Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Die sind verloren. Wenn die Franzosen alle so beschuht sind, sind sie von vorn¬
herein verloren; damit marschiert man nicht einmal nach Koblenz, geschweige denn
nach Berlin. Für uns Kommißbestiefelte klang das tröstlich, denn wenn auch manchen
der Schuh drückte, konnte er sich doch sagen: Dieses Schuhwerk drückt dich, weil
es stark ist, und eben deswegen wird es die Märsche aushalten, marschiere dich
nur erst einmal hinein. Sei froh, das; du nicht strumpfig oder barfuß über das
Feld hüpfst wie dieser Franzose, dem dieser Schuh gehört hat. Wo mag er jetzt
sein, der Träger dieses flachen leichten Schuss? Da die weiße Gamasche, die diesen
Schuh festhielt, wohl auch irgendwo im Straßengraben liegt, so kann man sich ihn
nur als Barfüßler mit aufgekrempelten Rolhosen vorstellen.

Frohlocke ober nicht zu früh, deutscher Infanterist, der du mit dem schweren
Zündnadelgewehr, dem plumpen Faschinenmesser, zwei Patrontaschen, Tornister mit
Reservemunition, Brotbeutel und Feldflasche, beide möglichst gefüllt, und "eisernem
Bestand" von Reis und Kaffee, und in der Regel noch mit einer Schaufel, Axt
oder -- Kaffeemühle belade", Märsche zu machen haben wirst, von denen du dir
an den längsten Übnngsmarschtagen in der Garnison nichts hast träumen lassen.
Alte Soldaten, die 1866 mit dabei gewesen waren, sagten es schon in der Pfalz
voraus: Mit dem Marschiere" ists wie mit der Bauernarbeit, es geht in einem fort
weiter und wird nie weniger. Frankreich ist ein großes Land, da sinds viele
Märsche bis ans Ziel, ungerechnet die Rückmärsche und Flankenmärsche. Mein
Freund und Vorgesetzter, der Unteroffizier Reiske, mit dem ich ein Semester in
Jena verlebt und zum Teil auch studiert hatte, meinte dasselbe, als er einmal
nach einem staubigen Marsch aus dem tiefen Gras eines lothringischen Obstgartens
heraus, in dem wir auf dem Rücken lagen, wie im Traum die Worte sprach:
Der große Kuno hatte schon Recht, die Geschichte ist Bewegung.

Ach so, du meinst den Kuno Fischer.

Natürlich, ich mußte jetzt an dieses bedeutende Wort denken, und wie ruhig
er dabei auf dem Katheder stand, als ob er allein diese Bewegung nicht mit¬
machen werde.

Sage mir aber, wie betonst du den Satz. Ist die Geschichte Bewegung, oder
ist die Geschichte Bewegung?

Nun, beides. Weil die Geschichte Bewegung ist, ist die Geschichte Bewegung.
Deshalb eben marschieren wir jeden Tag dreißig Kilometersteine ab, und wenn
das Quartier seitwärts liegt, noch ein paar dazu. Ob sich Kuno Fischer jemals
von dieser praktischen Anwendung seiner Behauptung eine Vorstellung gemacht hat?
Wäre er doch mit dabei!

Das ist das Privileg der Philosophen, daß sie eine Masse von Dingen, die
die andern Leute im Schweiße ihres Angesichts und im Staub ihrer Füße tun,
in ein paar Worte zusammenfassen, die man fast nicht versteht. Das eine ist dann
Geschichte, und das andre ist Philosophie der Geschichte und hält sich für besser.

Scheint dir nicht das erste wichtiger als das andre?

Sicherlich, aber dennoch Hüte ich so Lust, einmal diese Bewegung zu unter¬
brechen, einen ganzen Tag zu ruhn und nichts als Seifenblasen zu machen; sie
sollten so schon, so schön sein, und groß sollte" sie werden.

