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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Niemand von ihnen bedenkt, daß diese Verhunzung der Landschaft schwere
Schäden für die Angefesselten nach sich ziehn muß. Die augenblicklichen kleinen
Vorteile machen, daß der Bauer das dumpfe Mißbehagen, mit dem ihn der Anblick
des glattrasierten Geländes erfüllen muß, vergißt; erst wenn das Geschlecht, das
so schwer sündigte, unter der Erde liegt, zeigt sich an den Kindeskindern, daß man
mit Bäumen und Büschen anch viele wertvolle Volkseigenschaftcn ausgerodet hat.

Je fruchtbarer der Boden ist, um so eher macht sich das Bedürfnis nach einer
Verkoppelung fühlbar, um so früher verliert die Landschaft an Reiz. So war es
auf dem schweren Boden in Mittelhannover. Dort ist aber auch am ersten bei
den Bauerntöchtern die Abneigung bemerkt worden, auf einen Hof zu heiraten; sie
scheuten die schwere Arbeit und zogen es vor, einen Beamten zu freien. Vor
zwanzig Jahren lachte der Bauer aus dem Fürstentum Kalenberg oder aus dem
Stifte Hildesheim den Lehrer aus, der es wagte, um seine Tochter zu freien;
heute gibt er sie ihm gern. In dieser Gegend wird es bei den wohlhabenden
Bauern mehr und mehr Mode, ihre Höfe zu verpachten, und Hofverkäufe sind dort
Viel häufiger als in der Heide, wo die Landschaft noch ihr altes Gesicht behalten
hat. Der Zug zu städtischer Art und Sitte, die Neigung zur Stadt überhaupt
findet sich im Kalenbergischen und im Hildesheimischen viel häufiger und bringt
eine größere Beweglichkeit des Bodens mit sich, und der Grund dürfte nicht zuletzt
in der Reizlosigkeit der Landschaft zu suchen sein.

Durch die Aufteilung des Gemeineigentums bei der Verkoppelung tritt sofort
eine unmittelbare Beweglichkeit des Bodens ein; aber auch mittelbar nimmt diese
Beweglichkeit zu, denn der Bauer, der seit Jahrhunderten gewohnt war, den
Grund und Boden als etwas Feststehendes zu betrachten, an dem nur im äußersten
Notfalle zu rütteln sei, sieht plötzlich, daß der Grund und Boden auch weiter nichts
als ein Verkaufsobjekt ist, und die Verödung der Landschaft erleichtert ihm den
Gedanken an eine Trennung von der Heimat. Diese relative Beweglichkeit des
Bodens kann man auch mit dem genauesten statistischen Apparat nicht feststellen;
daß sie aber da ist, darf man wohl nicht bezweifeln. Dem Bauern kommt die
Reizlosigkeit der Landschaft nach der Verkoppelung vielleicht gar nicht klar zum
Bewußtsein; aber die unbewußten Empfindungen sind immer die stärksten, und es
ist selbstverständlich, daß ein Bauer, den gewisse Bestandteile seiner Heimat unwill¬
kürlich an die Geschichte seines Landes, seines Dorfes, seines Hofes und seines
Namens erinnern, fester auf seinem Acker steht, als wenn nichts in der Landschaft
seine Person mit seinem Grund und Boden verbindet; dadurch muß er notwendig
zu der Bewertung seines Eigentums als einer Handelsware kommen und den innern
Zusammenhang mit dem Hof, auf dem er lebt, verlieren. Denn was ist ihm eine
Feldmark, in der kein Baum und kein Busch, keine Hecke und kein Strauch das
nüchterne Rechenexempel von Feld und Bräche, Wiese und Sturzäcker unterbricht,
anders als eine Sache, die ihm Zinsen bringt, als ein Geschäft wie jedes andre!
Der mystische Konnex zwischen Bauer und Boden, die alte Bcmernbodentreue, die
sich so oft in anscheinend lächerlichen Prozessen um Heckenpsähle und Steinraine
nnßert, kommt ihm völlig abhanden. Wozu soll er sich placken und schinden jahrein
jahraus in Wind und Wetter, Hitze und Kälte auf Hof und Land? Er hat ja
Geld genug, in die Stadt zu ziehn und es sich bequem zu machen, oder wenn er
nicht ganz von seinem Gelde leben kann, dort einen Handel anzufangen. So verliert
das verkoppelte Land von Jahr zu Jahr Teile seines alten Bauernstammes, während
in den Gegenden mit Sand- und Moorboden die Seßhaftigkeit bedeutend größer
ist, weil noch keine Verkoppelung den Zusammenhang zwischen dem Bauern und
dem Boden gelockert hat.

