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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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vom bankrotten Strafvollzug

Erwartung an, daß nach Ausschaltung des Ministeriums des Innern der
Strafvollzug bessere Erfolge haben werde. Es kann ihm ja nicht entgehn,
daß die Geschichte der Gefängnisreform in Preußen im wesentlichen und
wenigstens für einen langen und entscheidungsvollen Zeitraum nichts andres
ist als die Geschichte des Gefängniswesens unter der Verwaltung des Innern,
daß diese Verwaltung das glänzende und weitansschauende Programm König
Friedrich Wilhelms des Vierten in langen Jahren allein zu verwirklichen ge¬
strebt hat, daß sie in der wissenschaftlichen Erforschung dieses dunkeln Gebiets
wie in der praktischen Durchführung der als richtig erkannten Grundsätze von
Anfang führend gewesen ist und die Führung auch bis zum heutigen Tage
behalten hat.

Nein von der "Ausschaltung" des Ministeriums des Innern aus der
Leitung des Gefängniswesens können wir uns keine Vorteile versprechen, und
am allerwenigsten erwarten wir von der Ausschaltung oder Einschränkung des
Gedankens der Präventive eine Förderung des Kampfes gegen das Verbrechen.
Wir sind vielmehr der Meinung, daß das, was man dem Strafvollzug mit
Recht zur Last legen kann, hauptsächlich darauf beruht, daß der Erziehungs¬
gedanke noch zu wenig zur Geltung gekommen ist, sei es, daß man ihn zeitweise
außer acht gelassen hatte, oder daß man ihm äußerer Umstände halber noch
keinen Einlaß gewähren konnte, oder daß man ihm aus prinzipiellen Gründen
keinen Eingang gestatten wollte. Dennoch, auch wenn allenthalben die größte
Vollkommenheit des Strafvollzugs erreicht worden wäre, dürften wir darum
noch nicht erwarten, daß nun das Verbrechen geschlagen werden würde. So
weit reicht die Macht des Strafvollzugs nicht. Ein wie kleines und begrenztes
Gebiet es im Grunde ist, wofür man den Strafvollzug verantwortlich machen
darf, das sollte man sich immer gegenwärtig halten, wenn man im Begriff
steht, über sein Tun und seine Erfolge abzuurteilen.

Der Strafvollzug hat die erkannten Strafen ernst und nachdrücklich aber
doch nicht härter zu vollziehn, als es die Absicht des Gesetzgebers war, der eine
Freiheitsstrafe, nicht aber eine Leibesstrafe vollzogen haben will. Darum muß
er für ausreichende Ernährung der Gefangnen und für die Bereithaltung ge¬
sunder Haftrüume sowie für ärztliche Beobachtung und Pflege Sorge tragen.
Aber auch auf das sittliche und das geistige Leben der Gefangnen erstreckt sich
seine pflichtmäßige Sorge. Er sucht den Verkehr der Gefangnen untereinander,
weil er erfahrungsmäßig zu bösen Folgen führt, zu hindern und bedient sich zu
diesem Zweck vornehmlich der Einzelhaft. Den leeren Raum der Freiheitsstrafe
aber füllt die tägliche Arbeit aus, die das Leben des Gefangnen mit ernstem
Zwang umspannt, andernteils ihm aber auch ein Segen und ein Trost ist, ohne
den er vergehn und verderben würde. Durch den Unterricht, die Lektüre und
die Besuche der Beamten wird versucht, den Geist der Gefangnen lebendig zu
halten und ihm gute und heilsame Gedanken zuzuführen. Dem dienen auch die
Seelsorge und der Gottesdienst, die den Gefangnen zugleich an das kirchliche
Leben seines Volkes anschließen und ihm dieselben Quellen eröffnen, die dort
stießen, es ihm überlassend, ob er daraus schöpfen will. Mehr kann der Straf¬
vollzug nicht tun. Wenn er der Familie des Gefangnen und ihm selbst vor


