Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts Berliner Plastik und suchte sich dazu verstandesmäßig die Begründung, und Künstler ersten Ranges, zu denen also Rauch nicht zählt, nennt Schmid Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts Berliner Plastik und suchte sich dazu verstandesmäßig die Begründung, und Künstler ersten Ranges, zu denen also Rauch nicht zählt, nennt Schmid <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87521"/> <fw type="header" place="top"> Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_88" prev="#ID_87"> Berliner Plastik und suchte sich dazu verstandesmäßig die Begründung, und<lb/> zwar an den Figuren des Unterbaues, denn die Reiterstatue auf dem haus¬<lb/> hohen Sockel verschwand in der Luft, sie Hütte aber auch zu ebner Erde völlig kalt<lb/> lassen müssen. Auf direkten Befehl des Königs hatte wenigstens der alte Fritz<lb/> den Dreispitz aufgesetzt bekommen, ursprünglich sollte er barhäuptig sein, wie<lb/> die Feldherrngestalten am Postament und in den frühern Einzeldenkmülern<lb/> Rauchs. So verlangte es ja der antike Stil, von dem sich nur Schadom bei<lb/> seinem Zieten losgemacht hatte. Das folgende Urteil Schmids scheint uns<lb/> historisch zutreffend und gerecht: „In allen Einzelheiten aber fordert das Werk<lb/> auch heute Anerkennung. Zunächst zeigen die Reliefs Schönheit und edeln<lb/> Linieuschwung. Die Zeitgenossen klagten darüber, daß alles zu malerisch und<lb/> zu realistisch sei; uns scheint das Gegenteil der Fall. Jedenfalls erhebt sich<lb/> das Monument durch die Feinheit der Berhültnisse, durch sorgfältige Berechnung<lb/> der Verkürzungen, durch Gründlichkeit der Arbeit weit über den damaligen<lb/> Durchschnitt." Mit der Schule, die Rauch in Berlin hinterlassen haben „soll,"<lb/> macht der Verfasser wenig Federlesens. Nur Drakes Friedrich Wilhelm den<lb/> Dritten im Tiergarten läßt er gelten, in der Tat das schönste Denkmal, das<lb/> Berlin nach Schadows Zieten erhalten hat. Sodann die Amazone von Kiß<lb/> vor Schinkels Altem Museum. Aber freilich, was sind uns heute Ama¬<lb/> zonen! — Den männlichen, klassisch strengen Rauch ergänzt sein originellster<lb/> Schüler Rietschel, der 1832 nach Dresden berufen wurde, durch einen lebens¬<lb/> vollen Realismus, wärmere Empfindung und Züge von Anmut und Weich¬<lb/> heit, die ihn seiner Zeit näher gebracht haben. Für sein bedeutendstes Werk<lb/> halten wir die 1853 vollendete Lessingstatue in Braunschweig, seit langer Zeit<lb/> die erste Figur ohne Mantel, einfach und natürlich, unmittelbar wirkend, wie<lb/> der von Menzel geschaffne Thpus des alten Fritz. Sodann ist seine Pickel<lb/> vor der Friedenskirche in Sanssouci jedenfalls die beste plastische Gruppe<lb/> religiösen Inhalts, die unsre neuere Kunst aufzuweisen hat. Schmid stellt<lb/> noch in diese Reihe das Doppelmonument Goethes und Schillers in Weimar<lb/> und die Lutherstatue in Worms, selbstverständlich ohne ihre nachmals von den<lb/> Schülern ausgeführte plastische Begleitung. Wir meinen, daß schon der Luther<lb/> an einer theatermäßigen Pose leidet, und finden auch in der Weimarer Gruppe<lb/> nicht mehr die schlichte Natur des Lessing wieder. Rietschels Dresdner Nach¬<lb/> folger, einschließlich Hühnels, tut Schmid in wenig Zeilen ab. Es folgt noch<lb/> München mit seinem Schwcmthaler. Ihn beurteilt Schmid, wie heute Wohl<lb/> jedermann bis^hinab zu dem anspruchlosesten Reisenden, der seine Nnndbillett-<lb/> tour in München unterbricht. Man begreift es ja einfach nicht mehr, daß man<lb/> diese Puppenfabrikation einmal als Kunst angesehen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_89" next="#ID_90"> Künstler ersten Ranges, zu denen also Rauch nicht zählt, nennt Schmid<lb/> den Baumeister Schinkel und die Maler Cornelius und Nethel, diese drei be¬<lb/> handelt er .sehr ausführlich und mit warmer Teilnahme. Glänzend tritt<lb/> Schinkel an die Spitze in seiner ungemeinen Vielseitigkeit, nicht bloß als<lb/> Wiedererwecker eines neuen antiken Baustils in reinern, hellenischen Formen,<lb/> sondern auch als poetischer Romantiker in stimmungsvollen Entwürfen und<lb/> als Kenner des deutschen Mittelalters in ausgeführten Bauwerken. Und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts
Berliner Plastik und suchte sich dazu verstandesmäßig die Begründung, und
zwar an den Figuren des Unterbaues, denn die Reiterstatue auf dem haus¬
hohen Sockel verschwand in der Luft, sie Hütte aber auch zu ebner Erde völlig kalt
lassen müssen. Auf direkten Befehl des Königs hatte wenigstens der alte Fritz
den Dreispitz aufgesetzt bekommen, ursprünglich sollte er barhäuptig sein, wie
die Feldherrngestalten am Postament und in den frühern Einzeldenkmülern
Rauchs. So verlangte es ja der antike Stil, von dem sich nur Schadom bei
seinem Zieten losgemacht hatte. Das folgende Urteil Schmids scheint uns
historisch zutreffend und gerecht: „In allen Einzelheiten aber fordert das Werk
auch heute Anerkennung. Zunächst zeigen die Reliefs Schönheit und edeln
Linieuschwung. Die Zeitgenossen klagten darüber, daß alles zu malerisch und
zu realistisch sei; uns scheint das Gegenteil der Fall. Jedenfalls erhebt sich
das Monument durch die Feinheit der Berhültnisse, durch sorgfältige Berechnung
der Verkürzungen, durch Gründlichkeit der Arbeit weit über den damaligen
Durchschnitt." Mit der Schule, die Rauch in Berlin hinterlassen haben „soll,"
macht der Verfasser wenig Federlesens. Nur Drakes Friedrich Wilhelm den
Dritten im Tiergarten läßt er gelten, in der Tat das schönste Denkmal, das
Berlin nach Schadows Zieten erhalten hat. Sodann die Amazone von Kiß
vor Schinkels Altem Museum. Aber freilich, was sind uns heute Ama¬
zonen! — Den männlichen, klassisch strengen Rauch ergänzt sein originellster
Schüler Rietschel, der 1832 nach Dresden berufen wurde, durch einen lebens¬
vollen Realismus, wärmere Empfindung und Züge von Anmut und Weich¬
heit, die ihn seiner Zeit näher gebracht haben. Für sein bedeutendstes Werk
halten wir die 1853 vollendete Lessingstatue in Braunschweig, seit langer Zeit
die erste Figur ohne Mantel, einfach und natürlich, unmittelbar wirkend, wie
der von Menzel geschaffne Thpus des alten Fritz. Sodann ist seine Pickel
vor der Friedenskirche in Sanssouci jedenfalls die beste plastische Gruppe
religiösen Inhalts, die unsre neuere Kunst aufzuweisen hat. Schmid stellt
noch in diese Reihe das Doppelmonument Goethes und Schillers in Weimar
und die Lutherstatue in Worms, selbstverständlich ohne ihre nachmals von den
Schülern ausgeführte plastische Begleitung. Wir meinen, daß schon der Luther
an einer theatermäßigen Pose leidet, und finden auch in der Weimarer Gruppe
nicht mehr die schlichte Natur des Lessing wieder. Rietschels Dresdner Nach¬
folger, einschließlich Hühnels, tut Schmid in wenig Zeilen ab. Es folgt noch
München mit seinem Schwcmthaler. Ihn beurteilt Schmid, wie heute Wohl
jedermann bis^hinab zu dem anspruchlosesten Reisenden, der seine Nnndbillett-
tour in München unterbricht. Man begreift es ja einfach nicht mehr, daß man
diese Puppenfabrikation einmal als Kunst angesehen hat.
Künstler ersten Ranges, zu denen also Rauch nicht zählt, nennt Schmid
den Baumeister Schinkel und die Maler Cornelius und Nethel, diese drei be¬
handelt er .sehr ausführlich und mit warmer Teilnahme. Glänzend tritt
Schinkel an die Spitze in seiner ungemeinen Vielseitigkeit, nicht bloß als
Wiedererwecker eines neuen antiken Baustils in reinern, hellenischen Formen,
sondern auch als poetischer Romantiker in stimmungsvollen Entwürfen und
als Kenner des deutschen Mittelalters in ausgeführten Bauwerken. Und
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