Der deutsche Bauer ist kein Baschkire oder Kirgise, der sich am wohlsten in
der Steppe fühlt; er ist durch jahrhundertelange Überlieferung an Baum, Busch
und Hag gewöhnt; verschwinden sie aus seiner Heimat, so gehn mit ihnen die
besten Züge aus seinem Charakter fort. Milieuveränderung zieht Charakterver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Niemand von ihnen bedenkt, daß diese Verhunzung der Landschaft schwere
Schäden für die Angefesselten nach sich ziehn muß. Die augenblicklichen kleinen
Vorteile machen, daß der Bauer das dumpfe Mißbehagen, mit dem ihn der Anblick
des glattrasierten Geländes erfüllen muß, vergißt; erst wenn das Geschlecht, das
so schwer sündigte, unter der Erde liegt, zeigt sich an den Kindeskindern, daß man
mit Bäumen und Büschen anch viele wertvolle Volkseigenschaftcn ausgerodet hat.

Je fruchtbarer der Boden ist, um so eher macht sich das Bedürfnis nach einer
Verkoppelung fühlbar, um so früher verliert die Landschaft an Reiz. So war es
auf dem schweren Boden in Mittelhannover. Dort ist aber auch am ersten bei
den Bauerntöchtern die Abneigung bemerkt worden, auf einen Hof zu heiraten; sie
scheuten die schwere Arbeit und zogen es vor, einen Beamten zu freien. Vor
zwanzig Jahren lachte der Bauer aus dem Fürstentum Kalenberg oder aus dem
Stifte Hildesheim den Lehrer aus, der es wagte, um seine Tochter zu freien;
heute gibt er sie ihm gern. In dieser Gegend wird es bei den wohlhabenden
Bauern mehr und mehr Mode, ihre Höfe zu verpachten, und Hofverkäufe sind dort
Viel häufiger als in der Heide, wo die Landschaft noch ihr altes Gesicht behalten
hat. Der Zug zu städtischer Art und Sitte, die Neigung zur Stadt überhaupt
findet sich im Kalenbergischen und im Hildesheimischen viel häufiger und bringt
eine größere Beweglichkeit des Bodens mit sich, und der Grund dürfte nicht zuletzt
in der Reizlosigkeit der Landschaft zu suchen sein.

Durch die Aufteilung des Gemeineigentums bei der Verkoppelung tritt sofort
eine unmittelbare Beweglichkeit des Bodens ein; aber auch mittelbar nimmt diese
Beweglichkeit zu, denn der Bauer, der seit Jahrhunderten gewohnt war, den
Grund und Boden als etwas Feststehendes zu betrachten, an dem nur im äußersten
Notfalle zu rütteln sei, sieht plötzlich, daß der Grund und Boden auch weiter nichts
als ein Verkaufsobjekt ist, und die Verödung der Landschaft erleichtert ihm den
Gedanken an eine Trennung von der Heimat. Diese relative Beweglichkeit des
Bodens kann man auch mit dem genauesten statistischen Apparat nicht feststellen;
daß sie aber da ist, darf man wohl nicht bezweifeln. Dem Bauern kommt die
Reizlosigkeit der Landschaft nach der Verkoppelung vielleicht gar nicht klar zum
Bewußtsein; aber die unbewußten Empfindungen sind immer die stärksten, und es
ist selbstverständlich, daß ein Bauer, den gewisse Bestandteile seiner Heimat unwill¬
kürlich an die Geschichte seines Landes, seines Dorfes, seines Hofes und seines
Namens erinnern, fester auf seinem Acker steht, als wenn nichts in der Landschaft
seine Person mit seinem Grund und Boden verbindet; dadurch muß er notwendig
zu der Bewertung seines Eigentums als einer Handelsware kommen und den innern
Zusammenhang mit dem Hof, auf dem er lebt, verlieren. Denn was ist ihm eine
Feldmark, in der kein Baum und kein Busch, keine Hecke und kein Strauch das
nüchterne Rechenexempel von Feld und Bräche, Wiese und Sturzäcker unterbricht,
anders als eine Sache, die ihm Zinsen bringt, als ein Geschäft wie jedes andre!
Der mystische Konnex zwischen Bauer und Boden, die alte Bcmernbodentreue, die
sich so oft in anscheinend lächerlichen Prozessen um Heckenpsähle und Steinraine
nnßert, kommt ihm völlig abhanden. Wozu soll er sich placken und schinden jahrein
jahraus in Wind und Wetter, Hitze und Kälte auf Hof und Land? Er hat ja
Geld genug, in die Stadt zu ziehn und es sich bequem zu machen, oder wenn er
nicht ganz von seinem Gelde leben kann, dort einen Handel anzufangen. So verliert
das verkoppelte Land von Jahr zu Jahr Teile seines alten Bauernstammes, während
in den Gegenden mit Sand- und Moorboden die Seßhaftigkeit bedeutend größer
ist, weil noch keine Verkoppelung den Zusammenhang zwischen dem Bauern und
dem Boden gelockert hat.

