Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Eine Angelegenheit, die die öffentliche Meinung vielleicht mehr beschäftigt, als Im Reichstage seinen Platz zu wählen, stünde Herrn Rottenburg unanfechtbar Zunächst: collo^inen loFieum. Bei dem angeblichen "Widerspruch mit der Maßgebliches und Unmaßgebliches Eine Angelegenheit, die die öffentliche Meinung vielleicht mehr beschäftigt, als Im Reichstage seinen Platz zu wählen, stünde Herrn Rottenburg unanfechtbar Zunächst: collo^inen loFieum. Bei dem angeblichen „Widerspruch mit der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87949"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2079"> Eine Angelegenheit, die die öffentliche Meinung vielleicht mehr beschäftigt, als<lb/> in der Presse zutage tritt, ist das öffentliche Auftreten des Kurators der Universität<lb/> Bonn, des frühern Unterstaatssekretärs von Rottenburg, in der Frage des nun¬<lb/> mehr beendeten Bergarbeiterausstandes. Herr von Rottenburg hat bekanntlich einen<lb/> bon einer Anzahl Professoren der Bonner Universität mit unterzeichneten motivierten<lb/> Aufruf zugunsten der Bergarbeiter erlassen und hat damit nicht nur den Kreisen<lb/> der rheinischen und westfälischen Großindustrie, sondern auch vielen Abgeordneten<lb/> und andern bürgerlichen Leuten die Erwägung nahegelegt, ob es Sache eines<lb/> Universitätskurators, d. h. des Vorstandes einer staatlichen Aufsichtsbehörde, sein<lb/> kann und sein darf, in einer rein wirtschaftlichen Frage, die ihn amtlich doch nichts<lb/> angeht, in solcher Weise Partei zu ergreifen. Der Kurator einer Universität wird<lb/> selbstverständlich immer eine Anzahl Professoren finden, die ihm zu einer öffentlichen<lb/> Kundgebung ihren Namen zu leihen bereit sind. Wäre es anders, so würde er<lb/> von so geringem Einfluß auf die ihm zunächst stehenden Gelehrtenkreise sein, daß<lb/> man daraus schließen müßte, er eigne sich sehr wenig für den Posten. Hierzu<lb/> kommt, daß die von Herrn von Rottenburg vertretne sozialpolitische Richtung in<lb/> den Universitätskreisen viel mehr als in denen des bürgerlichen praktischen Lebens<lb/> ihre Pflanzstätte hat. Es ist eben die graue Theorie, die sich, ungefähr wie das<lb/> bekannte „Kamel," eiuen „Arbeitnehmer" künstlich konstruiert, der in Wirklichkeit<lb/> überhaupt nicht oder doch nur in sehr vereinzelten Exemplaren so vorhanden ist.<lb/> Unter dem Schutze einer vorläufig noch starken Staatsgewalt ist das Spielen<lb/> deutscher Gelehrter mit dem Feuer der Massenherrschaft einstweilen noch ungefährlich.<lb/> Aber an dem Tage, wo die verantwortliche Redaktion des Staatswesens wirklich<lb/> auf die Massen und ihre Führer Übergehn sollte, würden nebst vielen andern<lb/> Einrichtungen sicherlich auch die deutschen Universitäten in ihrer heutigen Form<lb/> als durchaus überflüssig beseitigt werden. Mit dem Kuratorium einer preußischen<lb/> Hochschule, einem hohen, angesehenen und einflußreichen Staatsamt, ist demnach eine<lb/> solche öffentliche Parteinahme im wirtschaftlichen Kampfe schwerlich vereinbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_2080"> Im Reichstage seinen Platz zu wählen, stünde Herrn Rottenburg unanfechtbar<lb/> frei, sein jetziges Hervortreten dagegen hat sogar die Mißbilligung recht liberaler<lb/> Leute gefunden. Selbstverständlich darf diese nicht so weit getrieben werden, ein<lb/> disziplinares Vorgehn zu verlangen, aber was heute dem einen Universitätskurator<lb/> recht ist, könnte morgen einem andern billig sein. Man denke sich einen konservativ<lb/> gerichteten Kurator in Königsberg, der — genau mit demselben Recht wie Rotten¬<lb/> burg — in der Kanalfrage als Gegner der Kanäle so Stellung genommen hätte!<lb/> Die Regierung beabsichtigt nicht gegen Herrn Rottenburg vorzugehn, und damit<lb/> kann man nur einverstanden sein; ein deutliches us sutor ultra orsMam wird<lb/> ihm ohnehin zuteil werden. Eine neue Veranlassung dazu bietet ein von ihm am<lb/> Sonntag mit Namensunterschrift in der National-Zeitung veröffentlicher Artikel,<lb/> worin er sich ohne weiteres „mit der öffentlichen Meinung" identifiziert, und<lb/> wenngleich der Artikel stellenweise eine deutliche Rückzugsbewegung enthält, erhebt<lb/> er dennoch gegen die „Arbeitgeber" unter anderm den Vorwurf, daß sie „im<lb/> offnen Widerspruch mit dem Rechtsbewußtsein der ganzen übrigen gebildeten Welt<lb/> den Arbeitern die Anerkennung als gleichberechtigte Faktoren im wirtschaftlichen<lb/> Leben verweigert haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_2081" next="#ID_2082"> Zunächst: collo^inen loFieum. Bei dem angeblichen „Widerspruch mit der<lb/> ganzen übrigen gebildeten Welt" sieht Rottenburg diese Welt doch wohl zu sehr<lb/> durch seine eigne Brille: es gibt recht viele und recht gebildete Leute in Deutsch¬<lb/> land, die seinen Standpunkt nicht nur durchaus nicht teilen, sondern ihn um<lb/> der Konsequenzen willen für sehr bedenklich halten. Außerdem schreibt er auf<lb/> derselben Spalte: „Die Schuld an dem Aufstande trifft die Arbeiter, insofern sie<lb/> einige Forderungen aufgestellt haben, welche nicht berechtigt und nicht erfüllbar<lb/> sind." Also doch! Sodann ist es mit der „wirtschaftlichen Gleichberechtigung"<lb/> ein eigen Ding. Wer bei einem wirtschaftlichen Unternehmen die geistige Kapazi¬<lb/> tät, die materiellen Mittel hergibt, das Risiko trägt und für seine Arbeiter oft</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Eine Angelegenheit, die die öffentliche Meinung vielleicht mehr beschäftigt, als