Ich komme auf meine Marscheriuuerungen zurück. Es ist mit dieser Bewegung
in der Geschichte eine ernste Sache. Es gibt Soldaten, die in der Schlacht ihre
Kugel kriegen, und andre, die sich wahrhaft zu Tode marschieren, und jene sind
zu beneiden. Traurige Auslese, der beide zum Opfer fallen, die im übrigen Dienst
zu den besten gehörten! Kaum kommt die Marschfähigkeit zu ernstlicher Erprobung,
da zeigt es sich, daß einige, die man zu den Kräftigsten gerechnet hatte, die Probe
nicht bestehn. Zunächst besteigen sie den Kompagniekarren, was in dieser ersten
Feldzngszeit niemand gern tat, dann hinken sie wieder mit, bleiben neuerdings
"fußlos" liegen, werden, wenn man nichts mehr mit ihnen anzufangen weiß, ein¬
mal in ein Lazarett gesteckt oder von einem energischen Arzt gar nach Hause ge-


Grenzboten I 1905 6
Lilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Die sind verloren. Wenn die Franzosen alle so beschuht sind, sind sie von vorn¬
herein verloren; damit marschiert man nicht einmal nach Koblenz, geschweige denn
nach Berlin. Für uns Kommißbestiefelte klang das tröstlich, denn wenn auch manchen
der Schuh drückte, konnte er sich doch sagen: Dieses Schuhwerk drückt dich, weil
es stark ist, und eben deswegen wird es die Märsche aushalten, marschiere dich
nur erst einmal hinein. Sei froh, das; du nicht strumpfig oder barfuß über das
Feld hüpfst wie dieser Franzose, dem dieser Schuh gehört hat. Wo mag er jetzt
sein, der Träger dieses flachen leichten Schuss? Da die weiße Gamasche, die diesen
Schuh festhielt, wohl auch irgendwo im Straßengraben liegt, so kann man sich ihn
nur als Barfüßler mit aufgekrempelten Rolhosen vorstellen.

Frohlocke ober nicht zu früh, deutscher Infanterist, der du mit dem schweren
Zündnadelgewehr, dem plumpen Faschinenmesser, zwei Patrontaschen, Tornister mit
Reservemunition, Brotbeutel und Feldflasche, beide möglichst gefüllt, und „eisernem
Bestand" von Reis und Kaffee, und in der Regel noch mit einer Schaufel, Axt
oder — Kaffeemühle belade», Märsche zu machen haben wirst, von denen du dir
an den längsten Übnngsmarschtagen in der Garnison nichts hast träumen lassen.
Alte Soldaten, die 1866 mit dabei gewesen waren, sagten es schon in der Pfalz
voraus: Mit dem Marschiere» ists wie mit der Bauernarbeit, es geht in einem fort
weiter und wird nie weniger. Frankreich ist ein großes Land, da sinds viele
Märsche bis ans Ziel, ungerechnet die Rückmärsche und Flankenmärsche. Mein
Freund und Vorgesetzter, der Unteroffizier Reiske, mit dem ich ein Semester in
Jena verlebt und zum Teil auch studiert hatte, meinte dasselbe, als er einmal
nach einem staubigen Marsch aus dem tiefen Gras eines lothringischen Obstgartens
heraus, in dem wir auf dem Rücken lagen, wie im Traum die Worte sprach:
Der große Kuno hatte schon Recht, die Geschichte ist Bewegung.

Ach so, du meinst den Kuno Fischer.

Natürlich, ich mußte jetzt an dieses bedeutende Wort denken, und wie ruhig
er dabei auf dem Katheder stand, als ob er allein diese Bewegung nicht mit¬
machen werde.

Sage mir aber, wie betonst du den Satz. Ist die Geschichte Bewegung, oder
ist die Geschichte Bewegung?

Nun, beides. Weil die Geschichte Bewegung ist, ist die Geschichte Bewegung.
Deshalb eben marschieren wir jeden Tag dreißig Kilometersteine ab, und wenn
das Quartier seitwärts liegt, noch ein paar dazu. Ob sich Kuno Fischer jemals
von dieser praktischen Anwendung seiner Behauptung eine Vorstellung gemacht hat?
Wäre er doch mit dabei!