Der deutsche Bauer ist kein Baschkire oder Kirgise, der sich am wohlsten in
der Steppe fühlt; er ist durch jahrhundertelange Überlieferung an Baum, Busch
und Hag gewöhnt; verschwinden sie aus seiner Heimat, so gehn mit ihnen die
besten Züge aus seinem Charakter fort. Milieuveränderung zieht Charakterver-


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[0419] Maßgebliches und Unmaßgebliches Niemand von ihnen bedenkt, daß diese Verhunzung der Landschaft schwere Schäden für die Angefesselten nach sich ziehn muß. Die augenblicklichen kleinen Vorteile machen, daß der Bauer das dumpfe Mißbehagen, mit dem ihn der Anblick des glattrasierten Geländes erfüllen muß, vergißt; erst wenn das Geschlecht, das so schwer sündigte, unter der Erde liegt, zeigt sich an den Kindeskindern, daß man mit Bäumen und Büschen anch viele wertvolle Volkseigenschaftcn ausgerodet hat. Je fruchtbarer der Boden ist, um so eher macht sich das Bedürfnis nach einer Verkoppelung fühlbar, um so früher verliert die Landschaft an Reiz. So war es auf dem schweren Boden in Mittelhannover. Dort ist aber auch am ersten bei den Bauerntöchtern die Abneigung bemerkt worden, auf einen Hof zu heiraten; sie scheuten die schwere Arbeit und zogen es vor, einen Beamten zu freien. Vor zwanzig Jahren lachte der Bauer aus dem Fürstentum Kalenberg oder aus dem Stifte Hildesheim den Lehrer aus, der es wagte, um seine Tochter zu freien; heute gibt er sie ihm gern. In dieser Gegend wird es bei den wohlhabenden Bauern mehr und mehr Mode, ihre Höfe zu verpachten, und Hofverkäufe sind dort Viel häufiger als in der Heide, wo die Landschaft noch ihr altes Gesicht behalten hat. Der Zug zu städtischer Art und Sitte, die Neigung zur Stadt überhaupt findet sich im Kalenbergischen und im Hildesheimischen viel häufiger und bringt eine größere Beweglichkeit des Bodens mit sich, und der Grund dürfte nicht zuletzt in der Reizlosigkeit der Landschaft zu suchen sein. Durch die Aufteilung des Gemeineigentums bei der Verkoppelung tritt sofort eine unmittelbare Beweglichkeit des Bodens ein; aber auch mittelbar nimmt diese Beweglichkeit zu, denn der Bauer, der seit Jahrhunderten gewohnt war, den Grund und Boden als etwas Feststehendes zu betrachten, an dem nur im äußersten Notfalle zu rütteln sei, sieht plötzlich, daß der Grund und Boden auch weiter nichts als ein Verkaufsobjekt ist, und die Verödung der Landschaft erleichtert ihm den Gedanken an eine Trennung von der Heimat. Diese relative Beweglichkeit des Bodens kann man auch mit dem genauesten statistischen Apparat nicht feststellen; daß sie aber da ist, darf man wohl nicht bezweifeln. Dem Bauern kommt die Reizlosigkeit der Landschaft nach der Verkoppelung vielleicht gar nicht klar zum Bewußtsein; aber die unbewußten Empfindungen sind immer die stärksten, und es ist selbstverständlich, daß ein Bauer, den gewisse Bestandteile seiner Heimat unwill¬ kürlich an die Geschichte seines Landes, seines Dorfes, seines Hofes und seines Namens erinnern, fester auf seinem Acker steht, als wenn nichts in der Landschaft seine Person mit seinem Grund und Boden verbindet; dadurch muß er notwendig zu der Bewertung seines Eigentums als einer Handelsware kommen und den innern Zusammenhang mit dem Hof, auf dem er lebt, verlieren. Denn was ist ihm eine Feldmark, in der kein Baum und kein Busch, keine Hecke und kein Strauch das nüchterne Rechenexempel von Feld und Bräche, Wiese und Sturzäcker unterbricht, anders als eine Sache, die ihm Zinsen bringt, als ein Geschäft wie jedes andre! Der mystische Konnex zwischen Bauer und Boden, die alte Bcmernbodentreue, die sich so oft in anscheinend lächerlichen Prozessen um Heckenpsähle und Steinraine nnßert, kommt ihm völlig abhanden. Wozu soll er sich placken und schinden jahrein jahraus in Wind und Wetter, Hitze und Kälte auf Hof und Land? Er hat ja Geld genug, in die Stadt zu ziehn und es sich bequem zu machen, oder wenn er nicht ganz von seinem Gelde leben kann, dort einen Handel anzufangen. So verliert das verkoppelte Land von Jahr zu Jahr Teile seines alten Bauernstammes, während in den Gegenden mit Sand- und Moorboden die Seßhaftigkeit bedeutend größer ist, weil noch keine Verkoppelung den Zusammenhang zwischen dem Bauern und dem Boden gelockert hat. Der deutsche Bauer ist kein Baschkire oder Kirgise, der sich am wohlsten in der Steppe fühlt; er ist durch jahrhundertelange Überlieferung an Baum, Busch und Hag gewöhnt; verschwinden sie aus seiner Heimat, so gehn mit ihnen die besten Züge aus seinem Charakter fort. Milieuveränderung zieht Charakterver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/419>, abgerufen am 22.12.2024.