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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken

seiner Kinder, die so gediegen, gründlich und vorurteilsfrei war, wie man den
Plan dazu von einem Manne wie Prinz Johann erwarten konnte. Von
Genialität und Laune übersprudelnd, blendend und hinreißend, dem Genüsse
des Augenblicks ergeben waren weder die Eltern des spätem Königs Georg,
noch dessen ältere Geschwister, noch dessen Erzieher, aber es waren brave,
pflichttreue, hochgebildete und zum Teil in Wissenschaft und Kunst ausge¬
zeichnete Menschen, und keine der wegen ihres besondern Einflusses auf den
jungen Prinzen in Frage kommenden Persönlichkeiten scheint einen irgend be¬
drückenden, die freie Entfaltung des Gemüts und seiner natürlichen Gaben
beeinträchtigenden Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben, denn er war mit zwanzig
Jahren so sehr das Bild eines normal und glücklich entwickelten, sich seiner
Jugend freuenden jungen Mannes, daß ihn der kleine gesellige Kreis, mit dem
er in einem dieser Jahre in Marienbad verkehrte, als Prinz Sonnenschein zu
bezeichnen pflegte: Musik und die bildenden Künste waren das, was ihn als
Erholung von Staatsgeschüften und wissenschaftlichen Studien hauptsächlich
interessierte, und Fachmänner werden mir beipflichten, wenn ich hier erwähne,
daß er sowohl was Musik als was Malerei und Bildhauerkunst anlangte,
einen feinen, edeln Geschmack hatte, wie man ihn mit so sicher ausgebildetem
Urteil bei Laien und Dilettanten nur selten antrifft. Welchem Umstände der
später mehr und mehr hervortretende kühle, bisweilen sogar schroff erscheinende
Gesichtsausdruck zuzuschreiben sein dürfte, ist schwer zu sagen. In der Haupt¬
sache dürfte es die alle übrigen Eigenschaften dominierende Gründlichkeit und
Gewissenhaftigkeit des Prinzen gewesen sein, die seinen Zügen nach und nach
den ernsten, nachdenklichen und beobachtenden Ausdruck, den sie in den letzten
Jahren trugen, gegeben hat. Auch war er nervösem Kopfschmerz, sogenannter
Migräne, im Mittlern Lebensalter sehr ausgesetzt, und die kirchlichen Fasten¬
zeiten, die er ohne jede Rücksicht auf seine Gesundheit beobachtete, brachten ihm
jedesmal verstärkte Anfälle dieses Leidens.

Mit Stillschweigen darf, wenn es gilt, die Ursachen des ersten etwas
kältenden Eindrucks zu ermitteln, den die Erscheinung des Prinzen um so mehr
machte, je älter er wurde, auch die Hofetikette nicht unbesprochen bleiben. Seit
dem Tode des Königs Friedrich August des Gerechten, der in ihr wie in
seinem Elemente lebte, hat sie bis in die neuere Zeit nicht aufgehört die be¬
engende, lähmende und lallende Rolle einer <na,ma.rsrg. iNÄ^or zu spielen, in
deren Ge- und Verbote man sich aus Pietät für das einmal Hergebrachte,
nicht ohne geheimes Seufzen, auch dann fügte, wenn man sich, um diesen An¬
forderungen gerecht zu werden, Vergnügungen und Annehmlichkeiten so mancher
Art entgehn lassen mußte. Von der königlichen Familie "traktierte" -- um
den von Goethe für das gesellige Geschick der Gräfin Werthern gebrauchten
Ausdruck zu wählen -- nur die Prinzessin Auguste, die Tochter Friedrich
Augusts des Gerechten, mit angebornem Behagen die Hemmnisse und Schwierig¬
keiten, die es für die Fürstlichkeiten so gut wie für ihre Umgebung bei gewissen¬
hafter Einhaltung der von der Etikette gesetzten Schranken gab, alle übrigen
sahen dieses Zeremoniell als ein schweres Joch an, dem man sich überall da,
wo es sich nicht um Repräsentation und ganz offizielle Gelegenheiten handelte,
nach Möglichkeit zu entziehn suchte. Schon in Pillnitz wurde es mit den