in der Presse zutage tritt, ist das öffentliche Auftreten des Kurators der Universität
Bonn, des frühern Unterstaatssekretärs von Rottenburg, in der Frage des nun¬
mehr beendeten Bergarbeiterausstandes. Herr von Rottenburg hat bekanntlich einen
bon einer Anzahl Professoren der Bonner Universität mit unterzeichneten motivierten
Aufruf zugunsten der Bergarbeiter erlassen und hat damit nicht nur den Kreisen
der rheinischen und westfälischen Großindustrie, sondern auch vielen Abgeordneten
und andern bürgerlichen Leuten die Erwägung nahegelegt, ob es Sache eines
Universitätskurators, d. h. des Vorstandes einer staatlichen Aufsichtsbehörde, sein
kann und sein darf, in einer rein wirtschaftlichen Frage, die ihn amtlich doch nichts
angeht, in solcher Weise Partei zu ergreifen. Der Kurator einer Universität wird
selbstverständlich immer eine Anzahl Professoren finden, die ihm zu einer öffentlichen
Kundgebung ihren Namen zu leihen bereit sind. Wäre es anders, so würde er
von so geringem Einfluß auf die ihm zunächst stehenden Gelehrtenkreise sein, daß
man daraus schließen müßte, er eigne sich sehr wenig für den Posten. Hierzu
kommt, daß die von Herrn von Rottenburg vertretne sozialpolitische Richtung in
den Universitätskreisen viel mehr als in denen des bürgerlichen praktischen Lebens
ihre Pflanzstätte hat. Es ist eben die graue Theorie, die sich, ungefähr wie das
bekannte „Kamel," eiuen „Arbeitnehmer" künstlich konstruiert, der in Wirklichkeit
überhaupt nicht oder doch nur in sehr vereinzelten Exemplaren so vorhanden ist.
Unter dem Schutze einer vorläufig noch starken Staatsgewalt ist das Spielen
deutscher Gelehrter mit dem Feuer der Massenherrschaft einstweilen noch ungefährlich.
Aber an dem Tage, wo die verantwortliche Redaktion des Staatswesens wirklich
auf die Massen und ihre Führer Übergehn sollte, würden nebst vielen andern
Einrichtungen sicherlich auch die deutschen Universitäten in ihrer heutigen Form
als durchaus überflüssig beseitigt werden. Mit dem Kuratorium einer preußischen
Hochschule, einem hohen, angesehenen und einflußreichen Staatsamt, ist demnach eine
solche öffentliche Parteinahme im wirtschaftlichen Kampfe schwerlich vereinbar.
Im Reichstage seinen Platz zu wählen, stünde Herrn Rottenburg unanfechtbar
frei, sein jetziges Hervortreten dagegen hat sogar die Mißbilligung recht liberaler
Leute gefunden. Selbstverständlich darf diese nicht so weit getrieben werden, ein
disziplinares Vorgehn zu verlangen, aber was heute dem einen Universitätskurator
recht ist, könnte morgen einem andern billig sein. Man denke sich einen konservativ
gerichteten Kurator in Königsberg, der — genau mit demselben Recht wie Rotten¬
burg — in der Kanalfrage als Gegner der Kanäle so Stellung genommen hätte!
Die Regierung beabsichtigt nicht gegen Herrn Rottenburg vorzugehn, und damit
kann man nur einverstanden sein; ein deutliches us sutor ultra orsMam wird
ihm ohnehin zuteil werden. Eine neue Veranlassung dazu bietet ein von ihm am
Sonntag mit Namensunterschrift in der National-Zeitung veröffentlicher Artikel,
worin er sich ohne weiteres „mit der öffentlichen Meinung" identifiziert, und
wenngleich der Artikel stellenweise eine deutliche Rückzugsbewegung enthält, erhebt
er dennoch gegen die „Arbeitgeber" unter anderm den Vorwurf, daß sie „im
offnen Widerspruch mit dem Rechtsbewußtsein der ganzen übrigen gebildeten Welt
den Arbeitern die Anerkennung als gleichberechtigte Faktoren im wirtschaftlichen
Leben verweigert haben."
Zunächst: collo^inen loFieum. Bei dem angeblichen „Widerspruch mit der
ganzen übrigen gebildeten Welt" sieht Rottenburg diese Welt doch wohl zu sehr
durch seine eigne Brille: es gibt recht viele und recht gebildete Leute in Deutsch¬
land, die seinen Standpunkt nicht nur durchaus nicht teilen, sondern ihn um
der Konsequenzen willen für sehr bedenklich halten. Außerdem schreibt er auf
derselben Spalte: „Die Schuld an dem Aufstande trifft die Arbeiter, insofern sie
einige Forderungen aufgestellt haben, welche nicht berechtigt und nicht erfüllbar
sind." Also doch! Sodann ist es mit der „wirtschaftlichen Gleichberechtigung"
ein eigen Ding. Wer bei einem wirtschaftlichen Unternehmen die geistige Kapazi¬
tät, die materiellen Mittel hergibt, das Risiko trägt und für seine Arbeiter oft
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