Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches in Vergessenheit geratne Rede des Fürsten Hohenlohe aus dem Jahre 1899, worin Dem jetzigen Reichskanzler gegenüber hatte die konservative Partei insofern Maßgebliches und Unmaßgebliches in Vergessenheit geratne Rede des Fürsten Hohenlohe aus dem Jahre 1899, worin Dem jetzigen Reichskanzler gegenüber hatte die konservative Partei insofern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88002"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2311" prev="#ID_2310"> in Vergessenheit geratne Rede des Fürsten Hohenlohe aus dem Jahre 1899, worin<lb/> er ausführte, daß Deutschland aufgehört habe, Agrarstaat zu sein und Industrie¬<lb/> staat geworden sei, tat das übrige, um den latenten Gegensatz der preußischen Konser¬<lb/> vativen zu dem damaligen Reichskanzler neu zu beleben. Dieser Gegensatz beruhte<lb/> auf der innern Anschauungsweise des Fürsten Hohenlohe. Die jüngst begonnene<lb/> Veröffentlichung aus seinen hinterlassenen Briefen und Papieren tut dar, daß ein<lb/> solcher Gegensatz der Anschauungsweise bei ihm schon in den vierziger Jahren des<lb/> vorigen Jahrhunderts, im allerersten Anfange seiner preußischen Staatslaufbahn,<lb/> vorhanden gewesen ist. Als der Fürst fünfzig Jahre spater, gereift durch die Er¬<lb/> fahrungen eines langen politischen Lebens, an die Spitze des Reichsdienstes und<lb/> des preußischen Staatsdienstes gerufen wurde, war er innerlich derselbe geblieben,<lb/> die preußischen Konservativen aber waren es im wesentlichen auch. In diesem öffentlich<lb/> unausgesprochen gebliebner Gegensatz ist eine ganze Reihe von Umständen enthalten,<lb/> die auf die Gestaltung unsrer innern Lage bestimmend, wenn auch wenig erfreulich<lb/> eingewirkt haben. Ein Hohenlohe war schon 1415 im Dienste des ersten Hohen-<lb/> zollern in der Schlacht am Kremmer Damm gegen den märkischen Adel gefallen,<lb/> innerhalb fast eines halben Jahrtausends ist der Prägestempel, wenn auch modernisiert,<lb/> so doch in der Hauptsache unverändert geblieben. Den preußischen Konservativen<lb/> war und blieb der preußische Ministerpräsident „ein Fremder." Die warme und von<lb/> tiefer, aufrichtiger Verehrung getragne Sympathie, die er seinem großen Vorgänger<lb/> unbeeinflußt durch wechselnde Stimmungen und Strömungen bewahrte und öffentlich<lb/> bekundete, hatte ihm vielen Beifall in den Mittlern Volksschichten erworben, die<lb/> preußischen Konservativen gewann er auch dadurch nicht. Man hat sich seinerzeit<lb/> erstaunt gefragt, wie Fürst Hohenlohe als Statthalter der Reichslande darauf ge¬<lb/> kommen sei, den jetzigen Staatssekretär in Straßburg und damaligen Polizei¬<lb/> präsidenten in Frankfurt am Main, Herrn von Koeller, einen altpreußischen<lb/> Konservativen, als Unterstaatssekretär des Innern nach Straßburg zu berufen. Der<lb/> Fürst hat sich gelegentlich damals wie folgt ausgesprochen: er habe der unaufhör¬<lb/> lichen Anfeindung durch die preußischen Konservativen, die ihm den Statthalterposten,<lb/> ans den er ohne sein Zutun berufen worden sei, nicht vergeben könnten, damit ein<lb/> Ende machen wollen. Entweder bewähre sich Herr von Koeller, der ihm vom<lb/> Oberbürgermeister Miquel in Frankfurt sehr warm empfohlen worden sei, dann sei<lb/> es gut, und die Konservativen könnten durch die Berufung eines der ihrigen auf<lb/> einen so wichtigen Posten nur befriedigt sein. Oder er bewähre sich nicht, dann<lb/> hätte die Partei ihren Willen gehabt und den Beweis erbracht, daß sie nichts<lb/> könne, wenigstens im Elsaß nichts könne. Mir hat diese Argumentation damals<lb/> zunächst keinen überzeugenden Eindruck gemacht, später habe ich sie als einen Zug<lb/> aus dem Gesamtbilde eines jahrhundertealten Gegensatzes wohl verstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2312" next="#ID_2313"> Dem jetzigen Reichskanzler gegenüber hatte die konservative Partei insofern<lb/> von vornherein eine andre Stellung, als erstens den Namen Bülow eine große<lb/> Tradition im preußische» Staats- und Heeresdienst umgab, zweitens man hinläng¬<lb/> lich Gelegenheit gehabt hatte, den neuen Reichskanzler während der Zeit seines<lb/> Staatssekretariats ungeachtet der von ihm beobachteten großen Zurückhaltung genauer<lb/> kennen zu lernen. Bei dem starken Bedürfnis nach einem Manne des Vertrauens<lb/> war man froh gewesen, als Nachfolger des Herrn Marschall einen Diplomaten zu<lb/> erhalten, dem der Ruf großer Geschicklichkeit und einer glücklichen Hand voraus¬<lb/> ging, der persönlich wie auch durch seine Familie und deren Tradition nicht als<lb/> Fremder anzusehen war, und dem für intimere Kreise auch die persönliche Wert¬<lb/> schätzung des Fürsten Bismarck und des Grafen Herbert Bismarck zur Seite stand.<lb/> Beide hatten, wenn sie nach einem Nachfolger für Herrn Marschall befragt wurden,<lb/> in erster Linie auf Herrn Bülow hingewiesen. Sein Vater stand in dem Bis-<lb/> marckschen Kreise wie anch im Reichstage in gutem Andenken, er war in schwierigen<lb/> Situationen der Vertrauensmann und treue Berater Bismarcks gewesen. Für die<lb/> breitern Schichten aber umgab und umgibt den Namen Bülow die Gloriole des<lb/> Generals Bülow-Dennewitz, den König Friedrich Wilhelm der Dritte vielleicht besser</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0524]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