Das ist das Privileg der Philosophen, daß sie eine Masse von Dingen, die
die andern Leute im Schweiße ihres Angesichts und im Staub ihrer Füße tun,
in ein paar Worte zusammenfassen, die man fast nicht versteht. Das eine ist dann
Geschichte, und das andre ist Philosophie der Geschichte und hält sich für besser.

Scheint dir nicht das erste wichtiger als das andre?

Sicherlich, aber dennoch Hüte ich so Lust, einmal diese Bewegung zu unter¬
brechen, einen ganzen Tag zu ruhn und nichts als Seifenblasen zu machen; sie
sollten so schon, so schön sein, und groß sollte» sie werden.

Ich komme auf meine Marscheriuuerungen zurück. Es ist mit dieser Bewegung
in der Geschichte eine ernste Sache. Es gibt Soldaten, die in der Schlacht ihre
Kugel kriegen, und andre, die sich wahrhaft zu Tode marschieren, und jene sind
zu beneiden. Traurige Auslese, der beide zum Opfer fallen, die im übrigen Dienst
zu den besten gehörten! Kaum kommt die Marschfähigkeit zu ernstlicher Erprobung,
da zeigt es sich, daß einige, die man zu den Kräftigsten gerechnet hatte, die Probe
nicht bestehn. Zunächst besteigen sie den Kompagniekarren, was in dieser ersten
Feldzngszeit niemand gern tat, dann hinken sie wieder mit, bleiben neuerdings
„fußlos" liegen, werden, wenn man nichts mehr mit ihnen anzufangen weiß, ein¬
mal in ein Lazarett gesteckt oder von einem energischen Arzt gar nach Hause ge-