Zum Andenken

seiner Kinder, die so gediegen, gründlich und vorurteilsfrei war, wie man den
Plan dazu von einem Manne wie Prinz Johann erwarten konnte. Von
Genialität und Laune übersprudelnd, blendend und hinreißend, dem Genüsse
des Augenblicks ergeben waren weder die Eltern des spätem Königs Georg,
noch dessen ältere Geschwister, noch dessen Erzieher, aber es waren brave,
pflichttreue, hochgebildete und zum Teil in Wissenschaft und Kunst ausge¬
zeichnete Menschen, und keine der wegen ihres besondern Einflusses auf den
jungen Prinzen in Frage kommenden Persönlichkeiten scheint einen irgend be¬
drückenden, die freie Entfaltung des Gemüts und seiner natürlichen Gaben
beeinträchtigenden Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben, denn er war mit zwanzig
Jahren so sehr das Bild eines normal und glücklich entwickelten, sich seiner
Jugend freuenden jungen Mannes, daß ihn der kleine gesellige Kreis, mit dem
er in einem dieser Jahre in Marienbad verkehrte, als Prinz Sonnenschein zu
bezeichnen pflegte: Musik und die bildenden Künste waren das, was ihn als
Erholung von Staatsgeschüften und wissenschaftlichen Studien hauptsächlich
interessierte, und Fachmänner werden mir beipflichten, wenn ich hier erwähne,
daß er sowohl was Musik als was Malerei und Bildhauerkunst anlangte,
einen feinen, edeln Geschmack hatte, wie man ihn mit so sicher ausgebildetem
Urteil bei Laien und Dilettanten nur selten antrifft. Welchem Umstände der
später mehr und mehr hervortretende kühle, bisweilen sogar schroff erscheinende
Gesichtsausdruck zuzuschreiben sein dürfte, ist schwer zu sagen. In der Haupt¬
sache dürfte es die alle übrigen Eigenschaften dominierende Gründlichkeit und
Gewissenhaftigkeit des Prinzen gewesen sein, die seinen Zügen nach und nach
den ernsten, nachdenklichen und beobachtenden Ausdruck, den sie in den letzten
Jahren trugen, gegeben hat. Auch war er nervösem Kopfschmerz, sogenannter
Migräne, im Mittlern Lebensalter sehr ausgesetzt, und die kirchlichen Fasten¬
zeiten, die er ohne jede Rücksicht auf seine Gesundheit beobachtete, brachten ihm
jedesmal verstärkte Anfälle dieses Leidens.

Mit Stillschweigen darf, wenn es gilt, die Ursachen des ersten etwas
kältenden Eindrucks zu ermitteln, den die Erscheinung des Prinzen um so mehr
machte, je älter er wurde, auch die Hofetikette nicht unbesprochen bleiben. Seit
dem Tode des Königs Friedrich August des Gerechten, der in ihr wie in
seinem Elemente lebte, hat sie bis in die neuere Zeit nicht aufgehört die be¬
engende, lähmende und lallende Rolle einer <na,ma.rsrg. iNÄ^or zu spielen, in
deren Ge- und Verbote man sich aus Pietät für das einmal Hergebrachte,
nicht ohne geheimes Seufzen, auch dann fügte, wenn man sich, um diesen An¬
forderungen gerecht zu werden, Vergnügungen und Annehmlichkeiten so mancher
Art entgehn lassen mußte. Von der königlichen Familie „traktierte" — um
den von Goethe für das gesellige Geschick der Gräfin Werthern gebrauchten
Ausdruck zu wählen — nur die Prinzessin Auguste, die Tochter Friedrich
Augusts des Gerechten, mit angebornem Behagen die Hemmnisse und Schwierig¬
keiten, die es für die Fürstlichkeiten so gut wie für ihre Umgebung bei gewissen¬
hafter Einhaltung der von der Etikette gesetzten Schranken gab, alle übrigen
sahen dieses Zeremoniell als ein schweres Joch an, dem man sich überall da,
wo es sich nicht um Repräsentation und ganz offizielle Gelegenheiten handelte,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/482>, abgerufen am 23.12.2024.