vom bankrotten Strafvollzug

Erwartung an, daß nach Ausschaltung des Ministeriums des Innern der
Strafvollzug bessere Erfolge haben werde. Es kann ihm ja nicht entgehn,
daß die Geschichte der Gefängnisreform in Preußen im wesentlichen und
wenigstens für einen langen und entscheidungsvollen Zeitraum nichts andres
ist als die Geschichte des Gefängniswesens unter der Verwaltung des Innern,
daß diese Verwaltung das glänzende und weitansschauende Programm König
Friedrich Wilhelms des Vierten in langen Jahren allein zu verwirklichen ge¬
strebt hat, daß sie in der wissenschaftlichen Erforschung dieses dunkeln Gebiets
wie in der praktischen Durchführung der als richtig erkannten Grundsätze von
Anfang führend gewesen ist und die Führung auch bis zum heutigen Tage
behalten hat.

Nein von der „Ausschaltung" des Ministeriums des Innern aus der
Leitung des Gefängniswesens können wir uns keine Vorteile versprechen, und
am allerwenigsten erwarten wir von der Ausschaltung oder Einschränkung des
Gedankens der Präventive eine Förderung des Kampfes gegen das Verbrechen.
Wir sind vielmehr der Meinung, daß das, was man dem Strafvollzug mit
Recht zur Last legen kann, hauptsächlich darauf beruht, daß der Erziehungs¬
gedanke noch zu wenig zur Geltung gekommen ist, sei es, daß man ihn zeitweise
außer acht gelassen hatte, oder daß man ihm äußerer Umstände halber noch
keinen Einlaß gewähren konnte, oder daß man ihm aus prinzipiellen Gründen
keinen Eingang gestatten wollte. Dennoch, auch wenn allenthalben die größte
Vollkommenheit des Strafvollzugs erreicht worden wäre, dürften wir darum
noch nicht erwarten, daß nun das Verbrechen geschlagen werden würde. So
weit reicht die Macht des Strafvollzugs nicht. Ein wie kleines und begrenztes
Gebiet es im Grunde ist, wofür man den Strafvollzug verantwortlich machen
darf, das sollte man sich immer gegenwärtig halten, wenn man im Begriff
steht, über sein Tun und seine Erfolge abzuurteilen.

Der Strafvollzug hat die erkannten Strafen ernst und nachdrücklich aber
doch nicht härter zu vollziehn, als es die Absicht des Gesetzgebers war, der eine
Freiheitsstrafe, nicht aber eine Leibesstrafe vollzogen haben will. Darum muß
er für ausreichende Ernährung der Gefangnen und für die Bereithaltung ge¬
sunder Haftrüume sowie für ärztliche Beobachtung und Pflege Sorge tragen.
Aber auch auf das sittliche und das geistige Leben der Gefangnen erstreckt sich
seine pflichtmäßige Sorge. Er sucht den Verkehr der Gefangnen untereinander,
weil er erfahrungsmäßig zu bösen Folgen führt, zu hindern und bedient sich zu
diesem Zweck vornehmlich der Einzelhaft. Den leeren Raum der Freiheitsstrafe
aber füllt die tägliche Arbeit aus, die das Leben des Gefangnen mit ernstem
Zwang umspannt, andernteils ihm aber auch ein Segen und ein Trost ist, ohne
den er vergehn und verderben würde. Durch den Unterricht, die Lektüre und
die Besuche der Beamten wird versucht, den Geist der Gefangnen lebendig zu
halten und ihm gute und heilsame Gedanken zuzuführen. Dem dienen auch die
Seelsorge und der Gottesdienst, die den Gefangnen zugleich an das kirchliche
Leben seines Volkes anschließen und ihm dieselben Quellen eröffnen, die dort
stießen, es ihm überlassend, ob er daraus schöpfen will. Mehr kann der Straf¬
vollzug nicht tun. Wenn er der Familie des Gefangnen und ihm selbst vor