Grenzboten I 1905 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87526"/>
          <fw type="header" place="top"> Lilder aus dem deutsch-französischen Kriege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_98" prev="#ID_97"> Die sind verloren. Wenn die Franzosen alle so beschuht sind, sind sie von vorn¬<lb/>
herein verloren; damit marschiert man nicht einmal nach Koblenz, geschweige denn<lb/>
nach Berlin. Für uns Kommißbestiefelte klang das tröstlich, denn wenn auch manchen<lb/>
der Schuh drückte, konnte er sich doch sagen: Dieses Schuhwerk drückt dich, weil<lb/>
es stark ist, und eben deswegen wird es die Märsche aushalten, marschiere dich<lb/>
nur erst einmal hinein. Sei froh, das; du nicht strumpfig oder barfuß über das<lb/>
Feld hüpfst wie dieser Franzose, dem dieser Schuh gehört hat. Wo mag er jetzt<lb/>
sein, der Träger dieses flachen leichten Schuss? Da die weiße Gamasche, die diesen<lb/>
Schuh festhielt, wohl auch irgendwo im Straßengraben liegt, so kann man sich ihn<lb/>
nur als Barfüßler mit aufgekrempelten Rolhosen vorstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99"> Frohlocke ober nicht zu früh, deutscher Infanterist, der du mit dem schweren<lb/>
Zündnadelgewehr, dem plumpen Faschinenmesser, zwei Patrontaschen, Tornister mit<lb/>
Reservemunition, Brotbeutel und Feldflasche, beide möglichst gefüllt, und &#x201E;eisernem<lb/>
Bestand" von Reis und Kaffee, und in der Regel noch mit einer Schaufel, Axt<lb/>
oder &#x2014; Kaffeemühle belade», Märsche zu machen haben wirst, von denen du dir<lb/>
an den längsten Übnngsmarschtagen in der Garnison nichts hast träumen lassen.<lb/>
Alte Soldaten, die 1866 mit dabei gewesen waren, sagten es schon in der Pfalz<lb/>
voraus: Mit dem Marschiere» ists wie mit der Bauernarbeit, es geht in einem fort<lb/>
weiter und wird nie weniger. Frankreich ist ein großes Land, da sinds viele<lb/>
Märsche bis ans Ziel, ungerechnet die Rückmärsche und Flankenmärsche. Mein<lb/>
Freund und Vorgesetzter, der Unteroffizier Reiske, mit dem ich ein Semester in<lb/>
Jena verlebt und zum Teil auch studiert hatte, meinte dasselbe, als er einmal<lb/>
nach einem staubigen Marsch aus dem tiefen Gras eines lothringischen Obstgartens<lb/>
heraus, in dem wir auf dem Rücken lagen, wie im Traum die Worte sprach:<lb/>
Der große Kuno hatte schon Recht, die Geschichte ist Bewegung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100"> Ach so, du meinst den Kuno Fischer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_101"> Natürlich, ich mußte jetzt an dieses bedeutende Wort denken, und wie ruhig<lb/>
er dabei auf dem Katheder stand, als ob er allein diese Bewegung nicht mit¬<lb/>
machen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_102"> Sage mir aber, wie betonst du den Satz. Ist die Geschichte Bewegung, oder<lb/>
ist die Geschichte Bewegung?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_103"> Nun, beides. Weil die Geschichte Bewegung ist, ist die Geschichte Bewegung.<lb/>
Deshalb eben marschieren wir jeden Tag dreißig Kilometersteine ab, und wenn<lb/>
das Quartier seitwärts liegt, noch ein paar dazu. Ob sich Kuno Fischer jemals<lb/>
von dieser praktischen Anwendung seiner Behauptung eine Vorstellung gemacht hat?<lb/>
Wäre er doch mit dabei!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_104"> Das ist das Privileg der Philosophen, daß sie eine Masse von Dingen, die<lb/>
die andern Leute im Schweiße ihres Angesichts und im Staub ihrer Füße tun,<lb/>
in ein paar Worte zusammenfassen, die man fast nicht versteht. Das eine ist dann<lb/>
Geschichte, und das andre ist Philosophie der Geschichte und hält sich für besser.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_105"> Scheint dir nicht das erste wichtiger als das andre?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_106"> Sicherlich, aber dennoch Hüte ich so Lust, einmal diese Bewegung zu unter¬<lb/>
brechen, einen ganzen Tag zu ruhn und nichts als Seifenblasen zu machen; sie<lb/>
sollten so schon, so schön sein, und groß sollte» sie werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_107" next="#ID_108"> Ich komme auf meine Marscheriuuerungen zurück. Es ist mit dieser Bewegung<lb/>
in der Geschichte eine ernste Sache. Es gibt Soldaten, die in der Schlacht ihre<lb/>
Kugel kriegen, und andre, die sich wahrhaft zu Tode marschieren, und jene sind<lb/>
zu beneiden. Traurige Auslese, der beide zum Opfer fallen, die im übrigen Dienst<lb/>
zu den besten gehörten! Kaum kommt die Marschfähigkeit zu ernstlicher Erprobung,<lb/>
da zeigt es sich, daß einige, die man zu den Kräftigsten gerechnet hatte, die Probe<lb/>
