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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

Romantik über Lessing hinweg ihren Gipfelpunkt erreicht. Von hier aus
wendet sich Schmid nach Berlin, wo der Ortsgeist romantischen Stimmungen
nicht zugänglich war. Ebensowenig aber in der Malerei dem Klassizismus,
der doch die Plastik beherrschte. Des alten Schadows Abneigung gegen das
"Jtalienmalen" wirkte noch so weit nach, daß die Künstler ihre Ausbildung
in Paris statt in Italien suchten. Von einer Anzahl technisch tüchtiger Fignren-
maler und Porträtisten, die uns aber heute doch kaum noch etwas sagen
(Wach, Karl Begas, Klöber, Magnus usw.), sondert Schmid mit richtigem
Takt andre ab, die mit gesundem Realismus das Leben des Tages darstellen,
den kräftigen Soldatenmaler Franz Krüger und den anspruchslosen, gemüt¬
vollen Theodor Hvsemann, den seine Abbildungen zu zahlreichen Kinderbüchern
lange Zeit geradezu berühmt gemacht haben. Auch die feiugemalten Land¬
schaftsbildchen Eduard Meyerhcims mit ihren Bäuerinnen in bunter Volkstracht
haben die ihnen zuteil gewordne ehrende Erwähnung reichlich verdient. Das
alles waren ja freilich doch nur kleine Sachen, und darum erscheint es beinahe
wie eine Naturnotwendigkeit, daß den hohen Aspirationen der Plastik eine
ähnlich gerichtete, neue Großmalerei folgte. Schunds Behandlung des einst
gefeierten Wilhelm von Kaulbach ist im ganzen zutreffend; nicht einmal die
am längsten populär gebliebner Zeichnungen zu Reineke Fuchs haben die
Probe bestanden, weil sie unwahr und manieriert sind. Wir möchten übrigens
hier aus unsrer persönlichen Erinnerung mitteilen, daß die pomphaft gemalte
Weltgeschichte im Treppenhaus des Neuen Museums schon um die Mitte der
sechziger Jahre, ehe noch die Gerüste abgeschlagen waren, in Berlin von vielen
als ein offenbarer Mißgriff angesehen wurde, den sogar von den zustündigen
Personen manche bedauerten. Aber wir wollen doch auch nicht vergessen, daß
dieser ungemein begabte Künstler ein enormes Können hatte, eine so leichte
und sichere Zeichnung, daß ihn darum manche Große von heute beneiden müßte.
Jetzt haben wir hochgefeierte Maler, die um ihre völlig verzeichneten Figuren
etwas grasgrüne Landschaft herumstreichen und dafür als Exponenten der
deutschen Volksseele gepriesen werden. Andre zeichnen Arme und Beine richtig,
malen jeden Muskel auf ihre lebensgroßen Körper, setzen eine abstruse Unter¬
schrift darunter, und trotz aller Glicdmaßcngymnastik bleibt das Ganze doch
so unlebendig wie ein Wachsfigurenkabinett. Wenn Schmid an die Behand¬
lung dieser Monumentalkunst von heute kommt, wird er sich hoffentlich daran
erinnern, mit welchem Maßstab er Kaulbach gemessen hat. Er stellt dieser
falschen Romantik Kaulbachs die echte vou Schwind und Richter gegenüber.
Diese beiden und Rethel bezeichnet er als der dentschen Romantik herrlichen
Abschluß, und das ist nun ja zweifellos, daß sie weiterleben werden, während
die hohen Herren der Dresdner Kartonmalerei, die einst gütig auf den kleinen
Ludwig Richter hinabsahen, vergessen sind und von keinem mehr vermißt werden.
Schwind und Richter sind doch auch dauerhafter als die drei, die Schmid noch
als Maler des Klassizismus aufführt: Genelli in München und Weimar, der
in der Hauptsache ein sehr schlechter Zeichner war, Preller in Weimar und der
Münchner Rvttmcmn. Über Prcllers Odysseelandschaften urteilt er fein und
freundlich. Man fühlt aber doch durch, daß ihm das antike Landschaftsbild,
wie es Nottmann auffaßt, lieber ist. Und so geht es uns ebenfalls.


Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

Romantik über Lessing hinweg ihren Gipfelpunkt erreicht. Von hier aus
wendet sich Schmid nach Berlin, wo der Ortsgeist romantischen Stimmungen
nicht zugänglich war. Ebensowenig aber in der Malerei dem Klassizismus,
der doch die Plastik beherrschte. Des alten Schadows Abneigung gegen das
„Jtalienmalen" wirkte noch so weit nach, daß die Künstler ihre Ausbildung
in Paris statt in Italien suchten. Von einer Anzahl technisch tüchtiger Fignren-
maler und Porträtisten, die uns aber heute doch kaum noch etwas sagen
(Wach, Karl Begas, Klöber, Magnus usw.), sondert Schmid mit richtigem
Takt andre ab, die mit gesundem Realismus das Leben des Tages darstellen,
den kräftigen Soldatenmaler Franz Krüger und den anspruchslosen, gemüt¬
vollen Theodor Hvsemann, den seine Abbildungen zu zahlreichen Kinderbüchern
lange Zeit geradezu berühmt gemacht haben. Auch die feiugemalten Land¬
schaftsbildchen Eduard Meyerhcims mit ihren Bäuerinnen in bunter Volkstracht
haben die ihnen zuteil gewordne ehrende Erwähnung reichlich verdient. Das
alles waren ja freilich doch nur kleine Sachen, und darum erscheint es beinahe
wie eine Naturnotwendigkeit, daß den hohen Aspirationen der Plastik eine
ähnlich gerichtete, neue Großmalerei folgte. Schunds Behandlung des einst
gefeierten Wilhelm von Kaulbach ist im ganzen zutreffend; nicht einmal die
am längsten populär gebliebner Zeichnungen zu Reineke Fuchs haben die
Probe bestanden, weil sie unwahr und manieriert sind. Wir möchten übrigens
hier aus unsrer persönlichen Erinnerung mitteilen, daß die pomphaft gemalte
Weltgeschichte im Treppenhaus des Neuen Museums schon um die Mitte der
sechziger Jahre, ehe noch die Gerüste abgeschlagen waren, in Berlin von vielen
als ein offenbarer Mißgriff angesehen wurde, den sogar von den zustündigen
Personen manche bedauerten. Aber wir wollen doch auch nicht vergessen, daß
dieser ungemein begabte Künstler ein enormes Können hatte, eine so leichte
und sichere Zeichnung, daß ihn darum manche Große von heute beneiden müßte.
Jetzt haben wir hochgefeierte Maler, die um ihre völlig verzeichneten Figuren
etwas grasgrüne Landschaft herumstreichen und dafür als Exponenten der
deutschen Volksseele gepriesen werden. Andre zeichnen Arme und Beine richtig,
malen jeden Muskel auf ihre lebensgroßen Körper, setzen eine abstruse Unter¬
schrift darunter, und trotz aller Glicdmaßcngymnastik bleibt das Ganze doch
so unlebendig wie ein Wachsfigurenkabinett. Wenn Schmid an die Behand¬
lung dieser Monumentalkunst von heute kommt, wird er sich hoffentlich daran
erinnern, mit welchem Maßstab er Kaulbach gemessen hat. Er stellt dieser
falschen Romantik Kaulbachs die echte vou Schwind und Richter gegenüber.
Diese beiden und Rethel bezeichnet er als der dentschen Romantik herrlichen
Abschluß, und das ist nun ja zweifellos, daß sie weiterleben werden, während
die hohen Herren der Dresdner Kartonmalerei, die einst gütig auf den kleinen
Ludwig Richter hinabsahen, vergessen sind und von keinem mehr vermißt werden.
Schwind und Richter sind doch auch dauerhafter als die drei, die Schmid noch
als Maler des Klassizismus aufführt: Genelli in München und Weimar, der
in der Hauptsache ein sehr schlechter Zeichner war, Preller in Weimar und der
Münchner Rvttmcmn. Über Prcllers Odysseelandschaften urteilt er fein und
freundlich. Man fühlt aber doch durch, daß ihm das antike Landschaftsbild,
wie es Nottmann auffaßt, lieber ist. Und so geht es uns ebenfalls.