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[0431] vom bankrotten Strafvollzug Erwartung an, daß nach Ausschaltung des Ministeriums des Innern der Strafvollzug bessere Erfolge haben werde. Es kann ihm ja nicht entgehn, daß die Geschichte der Gefängnisreform in Preußen im wesentlichen und wenigstens für einen langen und entscheidungsvollen Zeitraum nichts andres ist als die Geschichte des Gefängniswesens unter der Verwaltung des Innern, daß diese Verwaltung das glänzende und weitansschauende Programm König Friedrich Wilhelms des Vierten in langen Jahren allein zu verwirklichen ge¬ strebt hat, daß sie in der wissenschaftlichen Erforschung dieses dunkeln Gebiets wie in der praktischen Durchführung der als richtig erkannten Grundsätze von Anfang führend gewesen ist und die Führung auch bis zum heutigen Tage behalten hat. Nein von der „Ausschaltung" des Ministeriums des Innern aus der Leitung des Gefängniswesens können wir uns keine Vorteile versprechen, und am allerwenigsten erwarten wir von der Ausschaltung oder Einschränkung des Gedankens der Präventive eine Förderung des Kampfes gegen das Verbrechen. Wir sind vielmehr der Meinung, daß das, was man dem Strafvollzug mit Recht zur Last legen kann, hauptsächlich darauf beruht, daß der Erziehungs¬ gedanke noch zu wenig zur Geltung gekommen ist, sei es, daß man ihn zeitweise außer acht gelassen hatte, oder daß man ihm äußerer Umstände halber noch keinen Einlaß gewähren konnte, oder daß man ihm aus prinzipiellen Gründen keinen Eingang gestatten wollte. Dennoch, auch wenn allenthalben die größte Vollkommenheit des Strafvollzugs erreicht worden wäre, dürften wir darum noch nicht erwarten, daß nun das Verbrechen geschlagen werden würde. So weit reicht die Macht des Strafvollzugs nicht. Ein wie kleines und begrenztes Gebiet es im Grunde ist, wofür man den Strafvollzug verantwortlich machen darf, das sollte man sich immer gegenwärtig halten, wenn man im Begriff steht, über sein Tun und seine Erfolge abzuurteilen. Der Strafvollzug hat die erkannten Strafen ernst und nachdrücklich aber doch nicht härter zu vollziehn, als es die Absicht des Gesetzgebers war, der eine Freiheitsstrafe, nicht aber eine Leibesstrafe vollzogen haben will. Darum muß er für ausreichende Ernährung der Gefangnen und für die Bereithaltung ge¬ sunder Haftrüume sowie für ärztliche Beobachtung und Pflege Sorge tragen. Aber auch auf das sittliche und das geistige Leben der Gefangnen erstreckt sich seine pflichtmäßige Sorge. Er sucht den Verkehr der Gefangnen untereinander, weil er erfahrungsmäßig zu bösen Folgen führt, zu hindern und bedient sich zu diesem Zweck vornehmlich der Einzelhaft. Den leeren Raum der Freiheitsstrafe aber füllt die tägliche Arbeit aus, die das Leben des Gefangnen mit ernstem Zwang umspannt, andernteils ihm aber auch ein Segen und ein Trost ist, ohne den er vergehn und verderben würde. Durch den Unterricht, die Lektüre und die Besuche der Beamten wird versucht, den Geist der Gefangnen lebendig zu halten und ihm gute und heilsame Gedanken zuzuführen. Dem dienen auch die Seelsorge und der Gottesdienst, die den Gefangnen zugleich an das kirchliche Leben seines Volkes anschließen und ihm dieselben Quellen eröffnen, die dort stießen, es ihm überlassend, ob er daraus schöpfen will. Mehr kann der Straf¬ vollzug nicht tun. Wenn er der Familie des Gefangnen und ihm selbst vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/431>, abgerufen am 23.07.2024.