in Vergessenheit geratne Rede des Fürsten Hohenlohe aus dem Jahre 1899, worin
er ausführte, daß Deutschland aufgehört habe, Agrarstaat zu sein und Industrie¬
staat geworden sei, tat das übrige, um den latenten Gegensatz der preußischen Konser¬
vativen zu dem damaligen Reichskanzler neu zu beleben. Dieser Gegensatz beruhte
auf der innern Anschauungsweise des Fürsten Hohenlohe. Die jüngst begonnene
Veröffentlichung aus seinen hinterlassenen Briefen und Papieren tut dar, daß ein
solcher Gegensatz der Anschauungsweise bei ihm schon in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts, im allerersten Anfange seiner preußischen Staatslaufbahn,
vorhanden gewesen ist. Als der Fürst fünfzig Jahre spater, gereift durch die Er¬
fahrungen eines langen politischen Lebens, an die Spitze des Reichsdienstes und
des preußischen Staatsdienstes gerufen wurde, war er innerlich derselbe geblieben,
die preußischen Konservativen aber waren es im wesentlichen auch. In diesem öffentlich
unausgesprochen gebliebner Gegensatz ist eine ganze Reihe von Umständen enthalten,
die auf die Gestaltung unsrer innern Lage bestimmend, wenn auch wenig erfreulich
eingewirkt haben. Ein Hohenlohe war schon 1415 im Dienste des ersten Hohen-
zollern in der Schlacht am Kremmer Damm gegen den märkischen Adel gefallen,
innerhalb fast eines halben Jahrtausends ist der Prägestempel, wenn auch modernisiert,
so doch in der Hauptsache unverändert geblieben. Den preußischen Konservativen
war und blieb der preußische Ministerpräsident „ein Fremder." Die warme und von
tiefer, aufrichtiger Verehrung getragne Sympathie, die er seinem großen Vorgänger
unbeeinflußt durch wechselnde Stimmungen und Strömungen bewahrte und öffentlich
bekundete, hatte ihm vielen Beifall in den Mittlern Volksschichten erworben, die
preußischen Konservativen gewann er auch dadurch nicht. Man hat sich seinerzeit
erstaunt gefragt, wie Fürst Hohenlohe als Statthalter der Reichslande darauf ge¬
kommen sei, den jetzigen Staatssekretär in Straßburg und damaligen Polizei¬
präsidenten in Frankfurt am Main, Herrn von Koeller, einen altpreußischen
Konservativen, als Unterstaatssekretär des Innern nach Straßburg zu berufen. Der
Fürst hat sich gelegentlich damals wie folgt ausgesprochen: er habe der unaufhör¬
lichen Anfeindung durch die preußischen Konservativen, die ihm den Statthalterposten,
ans den er ohne sein Zutun berufen worden sei, nicht vergeben könnten, damit ein
Ende machen wollen. Entweder bewähre sich Herr von Koeller, der ihm vom
Oberbürgermeister Miquel in Frankfurt sehr warm empfohlen worden sei, dann sei
es gut, und die Konservativen könnten durch die Berufung eines der ihrigen auf
einen so wichtigen Posten nur befriedigt sein. Oder er bewähre sich nicht, dann
hätte die Partei ihren Willen gehabt und den Beweis erbracht, daß sie nichts
könne, wenigstens im Elsaß nichts könne. Mir hat diese Argumentation damals
zunächst keinen überzeugenden Eindruck gemacht, später habe ich sie als einen Zug
aus dem Gesamtbilde eines jahrhundertealten Gegensatzes wohl verstanden.
Dem jetzigen Reichskanzler gegenüber hatte die konservative Partei insofern
von vornherein eine andre Stellung, als erstens den Namen Bülow eine große
Tradition im preußische» Staats- und Heeresdienst umgab, zweitens man hinläng¬
lich Gelegenheit gehabt hatte, den neuen Reichskanzler während der Zeit seines
Staatssekretariats ungeachtet der von ihm beobachteten großen Zurückhaltung genauer
kennen zu lernen. Bei dem starken Bedürfnis nach einem Manne des Vertrauens
war man froh gewesen, als Nachfolger des Herrn Marschall einen Diplomaten zu
erhalten, dem der Ruf großer Geschicklichkeit und einer glücklichen Hand voraus¬
ging, der persönlich wie auch durch seine Familie und deren Tradition nicht als
Fremder anzusehen war, und dem für intimere Kreise auch die persönliche Wert¬
schätzung des Fürsten Bismarck und des Grafen Herbert Bismarck zur Seite stand.
Beide hatten, wenn sie nach einem Nachfolger für Herrn Marschall befragt wurden,
in erster Linie auf Herrn Bülow hingewiesen. Sein Vater stand in dem Bis-
marckschen Kreise wie anch im Reichstage in gutem Andenken, er war in schwierigen
Situationen der Vertrauensmann und treue Berater Bismarcks gewesen. Für die
breitern Schichten aber umgab und umgibt den Namen Bülow die Gloriole des
Generals Bülow-Dennewitz, den König Friedrich Wilhelm der Dritte vielleicht besser
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