nicht bestehn. Zunächst besteigen sie den Kompagniekarren, was in dieser ersten<lb/>
Feldzngszeit niemand gern tat, dann hinken sie wieder mit, bleiben neuerdings<lb/>
&#x201E;fußlos" liegen, werden, wenn man nichts mehr mit ihnen anzufangen weiß, ein¬<lb/>
mal in ein Lazarett gesteckt oder von einem energischen Arzt gar nach Hause ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1905 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Lilder aus dem deutsch-französischen Kriege Die sind verloren. Wenn die Franzosen alle so beschuht sind, sind sie von vorn¬ herein verloren; damit marschiert man nicht einmal nach Koblenz, geschweige denn nach Berlin. Für uns Kommißbestiefelte klang das tröstlich, denn wenn auch manchen der Schuh drückte, konnte er sich doch sagen: Dieses Schuhwerk drückt dich, weil es stark ist, und eben deswegen wird es die Märsche aushalten, marschiere dich nur erst einmal hinein. Sei froh, das; du nicht strumpfig oder barfuß über das Feld hüpfst wie dieser Franzose, dem dieser Schuh gehört hat. Wo mag er jetzt sein, der Träger dieses flachen leichten Schuss? Da die weiße Gamasche, die diesen Schuh festhielt, wohl auch irgendwo im Straßengraben liegt, so kann man sich ihn nur als Barfüßler mit aufgekrempelten Rolhosen vorstellen. Frohlocke ober nicht zu früh, deutscher Infanterist, der du mit dem schweren Zündnadelgewehr, dem plumpen Faschinenmesser, zwei Patrontaschen, Tornister mit Reservemunition, Brotbeutel und Feldflasche, beide möglichst gefüllt, und „eisernem Bestand" von Reis und Kaffee, und in der Regel noch mit einer Schaufel, Axt oder — Kaffeemühle belade», Märsche zu machen haben wirst, von denen du dir an den längsten Übnngsmarschtagen in der Garnison nichts hast träumen lassen. Alte Soldaten, die 1866 mit dabei gewesen waren, sagten es schon in der Pfalz voraus: Mit dem Marschiere» ists wie mit der Bauernarbeit, es geht in einem fort weiter und wird nie weniger. Frankreich ist ein großes Land, da sinds viele Märsche bis ans Ziel, ungerechnet die Rückmärsche und Flankenmärsche. Mein Freund und Vorgesetzter, der Unteroffizier Reiske, mit dem ich ein Semester in Jena verlebt und zum Teil auch studiert hatte, meinte dasselbe, als er einmal nach einem staubigen Marsch aus dem tiefen Gras eines lothringischen Obstgartens heraus, in dem wir auf dem Rücken lagen, wie im Traum die Worte sprach: Der große Kuno hatte schon Recht, die Geschichte ist Bewegung. Ach so, du meinst den Kuno Fischer. Natürlich, ich mußte jetzt an dieses bedeutende Wort denken, und wie ruhig er dabei auf dem Katheder stand, als ob er allein diese Bewegung nicht mit¬ machen werde. Sage mir aber, wie betonst du den Satz. Ist die Geschichte Bewegung, oder ist die Geschichte Bewegung? Nun, beides. Weil die Geschichte Bewegung ist, ist die Geschichte Bewegung. Deshalb eben marschieren wir jeden Tag dreißig Kilometersteine ab, und wenn das Quartier seitwärts liegt, noch ein paar dazu. Ob sich Kuno Fischer jemals von dieser praktischen Anwendung seiner Behauptung eine Vorstellung gemacht hat? Wäre er doch mit dabei! Das ist das Privileg der Philosophen, daß sie eine Masse von Dingen, die die andern Leute im Schweiße ihres Angesichts und im Staub ihrer Füße tun, in ein paar Worte zusammenfassen, die man fast nicht versteht. Das eine ist dann Geschichte, und das andre ist Philosophie der Geschichte und hält sich für besser. Scheint dir nicht das erste wichtiger als das andre? Sicherlich, aber dennoch Hüte ich so Lust, einmal diese Bewegung zu unter¬ brechen, einen ganzen Tag zu ruhn und nichts als Seifenblasen zu machen; sie sollten so schon, so schön sein, und groß sollte» sie werden. Ich komme auf meine Marscheriuuerungen zurück. Es ist mit dieser Bewegung in der Geschichte eine ernste Sache. Es gibt Soldaten, die in der Schlacht ihre Kugel kriegen, und andre, die sich wahrhaft zu Tode marschieren, und jene sind zu beneiden. Traurige Auslese, der beide zum Opfer fallen, die im übrigen Dienst zu den besten gehörten! Kaum kommt die Marschfähigkeit zu ernstlicher Erprobung, da zeigt es sich, daß einige, die man zu den Kräftigsten gerechnet hatte, die Probe nicht bestehn. Zunächst besteigen sie den Kompagniekarren, was in dieser ersten Feldzngszeit niemand gern tat, dann hinken sie wieder mit, bleiben neuerdings „fußlos" liegen, werden, wenn man nichts mehr mit ihnen anzufangen weiß, ein¬ mal in ein Lazarett gesteckt oder von einem energischen Arzt gar nach Hause ge- Grenzboten I 1905 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/49>, abgerufen am 23.07.2024.