unmittelbarste Nähe des Throns hatte er um seine Stellung täglich neu zu kämpfen gehabt, die hochgehenden Leidenschaften der Kon¬ fliktsjahre vertieften die Kluft, die ihn von dem größten Teile der Landesvertretung, von weiten Volkskreisen, ja sogar von den einflußreichsten Persönlichkeiten der könig¬ lichen Familie trennte. Er war schon Veteran des politischen Kampfes, als er in das Amt trat, die heißen parlamentarischen und publizistischen Schlachten bis zum Frühling 1866 fügten Narbe auf Narbe hinzu. Bei der Enthüllung des Berliner Bismarckdenkmals hat Graf Bülow diese Situation treffend gezeichnet. Bismarck war für die Monarchie, war für den Staat der Retter in einer verzweifelten Lage gewesen — „als der Griechen Schiffe brannten, war in deinem Arm das Heil" —, er hatte seine Persönlichkeit gegen alle Unbill des Tags einsetzen müssen. Da ver¬ schwand alle Weichheit aus ihm, die dem gemütvollen Manne ursprünglich eigen war und ihm dann mir in seinen Beziehungen zu seiner Familie und einem sehr engen Kreise erhalten geblieben ist. Stahlhärte trat an ihre Stelle, der Volksmund machte den „eisernen Kanzler" daraus. Graf Bülow steht zu Bismarck ungefähr in dem Verhältnis wie Moltke zu Gneisenau. Moltke begnügte sich, in der eroberten Stellung des Feindes zu schlafen, Gneisenau rastete nicht, bevor er den Gegner vernichtet wußte. Der eine begnügte sich mit der Niederkämpfung, der andre erstrebte die Zerreibung. Eine Verfolgung, wie die bei Belle-Alliance, lag nie in Moltkes Art, er liebte nichts, was sich mit elementarer Gewalt entladend der Be¬ rechnung entzog. Bismarck war der gefürchtete politische Gegner, gefürchtet sowohl Grenzboten I 1S05 68

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/525>, abgerufen am 22.12.2024.