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[0047] Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts Romantik über Lessing hinweg ihren Gipfelpunkt erreicht. Von hier aus wendet sich Schmid nach Berlin, wo der Ortsgeist romantischen Stimmungen nicht zugänglich war. Ebensowenig aber in der Malerei dem Klassizismus, der doch die Plastik beherrschte. Des alten Schadows Abneigung gegen das „Jtalienmalen" wirkte noch so weit nach, daß die Künstler ihre Ausbildung in Paris statt in Italien suchten. Von einer Anzahl technisch tüchtiger Fignren- maler und Porträtisten, die uns aber heute doch kaum noch etwas sagen (Wach, Karl Begas, Klöber, Magnus usw.), sondert Schmid mit richtigem Takt andre ab, die mit gesundem Realismus das Leben des Tages darstellen, den kräftigen Soldatenmaler Franz Krüger und den anspruchslosen, gemüt¬ vollen Theodor Hvsemann, den seine Abbildungen zu zahlreichen Kinderbüchern lange Zeit geradezu berühmt gemacht haben. Auch die feiugemalten Land¬ schaftsbildchen Eduard Meyerhcims mit ihren Bäuerinnen in bunter Volkstracht haben die ihnen zuteil gewordne ehrende Erwähnung reichlich verdient. Das alles waren ja freilich doch nur kleine Sachen, und darum erscheint es beinahe wie eine Naturnotwendigkeit, daß den hohen Aspirationen der Plastik eine ähnlich gerichtete, neue Großmalerei folgte. Schunds Behandlung des einst gefeierten Wilhelm von Kaulbach ist im ganzen zutreffend; nicht einmal die am längsten populär gebliebner Zeichnungen zu Reineke Fuchs haben die Probe bestanden, weil sie unwahr und manieriert sind. Wir möchten übrigens hier aus unsrer persönlichen Erinnerung mitteilen, daß die pomphaft gemalte Weltgeschichte im Treppenhaus des Neuen Museums schon um die Mitte der sechziger Jahre, ehe noch die Gerüste abgeschlagen waren, in Berlin von vielen als ein offenbarer Mißgriff angesehen wurde, den sogar von den zustündigen Personen manche bedauerten. Aber wir wollen doch auch nicht vergessen, daß dieser ungemein begabte Künstler ein enormes Können hatte, eine so leichte und sichere Zeichnung, daß ihn darum manche Große von heute beneiden müßte. Jetzt haben wir hochgefeierte Maler, die um ihre völlig verzeichneten Figuren etwas grasgrüne Landschaft herumstreichen und dafür als Exponenten der deutschen Volksseele gepriesen werden. Andre zeichnen Arme und Beine richtig, malen jeden Muskel auf ihre lebensgroßen Körper, setzen eine abstruse Unter¬ schrift darunter, und trotz aller Glicdmaßcngymnastik bleibt das Ganze doch so unlebendig wie ein Wachsfigurenkabinett. Wenn Schmid an die Behand¬ lung dieser Monumentalkunst von heute kommt, wird er sich hoffentlich daran erinnern, mit welchem Maßstab er Kaulbach gemessen hat. Er stellt dieser falschen Romantik Kaulbachs die echte vou Schwind und Richter gegenüber. Diese beiden und Rethel bezeichnet er als der dentschen Romantik herrlichen Abschluß, und das ist nun ja zweifellos, daß sie weiterleben werden, während die hohen Herren der Dresdner Kartonmalerei, die einst gütig auf den kleinen Ludwig Richter hinabsahen, vergessen sind und von keinem mehr vermißt werden. Schwind und Richter sind doch auch dauerhafter als die drei, die Schmid noch als Maler des Klassizismus aufführt: Genelli in München und Weimar, der in der Hauptsache ein sehr schlechter Zeichner war, Preller in Weimar und der Münchner Rvttmcmn. Über Prcllers Odysseelandschaften urteilt er fein und freundlich. Man fühlt aber doch durch, daß ihm das antike Landschaftsbild, wie es Nottmann auffaßt, lieber ist. Und so geht es uns ebenfalls.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/47>, abgerufen am 22.12.2024.